Aufruf zu friedfertiger Besonnenheit in militärisch hemmungsloser Zeit
Von Bernhard Taureck
Der folgende Text liefert einige Beschreibungen und bietet einen Ratschlag zu friedfertigem Verhalten in militärisch hemmungsloser Zeit.
- Russland, von dem man im Westen weiß, dass es sich im Fall seiner staatlichen Existenzbedrohung mit Nuklearwaffen zur Wehr setzen würde, soll zu einem militärischen Konflikt gereizt werden.
- Die Reizung besitzt zwei Schauplätze: In der Ostsee soll Russland genötigt werden, seine Transportschiffe militärisch zu begleiten, um einen Vorwand zu haben, Russland militärisch anzugreifen. Ferner sollen aus den USA Tomahawk-Flugkörper mit einer Reichweite von 2.500 km an die Ukraine geliefert werden. Für Russland ist unbekannt, ob sie atomar bestückt sind. Da die Tomahawks allein von US-Spezialisten bedienbar sind, folgt, dass die USA automatisch sich im Krieg mit Russland befänden. Inzwischen gibt es auch Pläne, dass Russland die Oreschnikwaffe, über die allein Russland verfügt, an seiner Westküste stationiert, die auch nuklear bestückbar sind und weite Teile des Westens der USA bedrohen können.
- Im Hintergrund stehen die Wertungen Hegels, Krieg bewahre eine Gesellschaft vor Erstarrung und Fäulnis. Ebenso wirkt der Clausewitz-Satz, Krieg sei eine Fortsetzung des Primats der Politik, fort in die Gegenwart.
- Hegel dachte in den Kategorien begrenzter Kriege, obwohl zuvor Kant vor möglichen Vernichtungskriegen (bellum internecicum) gewarnt hatte.
- Dass auch im Kriege ein Primat der Politik fortbesteht, war die Einsicht von Clausewitz. Zu ergänzen ist allerdings, dass eine Politik, die zum Kriege führt, gescheitert ist und durch eine anders ausgerichtete Politik zu ersetzen ist.
- Zwar hat das International Public Law das Recht, Kriege zu beginnen, gestrichen. Politische Strategen weichen auf Verteidigungskriege aus und provozieren andere zu Angriffskriegen, bis diese tatsächlich erfolgen.
- In der heutigen globalstrategischen Lage könnte den Intellektuellen jenes Heraklit-Zitat einfallen, das den Krieg zum Vater und König erklärt:
Krieg ist Vater von allem, König von allen, und die die einen erweist er als Götter, die anderen als Menschen, die einen macht er zu Sklaven, die anderen zu Freien. - Wie ich 2019 in meinem Buch Drei Wurzeln des Krieges zu zeigen versuchte, sollte der Heraklit-Satz nicht als Bestätigung, sondern als Warnung vor Kriegen gelesen werden. Kriege beginnen als Tätergewissheit und enden als Opfererlebnis.
- Selbst wenn der sich anbahnende Krieg nicht zu einem nuklearen Holocaust führt, so könnte ein längst im finanziellen Minus stehendes Europa infolge des Krieges seine verbleibende historische Bedeutsamkeit restlos verlieren. Die USA könnten diesen Bedeutungsschwund planen, um sich ohne Rücksichten ganz auf seine Konfrontation mit China zu konzentrieren. Daher ist eine US-Planung denkbar, die Europa in einen Krieg mit Russland treibt, den es nicht zu gewinnen vermag und der es für den Rest der weiteren Geschichte opfert.
Aus diesen Prämissen folgt der Rat, alle Planungen, Erwartungen, alle Optionen auf einen kriegerischen Sinn der Staatspolitik zu begraben und durch eine intrinsisch friedfertige Politik zu ersetzen.
Dieser Rat bedarf folgender Erläuterung:
Bisher lag der Sinn der Politik eines Landes darin, den Bestand des Staates zu erhalten. Das jedenfalls lehrte uns Machiavelli in seiner politischen Programmschrift Il Principe von 1513. Er formuliert die Selbsterhaltung des Staates (mantenere lo stato) als Ziel jeder Art von Politik. Denn mit dem Staat ist das Gedeihen des gesamten Staatsvolkes in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft gemeint. Keine Staatsregierung ist jedoch frei von Irrtümern. Denkfabriken, die im Westen während der letzten Jahrzehnte auf über 6000 angewachsen sind, sollen für Irrtumsverringerung sorgen.
Wo Irrtümer geschehen, können diese korrigiert werden. Ein Staat ist passend beraten, wenn er seine Irrtümer rechtzeitig einsieht und mittels einer Kurskorrektur zu beheben versucht. Eine Irrtumsverstrickung liegt dann vor, wenn Irrtümer mit weiteren Irrtümern korrigiert werden sollen. Die westlichen europäischen Staaten reihten seit Beginn des Ukrainekrieges folgende Irrtümer aneinander: 1. Sie wollten das zu günstigen Preisen aus Russland bezogene Gas nicht länger beziehen. 2. Sie ließen es zu, dass Nordstream 2 gesprengt wurde. 3. Sie unterstützten die zu Beginn des Krieges im Westen als Korruptokratie eingestufte ukrainische Regierung nicht humanitär, sondern mit Waffen, zuerst ausgediente, dann zunehmend modernere und modernste Waffen, einschließlich Atomraketen. Mit ihrer massiven Waffenlieferung an Kiew wurden die vorhergehenden Irrtümer offenkundig. Sie sorgten dafür, dass eine Notwehr der Ukraine zu einem Notwehrexzess auswuchs. Der Sinn des Kiew-Staates besteht nicht mehr in Staatserhalt, sondern in einem Krieg, der nicht gewinnbar ist. Wenn der Sinn des Kiew-Staates ausschließlich blinder Krieg ist, so verlagert sich auch der Sinn der europäischen Länder von Staatserhaltung zu kriegerischer Destruktion, deren Ziel auf Selbstzerstörung hinausläuft. 2023 hatte eine US-Denkfabrik diagnostiziert, der Konflikt in der Ukraine lohne sich für Washington nicht. Doch der Einfluss dieses Urteils einer maßgeblichen US-Denkfabrik reichte zu einer einfachen Korrektur offenbar nicht hin.
Eine Irrtumsverkettung und gar Irrtumsverstrickung kann mit keiner Kurskorrektur beendet werden. Eine Kursänderung erscheint erforderlich. Der bisher blinde Krieg muss sehend werden. Dazu gehört zunächst die Einsicht, dass Krieg nicht bezahlbar ist. Würde man russisches Auslandsvermögen antasten, dann droht eine globale Finanzkrise, vor der man bereits heute warnt. Dazu gehört zweitens die Einsicht, dass keine Atommacht besiegbar ist. Der Sinn eines Staates liegt nicht in einem Krieg. Erliegt in der Besinnung auf seine Selbsterhaltung.
Bernhard H. F. Taureck ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes Rheinland-Pfalz / Saarland
Bild oben: Niccolò Machiavelli (1469-1527) in einem Bildnis von Santi di Tito (ca. 1500).
Gemälde von Santi di Tito, Public Domain
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=9578897
