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Indianer in der DDR

von Ralf Lux

Aus: „FREIDENKER“ Nr. 4-25, Dezember 2025, S. 32-42, 84. Jahrgang

Stellen Sie sich vor, wir befinden uns im Jahr 1973 und Sie machen einen Spaziergang durch den Thüringer Wald. Plötzlich hören Sie in der Ferne Trommeln und fremdartig klingende Gesänge. Neugierig folgen Sie den Geräuschen und erreichen eine Lichtung. Was Sie dort sehen, können Sie kaum fassen. Die ganze Lichtung ist mit Indianertipis vollgestellt und mehrere hundert Menschen, gekleidet wie echte Indianer, führen singend einen Tanz auf.

Sollten Sie ein Besucher aus der BRD sein, werden Sie wahrscheinlich unweigerlich an Karl May denken. Als DDR-Bürger eher an Gojko Mitić, dessen letzten Film Sie gerade kürzlich zu den Sommerfilmtagen gesehen haben.

Tatsächlich hat das, was sich da abspielt, indirekt auch mit Karl May zu tun; sogar in zweifacher Hinsicht.

Von Karl May zu „Old Manitou“

Karl May, der große Abenteuerschriftsteller des 19. Jahrhunderts verbrachte seine letzten Lebensjahre in Radebeul bei Dres­den und verstarb dort 1912. Seine Witwe Klara lies auf dem Grund­stück ein Block­haus er-richten, die Villa Bärenfett, welche ab 1928 als Karl-May-Muse­um diente. Der Kustus dieses Mu­seums wurde ein gewisser Patty Frank, Artist, Karl-May-Fan und Hobbyforscher. Er war als Artist viel herumgekommen und hatte sich dabei eine große Sammlung an Wildwest- und India­nerutensilien zugelegt, die neben den originalen Sammlerstücken des Karl May den Grundstock des Museums bildeten.

Etwa zu dieser Zeit sah der junge Johannes Hüttner (1914-2000) eine Show des Zirkus Sarrasani in Dresden, bei der eine große Gruppe echter Indianer vom Stamme der Sioux auftrat. Diese „Völkerkundeschauen“, deren bekanntester Vertreter Buffalo Bill war, sind aus heutiger Sicht durchaus kritikwürdig. Für Hüttner waren sie der Auslöser für eine lebenslange Karl-May- und Indianerbegeis­terung. Bald schon nahm er Kontakt zu Patty Frank auf und wurde Stammgast in der Villa Bärenfett.

Wenig später – 1930 – wurde in Radebeul der „Indianer- und Westernclub ‚Old Manitou‘“ gegründet. Dieser pflegte eine Wildwest-Romantik ganz im Sinne der Geschichten von Karl May. Man kostümierte sich entweder als Cowboy oder als Indianer und saß abends gemeinsam vor dem Lagerfeuer. Mit dabei auch bald Johannes Hüttner.

Im 2. Weltkrieg wurden die meisten Mit­glieder zum Kriegsdienst eingezogen. Die Klubarbeit kam zum Erliegen, die selbst­angefertigten Kostüme und Waffen ver­brannten in der verheerenden Bom­bennacht vom 13.02.1945.

Als Johannes Hüttner 1951 aus sowje­tischer Kriegsgefangenschaft zurück­kehrte, beschloss er, sich seines alten Hobbys wieder anzunehmen und gründete 1956 den ersten Indianerklub der DDR, nunmehr unter dem Namen „Kulturgruppe für Indianistik ‚Old Manitou‘“. Hüttner gab sich den Namen „Powder Face“ und wurde quasi zum ersten Indianerhäuptling der DDR. Der Begriff „Indianistik“ war zwar nicht neu[1], be­zeichnete ab sofort aber speziell in der DDR die Beschäftigung mit der Geschichte und dem Brauchtum der Indianer  und wertete diese somit wissenschaftlich auf.

Da in der DDR das bürgerliche Vereins­recht weitestgehend abgeschafft war, siedelten sich Interessengruppen für bestimmte The­men bei den Massenorganisationen (FDJ, FDGB, Kulturbund oder Urania) an oder etablierten sich als Arbeitsgemeinschaften an Kulturhäusern, Schulen oder auch Betrieben. In jedem Falle brauchte man einen solchen „Träger“ um sein Hobby in einer Gemein­schaft legal betreiben zu können. Hüttner und seinen Freunden gelang es schließlich, den „VEB Zentrales Projektierungsbüro für Glas- und Keramik“ zu gewinnen.[2]

Hauptaufgaben des neuen Vereins von 1956 sollten sein: „Studium der Geschichte, der Sitten und des Lebens der Indianer anhand von Literatur und in Zusammenarbeit mit dem Karl-May-Museum – Anfertigen von Kostümen und Gegenständen sowie praktisches Studium mit Ausübung von Tänzen, Gesängen und Geschicklichkeits­spielen sowie Vermittlung des Wissens an die Jugend mit anschaulicher Darstellung des Erarbeiteten.“ [3]

Schon seit den 1950er Jahren trat die Gruppe auch öffentlich auf, so gab es z.B. im Dresdener Zoo Veranstaltungen, wo sie mit Lasso- und Messerwurf-Shows von sich reden machte. Gewissermaßen setzte sie die Tra­dition der Völkerkundeschauen des Kaiser­reiches und der Weimarer Republik fort. Nur dass es keine echten Indianer mehr waren, die es zu bestaunen galt.

Der erste DDR-Indianerklub „Old Mani­tou“ war also nicht zufällig ausgerechnet in Radebeul entstanden; sondern als Folge der Tatsache, dass Karl May hier gewirkt hatte.

Die Geburt des Indianerfilms

Ein zweiter Bezugspunkt zu Karl May hat mit dem Umstand zu tun, dass in den frühen 1960er Jahren in der Bundesrepublik der Trend der Karl-May-Filme aufkam. Es erschienen jedes Jahr gleich mehrere Filme, die auf den Wildwest-Geschichten des Karl May aufbauten.[4]

In der DDR hatte sich bis Mitte der 60er Jahre bereits eine beachtliche Filmkunst entwickelt. An was es aber mangelte, waren Abenteuerfilme, die ein jugendliches Publi­kum ansprachen. Um dem Mangel entgegen­zuwirken, begann die DEFA darüber nachzudenken, einen „sozialistischen Wes­tern“ zu drehen. Es ist nicht verbürgt, aber naheliegend, dass diese Idee von den westdeutschen Karl-May-Filmen inspiriert wurde. Man wollte aber auf keinen Fall amerikanische und westdeutsche Vorbilder nur kopieren, in denen meist ein einzelner schießwütiger Held im Kampf gegen böse und geldgierige Kontrahenten für „Gerechtigkeit“ sorgt. Und man wollte die Indianer, die in all diesen Filmen meist nur Nebenfiguren waren (außer Winnetou – versteht sich), in das Zentrum der Handlung stellen und sich an historische und ethnologische Fakten halten. So begannen 1965 die Dreharbeiten zu „Die Söhne der großen Bärin“, dem ersten DEFA-Indianerfilm nach einer Romanvorlage von Liselotte Welskopf-Henrich (zu dieser siehe auch weiter unten).

Als das vielzitierte 11. Plenum des ZK der SED, welches den DDR-Künstlern kollek­tives Versagen vorwarf, im Dezember 1965 tagte, war der Film längst abgedreht und wurde zwei Monate später, am 18.02.1966 uraufgeführt. Glücklicherweise hatten die Verantwortlichen nichts an dem Film aus­zusetzen. Er wurde der erfolgreichste DEFA-Film des Jahres 1966 und wurde bis zum Ende der DDR von fast 10 Millionen Zu­schauern gesehen.

Der Film wurde in Jugoslawien gedreht. Als Hauptdarsteller wurde der damals 25-jährige Gojko Mitić gefunden, der Anfang der 60er Jahre an der Sporthochschule Belgrad studierte und bereits in einigen westdeutschen Produktionen – die ebenfalls in Jugoslawien entstanden – als Komparse mitgewirkt hatte. Nachdem er in dem Film „Unter Geiern“ (1964) schon eine kleine Sprechrolle als Häuptlingssohn bekommen hatte, wurde ihm in „Die Söhne der großen Bärin“ die Hauptrolle als Lakota-Häuptling Tokei-ihto übertragen und zwar mit soviel Erfolg, dass von nun an für die nächsten zehn Jahre jedes Jahr ein neuer DEFA-Indianerfilm erschien und jedesmal mit Gojko Mitić in der Haupt- bzw. Häuptlingsrolle. Insgesamt wurden bis 1983 dreizehn Indianerfilme mit Mitić in der Hauptrolle gedreht[5]

Die Filme spielten überwiegend in den USA bzw. den von ihnen später annektierten Gebieten. Während die westdeutschen Karl-May-Filme und die US-Western zumeist auf leichte Unterhaltung setzten, legten die DEFA-Indianerfilme mehr Wert auf historische Authentizität. Die Geschichten wurden aus der Sicht der unterdrückten und vertriebenen Indianer erzählt, deren Kampf – daran gab es keinen Zweifel – ein gerechter ist.

Ein weiteres Zeugnis der kulturell-thema­tischen Öffnung hin zu nordamerikanischer Geschichte war übrigens die Kinder­zeitschrift „Mosaik“, das einzige reine Comic-Magazin der DDR. Im Juli 1969 startete dort eine Amerika-Serie die dann über 60 Hefte bis 1974 lief. Der Handlung spielt überwiegend in den USA um 1860 herum, also kurz vor und zu Beginn des Bürgerkriegs. Es ist eine vordergründig abenteuerliche Handlung vor dem Hinter­grund der Befreiungsbewegung der schwar­zen Sklaven. Indianer kommen nur selten vor, aber wenn, dann sind sie in ihrem Kampf gegen die weißen Eindringlinge eindeutig die Sympathieträger, auf deren Seite sich der jugendliche DDR-Leser selbst­verständlich schlägt.

Die Expansion der Indianistik-Klubs

Vor dem Hintergrund des plötzlichen Interesses der DDR-Film- und Fernseh­schaffenden für die Kultur und den Kampf der Indianer, geschah vor allem in den 1970er Jahren merkwürdiges. Nachdem es in den 1950er und frühen 1960er Jahren bereits vereinzelte weitere Gründungen von Indianerklubs gegeben hat [6], setzte ab Mitte der 1960er Jahre eine regelrechte Gründungswelle ein. Von Borries und Fischer zählen zwischen Mitte der 1960er und Ende der 1980er Jahre 55 Neugründungen auf, verteilt über die gesamte Republik.[7] Noch 1989 erfolgten vier Gründungen und die letzte sogar erst 1990. Man schätzt, dass zu den besten Zeiten etwa 3000 überwiegend junge Frauen und Männer in der DDR dem Hobby „Indianistik“ frönten.

Die Gründung der Klubs geschah von jeher ohne „Anstoß von oben“, doch während die Verantwortlichen in Staat und Partei den ersten Gründungen der 1950er und 1960er eher skeptisch und misstrauisch gegen­überstanden, war dies nun anders. Die SED bemühte sich in jenen Jahren, alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens zum Wohle der Menschen neu zu gestalten. Dabei wandelte sich auch die Kulturpolitik, die nicht mehr nur Vorgaben machte, sondern versuchte, das vorhandene Potential zu nutzen und in die Gesellschaft zu integrieren. Dabei erkannte man auch den klassenkämpferischen Aspekt der Indianerbegeisterung.

Schließlich waren die Indianer die Benachteiligten und Vertriebenen der Ex­pansion des weißen Mannes; sie waren Opfer des ungezügelten Kapitalismus und des Imperialismus, der auch der Hauptfeind des Sozialismus war. Die Indianer erlangten so in der DDR den Status von Klassenbrüdern bzw. mindestens Bündnispartnern im welt­weiten Kampf gegen den Imperialismus, und die Indianisten hatten für ihr Hobby nun endlich eine Legitimation.

Friedrich Engels und die Gentilverfassung der Irokesen

Die neuen Indianisten handelten nicht etwa rein opportunistisch, sondern sahen ihr Hobby durchaus als Teil einer Kultur, die den Aufbau des Sozialismus unterstützt. Das programmatische Ziel – die Errichtung des Kommunismus – war ihnen auch nicht suspekt, zumal die Indianer – teilweise bis ins 19. Jahrhundert hinein – in einer Art Urkommunismus lebten.

Friedrich Engels hatte 1884 seine Schrift „Der Ur­sprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“ veröffentlicht und verwendete dazu die Erkenntnisse des Anthropologen und Ethnologen Lewis Henry Morgan, der jahrelang über die Indianer – nament­lich die Irokesen – geforscht hat. Über die Verfassung der Irokesen schrieb Engels:

„Und es ist eine wunderbare Verfassung in all ihrer Kindlichkeit und Einfachheit, diese Gentil­verfassung! Ohne Soldaten, Gendarmen und Poli­zisten, ohne Adel, Könige, Statthalter, Präfekten oder Richter, ohne Gefängnisse, ohne Prozesse geht alles seinen geregelten Gang. Allen Zank und Streit entscheidet die Gesamtheit derer, die es angeht, die Gens oder der Stamm, oder die einzelnen Gentes unter sich […] Obwohl viel mehr gemeinsame Angelegenheiten vorhanden sind als jetzt – die Haushaltung ist einer Reihe von Familien gemein und kommunistisch, der Boden ist Stammesbesitz, nur die Gärtchen sind den Haushaltungen vorläufig zugewiesen –, so braucht man doch nicht eine Spur unsres weitläufigen und verwickelten Verwaltungs­apparats. Die Beteiligten entscheiden, und in den meisten Fällen hat jahrhundertelanger Gebrauch bereits alles geregelt. Arme und Bedürftige kann es nicht geben – die kommunistische Haushaltung und die Gens kennen ihre Verpflichtungen gegen Alte, Kranke und im Kriege Gelähmte. Alle sind gleich und frei – auch die Weiber. […] Und welche Männer und Weiber eine solche Gesellschaft erzeugt, beweist die Bewundrung edler Weißen, die mit unverdorbnen Indianern zusammenkamen, vor der persönlichen Würde, Geradheit, Charakter­stärke und Tapferkeit dieser Barbaren.“[8]

Würde und Tapferkeit – das waren Tugenden, die sich die Indianisten gern zu eigen machen wollten.

Anders als die alten Klubs, insbesondere „Old Manitou“, die zum Teil immer noch die Wildwestromantik pflegten und bei denen es neben Indianern und Zelten auch Cowboys und Blockhäuser gab, konzentrierten sich die neuen Klubs ausschließlich auf die Indianer. Ihre Mitglieder waren schon in der DDR geboren und aufgewachsen und ihre Vorbilder entstammten nicht mehr den Karl-May-Romanen, sondern authentischen, vor allem wissenschaftlichen Quellen. Cowboy-Kostü­me und Lassotricks waren passé. Man hatte den Anspruch, das „echte Leben“ der Indianer nachzugestalten. So entstand eine eigene, DDR-spezifische Indianerkultur.

Die Quellen der neuen Indianisten

Anfang der 1970er Jahre, als die DDR-Indianer-Bewegung boomte, begannen deren Mitglieder sich ein umfangreiches Wissen über die Kultur, das Brauchtum und die Geschichte der nordamerikanischen Urein­wohner anzueignen. Was waren ihre Quel­len?

Neben den schon erwähnten DEFA-Filmen waren es natürlich vor allem Bücher. Karl May konnte es nicht mehr sein. Er genügte nicht den Ansprüchen einer wissenschaft­lichen Auseinandersetzung mit dem Thema. Außerdem waren seine Werke in der DDR zwar nicht verboten, aber aus den Biblio­theken ausgesondert und wurden nicht mehr neu verlegt. [9]

Was stand aber Anfang der 1970er Jahre zur Verfügung? Zu allererst ist die Schriftstellerin und Historikerin Liselotte Welskopf-Henrich (1901-1979) zu nennen. Ihr beruflicher Schwerpunkt war zwar die griechische Antike, privat hatte sie sich allerdings nicht minder mit den Indianern Nordamerikas befasst. Bereits 1951 hatte sie den Roman „Die Söhne der großen Bärin“ geschrieben, der auch gleich einen Jugend­buch-Preis erhielt und – wie schon erwähnt – 1966 verfilmt wurde. Das Buch spielt um 1876/77 auf dem Höhepunkt der Kämpfe der Sioux und Cheyenne gegen das US-Militär. Der junge Dakota-Häuptling Tokei-ihto, gerät in Gefangenschaft; sein Stamm wird in die Reservate getrieben. Nach seiner Befreiung geleitet er seinen Stamm in eine neue Heimat nach Kanada.

Später, 1963, erweiterte Welskopf-Henrich das Buch um die Vorgeschichte, die bis in die Kindheit des Haupthelden zurückreicht. So entstand eine Trilogie, die noch später (1970er Jahre) in sechs Bände aufgeteilt wurde, wovon die letzten beiden den Ursprungstext beinhalteten. Bemerkenswert war die völ­kerkundliche Exaktheit, so dass viele Leser annahmen, dass Welskopf-Henrich vor Ort in den USA gewesen sein müsse. Tatsächlich war sie dort, allerdings erst 1965, als das Buch längst geschrieben war. Beginnend 1966 bis zu ihrem Tod 1979 verfasste sie dann noch die Pentalogie „Das Blut des Adlers“, welche in der Gegenwart, also in den 1960er bis 1970er Jahren in den USA spielt und den tristen Alltag der in ihre Reservate gezwungenen Indianer beschreibt. Bei einer ihrer Reisen erhielt Welskopf-Henrich von den Indianern den Ehrennamen »Lakota-Tashina«: Schutzdecke der Dakota.

Ein weiteres belletristisches Standardwerk der DDR-Indianer ist das Jugendbuch „Blauvogel“ (1950) der Autorin Anna Jürgen, ebenfalls eine studierte Eth­nologin. Darin beschreibt sie das Schicksal eines weißen Jungen, der von Irokesen aufgezogen wird und später, als er die Möglichkeit hat, nicht mehr zu den Weißen zurückkehren will. Auch dieses Buch wurde von der Szene wegen seines wissen­schaftlichen Fundamentes akzep­tiert und galt auch vierzig Jahre später noch als Standardwerk.

Wissenschaftliche oder popu­lärwissenschaftliche Literatur zum Indianer-Thema gab es in der DDR nur wenig. In erster Linie ist da die Professorin für Ethnologie Eva Lips (1906-1988) zu nennen, die an der Karl-Marx-Universität Leipzig lehrte und forschte. Sie war die Ehefrau von Julius Lips, ebenfalls Ethnologe, mit dem sie 1934 in die USA ausgewandert war und 1948 nach Leipzig zurückkehrte. Nachdem ihr Mann schon 1950 verstorben war, übernahm sie die Leitung des „Instituts für Völkerkunde und vergleichende Rechtssoziologie und promovierte 1951. Eva Lips beschränkte sich nicht auf den universitären Bereich, sondern verfasste auch mehrere populärwissenschaft­liche Bücher, darunter „Das Indianerbuch“ (1956, mehrere Auflagen bis 1980), „Nicht nur in der Prärie …“ (1974) und „Sie alle heißen Indianer“ (Kinderbuch, 1974). Auch stammte von ihr das Kapitel über die nordamerikanischen Indianer in dem weitver­breiten Buch „Völkerkunde für jedermann“ (1966). Dies alles waren Standardwerke, die so ziemlich jeder Indianist in seinem Bücherschrank gehabt haben dürfte.

Es gab noch einige wenige Übersetzungen aus anderen sozialistischen Ländern, aber an weitere aktuelle Literatur war schlecht heranzu­kom­men. Neuere wissenschaft­liche Literatur aus dem Aus­land (inklusive USA und BRD) war aber zum Teil in wissenschaftlichen Biblio­theken vorhanden. Für die Ansicht oder Ausleihe musste man völkerkundliches Inte­resse vorweisen können. Die dazu notwendigen Nachweise besorgte man sich bei den Trä­gern der Klubs und verbreitete die ergatterten Werke, in dem man sie abfotografierte oder abschrieb.

Was es außerdem gab, waren Antiquariate, wo man völkerkundliche Bücher aus der Zeit vor 1933 bis hin zum Kaiserreich erwerben konnte. Insbesondere die Abbildungen darin waren für so manchen eine gute Vorlage zur Anfer­tigung der eigenen „Kla­motten“.

Eine weitere Quelle der Wissensaneignung waren die Museen. Neben dem Karl-May-Museum (von 1956-1985 „Indianermuseum“) in Rade­beul war das vor allem das Völkerkundemu­seum in Leipzig. Bald schon kam man nicht mehr nur zu Besuch, sondern beteiligte sich auch aktiv an der Vorbereitung von Sonder­ausstellungen.

Hobby-Indianer werden zu Experten

Die Auseinandersetzung mit der indianischen Kultur und Lebensweise machte aus vielen Indianisten regelrechte Experten. Dies betraf Riten, Tänze, Musikinstrumente, Bekleidung, Waffen, den Bau von Tipis oder Lang­häusern, die Kenntnis der Stammesgesetze und sogar die alten Indianersprachen.

Das umfangreiche Wissen, welches sich die Mitglieder erworben hatten, gaben sie gerne weiter. Sie hielten Vorträge und gestalteten Ausstellungen in Schulen, Kulturhäusern und Museen. So nach und nach gewannen sie Akzeptanz auch außerhalb der Klubszene und tauchten hin und wieder in der Lokal­presse auf.

Die Kleidung war ein wesentlicher Schwer­punkt der Tätigkeit der Klubmit­glieder. Man zog sich nicht einfach ein paar bunte Kostüme an, sondern fertigte sie sich selbst nach Originalvorlagen an. Insbesondere die auf­wendigen Perlenstickereien wurden aus­schließlich selbst gefertigt und manch einer brachte es auf mehrere Tausend Perlen für sein Oberteil.

Dass Indianerhäuptlinge stets prächtige Federhauben getragen haben, ist ein Klischee, welches bestenfalls auf die Dakota-Stämme zutrifft. Die Szene war aber vielfältiger, denn es gab auch Irokesen, Apachen, Cheyenne, Comanchen, Delawaren, Pueblo und viele mehr. In der Regel beschäftigte sich ein Klub immer mit der Kultur und dem Brauchtum eines bestimmten Indianerstammes. Von diesem galt es dann möglichst alles in Erfahrung zu bringen.

Die verschiedenen Klubs waren von jeher gut miteinander vernetzt und dies, obwohl es ja die heutigen Kommunikationstechniken noch nicht gab. Jeder, der sich für das Thema interessierte fand aber irgendwie auch immer den Kontakt zu den anderen. Und man traf sich untereinander, sooft es ging. Schon ab 1958 wurde jährlich ein „Council“ mit etwa 150 Teilnehmern veranstaltet, wo die Klubs ihre Erfahrungen austauschten und – soweit es sinnvoll war – ein gemeinsames Vorgehen besprachen. Doch diese Councils, die in der Regel ein Wochenende dauerten, atmeten noch den Geist der alten Cowboy-Indianer-Romantik. Die neuen Klubs wollten sich ganz der quasi wissenschaftlichen Indianistik widmen.

Ab 1973 fand dann – zuerst in Triptis in Thüringen – mindestens jährlich einmal die „Indian Week“ statt, die es dann im Laufe der Jahre auf bis zu 1000 Teilnehmer brachte. Hier kamen Fans aus der ganzen Republik zusammen, um sich mit eigenen Darbie­tungen zu präsentieren und die Vorführungen der anderen anzusehen. Dabei wurden auch Kompromisse gemacht. So schliefen z.B. während der Week auch die Irokesen in Tipis, was sie aber in der Wirklichkeit gar nicht taten, denn sie hatten Langhäuser, die sich jedoch schlecht transportieren ließen.

Um außerhalb der großen Treffen ihrem Hobby nachzugehen, bekamen viele Klubs von ihren Trägern Grundstücke zur Ver­fügung gestellt oder die Mitglieder pachteten sich selber welche.

Solidarität mit den Indianern

Wesentlich für die neue Indianerbewegung war, dass sie ihre Freizeitbeschäftigung auch mit politischem Engagement verband.

Nachdem sich in den USA in den 1960er Jahren verschiedene Protestbewegungen (gegen den Vietnamkrieg, Studentenunruhen, schwarze Bürgerrechtsbewegung) heraus­gebildet haben, organisierten sich am Ende des Jahrzehnts auch die nordamerikanischen Ureinwohner. 1968 gründete sich das AIM (American Indian Movement) und machte alsbald mit spektakulären Widerstands­aktionen von sich reden. Besonders bekannt wurden die Besetzungen der Gefängnisinsel Alcatraz nahe San Franzisko von 1969 bis 1971 und der Ortschaft Wounded Knee im Jahre 1973. Wounded Knee war schon einmal ein geschichtsträchtiger Ort, als hier 1890 beim letzten verzweifelten Gefecht der ver­triebenen Ureinwohner gegen die weißen Ein­dringlinge ein Massaker an ca. 350 Indianern stattfand.

Die Besetzung von Wounded Knee fand weltweite Beachtung und wurde selbst­verständlich auch von den Anhängern der Indianerklubs in der DDR verfolgt. Nachdem sie durch Kapitulation der Aufständischen am 8. Mai 1973 endete, besuchten wenige Wo­chen später einige Protagonisten die DDR anlässlich der X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten und wurden als Helden des antiimperialistischen Widerstandskampfes geehrt. Einigen Hobby-Indianern aus Thü­ringen gelang es, direkten Kontakt zu der AIM-Delegation aufzunehmen und man verbrachte gemeinsam mehrere Tage in Berlin. Einen der US-Gäste begrüßte man sogar beim Indianerklub Absàrukeh im nahe­gelegenen Fürstenwalde.[10]

1975 kam es in der Pine Ridge Reservation zu einer Schießerei, bei der zwei FBI-Agenten ums Leben kamen. Dafür wurde 1977 Leonard Peltier, ein Führer des AIM, trotz umstrittener Beweislage zu zweifach lebens­langer Freiheitsstrafe verurteilt. Der Prozess wurde von vielen als unfairer Schauprozess empfunden, dessen Urteil letztendlich rein politisch motiviert war. Dies führte zu weltweiten Protesten und Solidaritäts­bekundungen.

Auch in den Indianer-Klubs entwickelte sich alsbald eine entsprechende Solida­ritätsarbeit. In Berlin wurde sogar ein Klub gegründet, der sich ausschließlich der Unter­stützung des indianischen Befreiungskampfes widmete: der Jugendklub „Indianer Heute“. Dieser stellte Kontakte zu Widerstands- und Unterstützergruppen in aller Welt her. Bei Pressefesten, FDJ-Veranstaltungen und Soli-Basaren war man regelmäßig mit Info- und Verkaufsständen vertreten.

Im Oktober 1983 trafen sich Klubvertreter aus der gesamten Republik in Dresden, um zukünftige Solidaritätsaktionen zu koordinie­ren und gründen den „Solidaritätsarbeitskreis der Indianistikgruppen der DDR“. Die Klubs waren ja schon seit jeher vernetzt, aber eine offizielle Arbeitsgruppe dieser Art, die also klubübergreifend agieren sollte, hatte es bislang noch nicht gegeben.

Exkurs: Country & Western

Über die ganzen Jahre waren die Cowboys eine Randerscheinung in der Szene. Aber es gab sie weiterhin. Bei Old Manitou in Radebeul, wo Cowboys und Indianer von jeher koexistierten, baute man sich eine regelrechte Westernstadt namens Stetson City und auch bei Weimar entstand ein Fort mit Saloon, Gefängnis und Wachturm. Mit der bisherigen DDR-Kulturpolitik war dies zunächst schlecht in Übereinstimmung zu bringen, jedoch konterten die Western-Fans damit, dass die echten Cowboys ja nicht zur besitzenden Klasse gehörten, sondern in deren Diensten arbeiten mussten und somit als „armes weißes Landproletariat“ zu den Ausgebeuteten zählten.

Unterstützend kam hinzu, dass seit 1972 ein echter US-Amerikaner in der DDR wohnte, der sich sowohl als US-Patriot, als auch als Sozialist verstand. Die Rede ist von Dean Reed (1938-1986), der seit Anfang der 60er Jahre mit Folk- und Rock’n’Roll-Nummern auftrat und vor allem in Süd­amerika große Erfolge feierte. Dort war er zeitweise populärer als Elvis Presley. Die soziale Ungleichheit und Massenarmut in Lateinamerika politisierten ihn, weshalb er z.T. eintrittsfreie Konzerte gab. 1966 traf er sich sogar mit Che Guevara. Nachdem er aus Argentinien ausgewiesen wurde, lebte er in Spanien, Italien und der Sowjetunion und kam dann schließlich in die DDR wo er als hervorragender Vertreter des „anderen Amerika“ gefeiert wurde. Er drehte in der DDR fünf Filme, wovon man mindestens zwei dem Genre des Westerns zuordnen kann.[11] Außerdem spielte er an der Seite von Gojko Mitić in dem Indianerfilm „Bluts­brüder“ (1975) mit.

Der klassische Western war somit Ende der 1970er Jahr plötzlich salonfähig geworden. Anders als bei den Indianern, deren Musikkultur mit der europäischen wenig kompatibel war, brachten die Westernfreunde auch eine massentaugliche Musik mit: Country & Western. Weil die Kulturpolitik der DDR sich weitere internationale Trends erschließen wollte, wurde die Country-Szene zeitweise regelrecht gefördert. Der DJ Peter Tschernig aus Karl-Marx-Stadt wurde gezielt als Gegenstück zum westdeutschen Country-Sänger Gunter Gabriel aufgebaut. Natürlich war das reine Unterhaltungskunst und hatte wenig mit dem Anliegen der „DDR-Indianer“ zu tun.

Höhepunkt und Zerfall

Die Szene der Indianistik-Klubs der DDR erlebte in den 80er Jahren mit ca. 3000 Akteuren ihren Höhepunkt. Allerdings wirkte sie trotz gelegentlicher Auftritte auf Volks- oder Pressefesten weitestgehend abseits der Öffentlichkeit. Sofern man eigenes Gelände hatte, traf man sich dort an den Wochen­enden. Bei den großen jährlichen Treffen „Council“ und „Indian Week“ kam man mit den Mitgliedern der anderen Klubs zu­sammen, blieb aber auch hier unter sich. Nur ab und zu gab es auch einen „Tag der offenen Tür“.

Unter maßgeblicher Initiative eines Indianistik-Aktivisten namens „Joe“ sollte sich das ändern. In den Jahren 1986 und 1988 wurden zwei „Nationale Indianerfeste der DDR“ auf dem Agra-Gelände bei Leipzig abgehalten, an denen sich fast alle Klubs beteiligten und die jeweils ca. 150.000 Besucher gezählt haben sollen.[12]

Eine weitergehende Tradition konnte damit nicht begründet werden, denn schon zwei Jahre später befand sich die DDR im Zerfall. Mitten in der vorangehenden Umbruchs­phase, am 22. Oktober 1989 (Egon Krenz war schon Generalsekretär der SED, aber noch nicht Staatsratsvorsitzender) wurde aus dem Dresdner Kulturpalast die Unterhaltungs­sendung „Wenn schon – denn schon“ über­tragen, zu der alle 50 Häuptlinge der prakti­zierenden DDR-Indianer eingeladen waren und wo der größte Indianerstamm der DDR prämiert wurde. Es gewann „Old Manitou“ aus Radebeul mit 53 Mitgliedern[13]

Die DDR-Indianerklubs erlebten also gerade den Höhepunkt ihrer Akzeptanz, als die gesellschaftlichen Veränderungen das Ende ihrer bisherigen Verfasstheit besiegelten. Es war ja Konsens, dass ihre Sympathien für die echten Indianer vor allem daher rührten, weil sie Opfer einer kapitalistischen Expan­sionspolitik waren, die sie entrechtete und aus ihren Jagdgründen vertrieb. Nun erlebten DDR-Indianer diesen Expansionsdrang auf eine moderne Art an sich selbst durch die Überrollung der DDR durch den Westen, bei der alle bisherigen Werte und Erfahrungen plötzlich wertlos sein sollten. Und es gab auch bald wieder Trecks, die von Osten nach Westen zogen, allerdings waren es diesmal die Trecks derjenigen, die ihre Arbeit im Osten verloren hatten und im Westen ihr Glück versuchen wollten.

Wilder Osten trifft wilden Westen

Immerhin, der „Anschluss“ der DDR an die BRD bedeutete nicht das sofortige Ende der Klubs. Die meisten machten weiter und viele gibt es sogar noch heute. Man schloss Freund­schaften mit den Western- und Indianerklubs aus der Bundesrepublik, denn auch hier gab es eine große Szene, die aufgrund der höheren Bevölkerungszahl wahrscheinlich sogar größer war, als die in der DDR.

Allerdings lag der Schwerpunkt dieser Klubs zumeist eben nicht in der akribischen Forschung über die nordamerikanischen Ureinwohner, sondern bei der hobbymäßigen Nachahmung der Wildwest-Romantik á la Karl May. Sie hatten oft auch nicht den Anspruch, ihre „Klamotten“ selbst zu fertigen, sondern kauften die Kostüme von der Stange.

Dennoch kommt es zur Verbrüderung der Ost- und Westfans. Man besucht sich gegen­seitig und nimmt an Veranstaltungen im jeweils anderen Landesteil teil.

Ein eigentlich nicht neuer Trend macht sich seit den 1990er auch in Deutschland breit, das sogenannte Reenactment – die Nachstellung historischer Ereignisse. Dabei finden sich hunderte Laiendarsteller zusammen, die diese Ereignisse – meistens Schlachten – nach­spielen. Dies ist oft eine Gratwanderung zwischen unseriösem Spektakel und wis­senschaftlicher Geschichtsvermittlung.

Die Ereignisse können zu allen Zeiten an verschiedensten Orten stattgefunden haben; natürlich auch in Nordamerika zu Zeiten des Unabhängigkeitskrieges oder des Bürger­krieges. Besonders beliebt ist dieses Hobby hierzulande in Hessen, weil die Land­grafschaft Hessen-Kassel zwischen 1775 und 1783 die größten deutschen Kontingente in den Unabhängigkeitskrieg schickte, wo sie an der Seite der Briten kämpften. Da in diesen Krieg auf beiden Seiten auch Indianer involviert waren, sind die Hobby-Indianer aus der ehemaligen DDR gern gesehene Gäste auf den Reenactments, wo sie gewissermaßen die Authentizität erhöhen.

Viele Ex-DDR-Indianer nutzen nun auch die Möglichkeit, das Land ihrer Helden – die USA – zu bereisen und kamen oft desillu­sioniert zurück, weil sie feststellen mussten, dass die echten Indianer oft weniger über die Kultur und Geschichte ihres Volkes wussten, als sie selbst.

Das Leben in den Reservaten mit all seinen sozialen Problemen (Kriminalität, Alkohol­sucht) hatte auch in der Tat wenig mit der ursprünglichen Lebensweise der Indianer zu tun.

Andererseits traf man in den USA auch echte Indianer, die die Kultur und das Brauchtum ihrer Vorfahren in Ehren hielten und in ganz ähnlicher Weise wie die Ostdeutschen pflegten.

Gojko Mitić kehrte übrigens zu seinen Ursprüngen zurück. 1992 trat er die Nach­folge von Pierre Brice, dem originalen Dar­steller des Winnetou in den westdeutschen Karl-May-Filmen, an. Er übernahm dessen Rolle bei den jährlich in Bad Segeberg stattfindenden Karl-May-Festspielen und behielt sie bis 2006. Damit ist er bis heute derjenige Schauspieler, der den Winnetou am häufigsten gespielt hat.

Kulturelle Aneignung?

Es sollte klar geworden sein, dass die Tätigkeit der Indianisten mehr war als nur ein Cowboy- und Indianerspiel für Erwachsene.

Heutzutage gibt es aber Diskussionen darüber, ob Kinder noch „Cowboy und Indianer“ spielen dürfen [14] und ob sie sich zum Fasching noch als Indianer verkleiden dürfen.[15] Von denen, die meinen, dass man nicht einmal mehr das Wort „Indianer“ sagen darf, wollen wir mal gar nicht reden.[16]

Das Schlagwort ist heute „Kulturelle Aneignung“. Dabei wird von vornherein unterstellt, dass z.B. die Träger von Indianer­kostümen kein Verständnis und Respekt vor der indigenen Kultur haben und die Bedeutung der Symboliken trivialisieren.[17] Auf Kinder mag das in gewisser Weise zutreffen; wie aber sollen sie zu tieferen Einsichten kommen, wenn man ihnen diese harmlosen Vergnügungen nimmt? Verbote führen bestenfalls dazu, dass in einigen Jahren „der Indianer“ aus unserem Geschichtsbild verschwunden ist.

Der Vorwurf der „kulturellen Aneignung“ kann aktive Indianisten eh nur zum Schmun­zeln bringen, weil der Begriff für sie nicht negativ konnotiert ist. Sie haben über Jahre ja im Grunde nichts anderes gemacht, als sich etwas anzueignen, nämlich das Wissen über die Kultur und das Brauchtum der Indianer.

Fazit

Die Indianistik, so wie sie in der DDR entstanden war, hat ihre besten Zeiten hinter sich, das ist nicht zu bestreiten. Einige Klubs gibt es noch heute, doch kämpfen die in der Regel mit Nachwuchsproblemen. Neue Ge­nerationen haben neue Vorbilder und andere Interessen. Die Motivation, in den India­nistik-Klubs mitzumachen, war durchaus verschieden und reichte von Fernweh über ökologisches Engagement bis hin zur Be­wunderung urkommunistischen Zusammen­lebens, von Abenteuerlust über Ausstiegs­ideen bis hin zum aktiven Kampf gegen Imperialismus und Ausbeutung.

Allen DDR-Indianisten gemein war aber die ernsthafte Beschäftigung mit dem Thema, das Studium der Geschichte, der Gebräuche, des Alltagslebens und der Weltanschauung und Religion der nordamerikanischen Urein­wohner. Ihr Klubleben ging weit über die Wissensaneignung hinaus. Sie „lebten“ ihre Vorbilder, sie übten deren Tänze, Gesänge und Riten und trugen zu deren Bewahrung bei.

Für sie waren die Indianer vor allem Opfer der kapitalistischen Expansion und Wider­standskämpfer gegen Kolonialismus und Im­perialismus. Auch wenn – oder gerade weil – die Indianer diesen Kampf verloren, wollten sie ihr Er­be bewahren. Sie sorgten mit dafür, dass das Schicksal der Indianer im deutschen Kultur­raum nicht vergessen wurde und übten aktive Solidarität mit den gegen ihre Ent­rechtung Kämpfenden. Die Geschichte der „DDR-In­dianer“ ist ein zwar kleines, aber durchaus denkwürdiges Kapitel der DDR-Kultur­geschichte.

Ralf Lux ist Mitglied des Geschäftsführenden Verbandsvorstandes des DFV und Vorsitzender der Brandenburger Freidenker

Quellen und Anmerkungen

[1] Der Begriff soll schon 1894 von dem österreichischen Romanisten Wendelin Foerster in Analogie zu Sprachwissenschaften wie Germanistik oder Amerikanistik eingeführt worden sein. Siehe Wikipedia-Artikel „Indianerbild im deutschen Kulturraum“, dort Fußnote 9: https://de.wikipedia.org/wiki/Indianerbild_im_deutschen_Kulturraum#cite_note-9

[2] Friedrich von Borries/Jens-Uwe Fischer: Sozialistische Cowboys. Der Wilde Westen Ostdeutschlands. Edition Suhrkamp, 2008, S. 24

[3] siehe Karl-May-Wiki, Stichwort „Indianer- und Westernclub ‚Old Manitou‘“: https://www.karl-may-wiki.de/index.php/Indianer-_und_Westernclub_%22Old_Manitou%22

[4] Darunter: „Der Schatz im Silbersee“ (1962), „Winnetou“ Teile 1, 2 und 3 (1963, 1964, 1965), „Unter Geiern“ (1964) und „Der Schatz der Atzteken“ (1965).

[5] „Die Söhne der großen Bärin“ (1966), „Chingachgook – Die große Schlange“ (1967), „Spur des Falken“ (1968), „Weiße Wölfe“ (1969), „Tödlicher Irrtum“ (1970), „Osceola“ (1971), „Tecumseh (1972)“, „Apachen“ (1973), „Ulzana“ (1974), „Blutsbrüder“ (1975), „Severino“ (1978), „Der Scout“ (1983), „Präriejäger in Mexiko“ (1988 – zweiteiliger Fernsehfilm)

[6] 1958 Taucha (Mandan-Indianer), 1961 Meißen (Dakota), 1963 „Sieben Ratsfeuer“ Magdeburg (Sioux). Nach: von Borries/Fischer, a.a.O., S. 29

[7] von Borries/ Fischer, a.a.O., S. 51-54

[8] Engels, Friedrich: „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“. In: MEW Bd. 21, S. 96

[9] Karl May erfuhr erst in den 80er Jahren wieder eine Aufwertung. Ab 1982 erschienen seine Werke – beginnend mit den Winnetou-Bänden – im FDJ-eigenen Verlag Neues Leben.

[10] von Borries/ Fischer, a.a.O., S. 55

[11] „Kit & Co“ (1974) und “Sing, Cowboy, sing” (1981)

[12] vgl. von Borries / Fischer, a.a.O., S. 71

[13] vgl. von Borries / Fischer, a.a.O., S. 147 und https://nachtkritik.de/component/content/article/-karl-may-festspiele-leipzig-rainald-grebes-abend-zum-wendejubilaeum?catid=290

[14] siehe z.B. Adorján, Johanna: Stirb, elendes Bleichgesicht! https://sz-magazin.sueddeutsche.de/gute-frage/kinderspiel-cowboy-indianer-88873

[15] z.B. Nixdorf, Franziska: Als Indianer verkleiden: Darum ist die Verkleidung nicht okay. https://praxistipps.focus.de/als-indianer-verkleiden-darum-ist-die-verkleidung-nicht-okay_183192

[16] siehe z.B Froech, Angelika: Indianer — darf man das noch sagen? https://www.akin-group.org/indianer-darf-man-das-noch-sagen/

[17] Nixdorf, Franziska, a.a.O.


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Bild oben: Gojko Mitić
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