Was passiert wirklich im Donbass?
Eindrücke eines Flüchtlings – und die ewige deutsche Ignoranz
In Russland gibt es Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine. Nikita ist einer davon. Er floh vor westlichen Bomben. Jetzt, zu den Feiertagen, fuhr er für einige Tage zurück. Das Schicksal Nikitas wirft ein Schlaglicht auf ein dysfunktionales Europa, das sich der Realität verweigert.
Von Gert Ewen Ungar
Erstveröffentlichung am 07.01.2023 auf RT DE
„Wie geht es dir dort?“, schrieb ich und schickte die Nachricht an Nikita. „Hier ist es natürlich schrecklich. Man bombardiert uns ständig“, war die Antwort, die ich kurz darauf erhielt. Nikita war über die Feiertage zurück in seine Heimat gefahren, nach Donezk. Er hatte die Stadt vor einigen Monaten als Flüchtling verlassen – in Richtung Russland.
Nikita und ich hatten uns zu Beginn der Spezialoperation in einem sozialen Netzwerk kennengelernt. Seitdem schreiben wir täglich. Nikita hatte damals noch in der Volksrepublik Donezk gelebt, ich in Berlin. Er war damals arbeitslos gewesen, es hatte nichts zu tun gegeben in der Stadt unter regelmäßigem ukrainischen Beschuss.
Ich habe mir unsere Dialoge von damals heute noch einmal durchgelesen. Was Nikita damals geschrieben hatte, wirkt depressiv, fatalistisch, hoffnungslos. Nikita hatte nur noch ein Ziel gehabt: Er wollte weg aus der Stadt, die mit Beginn der militärischen Spezialoperation Russlands von der Ukraine nun noch stärker und mit großkalibriger Munition beschossen worden war. Er brauchte dazu Geld, um sich vom Militärdienst auslösen zu können.
Nikita fragte mich, wie es in Deutschland ist. Für einen Moment spielte er den Gedanken durch, nicht nach Russland, sondern nach Deutschland zu gehen. Ich riet ihm ab und würde es heute wieder tun.
Es war Mai, die Feierlichkeiten zum Tag der Befreiung standen bevor, und das sowjetischen Ehrenmal in Berlin war gerade mit „Tod allen Russen“ beschmiert worden. Es gab Anschläge auf russische Einrichtungen und ein typisch deutscher Herrenmenschen-Rassismus, der alles Slawische verachtet, verschaffte sich Luft in der Republik, die sich nach außen als liberal, tolerant und der Antidiskriminierung verpflichtet inszeniert. Schaut man genauer hin, bleibt davon wenig übrig. In Deutschland grassierte ein erschreckendes Maß an Russophobie – ein für Deutschland typischer Rassismus, der niemals aufgearbeitet wurde. Nikita wirkte nicht überrascht von dem, was ich erzählte. In Deutschland ist kein Platz für Menschen wie Nikita. Die deutsche Politik verachtet sie und negiert ihre Existenz.
Die ukrainischen Flüchtlinge aus der vom Krieg bis dahin eigentlich nicht betroffenen Westukraine verschärften die russlandfeindliche Situation noch, denn sie verbreiteten ihr nationalistisches Narrativ und bekamen und bekommen dafür in Deutschland viel Applaus. Das Brandenburger Tor wurde in den ukrainischen Nationalfarben angestrahlt. Wer für die Entwicklung in der Ukraine die Verantwortung trägt, hatten deutsche Medien und deutsche Politik in aller Schlichtheit eindeutig geklärt. Russland, Wladimir Putin und Putin allein. Ein imperialistisches Russland okkupiert Gebiete und verleibt sie sich gegen alles Völkerrecht ein – das ist, woran man in Deutschland mit Inbrunst glaubt.
Die deutsche Refugees-Welcome-Bewegung war in all ihrer politischen Naivität weitgehend in Unkenntnis darüber, wer da gekommen war – sie ist es auch heute noch. In Berlin eilten die Unterstützer zum Hauptbahnhof und begrüßten freudig und mit offenen Armen die vermeintlichen Opfer russischer Gewalt.
Nikita kam nicht nach Deutschland, sondern entschied sich für Rostow am Don in Russland. Es war nicht einfach in den ersten Wochen, aber besser, als beschossen zu werden – und mit Sicherheit besser als Deutschland. Wenig später zog er in die Nähe von Moskau. Er hat angefangen, als Lagerarbeiter zu arbeiten.
Aufgrund der sich zunehmend verschlechternden Situation in Deutschland, zunehmender Repression und der immer weitergehenden Aushebelung von Meinungs-, Presse-, und Informationsfreiheit hatte auch ich inzwischen Deutschland verlassen. Ich bin nach Moskau gezogen. So konnten Nikita und ich uns auch persönlich kennenlernen. Nikita ist sympathisch in seiner Bescheidenheit und Schüchternheit.
Jetzt war Nikita über die russischen Feiertage zurück nach Donezk gefahren. Er wollte seine Verwandten besuchen und ein paar Dinge erledigen.
Inzwischen ist Donezk eine russische Stadt. Nach dem Referendum und der Anerkennung durch Russland habe ich Nikita gratuliert. Für ihn war die Loslösung von der Ukraine und die Eingliederung in die Russische Föderation ein Schritt in die richtige Richtung.
Jetzt war er wieder dort und berichtete vom Bombardement durch die ukrainischen Streitkräfte. Unsere Konversation ging noch etwas weiter. Ob ich ihn auf RT DE zitieren dürfte, wollte ich wissen. Er hatte nichts dagegen. „Ich liege hier, und die Fenster beben“, schrieb er angesichts eines weiteren Angriffs.
„Wie stehen eigentlich die Deutschen zu dem, was hier bei uns passiert?“, fragte Nikita.
„Sie wissen davon nichts“, antwortete ich. „Was in Donezk passiert, kommt in deutschen Medien nicht vor. Diese Information wird in Deutschland unterdrückt. Russische Medien, die darüber berichten, wurden verboten.“
„Ach so“, war die lapidare Antwort.
In diesem kurzen Dialog drückt sich das gesamte Dilemma Europas aus.
Die Ukraine bombardiert seit 2014 die Volksrepubliken im Donbass. Seit Beginn des Jahres 2022 verstärkt und seit dem 24. Februar 2022 ohne jedes Maß. Sie begeht damit Kriegsverbrechen, denn die Angriffe mit westlichen Waffen richten sich gegen Zivilisten. Sie richten sich nicht gegen militärische Ziele und dienen keinem militärischen, strategischen Zweck. Die Ukraine führt einen Vernichtungskrieg gegen die Menschen im Donbass und setzt dabei westliche Waffen ein. Ihr offenkundiges Ziel ist es, möglichst viele Opfer und möglichst viel Leid unter der Zivilbevölkerung anzurichten.
Der Westen, die EU und Deutschland unterstützen diese Verbrechen durch Wegschauen und Verschweigen. Die Ukraine läuft nicht Gefahr, sich gegenüber ihren westlichen Unterstützern für ihre Verbrechen rechtfertigen zu müssen. Europa ist als Kontinent dysfunktional. Durch den Beschuss sterben jeden Tag Menschen, es werden noch viel mehr Menschen verletzt. Wer sich aus deutschen Nachrichten informiert, weiß davon nichts. Der deutsche Nachrichtenkonsument glaubt, wie es beispielsweise auch die deutsche Außenministerin tut und in einem aktuellen Tweet ausführt, dass Russland Gebiete im Osten der Ukraine gegen den Willen der dortigen Bevölkerung besetzt hält. Das ist falsch. Es entspricht in dieser Form nicht der Realität.
Eine sogenannte Feuerpause bringt den Menschen, die unter russischer Besatzung in täglicher Angst leben, weder Freiheit noch Sicherheit. Deshalb werden wir die Ukrainer*innen weiter unterstützen- damit sie wieder in Frieden und Selbstbestimmung leben können. 2/2
— Außenministerin Annalena Baerbock (@ABaerbock) January 5, 2023
Aber diese mediale Lüge ist eben das für den deutschen Zuschauer inszenierte Bild, das nur durch massive Zensur aufrechterhalten werden kann. Dadurch aber werden deutsche und westliche Medien auch zu einem Teil der Kriegsführung.
Hier in Russland sind die durch das tägliche Bombardement verursachten Schäden an Schulen, Kliniken und Wohnhäusern, die Zahl der Toten und Verletzten Teil der täglichen Berichterstattung. Es ist schwer, sich bei all diesen Bildern vorzustellen, dass die Menschen im Donbass Teil einer Ukraine bleiben möchten, die an ihnen schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schwere Kriegsverbrechen begeht. Angesichts der in Russland verfügbaren Nachrichten ist es schwer, sich vorstellen, dass die Menschen sich in Richtung Westen orientieren wollen, aus dem die Granaten stammen, die auf sie niederregnen. Aus diesem Grund werden diese Nachrichten in Deutschland unterdrückt.
All diese Informationen über die tatsächlichen Vorgänge im Donbass sind im Prinzip auch in Deutschland verfügbar. Das Internet reicht auch bis in ARD-Sendezentralen und die Redaktionsräume deutscher Gazetten. Sie sind für deutsche Journalisten recherchierbar, und die zuständigen Redakteure kennen diese Informationen auch. Sie geben sie nur nicht weiter. Selbst mit dem üblichen Hinweis, dass es im Krieg schwierig ist, Informationen neutral zu überprüfen, werden sie dem deutschen Zuschauer nicht zugänglich gemacht.
Das wirft übrigens ein Schlaglicht auf die Verwendung dieses Hinweises, denn es entsteht der Eindruck, deutsche Medien wollten damit ihrer Einseitigkeit Legitimation verschaffen. Der Hinweis ist inzwischen zu einer zynischen Instrumentalisierung und Herabwürdigung journalistischer Sorgfaltspflicht durch deutsche Medien geworden.
Natürlich möchten die Menschen im Donbass nicht Teil einer Ukraine bleiben, die auf ihre Vernichtung abzielt. Natürlich erleben sie Russland nicht als Besatzer, sondern vielmehr als Befreier. Vielleicht nicht alle, aber die Mehrheit.
Natürlich bedeutet diese Tatsache auch etwas für den weiteren Verlauf des Konflikts. Die territoriale Integrität der Ukraine in den Grenzen von vor Februar 2022 oder gar vor 2014 kann nicht erhalten bleiben und nicht wiederhergestellt werden, denn die Menschen, die dort leben, sind dagegen – aus Selbstschutz, aus Angst vor ukrainischer Gewalt und aus Furcht vor dem Westen. Der Erhalt und die Wiederherstellung der territoritalen Integrität der Ukraine ginge nur mit massiver Gewalt und Unterdrückung der Menschen im Donbass. Dass Deutschland bereit ist, diesen Weg der Gewalt zu unterstützen und ihn sogar fördert, sagt etwas über die tiefe Verachtung deutscher Politiker wie beispielsweise Annalena Baerbock für die Realität, für Fakten, vor allem aber für Menschen wie Nikita.
Gert-Ewen Ungar studierte Philosophie und Germanistik und arbeitet als Pädagoge in der Sozialpsychiatrie in Berlin
Bild:
Foto: LCPL Seth Maggard, Public Domain
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3174435