Der Fall Nawalny und die FSB-Geisterjäger von Bellingcat und Co (Teil 1)
„Investigativer Journalismus“ à la Mainstream: Bellingcat, Spiegel, CNN und The Insider erfinden ein FSB-Killerteam, das den russischen oppositionellen Alexei Nawalny jahrelang verfolgte und mehrfach zu töten versuchte. Beweise werden nicht geliefert. Die Geschichte basiert offenbar auf „zugespieltem“ Geheimdienstmaterial.
von Jürgen Cain Külbel
Erstveröffentlichung am 19.12.2020 auf RT DE
Wer kennt sie nicht, die lustigen Slapstick-Filme mit dem Road Runner und Karl dem Coyoten? Der Plot ist stets der gleiche: Der Bösewicht Coyote jagt den Road Runner durch die Wüste; es geht durch Rohre, Tunnel, Fallen, der Kojote stellt sich dabei blöd an, fällt von der Klippe, wird unter Felsbrocken begraben, sprengt sich selbst in die Luft, ist aber in sekundenschnelle wieder in Aktion. Karl, so sehr er sich müht, auch Köder auslegt, die der Gejagte bereitwillig schluckt, bekommt seine Beute nie zu fassen.
Offenbar haben die Damen und Herren von Bellingcat und Spiegel zu viel von dem Slapstick intus, denn ihr neuestes Drehbuch im Fall Nawalny lässt sich ähnlich deuten: Wenn Sie, geneigter Leser, den Road Runner durch Alexei Nawalny und Karl den Coyoten durch den russischen Inlandsgeheimdienst FSB ersetzen, wissen Sie Bescheid: Der FSB jagt Nawalny seit Jahren erfolglos quer durch Russland hinterher, macht haarsträubende Fehler, eine Pleite jagt die nächste. Und das, obwohl er Fallen stellt, sein Opfer wieder und wieder mit Nowitschok, der tödlichsten Waffe der Welt, vergiftet, was diesem wiederum zur Verwunderung aller nur ein „meep, meep“ abringt, ehe es zum nächsten Anti-Putin-Event davonrast. So in etwa, in einer Art Bandschleife, geht es im jüngsten „Enthüllungsbericht“ zu Nawalny zu.
Ich rede es mir von der Seele: Man muss mit dem Klammerbeutel gepudert, Jubel-Transatlantiker oder stark im Glauben sein, um auch nur ansatzweise ernst nehmen zu können, was die „Investigativen“ des internationalen antirussischen Propaganda-Komplexes – die britische „Enthüllungsplattform“ Bellingcat, das Nachrichtenmagazin Der Spiegel, der US-amerikanische Nachrichtensender CNN, der russische Rechercheblog The Insider – in Wiederholungstat der Welt verklickern wollen.
Das ganze unter Anleitung des Bellingcat-Primus Christo Grozev, der ebenso wenig „investigativer Journalist“ oder „Ermittler“ ist, wie der US-Amerikaner Edward D. Wood ein guter Filmemacher war, der bekanntlich als „schlechtester Regisseur aller Zeiten“ in die Kinogeschichte einging. Dessen Filme aus der Kategorie „Trash“ erlangten Kultstatus. Christo Grozev, von dem ich bereits berichtete, ist mit antirussischer Unterhaltungskunst in Sachen GRU-Attentate in aller Welt innerhalb des antirussischen Mainstreams ebenfalls zur Kultfigur avanciert. Darunter Stücke über Skripal, den Tiergarten-Mord, die angebliche Vergiftung des bulgarischen Waffenhändlers Gebrew etc. pp., die auch im Spiegel abgedruckt und von ahnungslosen Coffee-to-go-Journalisten fleißig apportiert wurden.
Für mich ist er das Symbol für den Niedergang des klassischen investigativen Journalismus, den Missbrauch dieses Genres, da die unter seiner Führung bei Bellingcat und Spiegel entstandenen Stücke stets Konstrukte aus einer Fülle von unbewiesenen Tatsachenbehauptungen sind und eher dem Genre „verdeckte Öffentlichkeitsarbeit für Geheimdienste“ entsprechen.
Untersuchungsfrage: Welchen kriminalistischen oder juristischen Beweiswert hat die jüngste Bellingcat-„Enthüllung“?
Die Antwort vorweg: Sie besitzt keinerlei Beweiswert. Der „Ermittlungsbericht“ ist eine Konjunktiv-Schwemme, eine Spinnerei in der Möglichkeitsform, die nicht einen einzigen „harten“ Beweis enthält. Ich fasse den jüngsten Kokolores, den Bellingcat unter Grozevs Führung unter dem Aufmacher „FSB Team of Chemical Weapon Experts Implicated in Alexey Navalny Novichok Poisoning“ momentan in aller Ausführlichkeit breitwälzen, kurz zusammen: Acht Agenten des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB – „eine geheime Einheit, die auf die Arbeit mit giftigen Substanzen spezialisiert“ sei – sollen für den Nowitschok-Mordanschlag auf Nawalny im August 2020 in Sibirien verantwortlich sein.
Das Team mit Basis im Moskauer Kriminalistischen Institut des FSB in der Akademika Vargi Straße habe Nawalny bereits seit 2017 im Visier, sei mindestens 30-mal seinen Reisezielen vorausgeflogen, habe bereits im Juli 2020 in der westrussischen Stadt Kaliningrad versucht, ihn zu vergiften. DieAuswertung der Mobilfunkverbindungen, GPS- und Standortdaten von mehr als einem Dutzend angeblicher FSB-Agenten sowie Analysen von Reisedaten, vor allem Passagierlisten russischer Linienflüge, habe die „Ermittler“ auf die Spur der Killer gebracht.
Vom literarischen Standpunkt her ist es verblüffend, wie inflationär Bellingcat in seinem „Ermittlungsbericht“ den Konjunktiv, also die Möglichkeitsform, einsetzt – ich zählte um die dreißig Anwendungen – und es trotzdem schafft, eine Art Tatsachenbericht zu simulieren, obwohl die Kernbehauptungen reinste Spekulationen sind. Die Verfasser schaffen es, eine Kette von nicht nachweisbaren Behauptungen in der Möglichkeitsform in der Summe zu einer Art stabilen Wahrheit zu verquirlen, die es überhaupt nicht gibt.
Das ist schon eine epische Meisterleistung. Erst wenn man umschmückende und vernebelnde Wort- und Satzfüllungen aus dem „Bericht“ extrahiert, erkennt man, wie die Wahrheit im Konjunktiv gequält und der Leser getäuscht wird: So „scheint die Vergiftung im August 2020 in der sibirischen Stadt Tomsk nach Jahren der Überwachung stattgefunden zu haben (…) Es ist auch möglich, dass es frühere Versuche gab, Nawalny zu vergiften, darunter einen in der westrussischen Stadt Kaliningrad nur einen Monat vor der fast tödlichen Nowitschok-Vergiftung in Sibirien (…). Im Verlauf dieser Untersuchung deckten Bellingcat und seine Partner auch Daten auf, die auf die Existenz eines geheimen Programms für chemische Waffen hinweisen, das von Mitgliedern des russischen Geheimdienstes (FSB) betrieben wird (…) Diese Untereinheit scheint einem Wissenschaftler Bericht zu erstatten, der zuvor im russischen Militärprogramm für chemische Waffen in Schichany gearbeitet hat (…) Basierend auf der Analyse von Metadaten aus Hunderttausenden von Telefonverbindungen scheint dieses Programm von Oberst Stanislaw Makschakow überwacht zu werden (…)“
„Durch die Analyse von Anrufmetadaten, überlappenden Flugaufzeichnungen und zuvor durchgesickerten Offline-Datenbanken haben wir mindestens 15 Mitarbeiter identifiziert, die anscheinend in dieser geheimen Untereinheit des Kriminalistischen Institutes des FSB arbeiten (…) Es scheint auch, dass versucht wurde, Nawalny bei mindestens einer und möglicherweise zwei weiteren Gelegenheiten zu vergiften. (…) (Der Agent) Alexandrow/Frolow scheint ein Schlüsselmitglied des FSB-Teams von Aktivisten und Experten für chemische Waffen zu sein.“ Ich höre an dieser Stelle auf, es scheint dann doch ermüdend, denn so geht es im Text immer weiter.
Wie würde es einem echten Kriminalisten mit einem solcherart zusammengezimmerten „Ermittlungsbericht“, in dem es nur so scheint, wohl vor Gericht ergehen? Staatsanwalt, Richter, Verteidiger wären außer sich ob des stümperhaft zusammengewürfelten Nichts, würden bestenfalls fordern, das literarische Stück zu schreddern. Und der direkte Vorgesetzte würde sich Sorgen um die geistige Gesundheit seines Kriminalisten auf Abwegen machen, ihn freistellen, psychologische Hilfe anraten.
Der Mainstream indes schluckt die Konjunktiv-Kröte, nimmt sie kritiklos entgegen, adelt die Saga durch Nicht-Faktencheck zur endgültigen Wahrheit – wie die Titelzeilen zeigen. Das ist so gewollt; nicht umsonst hat Bellingcat den bekannten britischen Autor und Literaten Peter Jukes an Bord, der sich auskennt im listigen Schreiben von Prime-Time-Thrillern und TV-Krimis für die BBC. Und die Verfasser des „Berichtes“, die wie Irrsinnige schreien: „Das sind die Mörder!“, schieben leise flüsternd nach: „Aber genaues wissen wir auch nicht.“
Zwar titelte Der Spiegel, Deutschlands Taktgeber in der Soap, überheblich „Das sind die Männer, die Nawalny töten sollten„, doch mussten die Autoren im Beitrag, der sich hinter der Bezahlschranke versteckt, kleinlaut zugeben, dass sie „keine endgültigen Beweise“ haben für die Existenz des FSB-Killer-Teams, dafür aber eine „erdrückende Last an Indizien“. Während Christo Grozev nach der Bellingcat-Veröffentlichung orgiastisch twitterte „Wir haben herausgefunden, wer @navalny vergiftet hat. Nachlesen„, ließen sich auch die Redakteure des US-amerikanischen Nachrichtensenders CNN, dessen „Spezialisten“ an den „Ermittlungen“ mitwirkten, ein Hintertürchen offen: „CNN kann nicht mit Sicherheit bestätigen, dass es die Einheit in der Akademika Vargi Street war, die Nawalny in der Nacht des 19. August mit Nowitschok vergiftete.“
Allerdings machte CNN mit einem Video überdeutlich, welchen Show-Charakter die ganze Sache trägt: „Am Montag besuchte CNN das Haus von Tayakin, der die Kommunikation des Gift-Teams überwachte, während Nawalny in Sibirien war. Auf die Frage, ob er an der Einheit beteiligt war, schloss er abrupt die Tür ohne Kommentar.“ Da taucht also die CNN-Auslandskorrespondentin Clarissa Ward publikumswirksam vor der Tür von Oleg Tayakin auf und will den angeblichen Mordversuch am „Berliner Patienten“ knallhart mittels einer drei-sekündigen Vernehmer-Frage klären: „War es Ihr Team, das Nawalny vergiftet hat?“ Was hat die Dame denn erwartet? Natürlich nichts. Sie spielte lediglich mit typisch amerikanischem Hang zur Selbstdarstellung brav ihren Part in der Seifenoper, den schlichte Gemüter und Russenhasser als Leckerbissen und Beweis für die Täterschaft des FSB verschlingen werden.
Untersuchungsfrage: Woher stammen die Daten und Informationen der Bellingcat-„Ermittler“?
Alle Welt fragt sich momentan, woher die „Investigativen“ ihre Informationen beziehen, um solcherart Konstrukte basteln zu können. Aus frei verfügbaren, offenen Quellen, sogenannte Open Source Intelligence (OSINT), wie die Text-Konstrukteure stets behaupten, bestimmt nicht. Bellingcat-Kriminalanwärter Aric Toler will dem Leser in dem Begleittext „Hunting the Hunters: How We Identified Navalny’s FSB Stalkers“ ordentlich einen Bären aufbinden:
„Viele der Informationen, die wir für unsere Untersuchungen verwendet haben, konnten in den meisten westlichen Ländern nie gefunden werden, aber in Russland sind sie entweder kostenlos oder gegen eine relativ geringe Gebühr verfügbar. Darüber hinaus sind russische E-Mail-Anbieter wie Mail.ru und Rambler sowie soziale Netzwerke wie Vkontakte weitaus weniger sicher und datenschutzorientiert als ihre westlichen Entsprechungen, was zu häufigen Datenlecks und robusten Suchfunktionen führt.
Aufgrund poröser Datenschutzmaßnahmen in Russland sind nur kreatives Googeln (oder Yandexing) und Kryptowährung im Wert von einigen hundert Euro erforderlich, um Telefonaufzeichnungen mit Geolokalisierungsdaten, Passagierlisten und Wohndaten zu erhalten. Für die Datensätze in Multi-Gigabyte-Datenbankdateien, die noch nicht über Torrent-Netzwerke im Internet verbreitet sind, gibt es einen florierenden Schwarzmarkt für deren Kauf und Verkauf. Die Menschen, die diese Daten manuell abrufen, sind häufig niedrigrangige Mitarbeiter von Banken, Telefongesellschaften und Polizeibehörden.“
Was für ein Ablenkungsmanöver des ehemaligen US-Bankangestellten und Möchtegern-Modern-Day-Sherlock-Holmes, um den eigentlichen Dienstherrn, Informations- und Taktgeber nicht erwähnen zu müssen. Schließlich will Bellingcat, jener von Mainstream-Preisen überschüttete „Geheimdienst des Volkes“, dessen Agenten tapfer und mutig das Internet auf der Suche nach Offenbarungen durchforsten, die ihnen helfen, russische Kapitalverbrechen „aufzuklären“, nicht den Anschein der unbescholtenen OSINT-Jüngferlichkeit verlieren.
Der bekannte BBC-Korrespondent Mark Urban arbeitet seit langem schon mit Bellingcat und Christo Grozev zusammen. So erklärte er am 17. Oktober 2018 dem LBC-Moderator Iain Dale in Sachen angeblicher Russen-Täter im Fall Skripal während einer Radiosendung: „Diese unabhängigen Rechercheure in Russland (The Insider – Partner von Spiegel und Bellingcat), die diese Personen identifiziert und den Finger auf ihre Mitgliedschaft in der GRU gerichtet haben, haben sich zum großen Teil auf gehackte Datenbanken, beispielsweise die Datenbank steuerpflichtiger Autos in Russland, auf Passanträge verlassen.“ Dale: „Wer hackt diese Datenbanken und gibt sie an diese russischen Rechercheure weiter?“ Mark Urban antwortete: „Ich denke, es sind GCHQ oder die NSA“, – also der US-Nachrichtendienst NSA und sein britisches Pendant GCHQ. LBC titelte nachher: „Britische Spione hacken laut Experten russische Militärdatenbanken“.
Mark Urban muss es wissen, schließlich ist er mit Bellingcat verbandelt. Gehaktes Material wurde nämlich auch im Bellingcat-Artikel „The GRU Globetrotters: Mission London“ verwendet, und Bellingcat machte im Fortsetzungsartikel „GRU Globetrotters 2: The Spies Who Loved Switzerland“ die Kooperation mit Urban zwischen den Zeilen öffentlich: „Der britische Journalist Mark Urban (der in der vorherigen Folge dieser Serie mit Bellingcat zusammengearbeitet hat) …“
Urban ist ein britischer Ex-Nachrichtendienstler, der das angebliche Nowitschok-Opfer Sergei Skripal ein halbes Jahr vor dem Mordanschlag interviewte, daraus das Buch „The Skripal Files“ („Die Akte Skripal“) machte. Annie Machon, eine ehemalige Geheimdienstoffizierin des MI5, weiß Bescheid: „Ich glaube nicht, dass Mark Urban ein großes Geheimnis daraus gemacht hat, dass er seine Karriere im militärischen Geheimdienst begonnen hat, sicherlich in der Armee, und er ist ein sehr angesehener BBC-Journalist mit sehr guten Verbindungen zu den Geheimdiensten (…) Aber ja, er hat sehr guten Zugang zu ihnen. Sie werden ihn als nützlichen Kanal betrachten, um Geschichten zu veröffentlichen und Geschichten zu drehen (…) Es ist eine Art wechselseitiger Prozess, der sowohl für die Journalisten als auch für die Geheimdienste gut ist.“
Ich berichtete schon oft darüber: Urban diente einst im selben Panzerregiment wie Pablo Miller, dem MI6-Rekrutierer, Führungsoffizier und ehemaligem Hausnachbar von Sergej Skripal.
Apropos britische Ex-Nachrichtendienstler: Da haben wir mit Bob Seely noch einen. Der Tory-Abgeordnete und ehemaligen Mitarbeiter des Militärnachrichtendienses kümmert sich ebenfalls wie eine verliebte Turteltaube um Bellingcat, vor allem um deren Gründer Eliot Higgins und Grozev.
Seely brachte Higgins auch noch in der rechtslastigen Henry Jackson Society unter, wo auch Mark Urban verkehrt. Dort trifft man dann in lockerer neokonservativer Runde auf Sir Richard Dearlove, den Ex-Chef des britischen MI6, auf Führungspersönlichkeiten des Atlantic Council und wenn man Glück hat auch auf James Woolsey, den ehemaligen Direktor der CIA.
Und auf noch einen: Oberst Hamish de Bretton-Gordon, wie sein Buddy Mark Urban ein ehemaliger Panzerfahrer, ist ebenfalls seit Jahren mit Bellingcat verbandelt. De Bretton-Gordon, der für den MI6 angebliche Giftgasproben aus Syrien herausschmuggelte, um einen Vergeltungsschlag der NATO gegen Syrien zu provozieren, steht mit Bellingcat-Gründer Higgins seit spätestens 2013 in Kontakt.
Und da war noch einer, der mit Bellingcat im Bett lag: James Le Mesurier, Erfinder der medizinisch-militärischen Schlachtfeld-Theatergruppe Weißhelme, zudem langjähriger Freund der Ex-Nachrichtendienstler de Bretton-Gordon und Bob Seely.
Der britische Offizier Le Mesurier, für seinen „Syrieneinsatz“ im Jahre 2016 von der Queen mit dem „Order of the British Empire“ behangen, war seinen Taten – Veruntreuung von Geldern in großer Höhe aus dem Fond für die Weißhelme – offenbar nicht gewachsen und stürzte sich 2019 in Istanbul vom Dach seines Wohnhaus in den Tod.
Alles heftige Schnittstellen zu Geheimdiensten. Aber auch Der Spiegel offenbarte tragikomisch am 12. September 2019 die Hand, die da füttert: „US-amerikanischen Geheimdiensten ist es womöglich gelungen, die Identität des Mannes zu klären, der Ende August in Berlin den Georgier Zelimkhan Khangoshvili erschossen haben soll. Nach Informationen des SPIEGEL und seiner internationalen Recherchepartner ‚Bellingcat‘, ‚The Insider‘ und ‚Dossier Center‘ handelt es sich um einen 48-jährigen russischen Staatsbürger.“
Natürlich musste US-Botschafter Richard Grenell den tolpatschigen Patzer sofort ausmerzen und seine US-Dienste von jeglicher Kooperation mit der Bellingcat-Matrix freisprechen; er twitterte prompt:
„Ich dachte der Spiegel hat Faktenchecker? Peinlich für Spiegel Online – wieder mal – Meldungen über die USA zu erfinden. Sie haben nicht einmal bei uns angerufen, um diese Behauptung zu bestätigen.“
Am Ende ließ Michael Schwirtz, Autor der New York Times, den Mantel gänzlich fallen: der Erfinder der „Taliban-Kopfgeld-Story“ und anderer Märchen, ein Mann, der seit Jahren eng mit Bellingcat zusammenarbeitet, spuckte am Tag der Veröffentlichung des neuesten Nawalny-Konstrukts von Bellingcat und Spiegel in seinem Hausblatt aus, wo die „Infos“ tatsächlich herkommen:
„Kurz nach der Ankunft von Herrn Nawalny in Berlin (am 22. August 2020, Anm. d. Red.) informierten Vertreter der Central Intelligence Agency und des britischen Secret Intelligence Service die Mitglieder der deutschen Regierung über die Vergiftung,einschließlich über die Identität der beteiligten Offiziere des FSB, was die russische Regierung direkt involviert – nach Aussage eines hochrangigen deutschen Sicherheitsbeamten mit Kenntnis der Angelegenheit.“
Ich versuche mich mal im Spiegel-Bellingcat-Investigativ-Jargon: „Gut, das ist jetzt völlig aufgeklärt, denn es scheint, dass Bellingcat das Handpüppchen der amerikanischen und britischen Geheimdienste ist.“
Bleibt noch die Frage, wie leiten die amerikanischen und britischen Dienste, vor allem die von Urban genannten GCHQ sowie NSA die Daten an die „unabhängigen Rechercheure“ weiter? Über die russische Botschaft bestimmt nicht. Schon Goethe wusste: „Warum in die Ferne schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah.“
Der Dienstweg dürfte sich daher so gestalten – mir gefällt dieser Spiegel-Bellingcat-Jargon: Die Geheimdienste GCHQ/NSA, so scheint es, geben ihr Material an Bellingcat weiter, vielleicht ist Christo Grozev sogar der Mittelsmann, schließlich kollaboriert er direkt mit Ex-Nachrichtendienstlern – das ist doch mal ein „harter Beweis“. Von da wäre es nur noch ein kurzer Weg bis zu den „Kooperationspartnern“ Spiegel, The Insider und jenen „unabhängigen russischen Rechercheuren“ im Putin-Land.
Es scheint mir eine gute geheimdienstliche Maßnahme zu sein, wenn die englisch-amerikanische Datenkraken ihnen ab und an ein paar Datenbrocken zuwerfen, damit die daraus einen saftigen Enthüllungsbericht über GRU-Attentäter und den Dämon Putin, also einen „eigenen Scoop“ kreieren können. Erweckt das doch den Anschein, die Putin-Widerständler ermittelten tapfer auf eigene Faust im gefährlichsten Land der Welt. Muss ja nicht jeder wissen, dass die „russischen Rechercheure“ von westlichen Geheimdiensten bestückt werden. Die wissen das vielleicht selbst nicht, denn ihr eigentlicher Ansprech- und Kooperationspartner ist ja Bellingcat.
Natürlich scheint es so, dass jenes Material, mit dem der „Bürgergeheimdienst“ Bellingcat arbeitet, von den größten Datensammlern der Welt kommt – vom britischen GCHQ, der weltweit größten Überwachungsmaschine, oder von der NSA, dem größten Auslandsgeheimdienst der Vereinigten Staaten, der in jedem Winkel dieser Welt spioniert. Oder von beiden.
Seien wir ehrlich: Ohne diese Geheimdienst-Stütze wären die „Forscher“ und „Rechercheure“ von Bellingcat jahrelang im OSINT-Weltraum auf der Suche nach dem Schwarzen Loch, den „richtigen“ Datenbanken und den dazugehörigen Verkäufern, und könnten gar nicht so schnell aus der Hüfte gegen die Russen schießen, wie sie es tun.
Untersuchungsfrage: Was taugen die Daten von Bellingcat und Co?
Knackpunkt bleibt die Qualität der an Bellingcat überspielten Daten-Ware, denn Geheimdienste spielen gerne. Sie bieten, wenn es ihnen in den Kram passt, „Spielmaterial“ feil. Das sind falsche, jedoch glaubhaft dargebotene Informationen; das können eben auch gefälschte oder verfälschte Datenbanken sein. Ob NSA und/oder GHCQ die Bellingcat-Leute mit solcherart Spielmaterial foppen, ist wenig wahrscheinlich.
Im Spiegel-Bellingcat-Jargon klingt das so: Anzunehmen ist, dass Führungspersonen wie Grozev geheimdienstliche Fakes, Spielmaterial und Informationen direkt entgegennehmen, in das Team hineinspielen, um daraus das in vermeintlicher Absprache mit den möglichen Hintermännern gewünschte Endprodukt zu fertigen. Das wäre „betreutes Denken“ und „betreutes Schreiben“ gleichermaßen, sozusagen unter konkreter Vorgabe und mit einem Ergebnis, das nachher mit vollem Karacho in das Mainstreamnetzwerk gepumpt wird, das um Bellingcat herum sorgfältig aufgebaut wurde. Da Bellingcat-Gründer Eliot Higgins wohl kaum mehr als das Aushängeschild für den Laden ist, wird Christo Grozev als heimlicher Führer der Truppe die Umstände wohl am besten kennen und darüber schweigen.
Vielleicht sollte sich das Star-Ensemble ARD-Faktenfinder diesen Christo Grozev mal genauer vor die Brust nehmen und untersuchen, wie er es mit Beweisen und Beweisführung so hat. Liebe ARD, schaut Euch die Prozessakte aus dem Jahr 2011 gegen Lyubomir Pawlow/Ognyan Donev beim Sofioter Stadtgericht an und fragt den Ermittler Petyo Petrow: Der Spiegel-Verbündete Grozev zeigte beide dereinst wegen Geldwäsche und Dokumentenfälschung an – in der Schlammschlacht deutete sich auch schon dessen Lieblingsfaible an: die Russen sind im Spiel, heimlich versteht sich. Das Verfahren wurde von der Sofioter Staatsanwaltschaft im Jahre 2013 eingestellt: es gab keine „harten“ Beweise, nur heiße Luft.
Im zweiten Teil untersuche ich das Konstrukt des „FSB-Killer-Teams“ samt der dazugehörigen „Telefon-Analyse“.
Jürgen Cain Külbel ist Diplom-Kriminalist, freiberuflicher Journalist und Autor für RT DE
Link zur Erstveröffentlichung auf RT DE: https://de.rt.com/meinung/110793-fall-nawalny-und-fsb-geisterjager/
Bild: pixabay.com / geralt / Pixabay License