Künstler für den Frieden: Im Osten beständiger
Kürzlich porträtierte Zaklin Nastic hier den Dirigenten Justus Frantz. Heute steht ein anderer, auch in Russland prämierter Kunstpreisträger im Brennpunkt: der Liedermacher Tino Eisbrenner. Diesen beschreibt Diether Dehm, der für SPD und Linke 17 Jahre im Bundestag war und in den Achtziger-, Neunziger-Jahren gemeinsam mit Lindenberg, Maffay, BAP, Katja Ebstein und Wader Sprecher war von „Künstler für den Frieden“, Koordinator von Friedenskundgebungen, Mitarbeiter bei den Unterhaltungsabteilungen von ARD und ZDF und Besitzer des Plattenlabels „EMI-Musikant“. – Vorweg noch ein Hinweis: Am Ende des Textes finden Sie die Links auf drei Lieder von Tino Eisbrenner.
Folk-, Volks-Friedenssänger: Tino Eisbrenner
Von Diether Dehm
Erstveröffentlichung am 09.12.2025 auf den NachDenkSeiten
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Wie viele „Spezial“-Wünsche von Künstlern bei Friedenskundgebungen 1981-85 sollte ich berücksichtigen, doch bitte kurz vor oder nach einer Rede von Willy Brandt, Heinrich Böll oder einem anderen Promi auftreten zu dürfen. Jedenfalls, solange die TV-Kamerateams noch filmten. Oder doch bitteschön dafür zu sorgen, in einer Friedens-Show – neben einer Botschaft gegen Atom-Raketen – den jeweils aktuellen Single-Hit präsentieren zu dürfen. Bekenntnisse gegen die NATO waren damals Karrierebeschleuniger. Heute heißt es: Sag mir, wo die Künstler sind, wo sind sie geblieben?
Gegen den völkerrechtswidrigen Kriegsangriff NATO-Deutschlands auf Jugoslawien standen wir Anfang April 1999 mit bundesweit erbärmlichen 10.000 Leuten auf dem Berliner Gendarmenmarkt. Und es waren – neben Wader und Wecker – überwiegend nur noch ostdeutsche Liedermacher wie Tino Eisbrenner, die beim Feindbild Serbien nicht mitspielen wollten.
Als dann die NATO – nach und trotz der ergreifenden Rede von Wladimir Putin 2001 im Bundestag – ihre Panzerverbände immer weiter gegen die russische Grenze vorrücken ließ und dazu Asow-Scharfschützen mit SS-Buttons anwarb, wurden die Ausreden einstiger „Künstler für den Frieden“, nicht aufzutreten, immer kreativer. Das klang dann so: Putin sei aber doch homophob und wolle mit brutalem Staatsterror die Mädchenband „Pussy Riot“ daran hindern, auf Altären der russisch-orthodoxen Kirche ihren westwertebasierten Protestpunk gegen den Kreml vorzutanzen.
Derlei bigotte Vorwände für Russenhass kamen von westdeutschen „Friedensstars“ aus den Achtzigern, aber kaum von Ostkünstlern und schon gar nicht von Tino Eisbrenner. 2016 inszenierte dieser im „Russischen Haus“ in Berlin ein Friedenskonzert, reiste kurz darauf zu einer musizierenden Friedensexpedition nach Russland, Weißrussland, Polen und auf die Krim.
Dass Tino Eisbrenner, der sich mit seiner Schülerband „Jessica“ schon in den Achtzigern unter die DDR-Fernsehstars gesungen hatte, nicht mehr so ganz sang- und klanglos aus den Archivregalen zu entfernen war, mag manchem DDR-Musik-Abwickler beim MDR oder bei den Privat-Radios ärgerlich aufgestoßen sein.
Aber allmählich müssen dann in den letzten 25 Jahren seine CDs auf den heimlichen schwarzen Listen gelandet sein. Bereits sein Album „Willkommen in der Welt“ war aus Pop-Sendungen ausgespart, obwohl Rockstar Heinz Rudolf Kunze und dessen Partner Heiner Lürig es coproduziert hatten. Schon Eisbrenners mitreißende Brecht-Interpretation vor der halben Million Demonstranten am Brandenburger Tor gegen den Irakkrieg, Mitte Februar 2003 neben Reinhard Mey, Peter Sodann und Konstantin Wecker, fand keine Erwähnung in der „Qualitätspresse“.
1962 bei Berlin geboren, verbrachte der achtjährige Tino drei Jahre in Bulgarien – wegen des Lehrerberufs seiner Eltern. Mit 19 Jahren wurde er an der „Hochschule für Schauspielkunst“ in Leipzig nach einer Prüfung angenommen, um zwei „planmäßige“ Jahre später das Studium dort zu beginnen. Was er dann aber nicht tat. Er entschied sich um. Für die Musik.
Bei Eisbrenners Auftritten ist gleichwohl zu spüren, dass in der DDR die „Kulturschaffenden-Laufbahn“ weniger libertär verlief. Mir reichten zehn an hessischen Falken-Lagerfeuern erworbene Gitarrengriffe, um mich „Liedermacher“ zu nennen und damit mein Studium zu finanzieren. Sängerkollegen „drüben“ wurden examiniert und zertifiziert. Das Künstlerhandwerk war dort staatlich geordnet, gefordert und gefördert. In Stimmausbildung, Instrumentenführung und Liedlyrik. Heute, mit über Sechzig, schmettert Eisbrenner noch Tonhöhen aus der Bauchatmung und mit einer Kraft, von denen andere Interpreten nur träumen. Er singt aber auch dabei so deutlich und nuanciert, dass selbst kompliziertere, eigene Textpassagen, wie auch solche von Brecht und Tucholsky, akustisch stets verstehbar bleiben. Aber Eisbrenners Ausbildung waren keine Hochschulen, sondern geschah mit Hootenannies und Kollegen.
Auf der Bühne ist Eisbrenner nicht in erster Linie „Liedermacher“ oder „Chansonnier“, sondern Volkssänger, eigentlich „Folks-Sänger“. Er erinnert an den Urvater der moderneren Folksongs, Pete Seeger – Vorbild von Dylan und Springsteen -, der keine Bühne verlassen mochte, ohne zuvor ein mitsingendes Publikum zu Komplizen gemacht zu haben.
Als erster Ausländer seit Jahrzehnten erhielt er am 15.9.2018 in Russland den Preis „мастеркласс“ („Meisterklasse“) für das Projekt „Musik statt Krieg – музыка вместо войны“. Anfang 2020 startete er davon sein drittes Konzert im Russischen Haus der Wissenschaft und Kultur in Berlin. Zuvor hatte er das gewagte deutsch-russisch-englische Programm „Unangepasst: Wyssozki – Waits – Brecht“ mit einer Konzertreise auf die Krim absolviert. Der gewagte Mix dieser drei Lyriker gelang, weil die Russen – trotz alledem – Kultur aus Deutschland mit besonders offenen Armen empfangen. So wurde auch sein Buch „Das Lied vom Frieden – Erlebnisse und Betrachtungen eines deutschen Songpoeten” auf Russisch publiziert.
Aber Eisbrenner nutzt seine Talente nicht nur für Freundschaftsofferten gen Osten. Seit 1990 besuchte er immer wieder südamerikanische Indianer, half ihnen bei der Finanzierung ihrer Schulbauprojekte und lud sie nach Europa ein. Für den nordamerikanischen Protestsänger Mitch Walking Elk vom Stamm der Cheyenne-Arapaho realisierte er eine CD-Co-Produktion mit deutschen Musikern.
Die Planungen seines 40. Bühnenjahrs waren dem Kultur-Lockdown zum Opfer gefallen. Die meisten Künstler litten und murrten. Eisbrenner protestierte laut. Und schuf sein eigenes „Songlandstudio“, um wenigstens per Tonträger Kontakt zum Publikum zu halten. Es entstanden fünf Alben in jenen zwei Jahren, flankiert von Eisbrenners Engagement als Gründungsmitglied der Initiative „Kultur ins Grundgesetz“, was von SPD und Grünen mit dem Koalitionsvertrag versprochen, aber nie angegangen wurde.
Im Mai 2023 nahm Eisbrenner am internationalen Contest „Der Weg nach Yalta“ in Moskau teil, bei dem er für Deutschland den zweiten Platz erreichte. Die Mehrheit der offiziellen Medienlandschaft strafte ihn dafür mit Ignoranz. Während sich Live-Anfragen aus der Friedensbewegung häuften – besonders nach seiner in Moskau vorgetragenen Nachdichtung des berühmten russischen Friedensliedes „Shuravli“ (Kraniche). Die Russen verliehen ihm, anlässlich des 225.Geburtstags des Dichters, 2024 dann die Puschkin-Medaille der Russischen Föderation.
Tino Eisbrenner ist – wie im ganz Großen auch Dieter Hallervorden – ein Beispiel dafür, wie Künstler bei einer breiten Mehrheit von Medien verpönt, aber bei einer großen Mehrheit der Leser- und Hörerschaft beliebt sein können.
Dass dabei Künstler aus dem Osten – zusätzlich zum „Makel“, für Freundschaft mit Russland zu sein – auch noch die Ignoranz von westdeutschen Verlagskonzernprofis gegen sich haben, macht es umgekehrt besonders lohnenswert, sie nebst Werken in alternativen Medien zu preisen. So zum Beispiel für den Weihnachtsgabentisch: Tino Eisbrenners Buch „Kraniche“ bei Edition Bodoni, Neuruppin (165 Seiten, 2023; 25.- €) und seinen Interview- und Fotoband „Hinterland“ beim selben Ost-Verlag (2022, 90 Seiten; 30.- €).
Hier folgen, wie eingangs angekündigt, die Links auf drei Eisbrenner-Songs:
- Zara and Tino Eisbrenner – Cranes
- EISBRENNER & TATANKA YOTANKA – INDIANERLAND
- EISBRENNER – Silvestersong
Dr. Diether Dehm ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes und seines Beirats
Bild oben: Tino Eisbrenner bei einem Auftritt am 19.08.2024 in Eisenach
Foto: Steffen Prößdorf, CC BY-SA 4.0
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=151653568
