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Warum der Diebstahl der russischen Vermögenswerte für die EU lebenswichtig ist

In die eigene Falle getappt

Die Enteignung der eingefrorenen russischen Vermögenswerte ist für die EU lebenswichtig, denn sie hat sich in eine Situation gebracht, in der sie der Ukraine auch im Falle eines sofortigen Friedens weit über 100 Milliarden Euro überweisen muss. Sie hat das Geld aber nicht.

von Anti-Spiegel (d.i. Thomas Röper)

Erstveröffentlichung am 03.12.2025 auf anti-spiegel.ru 

Der Streit um die Enteignung der in Belgien eingefrorenen russischen Vermögenswerte ist für die EU zu einer Überlebensfrage geworden. Da man die Gelder laut Völkerrecht nicht einfach klauen kann und die EU als Finanzplatz dann wohl eine riesige Kapitalflucht mit unabsehbaren Folgen auch für den Euro erleben würde, versucht die EU nun den Vorschlag von Kanzler Merz umzusetzen, die Gelder nicht direkt zu klauen, sondern sie als Sicherheit für einen „Reparationskredit“ zu nehmen, von dem die EU hofft, dass Russland ihn nach seiner Niederlage zurückzahlt.

Der Streit ums russische Geld

Dass Russland den Krieg jedoch nicht verliert, sondern dabei ist, ihn zu gewinnen, hat man in der EU und in Deutschland anscheinend noch nicht bemerkt.

Der belgische Premierminister ist da schlauer, denn er hat der EU-Kommission einen Brief geschrieben, in dem er mitgeteilt hat, für ihn sei es „sehr wahrscheinlich, dass Russland nicht zur unterlegenen Partei in diesem Konflikt“ werde. In dem Brief schrieb er auch, dass er das ganze Vorhaben des Reparationsdarlehens für die Ukraine ablehnt. Er werde Belgien niemals dazu verpflichten, die Risiken des Darlehens allein zu tragen, denn warum solle sich Belgien „mit allen möglichen Konsequenzen auf unbekanntes rechtliches und finanzielles Terrain begeben, wenn das vermieden werden kann?“

Daher forderte er erneut „rechtsverbindliche, bedingungslose, unwiderrufliche, auf Verlangen verfügbare, gesamtschuldnerische Garantien“ aller EU-Staaten und eine vollständige Absicherung der Bestände von Euroclear in „russlandfreundlichen Ländern“, schließlich könne Russland in russlandfreundlichen Ländern als Vergeltungsmaßnahme ebenfalls Gelder von Euroclear einfrieren lassen.

Aber natürlich sind die anderen EU-Staaten nicht dazu bereit, selbst ins Risiko zu gehen. Auch wenn der Löwenanteil der russischen Vermögen in Belgien eingefroren wurde, haben auch andere EU-Länder Milliarden an russischen Geldern eingefroren, wollen diese aber nicht für den „Reparationskredit“ nutzen.

Warum der Streit?

Das Problem ist, dass die Ukraine pleite ist. Sie kann ohne die westlichen Finanzspritzen nicht einmal mehr den zivilen Teil ihres Staatshaushalt bestreiten, vom Krieg gar nicht zu reden. Laut übereinstimmenden Meldungen geht der Ukraine im ersten Quartal 2026 das Geld aus. Daher die Hektik in Brüssel, schnell eine Lösung zur Enteignung der russischen Gelder zu finden, oder die EU-Mitgliedsstaaten zu einem gemeinsamen Kredit zur weiteren Finanzierung der Ukraine zu überreden. Die Rede ist von 60 bis 100 Milliarden Euro für 2026.

Aber die EU hat das Geld nicht in ihrem Haushalt und ohne Genehmigung der Mitgliedsstaaten darf die EU keine eigenen Schulden machen. Da die Mitgliedsstaaten für diese Schulden haften und zahlen müssten, ist die Bereitschaft, der EU die Kreditaufnahme zu erlauben, mehr als gering. Aus dem gleichen Grund ist auch der andere Vorschlag der EU-Kommission, die Mitgliedsstaaten sollten die Kredite selbst aufnehmen und Kiew so finanzieren, noch unrealistischer.

Man könnte nun meinen, eine mögliche Lösung für die Finanzprobleme der EU könnte es sein, einen schnellen Frieden in der Ukraine zu erreichen, denn wenn der Krieg vorbei ist, müssten ja auch die horrenden Kosten sinken.

Aber das stimmt nicht, denn die EU fordert, die Ukraine solle auch nach dem Krieg ihre riesige Armee von einer Million Soldaten behalten. Als Reaktion auf Trumps Friedensplan hat die EU einer Begrenzung der ukrainischen Streitkräfte „in Friedenszeiten“ auf 800.000 Mann zugestimmt.

Nur wann sollen diese Friedenszeiten eintreten, wenn die EU gar keinen Frieden und keine Friedensverhandlungen mit Russland, sondern nur einen sofortigen Waffenstillstand und ein Einfrieren des Konfliktes fordert?

Aber egal, ob eine Million oder 800.000 Soldaten, die Ukraine kann diese Armee nicht bezahlen. Und die USA haben klar gesagt, dass sie der Ukraine gar kein Geld mehrgeben , sie verkaufen nur noch Waffen an die NATO-Staaten, die diese dann an Kiew weitergeben können.

Bleibt also nur die EU als Zahlmeister, aber die hat selbst kein Geld und viele ihrer Mitgliedsstaaten sind inzwischen so hoch verschuldet, wie Griechenland zu Beginn seiner Finanzkrise vor etwa 15 Jahren.

Es ist schlicht kein Geld da, aber Geld wird in spätestens drei Monaten gebraucht. Und zwar egal, ob in der Ukraine morgen Frieden einkehrt, oder nicht.

Das hat auch Ian Proud, ein ehemaliger hoher britischer Diplomat, in einem Artikel für den US-Thinktank Quincy Institute for Responsible Statecraft erklärt, den ich übersetzt habe. In dem Originalartikel sind sehr viele Links auf Quellen enthalten, die ich aus Zeitgründen hier nicht einfügen konnte, weshalb ich jedem Interessierten empfehle, auch diese Quellen im Original anzuschauen.

Beginn der Übersetzung:

Europa könnte 160 Milliarden Dollar brauchen, um die Ukraine über Wasser zu halten

Belgien bleibt bei seiner Linie zur Nutzung der eingefrorenen russischen Vermögenswerte, was Europa zwingt, den Krieg am Laufen zu halten.

Selbst wenn der Krieg morgen enden würde, könnte Europa in den nächsten zwei Jahren 135 Milliarden Euro (fast 160 Milliarden Dollar) brauchen, um die Ukraine über Wasser zu halten. Brüssel scheint keinen Plan B in der Hinterhand zu haben.

Ich habe erstmals im September 2024 davor gewarnt, dass die Verwendung der eingefrorenen russischen Vermögenswerte zur Finanzierung des Krieges in der Ukraine Russland davon abhalten würde, um Frieden zu bitten. Daran hat sich nichts geändert. Russland behält die militärische Überlegenheit, verfügt über die finanziellen Reserven, eine für westliche Verhältnisse extrem niedrige Verschuldung und kann es sich leisten, den Krieg trotz der menschlichen Kosten fortzusetzen. Putin will die Europäer ganz offensichtlich aussitzen, da er weiß, dass ihnen das Geld ausgehen wird, bevor es ihm ausgeht.

Bislang scheint seine Strategie aufzugehen, denn der Ukraine fehlt das Geld, und Europa – das einen für die Ukraine ungünstigen Frieden nicht hinnehmen will – steht unter dem Druck, eine Lösung zu finden. Im Mai habe ich auch berichtet, dass „die Ukraine schon um mehr Geld bittet, um den Krieg 2026 fortzusetzen, ein sicheres Zeichen dafür, dass Präsident Wladimir Selensky keine Pläne hat, den Krieg zu beenden.“

Damals wurden die voraussichtlichen Kriegskosten für ein weiteres Jahr auf rund 43,3 Milliarden US-Dollar geschätzt. Diese Summe ist inzwischen auf 63 Milliarden US-Dollar im Jahr 2026 und laut IWF auf 136,6 Milliarden US-Dollar in den nächsten vier Jahren gestiegen.

Europa hat diese Summen an frei verfügbaren Mitteln schlichtweg nicht. Daher geraten die europäischen Politiker in Panik, da das Huhn für das enorme Haushaltsdefizit der Ukraine nun auf den Grill muss.

Dieses Huhn, um den belgischen Premierminister Bart de Wever nach dem EU-Gipfel im Oktober zu zitieren, sind die 140 Milliarden Dollar an eingefrorenen russischen Vermögenswerten, die die EU-Kommission als Sicherheit für einen „künftig Reparationskredit“ an die Ukraine verwenden möchte. Offensichtlich ist dieses Geld nicht für Reparationen gedacht, sondern soll vielmehr die erwarteten Defizite der Ukraine ausgleichen.

Das gesamte Geld würde in die ukrainische Staatskasse gepumpt, um die laufenden Ausgaben zu decken. Allein die Verteidigungskosten belaufen sich derzeit auf 172 Millionen Dollar pro Tag, verglichen mit 140 Millionen Dollar pro Tag vor einem Jahr. Und da die Haushaltsplanungen der Ukraine bekanntermaßen stetig steigen, wird dieses Geld nicht ewig reichen.

An diesem Punkt könnte man meinen, dass die enormen Verteidigungsausgaben der Ukraine, die rund 63 Prozent des Staatshaushalts ausmachen, wegfallen würden, wenn der Krieg in diesem Jahr infolge von Präsident Trumps Friedensinitiative beendet würde. Doch diese Annahme ist, fürchte ich, verfehlt. Europa übt Druck auf die USA aus, in einem Friedensabkommen die Größe der fast eine Million Mann starken ukrainischen Armee nicht zu begrenzen. Im besten Fall könnte die Ukraine beschließen, ihre Armee schrittweise zu verkleinern. Doch selbst dann bliebe noch jahrelang ein riesiges Haushaltsloch. Eine große Armee finanziert sich jedoch nicht von selbst, und die Europäer werden die Rechnung zahlen müssen.

Es überrascht wohl kaum, dass die Belgier die Verwendung in ihrem Land eingefrorener Vermögenswerte zur Finanzierung des ukrainischen Haushaltsdefizits ablehnen. Premierminister de Wever argumentiert, das würde die von den USA angeführten Bemühungen um ein Ende des fast vierjährigen Krieges untergraben, da Russland von einer Einigung abgehalten würde, was uns zu dem Punkt zurückführt, den ich vor 15 Monaten genannt habe.

Das eigentliche Problem für Belgien ist jedoch die Befürchtung, dass die Billigung der Enteignung der russischen Staatsvermögen auf wackeliger Rechtsgrundlage den Ruf des Landes als Finanzplatz nachhaltig schädigen und Investoren aus aufstrebenden Ländern abschrecken könnte. Das belgische Unternehmen Euroclear, bei dem die eingefrorenen russischen Vermögenswerte verwahrt werden, verwaltet Staatsvermögen im Wert von vier Billionen US-Dollar aus aller Welt. Zu beginnen, das Huhn dieser Vermögenswerte zu essen, wie der belgische Premierminister es ausdrückt, indem man sie der Ukraine quasi als Leihgabe zur Verfügung stellt, könnte „Belgiens Ruf als verlässlicher Finanzplatz schädigen und das Vertrauen in den Euro und das Finanzsystem der EU untergraben“.

Wie zu erwarten, hat das zu heftigen Protesten anderer europäischer Staaten geführt, die den Druck auf Belgien erhöhen, nachzugeben und die Gelder für die Ukraine freizugeben. Wie de Wever jedoch mehrfach betont hat, sind diese europäischen Staaten – beispielsweise Deutschland, Frankreich, die Niederlande und Luxemburg – nicht bereit, in ihren Hoheitsgebieten eingefrorene russische Vermögenswerte freizugeben und so das finanzielle Risiko zu teilen. Auch sind sie nicht bereit, die Kreditvergabe von in Belgien befindlichen Vermögenswerten mit Garantien für die Rückzahlung eines Teils der Kosten abzusichern, sollte Russland nach Kriegsende erfolgreich juristisch vorgehen. Daher blockiert Belgien den Kredit vorerst weiterhin, und es gibt kaum Anzeichen dafür, dass es einknicken wird.

Im Ergebnis wurde die Angelegenheit bis Dezember vertagt, um eine endgültige Entscheidung zu treffen. Das verschafft den EU-Beamten in Brüssel Zeit, ihre widerspenstigen belgischen Gastgeber umzustimmen. Sollte keine Einigung erzielt werden, droht der Ukraine das Geld zur Finanzierung des Kampfes auszugehen, da sie aufgrund des Moratoriums für die Schuldenrückzahlung keinen Zugang zu westlichen Kapitalmärkten hat.

Das bringt die EU-Kommission in die Lage, möglicherweise Kapital an den Märkten aufnehmen zu müssen, um der Ukraine 2026 einen nicht rückzahlbaren Zuschuss zur Deckung ihres Finanzierungsbedarfs zu gewähren.

Wie ist es so weit gekommen? Seit 2024 haben die westlichen Geldgeber des Ukraine-Krieges ihre Unterstützung schrittweise von direkten Geldzuwendungen auf Kredite verlagert, allen voran der letzte große G7-Kredit in Höhe von 50 Milliarden US-Dollar, der im Juni 2024 vereinbart wurde. Doch da die ukrainische Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP von 49 Prozent im Jahr 2021 auf aktuell 109 Prozent gestiegen ist, könnte eine weitere Verschuldung des vom Krieg gezeichneten Landes einer höflichen Hinrichtung der Ukraine gleichkommen.

Der Reparationskredit war eindeutig als Mittel gedacht, Russland zahlen zu lassen, damit weder die Ukraine noch Europa das tun müssen. Die Suche nach Finanzierungsquellen für den Ukraine-Krieg außerhalb der Haushalte war von Anfang an „ein unrühmliches Unterfangen, um Alternativen zur Finanzierung durch westliche Steuerzahler zu finden“. Einfach ausgedrückt, können die klammen europäischen Regierungen es sich kaum leisten, der Ukraine ihr eigenes Geld zu geben, gerade jetzt, wo sie innenpolitisch zunehmend unter dem Druck von nationalistischen Parteien stehen.

Die europäischen Mainstream-Politiker weigern sich beharrlich, den sinnlosen Krieg in der Ukraine endlich zu beenden. Sie werden die Folgen in den kommenden Jahren bei den Wahlen zu spüren bekommen, denn die immensen Kriegskosten untergraben ihre Autorität im Inland. Diese Entwicklung ist umso deprimierender, da sie so vorhersehbar war.

Ende der Übersetzung

Thomas Röper, geboren 1971, lebt seit über 15 Jahren in Russland. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.


Bild oben: Symbolbild, KI-generiert