Kultur & Kunst

Ein politisches Zeichen

Das Schauspiel „Leuchte, mein Stern leuchte“ am Mecklenburgischen Staatstheater

von Arnold Schölzel

Erstveröffentlichung in der UZ vom 14.04.2023

Am 28. März beging der sowjetische und russische Regisseur, Drehbuchautor und Hochschullehrer (darunter zehn Jahre in Hamburg) Alexander Mitta seinen 90. Geburtstag. Der Erste Kanal des russischen Fernsehens strahlte einen Dokumentarfilm über ihn aus sowie den 1969 von ihm gedrehten Film „Leuchte, mein Stern leuchte“. Die Popularität beider scheinen ungebrochen. Als „Leuchte, mein Stern leuchte“ 1971 in der DDR gezeigt wurde, waren die Kinos voll: Hier wurden in Legendenverkleidung und mit einem vorwärtsschreitenden Elan, der Tragisches nicht vergessen hatte, die Kräfte, die immer noch in der Welt miteinander rangen, gezeigt.

Es ist ein politisches Zeichen, dass die Bühnenfassung von „Leuchte, mein Stern leuchte“, die Mitta zusammen mit seinen Koautoren Juli Dunski und Valeri Frid geschrieben hat, mitten in der hiesigen antirussischen Hysterie im großen Haus des Mecklenburgischen Staatstheaters am 15. Oktober 2022 in der Regie von Martin Nimz Premiere haben konnte. Sie war wegen der Pandemie mehrfach verschoben worden. Buhrufe und flaggenschwenkende ukrainische Entrussifizierer im Publikum blieben aus. Das überregionale Bürgerfeuilleton ignoriert Schwerin ohnehin.

Verhandelt wird ein Revolutionsstück, das heißt, gezeigt wird der Kampf von Revolutionären und Konterrevolutionären. In Schwerin sind die Akzente der Tragikomödie zum Tragischen verschoben, was im Stück angelegt ist. Es trägt im Original den Titel „Die Legende von Iskremas“. Das war einst der Filmarbeitstitel, der laut Mitta nicht genehmigt wurde, weil „Iskremas“ „unverständlich“ sei. „Leuchte, mein Stern leuchte“ ist wiederum die erste Zeile einer schmachtenden russischen Romanze aus dem Jahr 1846, die im Ersten Weltkrieg vom Zarenregime als patriotisch eingestuft und massenhaft auf Schallplatten gepresst wurde. 2007 meinte Mitta in einem Interview, seine Vorgesetzten hätten wohl vergessen oder nicht gewusst, dass der konterrevolutionäre, von Britannien und Frankreich unterstützte weiße General Alexander Koltschak das Lied auf dem Weg zu seiner Hinrichtung 1920 in Irkutsk gesungen habe.

Iskremas ist eines der im Russischen beliebten Akronyme: „Iskustvo Revoluzij Massam – Die Kunst der Revolution den Massen“ – ein liebenswerter revolutionärer Theatermann, der im Film auf einem Einspänner durch die Fronten des russischen Bürgerkriegs fährt. Im Theater betritt er die Bühne mit einem Koffer, in dem Bücher von Shakespeare und Schiller plus Schnaps sind. Er bekommt es im fiktiven Dorf Kapriwnitzy mit Roten, Weißen und Grünen zu tun. Die „Grünen“ sind Banditen, die auch aus dem Dorf kommen, aber dort unerkannt bleiben. Iskremas wird von einem von ihnen, der sich als Bolschewik ausgegeben hatte, am Ende erschossen. Die Weißen, die reden und morden wie später Faschisten, erschießen den großen Maler Fedja, weil sie ein Bild mit Hammer und Sichel entdecken. Die Roten erschießen den Dorf„illusionisten“, der mit einem Kinoprojektor immer denselben Stummfilm aus Zarenzeiten zeigt und seine Kommentare der jeweiligen Besatzungsmacht anpasst.

Iskremas (Jonas Steglich) beginnt seine Tätigkeit im zerstörten Dorf („Ich werde die Samen der Kunst dort säen, wo noch nie etwas gewachsen ist.“) mit der Rede des Mark Anton aus Shakespeares „Julius Cäsar“, also der Verspottung der Mörder. Die Aufführung in Schwerin endet mit einer weiteren Rede, einem Plädoyer für Vernunft und Frieden: Vorgetragen wird sie von Krysja (Wassilissa List), einer jungen Frau, die sich Iskremas angeschlossen hat und die er mit Schiller zur Jeann d’Arc machen will. Das alles wirkt in Zeiten der entfesselten Konterrevolution fast atemberaubend.

Mitta, der 2014 einen Film über Chagall und Malewitsch gedreht hat, stellte damals in einem Interview eine Beziehung zu „Leuchte, mein Stern leuchte“ her: In ihm habe es einen „metaphorischen Chagall“ gegeben, den malenden Dorfkünstler. Es sei „eine Art Spekulation darüber, was mit Chagall passiert wäre, wenn er in Russland geblieben wäre. Offensichtlich ein schneller Ruhm und ein ebenso schneller Untergang.“ Für Mitta bleibt die Kunst der Revolution ein unabgeschlossenes Kapitel.

Dr. Arnold Schölzel ist Mitglied des Beirats des Deutschen Freidenker-Verbandes

Leuchte, mein Stern leuchte (Legende von Iskremas)
Von Alexander Mitta, Juli Dunski und Valeri Frid
aus dem Russischen von Susanne Rödel
Regie: Martin Nimz
Bühne: Joachim Hamster Damm
Kostüme: Janna Skroblin
Dramaturgie: Nina Steinhilber
Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin
Letzte Vorstellungen am 1. Mai und am 4. Juni


Bild: Szenenfoto aus dem Film „Leuchte, mein Stern, leuchte“, UdSSR 1970
Quelle: https://www.kino-teatr.ru/kino/movie/sov/1442/foto/i7/770183/