Kultur & Kunst

Verleumdungsorgie gegen Linken Liedersommer

Interview der NRhZ mit Sebastian Bahlo (Vorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbands)

Erstveröffentlichung  in der NRhZ (Online-Flyer Nr. 792  vom 15.06.2022)

 

NRhZ: Sebastian, dies ist Dein erster Liedersommer als Vorsitzender, der Du seit 2021 bist. Jetzt hat Dich dabei etwas kalt erwischt.

Sebastian Bahlo: Ja, es geht gut los. Nachdem der Liedersommer im vergangenen Jahr wegen der so genannten Corona-Maßnahmen ausfallen musste, haben die Umstände, die ihn diesmal begleiten, im weiteren Sinne auch mit Corona zu tun. Der Veranstaltungsort, den wir schon lange beworben hatten – ein Naturfreundehaus in Rheinland Pfalz – wurde uns sehr kurzfristig eine Woche vor Beginn gekündigt – mit der knappen Begründung, es gäbe Diskussionen. Und nur durch eine weitergeleitete eMail erfuhren wir, worin überhaupt diese Diskussionen bestanden. Das war eine reine Verleumdungsorgie, wo jemand von der Naturfreundejugend, der da eine Funktion hat, mal ein bisschen recherchiert hat, wer wir sind und welche Künstler bei uns auftreten und hat da alle möglichen Zusammenhänge hergestellt, hauptsächlich zum Stichwort „Querdenker“, so genannte Corona-Leugner, weil einige Künstler an Demonstrationen gegen die so genannten Corona-Maßnahmen teilgenommen haben.

Aber: „recherchiert“ ist ein etwas anspruchsvoller Begriff

Viele Beziehungen sind da in typischer Weise an den Haaren herbeigezogen und konstruiert – zum Beispiel die Vorwürfe, die gegen den Verband erhoben werden, weil auf seiner Homepage – so ist die Formulierung – Themen der neuen Rechten bedient würden. Was heißt da bedient? Sich mit bestimmten Sachverhalten auseinandersetzen, z.B, „Neue Weltordnung“, das muss man sich mal vorstellen…

Da fällt uns zunächst George W. Bush ein

Ganz genau: Die Aussage, dass wir nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Blocks in Osteuropa und dem vermeintlichen Sieg des Westens eine „Neue Weltordnung“ umsetzen müssten, das ist tatsächlich buchstäblich ein Thema der neuen und alten Rechten. Aber der Vorwurf, dass damit linke Kritiker ein Thema der Neuen Rechten bedienen, auf so eine Idee muss man erst mal kommen.

Dein langjähriger Vorgänger (über 33 Jahre) im Amt des Vorsitzenden, Klaus Hartmann, hat es einmal so formuliert: Wenn irgendwelche Nazis oder Typen, die uns unlieb sind, Kakao trinken, dürfen wir das auch noch tun.

Das ist natürlich auch noch so ein Thema, diese so genannten Assoziations- oder Kontaktschuldvorwürfe. Das ist hier das eine Problem. Aber das andere Problem ist auch einfach, dass man versucht, Menschen das Recht abzusprechen, sich überhaupt mit bestimmten gesellschaftlich relevanten Themen auseinanderzusetzen. Wir hatten ja (2019) in Stuttgart unsere Konferenz zum Tiefen Staat, wo wir einfach der Frage mit einem wissenschaftlichen Anspruch nachgegangen sind: gibt es diesen Begriff überhaupt? Kann man den sinnvoll definieren? Kann man mit dem arbeiten? Da habe ich auch Kritik gehört: allein das Wort „Tiefer Staat“ sei Verschwörungstheorie. Wir erleben das im Freidenker-Verband seit vielen Jahren, das ist für uns nichts Neues. Aber die Frequenz dieser Angriffe nimmt immer mehr zu. Und auch dass Leute sich so leicht wegducken, wie der Chef von so einen Naturfreundehaus, dass der nur, weil irgendjemand eine eMail schreibt, sofort kapituliert und mit ausgestreckten Armen auf dem Boden liegt, sich ergibt und mitteilt: ist abgesagt, das hat natürlich wieder eine neue Qualität. Es wird garantiert nicht die letzte Stufe sein. Das sind eingespielte Mechanismen, die immer weiter in Gang gesetzt werden.

Als zumindest unseriös könnte man es bezeichnen, dies erst eine Woche vor Veranstaltungsbeginn mitzuteilen. Das ist ein Aspekt. Ein weiterer ist, dass die Organisatorin Monique Broquard wie viele Freidenker langjähriges Mitglied und Funktionärin bei der Naturfreunde-Organisation ist. Wie ist es unter diesem Gesichtspunkt zu verstehen, dass man nicht hätte miteinander reden müssen?

Das ist genau das, was jeder normale Mensch erwarten würde. Das ist Ausdruck davon, dass die Leute, die uns da denunziert haben und unsere Veranstaltung damit „canceln“ wollten – das ist ja mittlerweile ein geflügeltes Wort: „Cancel Culture“ – das für einen wirkungsvollen Überraschungseffekt nicht langfristig in der Öffentlichkeit vorbereiten wollten…

Also doch unseriös…

Ja, das ist eine feindselige Handlung. Seriös ist da gar nichts. Aber erschreckend ist eben auch, dass ein Funktionär der Naturfreunde, von dem dieser Angriff nicht ausgeht, dass der so schnell kapituliert und Gehorsam leistet… Das hat natürlich auch was damit zu tun, dass die Leute wissen, wie das ganze Thema „Querdenker“ usw., wie das alles hochgekocht wurde von den Medien und dass es auch schon andere Beispiele gab, wo Leute im übertragenen Sinne medial hingerichtet wurden. Es ist ja schon zu polizeilichen und juristischen Maßnahmen gekommen, es sind im Prinzip Leute ins Exil getrieben worden. Und das weiß man natürlich alles, und deswegen hat man da Angst und hat Angst, dass von solchen Provokateuren ein ganzer Verband praktisch zerlegt werden kann…

Mit „man“ meinst Du die „Naturfreunde“?

Ich sage „man“, weil sich das verallgemeinern lässt. Das erleben wir in vielen Bereichen, und ich denke, es betrifft viele Organisationen, und es betrifft gerade linke Organisationen.

Vor allem gesellschaftskritische…

Ich will hier von linken Organisationen reden, weil es da die besonders perfide Strategie gibt, bestimmte Positionen als mit einem linken Weltbild angeblich unvereinbar auszuschließen und zu diffamieren. Insofern ist das ein besonderes Problem der Linken. Ich wollte aber sagen, dass auf Grund dieser immer weiter entwickelten Mechanismen, die zu einer faktischen Unterdrückung der freien Meinungsäußerung und der politischen Aktivität in diesem Land führen, dass wir als Freidenker-Verband hier tatsächlich eine sehr große Aufgabe vor uns haben, dem auf verschiedenen Ebenen entgegenzuwirken.

Jetzt hast Du gerade teilgenommen an einem Workshop beim Linken Liedersommer, dem neunten seiner Art, wo es darum ging, ein Protestlied zu verfassen und dabei den Gedanken des Denunziantentums zu thematisieren. Wie hast Du diesen Workshop empfunden? Ist der spontan aus der Situation heraus entstanden?

Dass der (deutsch-britische) Liedermacher Guy Dawson ein Seminar zum Verfassen von Protestliedern gibt, war geplant, und er hat den Themenverschlag Denunziantentum gebracht. Ich hab ihn nicht gefragt, aber es liegt sehr nahe, dass er das unter dem Eindruck der aktuellen Entwicklung gewählt hat.

Die Aufgabe der TeilnehmerInnen war, ein paar Textzeilen dazu zu verfassen, die Guy vertonen wird. Kannst Du einen Gedanken zu Deinem Beitrag wiedergeben?

Der zentrale Gedanke ist für mich: frei und selbständig denken, das kann ja eigentlich jeder. Dazu hat jeder die Anlage. Das, was es praktisch so schwer macht, ist, wenn man Mut haben muss, unliebsame Gedanken auszusprechen und für ihre Richtigkeit einzutreten. Das Denken funktioniert erst mal ziemlich leicht, aber dann kann es passieren, dass man mit seinem Denken auf ein gefährliches Terrain gelangt – so der Grundgedanke, den ich aus dem Stehgreif aufgeschrieben habe.

Konsequenz aus der Geschichte: lassen die Freidenker sich jetzt das Denken verbieten?

Das wäre ja gleichbedeutend mit ihrer Auflösung. Das machen wir natürlich nicht. Und wir bleiben auch dabei, dass es für uns keine Rolle spielt, wer uns das Denken verbieten will, mit welchen Argumenten und als was er uns diffamiert, weil wir nicht so denken, wie er meint, dass wir denken müssten. Also das bleibt für uns immer Programm. Und in Zeiten, in denen die Denkverbote zunehmen, muss auch unsere Aktivität dagegen zunehmen.

Sebastian Bahlo ist Vorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes


NRhZ-Fotogalerie vom Linken Liedersommer 2022

Alle Fotos: © arbeiterfotografie.com


 Link zum Originalbeitrag in der NRhZ:  Erfolg trotz Anschlag der „untertänigsten Diener des Imperiums“


Siehe auch unseren Bericht: „Cancel Culture“ getrotzt: Erfolgreicher Liedersommer der Freidenker


Foto oben: Freidenker-Vorsitzender Sebastian Bahlo leitet die Abendveranstaltung ein (Foto: © arbeiterfotografie.com)