Demokratie – Medien – Aufklärung

Das neue Deutschland: Russenhass und Denunziation

Aus: „FREIDENKER“ Nr. 3-23, September 2023, S. 36-38, 82. Jahrgang

von Christel Buchinger

Am 24. Juli 2023 flatterte dem erwerbstätigen Rentner Kay Strathus aus Düsseldorf ein Strafbefehl des Amtsgerichts ins Haus. Sein Verbrechen, für das er eine Strafe von 3 500 Euro auferlegt bekommt: Billigung von Straf­taten nach § 140 Nr. 2 StGB. Mit diesem Paragraphen geht die Staatsmacht in Person des Staatsanwalts seit anderthalb Jahren gegen Personen vor, die sich wagen, in Frage zu stellen, ob die russische Militärintervention in der Ukraine in Bausch und Bogen als Aggression verurteilt werden muss oder kann.

Damit Billigung einer Straftat rauskommen soll, muss der Staatsanwalt zu einem Trick greifen. Er behauptet: „Sie wussten ebenfalls, dass der vorgenannte Krieg Russlands ein Verbrechen der Aggression nach § 13 des Völkerstrafgesetzbuches darstellt.“ Mit diesem Trick begibt er sich allerdings aus mehrerlei Gründen auf dünnes Eis. Falls er dies weiß, spekuliert er vielleicht darauf, dass es ausreicht, wenn Regierung und Medien im Dauerfeuer den „unprovozierten, illegalen, menschenver­achtenden Angriffskrieg Russlands“ betonen.

Aber weder Regierung noch Medien sind autorisiert, dies festzustellen; ihre Aussagen sind nicht mehr und nicht weniger als Mei­nungen. Der UN-Sicherheitsrat, die einzige Institution, die dies völkerrechtlich verbindlich feststellen könnte, ist nicht in der Lage, dies zu tun. Eine Feststellung müsste, wenn es mit rechten Dingen zugehen soll, von einem deutschen Gericht erfolgen – aufgrund von Gutachten von Fachleuten -, bevor es den „Delinquenten“ verurteilen kann. Und das wäre dann schon wieder schwierig, weil dieser das Urteil des Gerichts ja nicht wissen konnte, als er in die Diskussion eingestiegen ist.

Bei der Diskussion, ob die Militärintervention Russlands in der Ukraine als Angriffskrieg zu werten ist oder nicht, handelt es sich um eine Debatte von allgemeiner Wichtigkeit für Deutschland, ja für die Welt. Und dass es sich um eine Diskussion handelt, in die der Staats­anwalt eingreifen möchte, die er verhindern möchte, gibt er selber zu: In der Facebook-Gruppe „Weimar around the World“ habe der Delinquent einen Text veröffentlicht, in dem er sich mit dem seit dem 24. Februar 2022 von der Russischen Föderation gegen die Ukraine geführten Krieg auseinandersetzte (Hervorhe­bung durch die Autorin). Der Staatsanwalt moniert, dass der Beschuldigte dabei feststellte, dass Russland sich zu Recht auf Artikel 51 der UN-Charta berufen hat. Er selber hat aber offensichtlich nicht vor, auf die Frage des Artikels 51 näher einzugehen, ein weiterer Hinweis, dass die Staatsanwaltschaft eben gar nicht gegen die Billigung einer Straftat nach Völkerstrafrecht vorgehen möchte, sondern ihre Aufgabe darin sieht (möglicherweise aufgrund von Wünschen oder Vorgaben vorgesetzter Stellen im Innenministerium), eine Debatte von allgemeiner Wichtigkeit, die der Regierung nicht gefällt, zu unterbinden.

§ 140, auf den sich der Staatsanwalt so vertrauensselig beruft, hat aber einen Fallstrick parat, den der Staatsanwalt – bewusst? – übersieht. Die inkriminierte Behauptung, Russland habe sich zu Recht auf Artikel 51 der UN-Charta berufen, muss, um strafrechts­relevant zu werden, „geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören“. Auch hier geht der Staatsanwalt – wahrscheinlich absichtlich – nicht ins Detail. Wie und wo kann durch eine öffentlich geführte Debatte der öffentliche Frieden gestört werden? Reicht es dem Gericht, das den Strafbefehl ja ausstellen musste, wenn dies einfach behauptet wird? Wird durch die Unterbindung einer – wichtigen – Debatte nicht der öffentliche Frieden viel empfindlicher gestört? Und kann man den öffentlichen Frieden in einer geschlossenen Facebook-Runde stören? In einer Diskussion, an der keine zehn Leute teilnehmen? Fällt das Posting in einer geschlossenen Facebook-Gruppe unter „Verbreiten eines Inhalts?

Das Eis für den Staatsanwalt ist dünn und wird immer dünner! Kommen wir nochmals auf diesen Satz zurück: „Sie wussten ebenfalls, dass der vorgenannte Krieg Russlands ein Verbrechen der Aggression nach § 13 des Völkerstrafgesetzbuches darstellt.“ Hmmm! Das war möglicherweise ein Schnellschuss, der nach hinten losgehen könnte. Denn es lohnt sich bei Gesetzen immer, nicht nur den eigentlichen Paragraphen zu lesen, sondern doch auch nachzusehen, wie der Geltungs­bereich konkret aussieht. Und da lesen wir:

§ 1 Anwendungsbereich

Dieses Gesetz gilt für alle in ihm bezeichneten Straftaten gegen das Völkerrecht, für Taten nach den §§ 6 bis 12 auch dann, wenn die Tat im Ausland begangen wurde und keinen Bezug zum Inland aufweist. Für Taten nach § 13, die im Ausland begangen wurden, gilt dieses Gesetz unabhängig vom Recht des Tatorts, wenn der Täter Deutscher ist oder die Tat sich gegen die Bundesrepublik Deutschland richtet.

Bei einem Krieg oder eine Militärinter­vention, die sich nicht gegen die Bundes­republik Deutschland richtet, tritt § 13 also nur in Kraft, wenn der Täter Deutscher ist. Das heißt, nach § 13 gibt es gar kein Delikt, das ein armer Diskutant hätte billigen können. Für den Staatsanwalt ist das zugegebenermaßen eine verzwickte Situation. Wäre die russische Militäroperation tatsächlich eine Aggression, dann könnte der Herr Staatsanwalt weder den Herrn Putin noch den Billiger des Krieges verfolgen. Er muss also darauf spekulieren, dass der Richter und auch die Öffentlichkeit das deutsche Völkerstrafrecht nicht kennt.

Ein kleiner Exkurs sollte hier erlaubt sein. Hat der deutsche Gesetzgeber da so gepatzt, dass man Verbrecher, die des übelsten aller Ver­brechen, der Mutter aller Verbrechen geziehen werden, nicht verfolgt werden können? Die Antwort ist ja und nein. Er hat nicht gepatzt, aber er war sich wohl sehr klar darüber, dass in den überwiegenden, wenn nicht sogar in allen Fällen, der Täter ein wichtiger Verbündeter, der wichtigste Verbündete überhaupt sein würde.

Die bundesdeutsche Justiz wollte nicht in die Verlegenheit kommen, einen US-amerikani­schen Präsidenten anklagen zu müssen. Daher die Verschwurbelung, die, wenn nicht der Kanz­ler oder die Kanzlerin einen Akt der Aggression begeht, dazu führt, dass der § 13 ein zahnloser Tiger ist.

Es gibt aber noch ein weiteres Problem, das im Hintergrund lauert: Wenn nämlich Russland Artikel 51 der Charta zu Recht für sich in Anspruch nehmen kann, dann, ja dann könnte der dringende Verdacht auftauchen, dass der deutsche Kanzler mit seinen Waffenlieferungen und mit den sowieso völkerrechtswidrigen Sanktionen zumindest Beihilfe zu einer Aggression leistet. Spielt da die Tatsache eine Rolle, dass Deutschland, die USA und die Nato die Kriegsziele benennen und bekräftigen und wiederholen? Könnte das ein Hinweis darauf sein, dass es sich doch um einen Stellvertreter­krieg handelt und die ukrainischen Soldaten ihr Leben verlieren für die Kriegsziele der anderen?

Und wenn wir schon einmal dabei sind, nehmen wir doch auch einmal die Aktivitäten der vorhergehenden Kanzlerin unter die Lupe. Wir finden nämlich, dass der § 13 auch „sonstige Angriffshandlungen“ aufführt, die ebenfalls schon als Versuch strafbar sind:

„(2) Wer einen Angriffskrieg oder eine sonstige Angriffshandlung im Sinne des Absat­zes 1 plant, vorbereitet oder einleitet, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheits­strafe nicht unter zehn Jahren bestraft.“

Könnte eine „sonstige Angriffshandlung“ möglicherweise der Dauerbeschuss des Donbas seit 2014 sein? Könnte es sein, dass die erklärtermaßen vorsätzlich hintertriebene Umsetzung von Minsk 2, auch um Zeit zu gewinnen, die Ukraine aufzurüsten, eine sonstige Angriffshandlung war, weil damit der Dauerbeschuss des Donbas erst ermöglicht wurde, der doch durch Minsk 2 beendet werden sollte? Ist die vorsätzliche Nichtbeendigung einer Aggression keine Angriffshandlung? Ich bin keine Juristin, aber solche Gedanken könnten einem kommen!

Kommen wir zum Strafbefehl zurück. Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Regierung via Staatsanwaltschaft in einer innenpolitischen Situation, in der zwar die Medien, das politische Personal und Großteile der grünen Anhänger mit dem Ruf nach immer mehr Waffen und der Proklamation des Ziels, Russland in die Knie zu zwingen, die mediale Debatte dominieren, die Bevölkerung aber bei der mehrheitlichen Ablehnung von Waffen­lieferungen bleibt und stattdessen von der Regierung Friedensinitiativen wünscht, den Bereich des Diskutierbaren einschränken möchte?

Dazu passt, dass der Kanzler die Friedens­taubenträger als „gefallene Engel aus der Hölle“ bezeichnet und sie damit aus der „Gemein­schaft der Heiligen“ ausschließen möchte.

Sind also die Aktivitäten der diversen Staatsanwaltschaften die Vorboten der Inqui­sition?

Dazu passt auch, dass der Verfassungsschutz, den Reinhard Gehlen 1950 nach dem Vorbild der Gestapo aufgebaut hat, die sog. Delegiti­mierung des Staates beobachten soll. Sie meinen damit natürlich nicht, dass man den Staat delegitimiert, sondern – ganz im Sinne von „l’état c’est moi“ – Regierung, Staatsschutz oder Justiz kritisiert.

P.S.: Man lernt in dieser Zeit, sich vorsichtig auszudrücken. Fünf Sätze habe ich gestrichen.

P.P.S.: Der Staatsanwalt wurde mit großer Wahrscheinlichkeit nicht selbständig aktiv, denn er ist aus Düsseldorf und die geschlossene Gruppe „Weimar around the World“ bezieht sich auf Weimar. Folglich kann man annehmen, dass eine Person dieser Gruppe Kay S. bei der Staatsanwaltschaft angezeigt hat. In gleichem Tempo wie der Russenhass nahm und nimmt die Blockwartstätigkeit zu.

Christel Buchinger ist Diplom-Biologin, Autorin, Übersetzerin und Lektorin sowie Mitglied der Redaktion des „Freidenker


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Christel Buchinger: Das neue Deutschland: Russenhass und Denunziation (Auszug aus FREIDENKER 3-23, ca. 171 KB)


Bild oben: Zeichnung von Kay Strathus
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