Arbeit & Soziales

Mythen um die Mutter

Aus: „Freidenker“ Nr. 3-10 September 2010, S. 40-41, 69. Jahrgang

von Klaus Hartmann

Talkshows, Reportagen und verschiedene Publikationen beschäftigen sich mit der Problematik, warum speziell in Deutschland Familie und Berufstätigkeit (auch ‚Karriere‘ genannt) so schlecht zu vereinbaren seien.

Das Problem wird meist übereinstimmend so wahrgenommen: Die Geburtenrate sinkt, die Deutschen drohen auszusterben. Unterschlagen wird dabei meist, dass dies bis 1989 nicht so war, zumindest nicht in der DDR. Inzwischen ist das Problem „vereinigungsbedingt gesamtdeutsch“.
Zur Erklärung und Problemlösung werden kontroverse Sichtweisen angeboten. Die eine Position wurde in der Partei DIE LINKE im Streit um die Thesen Christa Müllers deutlich, die in ihrem Buch „Dein Kind will dich“ gegen die staatliche Betreuung von Kleinkindern agitiert, weil Kinder eine feste Bindungsperson während der ersten drei Jahre bräuchten. Von der Leyen handele „im Interesse der deutschen Wirtschaft“, indem sie die Kinder von den Frauen „wegorganisiert“. Damit stünde der Wirtschaft ein größeres Ausbeutungspotenzial zur Verfügung, um die Löhne der Männer zu drücken. Besonders die Genossen aus dem Osten werfen der Frau von Oskar Lafontaine ein „antiquiertes Frauenbild“ vor. Jedenfalls erschien ihr Werk im Verlag von Bischof Mixa, der bekanntlich Frauen „zu Gebärmaschinen degradiert“ sieht.
Besonders extrem wird die Debatte, wenn die 2007 entlassene ARD-Moderatorin Eva Herman die Bühne betritt. Ihre ‚Mission‘ ist der Dauerkampf gegen „die 68er“ und den Feminismus.
Zum Skandal wurde ein Fernsehauftritt Hermans, indem sie – so der Vorwurf – die Familienpolitik der Nazis lobte. Das bestritt sie, jedoch ging das daneben:
„Was ich zum Ausdruck bringen wollte, war, dass Werte, die ja auch vor dem Dritten Reich existiert haben, wie Familie, Kinder und das Mutterdasein, die auch im Dritten Reich gefördert wurden, anschließend durch die 68er abgeschafft wurden.“ Ein Dementi geht anders.
Dabei muss man wissen, dass Herman ‚eigentlich‘ die Nazis für ihre Familienpolitik verdammt – aber nur, um der SED vorzuwerfen, es auch nicht anders gemacht zu haben. So schreibt sie in ihrem „Eva-Prinzip“, „dass der Hitler-Staat alles daran setzte, jeden gesellschaftlichen Bereich zu kontrollieren und jede private Nische zu vernichten, in der sich individuelle Lebensformen entwickeln konnten. Verwirklichen ließ sich das nur, indem die Gruppe, das Kollektiv, die »Volksgemeinschaft« über den einzelnen Menschen gestellt wurde, eine Ideologie, die wir auch im DDR-Sozialismus immer wieder beobachten konnten.“
Die Debatte erscheint merkwürdig ‚deutsch‘. Jenseits der ideologischen Schlachten stellt sich die Frage, warum die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Frage der Kinderbetreuung in Skandinavien, Italien oder Frankreich kein Problem (in deutscher Dimension) ist. Dort sind auch prompt die Geburtenraten signifikant höher. Und im Ruf der Kinderfeindlichkeit stehen diese Länder auch gerade nicht. So ist es im französischen Restaurant in der Regel ausgeschlossen, dass das Kind am Tisch sein Essen zuletzt bekommt. Im deutschen Lokal ist das eher üblich.
Eine weitere Autorin hat dem rätselhaften Missverhältnis nachgespürt. Barbara Vinken schreibt in „Die deutsche Mutter. Der lange Schatten eines Mythos“: „Die deutsche Politik hat sich immer viel mehr um die Familie als um die Selbständigkeit der Frau gekümmert. Der Grund für diese Einseitigkeit ist der bis heute ungebrochene Mythos der Mütterlichkeit. Wie ein roter Faden zieht er sich vom Protestantismus durch die nationalsozialistische Ideologie bis zum heutigen Bio-Gesundheitswahn: Nur die gesunde Kleinfamilie mit einer Mutter, die sich um alles kümmert, kann gegen die kalte, harte Welt bestehen.“
Der Protestantismus ist nach Meinung der Autorin die Wiege des „Dogmas der deutschen Mutter“: „Mit der Keuschheit als religiösem Ideal und der Möglichkeit zu geistlicher Liebe verschwanden auch die Frauen aus dem öffentlichen Leben.“ Diese Orientierung auf die patriarchale Familie sei nach wie vor wirksam.
Wer aber meint, hier ein ‚feministisches Manifest‘ vor sich zu haben, irrt: Den „deutschen Sonderweg in der Familienpolitik“ sieht sie auch in der feministischen Bewegung in Deutschland, der sie vorwirft, einen „reinen Mütterfeminismus“ zu vertreten.

Christa Müller: Dein Kind will dich. Echte Wahlfreiheit durch Erziehungsgehalt. Sankt Ulrich Verlag, Augsburg 2007. ISBN-10 386744014X, ISBN-13 9783867440141. Gebunden, 176 Seiten, 18,90 Euro
Eva Herman: Das Eva-Prinzip: Für eine neue Weiblichkeit. Pendo-Verlag, 2006, ISBN-10: 3866121059, ISBN-13: 978-3866121058, 264 Seiten, 18 Euro€
Barbara Vinken: Die deutsche Mutter.Der lange Schatten eines Mythos, Piper Verlag, München 2001, ISBN-10 3492038611, ISBN-13 9783492038614, 329 Seiten, 22,50 EUR

Klaus Hartmann


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