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„Volksverhetzung“ – eine Verschärfung der Strafbestimmung

Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit verabschiedete der Deutsche Bundestag am 20. Oktober 2022 eine Änderung des Paragrafen 130 (Volksverhetzung) des Strafgesetzbuches (StGB). Nach dem neu hinzugefügten Absatz 5 kann – vereinfacht und allgemeinverständlich formuliert – bestraft werden, wer gegen eine nationale Gruppe zu Hass oder Gewalt aufstachelt und gemäß Völkerstrafgesetzbuch strafbare Handlungen billigt, leugnet oder verharmlost und dadurch den öffentlichen Frieden stört. Das ist skandalträchtig, denn es könnte Tür und Tor für willkürliche Verurteilungen öffnen.

Von Wolfgang Bittner

Erstveröffentlichung am 27.10.2022 auf nachdenkseiten.de

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Der für juristische Laien kaum verständliche Paragraf 130 Absatz 5 StGB lautet: „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Handlung der in den §§ 6 bis 12 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art gegen eine der in Absatz 1 Nummer 1 bezeichneten Personenmehrheiten oder gegen einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer dieser Personenmehrheiten öffentlich oder in einer Versammlung in einer Weise billigt, leugnet oder gröblich verharmlost, die geeignet ist, zu Hass oder Gewalt gegen eine solche Person oder Personenmehrheit aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören.“

Absatz 1 Nummer 1, auf den verwiesen wird, lautet: „Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zughörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert … wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“

In den Paragrafen 6 bis 12 des Völkerstrafgesetzbuches geht es um Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen gegen Personen, Kriegsverbrechen gegen humanitäre Operationen und Embleme, Kriegsverbrechen des Einsatzes verbotener Methoden der Kriegsführung und Kriegsverbrechen des Einsatzes verbotener Mittel der Kriegsführung.

Das alles erscheint – soweit man es zu entschlüsseln vermag – im ersten Moment vernünftig und plausibel. Das Problem liegt in der Ergänzung: „Wer eine Handlung … öffentlich oder in einer Versammlung in einer Weise billigt, leugnet oder gröblich verharmlost …“ Eine Einschränkung ist lediglich, dass die Äußerung „geeignet“ sein müsse, zu Hass und Gewalt anzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören.

Augenscheinlich ist hier im Paragrafen 130 Absatz 5 des StGB eine verklausulierte Norm geschaffen worden, die in dem herrschenden gesellschaftspolitischen Klima zu unerträglichen Urteilen führen könnte, weil diese Strafbestimmung in ihrer Auslegung einen überaus weiten Ermessensspielraum für Staatsanwaltschaft und Gerichte bietet. Im Klartext bedeutet das nämlich: Wer sich in einer Weise öffentlich äußert, die unerwünscht ist und von der Obrigkeit missbilligt wird, kann (womöglich) streng bestraft werden. Das ist unmissverständlich ein weiterer Schritt zur Einschränkung von Grundrechten, insbesondere der Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Freiheit der Wissenschaft.

Denn die Frage ist doch, was nicht öffentlich gebilligt, geleugnet oder gröblich verharmlost werden soll? Genau da wird mit zweierlei Maß gemessen. Angeblich ist Volksverhetzung nicht gegeben, wenn jemand zu Hass gegen Russland aufstachelt und wenn das öffentlich gebilligt wird. Das wird nicht verfolgt, weil sich die ideologisierten und indoktrinierten Strafverfolgungsbehörden moralisch im Recht wähnen, wenn sie das Gesetz hier ignorieren. Derartige Straftaten werden von den weisungsgebundenen Staatsanwälten gar nicht erst zur Anklage gebracht, so dass es von vornherein zu keiner Gerichtsentscheidung kommen kann. Andererseits soll angeklagt werden, wer von der verordneten Meinung, Russland sei „das Reich des Bösen“, abweicht.

Der Ukrainer Serhij Zhadan, Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels für das Jahr 2022, kann unangefochten in seinem prämierten Buch „Himmel über Charkow“ schreiben:

„Die Russen sind Barbaren, sie sind gekommen, um unsere Geschichte, unsere Kultur, unsere Bildung zu vernichten… Brennt in der Hölle, ihr Schweine.“

Er wird dafür belobigt und belohnt. Und auch der unsägliche ukrainische Ex-Botschafter Andrij Melnyk darf offensichtlich straffrei einen Kritiker des Friedenspreisträgers in einem Tweet als „moralischen Abschaum“ bezeichnen.

Dagegen soll ein 62-jähriger Hamburger 4.000 Euro Strafe zahlen, weil er mit einem großen „Z“ an der Heckscheibe seines Autos durch die Stadt gefahren war. Ihm wurde vorgeworfen, „den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine“ gebilligt zu haben. So jedenfalls sah es eine Richterin am Hamburger Landgericht, die davon ausging, das „Z“ sei das Symbol der russischen Kriegsführung in der Ukraine gewesen und die Botschaft des Angeklagten sei demnach gewesen: „Ich stehe hinter Putin.“

Zu erwarten sind also künftig hier und da Prozesse gegen Oppositionelle und „Abweichler“ wegen Volksverhetzung, die voraussichtlich durch mehrere Instanzen gehen werden. Wie letztlich entschieden wird, könnte wiederum eine Sache der Auslegung sein, also von der politischen Einstellung der befassten Richter an den Obergerichten abhängen. Fraglich ist, wer unter diesen Bedingungen noch wagt, Kritik an problematischen oder auch rechtswidrigen Vorgängen zu äußern, die regierungskonform abgesegnet sind.

Die Tragweite der vorgenommenen Gesetzesänderung scheint vielen Bundestagsabgeordneten, die dafür gestimmt haben, überhaupt nicht bewusst gewesen zu sein. Nur ein Beispiel: Wer künftig die – bisher unbewiesene – russische Täterschaft an den Morden in Butscha in Zweifel zieht, kann womöglich ernsthafte Probleme bekommen. Und soll etwa auch bestraft werden, wer nach den Ursachen und Verantwortlichkeiten für den Ukraine-Krieg fragt? Damit wären dann die Relikte einer Debattenkultur in Deutschland der um sich greifenden Intoleranz und politischen Fanatisierung endgültig zum Opfer gefallen, und Geschichtsforschung wäre mit dem Risiko einer Inhaftierung verbunden.

Der Braunschweiger Jurist Helmut Kramer, der jahrzehntelang über den Nationalsozialismus geforscht hat, stellt seinem soeben im Ossietzky Verlag erschienenen Buch „Schreibtischtäter und ihre vergessenen Opfer“ das Motto vorweg:

„Wer nicht beizeiten, schon unter dem ungetrübten Himmel von Rechtsstaat und Demokratie, sich in Kritik und Widerspruch übt, wird dazu erst recht nicht unter einem autoritären Regime bereit und in der Lage sein.“

Wolfgang Bittner, Jahrgang 1941, lebt als freier Schriftsteller in Göttingen


Bild: Collage von Ralf Lux unter Verwendung von: