Frieden - Antifaschismus - SolidaritätPositionen

Für eine Welt ohne Atomwaffen braucht es eine Welt ohne Imperialismus und Kriege!

6. August 2021:  Hiroshima-Tag

Erklärung des Deutschen Freidenker-Verbandes

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Am 6. und 9. August 1945 zerstörten die USA mit zwei Atombomben die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Über 100.000 Menschen wurden sofort getötet, bis 1946 starben an den Folgen mehr als doppelt so viele. Die Opfer waren fast ausschließlich Zivilisten und ausländische Zwangsarbeiter, die von der japanischen Armee aus den von ihr besetzten Gebieten Ost- und Südostasiens verschleppt worden waren. Dieser vorsätzliche Massenmord war allein in mili­tärischer Hinsicht völlig sinnlos, da Japan bereits seine Bereitschaft zur Kapitulation erklärt hatte.

Die USA demonstrierten durch diese neue Massenvernichtungswaffe ihre Rolle als Hege­monialmacht des Imperialismus. Diese Vor­machtstellung im Westen manifestierte sich in der Konfrontation mit der UdSSR, die, im Zweiten Weltkrieg noch Alliierte in der Anti-Hitler-Koalition, jetzt zum Hauptfeind des US-Imperialismus erklärt wurde.

Der Aufbau eines atomaren Gegengewichts durch die Sowjetunion war im Kalten Krieg das stärkste und tatsächlich wirksame Mittel, um die USA von einer verbrecherischen Wiederho­lungstat abzuschrecken. Die Tatsache, dass mit dem Ende der UdSSR und der sozialistischen Staaten in Europa die Atomwaffen des Westens keineswegs ausrangiert wurden, entlarvt um­gekehrt die Mär von der angeblich notwendigen nuklearen Abschreckung gegen den Kommu­nismus als Propaganda.

Derzeit existieren mehr als 13.000 einsatz­bereite Atomwaffen auf der Welt. Der Inter­nationale Gerichtshof stellte 1996 in einem Rechtsgutachten im Auftrag der Generalver­sammlung der Vereinten Nationen fest, dass die Drohung mit Atomwaffen und deren Einsatz generell völkerrechtswidrig sind, da dies den fundamentalen Regeln des humanitären Völkerrechts widerspreche.

Tornado-Jagdbomber der Bundeswehr am Fliegerhorst Büchel, wo US-Atomwaffen stationiert sind. Die Bundes-regierung will neue Atombomber anschaffen, um ihre „nukleare Teilhabe“ zu sichern. Foto: Neuwieser, CC 2.0

Die Existenz von Atomwaffen lastet schwer auf der Menschheit. Nicht nur eine Wiederholung der Verbrechen von Hiroshima und Nagasaki, sondern sogar noch größere Katastrophen bis hin zur Unbewohnbarmachung großer Teile der Welt sind ernste Bedrohungen, die dadurch vergrößert werden, dass sie theoretisch auch ungeplant durch eine Verkettung von Kurzschlusshandlungen ausge­löst werden können.

Seit Jahrzehnten gibt es Bestrebungen, diese Gefahr zu bannen. Eine wichtige Maßnahme stellt der internationale Atomwaffensperrvertrag dar. Das Fernziel einer atomwaffenfreien Welt eint alle Humanisten.

Nachdem 2017 die UN-Generalversammlung mehrheitlich für einen Atomwaffenverbotsver­trag stimmte und die Organisation ICAN (International Campaign to Abolish Nuclear Weapons) mit dem Friedensnobelpreis ausge­zeichnet wurde, gibt es auch in der deutschen Friedensbewegung Bestrebungen, für die Unter­zeichnung dieses Vertrages zu mobilisieren, um zur Ächtung und Abschaffung von Atomwaffen beizutragen.

An erster Stelle: Kampf gegen die Kriegstreiber

Der Deutsche Freidenker-Verband hält die Orientierung auf den Atomwaffenverbotsvertrag, so attraktiv sie auf viele Aktive der Friedens­bewegung auch wirken muss, für einen stra­tegischen Fehler im Hinblick auf Zielsetzung und Mobilisierungsfähigkeit. Mit ihr wird eine schon lange vorherrschende falsche Fokussierung auf „Rüstung“ und die damit einhergehende Vernachlässigung des Kampfes gegen die kon­kreten Kriegstreiber auf die Spitze getrieben.

Die Atommächte sind nicht alle gleich: Die Russische Föderation und die Volksrepublik China üben heute eine friedenssichernde Rolle aus, gestützt auf ihre Fähigkeit zur Selbstverteidigung und Vorsprünge in der Waffentechnologie.

Die weltweite Abschaffung aller Atomwaffen ist eine vollkommen unerreichbare Utopie, so­lange die geopolitischen Interessengegensätze zwischen den Hauptatommächten nicht beseitigt sind. So erklärte Außenminister Lawrow für die Russische Föderation, dass eine atomwaffenfreie Welt auch für Russland erstrebenswert sei, sein Land aber den Vertrag nicht unterschreiben könne: „Eine vollständige Denuklearisierung ist nur im Rahmen der allgemeinen und vollstän­digen Abrüstung unter Bedingungen gleicher und unteilbarer Sicherheit für alle Staaten, einschließ­lich der Nuklearstaaten, möglich, wie dies der Atomwaffensperrvertrag festgelegt.“

Der Vertrag über das Verbot von Nuklear­waffen hingegen „entspricht nicht diesen Grund­sätzen und ignoriert die Notwendigkeit, alle Fak­toren zu berücksichtigen, die die strategische Stabilität beeinflussen können, und kann sich daher destabilisierend auf das Nichtverbreitungs­regime auswirken. Im Ergebnis könnte die Welt noch instabiler und unberechenbarer werden.“

Ein generelles Atomwaffenverbot kann deshalb nicht der Ausgangspunkt für die Errichtung eines wirksamen universellen Systems der Friedens­sicherung sein, sondern muss einen solchen Prozess abschließend bekräftigen.

Das realistische Instrument zur Verhinderung der Verbreitung von Atomwaffen ist der Atomwaffensperrvertrag. Er wurde von den Atommächten USA, Großbritannien und der Sowjetunion initiiert, trat 1970 in Kraft und wird derzeit von 190 Staaten getragen.

Mit der Forderung nach einem generellen Atomwaffenverbot wird die aggressive Politik von USA, EU und NATO aus der Schusslinie genommen: Sie verschleiert, dass es die USA waren, die die Rüstungskontrollverträge ge­kündigt haben: 2002 den ABM-Vertrag (Begren­zung der ballistischen Raketenabwehrwaffen), 2019 den INF-Vertrag (Verbot atomarer Mittel­streckenraketen), 2020 den Vertrag über den offenen Himmel (Open Skies).

Imperialismus will nukleare Erstschlagsfähigkeit

Die Forderung nach einem generellen Atom­waffenverbot verschleiert, dass es die USA, die NATO und die EU sind, die seit 1991 eine Politik der Einkreisung, Zurückdrängung und Destabilisie­rung Russlands betreiben und China offiziell zum strategischen Hauptfeind erklärten. Mit dem Putsch in der Ukraine, ständigen Manövern und dem Vorrücken der NATO direkt an die russische Westgrenze wird eine Zuspitzung der unmittel­baren Konfrontation betrieben. Das AEGIS-Rake­tensystem, stationiert auf vier Kriegsschiffen und landgestützt in Rumänien und in Polen, verkürzt die Raketen-Vorwarnzeiten für Russland.

AEGIS-Abschussrampen in Deveselu, Rumänien; die Einsatzkommandos kommen von der „Kriegsdrehscheibe“ Air Base Ramstein in der Pfalz. Foto: United States Department of Defense, gemeinfrei

Die USA wollen sich die „risikofreie“ nukleare Erstschlagfähigkeit sichern, indem ein Gegen­schlag ausgeschaltet wird. Mit den AEGIS-Startvorrichtungen können auch die seit 1987 verbotenen atomar bestückbaren US-ameri­kanischen Cruise-Mittelstreckenraketen abge­schossen werden, was eine neue Qualität der nuklearen Bedrohung nach Europa zurückbringt.

Hinzu kommt: Folgen wir dem idealistischen Gedankenspiel „Weltweites Atomwaffenverbot sofort!“ und setzen somit auch eine nukleare Entwaffnung etwa der Russischen Föderation voraus, dann bliebe bei fortbestehendem Gegen­satz zwischen dem imperialistischen Angriffs­bündnis und nichtimperialistischen Ländern die vielfache Überlegenheit der USA und der NATO-Staaten im Bereich der „konventionellen“ Waffenarsenale. Russland würde auf diesem Gebiet unweigerlich in ein verheerendes „Tot­rüsten“ getrieben. Das würde die Destabilisierung einer jetzt bereits – durch eben dieses An­griffsbündnis! – mit unzähligen Sanktionen attackierten Volkswirtschaft bedeuten. Es ist daher durchaus möglich, dass die Forderung nach einem internationalen Atomwaffenverbot para­doxerweise sogar stärker gegen die friedens­sichernden als gegen die aggressiven Kräfte wirkt.

Ein wirksamer Friedenskampf muss die kon­krete friedensgefährdende Politik vor den Augen der Bevölkerung bloßlegen und diese zu deren Bekämpfung mobilisieren. Gerade hier hat die deutsche Friedensbewegung erhebliche Verant­wortung, damit Initiativen für Abrüstung nicht der Integrationsstrategie des Imperialismus in die Karten spielen.

Vom NATO-Angriffskrieg gegen die Bundesre­publik Jugoslawien im Jahr 1999, als es schwer­fiel, die Rechte des angegriffenen Landes unzwei­deutig zu verteidigen, über die imperialistische Aggression gegen Libyen, zu deren Beginn Oster­marschredner noch allen Ernstes deutsche Waffenlieferungen an das „Gaddafi-Regime“ anprangerten, bis zur aggressiven Destabilisie­rung Syriens, die von manchen Funktionären der deutschen Friedensbewegung noch immer als „Bürgerkrieg“ charakterisiert wird, zieht sich der Fehler, den Protest nicht gebündelt gegen die Aggressoren und damit zumeist auch gegen die eigene Regierung zu richten. Eine allgemeine Empörung über die Schlechtigkeit der Welt diffus auf alle Seiten herabregnen zu lassen, nimmt die Aggressoren aus der Schusslinie.

Hauptkriegsgefahr: Die NATO

In einem Moment, da in Deutschland eine orga­nisierte transatlantische Sammlungsbewegung immer lautstärker – mit den „Grünen“ an der Spitze – den Schulterschluss mit den USA gegen China und Russland fordert, müsste umso drin­gender der Friedenskampf gegen die NATO ge­führt werden, nicht mit der illusorischen Alibi-Forderung nach „Auflösung“ des Militärbünd­nisses, sondern mit der konkreten Forderung nach einem Austritt Deutschlands aus der NATO und der Beendigung des Aufenthalts ausländi­scher NATO-Streitkräfte in Deutschland. Diese Forderung hat in letzter Zeit in immer weiteren Teilen der Friedensbewegung Unterstützung gefunden.

Die falsche und schädliche Ideologie der Äqui­distanz, welche zwischen dem USA-NATO-EU-Block auf der einen und China und Russland auf der anderen Seite nur einen „innerimperiali­stischen“ Konflikt behauptet, aus dem sich die Friedensbewegung herauszuhalten hätte, hat in den letzten Jahren deutlich an Boden verloren.

Die Orientierung auf den Atomwaffenver­botsvertrag lenkt von der NATO als der größten Gefahr für den Weltfrieden ab. Dies stellt im Kampf gegen die Ideologie der Äquidistanz einen Rückschritt dar, kann ihn sogar direkt konter­karieren: wenn beide Seiten des globalen Haupt­gegensatzes gleichermaßen der Nichtunterzeich­nung des Vertrags geziehen werden.

Die Problematik der Atomwaffenverbotskam­pagne liegt somit im Zusammenwirken von drei Tatsachen:

  • Sie ist unrealistisch,
  • sie lenkt von der Bedrohung des Weltfriedens durch den NATO-Block ab,
  • und sie trägt die Ideologie der Äquidistanz zurück in die Friedensbewegung.

Keine dieser Tatsachen müsste für sich allein genommen ein entscheidender Ablehnungsgrund sein. Selbstverständlich kann es in gewissen Si­tuationen sinnvoll oder sogar alternativlos sein, unrealistische Forderungen zu stellen, insbeson­dere, wenn damit Kräfte organisiert werden, um der Realisierbarkeit der Forderung näherzu­kommen. Kein Zweifel: die Forderung „Deutsch­land: Raus aus der NATO, NATO: Raus aus Deutschland!“ ist zur Zeit ebenfalls „unrea­listisch“.

Der Unterschied besteht darin, dass der geo­politische Hauptgegensatz, der eine atomwaffen­freie Welt unmöglich macht, nicht direkt von der deutschen Friedensbewegung beeinflussbar ist, wohingegen eine starke deutsche Anti-NATO-Kampagne ein wirklicher Faktor sein kann, um ihr Ziel realistischer zu machen, und auf diesem Wege auch auf den Hauptgegensatz Einfluss zu nehmen.

Eine Orientierung der Friedensbewegung auf ein weltweites Atomwaffenverbot ist falsch – könnte es dennoch sinnvoll sein, den Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrag zu fordern?

Dafür scheint auf den ersten Blick zu sprechen, dass sich Deutschland damit auch verpflichten würde, die Lagerung von US-Atomwaffen auf deutschem Gebiet nicht mehr zu dulden, womit eine wegweisende Forderung der deutschen Friedensbewegung erfüllt wäre. Doch diese Feststellung überzeugt nicht.

Es ist schlicht unlogisch, statt eine Forderung direkt an die deutsche Regierung und den deutschen Gesetzgeber zu stellen, den Umweg über einen völkerrechtlichen Vertrag zu wählen. Es geht nicht um Verpflichtungen Deutschlands gegenüber dem Ausland, sondern um die Verpflichtung gegenüber dem eigenen Volk, keine US-Atomwaffen auf deutschem Territorium zu dulden. Die Forderung an die eigene Regierung, einem völkerrechtlichen Vertrag beizutreten, lenkt zum einen erkennbar vom eigentlichen Inhalt der Verpflichtung ab und gibt der Regierung zum anderen eine bequeme Gelegenheit, sich auf völkerrechtliche Bedenken, auf „Bündnis­verpflichtungen“ und die „Bedrohung durch Russland“ herauszureden, anstatt genau diese Dogmen anzugreifen.

Darüber hinaus wäre der Beitritt Deutschlands zu dem Vertrag vollkommen mit Deutschlands NATO-Mitgliedschaft und der Anwesenheit ausländischer NATO-Streitkräfte in Deutschland vereinbar. Schließlich wird die Frage, ob Deutschland einem internationalen Vertrag beitritt, in der Öffentlichkeit eher Langeweile hervorrufen, anders als wenn die Frage, ob Deutschland ausländische NATO-Streitkräfte samt Atomwaffen auf seinem Territorium akzeptiert, konkret gestellt wird.

Eine Welt ohne Atomwaffen ist unser aller großes Ziel. Um die Bedingungen dafür zu schaffen, dieses Ziel verwirklichen können, gibt es nur einen Weg: Die Kriegstreiber konsequent entlarven und bekämpfen, allen wohlfeilen Ersatzhandlungen entsagen. Auch am 6. August 2021 muss im Gedenken an die Opfer des Atommords von Hiroshima und Nagasaki und zur Mahnung für die Zukunft der Ruf laut werden:

NATO – raus aus Deutschland!
Deutschland – raus aus der NATO!

ViSdP: Deutscher Freidenker-Verband, Verbandsvorstand, Postfach 600721, 60337 Frankfurt am Main; kontakt@freidenker.de


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Bild oben: Collage Ralf Lux, unter Verwendung von:
– Menschenkette gegen Atomwaffen am 18.11.2017 in Berlin, Foto: ICAN Germany, CC BY-SA 2.0, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Menschenkette_gegen_Atomwaffen_(38467236832).jpg
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