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„Frexit“ – Eine Strategie der progressiven Kräfte?

Frankreich nach der Europawahl:

„Frexit“ – Eine Strategie der progressiven Kräfte?

von Klaus von Raussendorff

„Frexit – Alle Macht dem Volke“. So lautet nun in Frankreich nach dem Euro-Wahlzirkus umso mehr die Parole einer marxistisch-leninistischen Partei, nämlich des „Pôle de Renaissance Communiste en France“ („PRCF“), deutsch etwa „Pol der kommunistischen Wiedergeburt in Frankreich“, der über seine viel besuchte Webseite und durch qualifizierte Kader und Aktivisten einen gewissen Einfluss ausübt. „La France insoummise“ ( „LFI“), die Partei von Jean-Luc Mélenchon, hat bei der Europawahl einen argen Dämpfer erlitten, und unversehens wird von der LFI-Abgeordneten Clémentine Autain wieder einmal zur „Sammlung“ aller „linken“ Kräfte aufgerufen, die aber in Wirklichkeit meist sozial-liberale, EU-kompatible Positionen vertreten. Ein illusionäres Unterfangen, meint der PRCF und schlägt stattdessen in einem „Offenen Brief an das Unbeugsame Frankreich“ vom 13. Juni 2019 vor, darüber zu diskutieren, wie die herrschenden Kräfte und die EU überwunden werden können. Ein solcher Ansatz zu einer Strategie des gemeinsamen Kampfes, in dessen Mittelpunkt die Volkskräfte, die Gelbwestenbewegung, die klassenorientierten Gewerkschaften stehen, enthält progressives Potential.

Nach der Europawahl: Weiterhin dieselbe Krise

Frankreichs befindet sich seit Monaten in einer schweren sozialen Krise. Die Proteste der Gelbwestenbewegung sind trotzt brutalster Repression und medialer Verleumdung auch nach sieben Monaten, wenn auch weniger zahlreich, aber immer noch jeden Samstag deutlich wahrzunehmen. Obwohl die Europawahl bekenntnishaft propagiert wurde, ist ihr dennoch wieder etwa jeder zweite Wahlberechtigte ferngeblieben. Die geringe Zunahme der Wahlbeteiligung gegenüber 2014 ist in Frankreich wie in vielen Ländern gerade solchen Kräften zugutegekommen, die sich als Anti-Brüssel bezeichnen. Und in der Ablehnung der EU wirkt nicht zuletzt auch immer noch die Erinnerung an das Referendum vom 29. Mai 2005 fort, durch das der Europäische Verfassungsvertrag in Frankreich mit einer Mehrheit von 54,67 Prozent abgelehnt worden war. War das nicht eine eindeutige Zurückweisung der Gesamtheit der EU-Verträge, darunter des Maastricht-Vertrages, mit dem der Euro eingeführt wurde?

Der PRCF schlägt den „Unbeugsamen“ vor, zu „diskutieren“

Der PRCF ist 2004 aus einer Strömung innerhalb der Kommunistischen Partei Frankreichs hervorgegangen. Viele waren aus der traditionellen KPF aus Protest gegen deren „Mutation“ in den 1990er Jahren oder schon vorher ausgetreten. In der gegenwärtigen wendet sich nun die Führung des PRCF in einem „Offenen Brief an das Unbeugsame Frankreich“, in dem es abschließend heißt: „Liebe unbeugsame Genossen, lieber Bürger Jean-Luc Mélenchon, der wahrhaft kommunistische PRCF, ist bereit, in brüderlicher und konstruktiver Weise auf wahrhaft unbeugsamer Basis zu diskutieren, um ein Projekt zu Ende zu führen, das aus unserer Sicht allein in der Lage ist, Macron, Merkel, Le Pen, die falschen „Republikaner“ und „Patrioten“ und selbstverständlich die totbringende EU, die von einer falschen, naiv europa-seligen, in Wirklichkeit sozialliberalen Linken gestützt wird, zu überwinden und so die Republik – sozial, demokratisch, laizistisch, einheitlich und unteilbar –, Frankreich und alle Arbeiter erneut zu ‚Glücklichen Tagen‘ zu führen.“

Der PRCF hatte bei der Europawahl, wie er in dem Offenen Brief schreibt, „zu einer bewusst staatsbürgerlichen Wahlenthaltung (‚abstention citoyenne‘) aufgerufen und in dieser Optik durch Mobilisierung aller seiner Aktivisten eine Kampagne betrieben, um dieses ‚Gefängnis der Völker‘, das die EU in Wirklichkeit ist, maximal zu delegitimieren.“ Man wolle die Resultate der Wahl nicht kommentieren, die für sich selbst sprächen.

LFI hatte bekanntlich eine Wahlliste mit Manon Aubry an der Spitze präsentiert war aber mit 6,3 Prozent der Stimmen nur auf Platz 5 gelandet, weit hinter dem „Rassemblement National“ von Marine Le Pen (23,3 %) und „La République en marche“, der Partei von Präsident Macron (22,4 %) sowie der grünen Formation „Europe-Ecologie Les Verts“ (13,5 %) und Les Républicains (8,5 %). Die KPF, die eine Liste mit 79 Namen aufgestellt hatte, erzielte nur 2,5 Prozent und konnte keinen einzigen Sitz erringen.

Die Kommunisten des PRCF unterstützen die „Unbeugsamen“..
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PRCF und LFI hatten also bei der Europawahl unterschiedliche taktische Linien eingeschlagen. Aber diese Divergenz könne, so heißt es im Offenen Brief, nicht in Vergessenheit geraten lassen, dass Jean-Luc Mélenchon als Kandidat bei der Präsidentschaftswahl 2017 eine Position vertreten habe, die „in unseren Augen in die richtige Richtung ging, indem sie folgende Dialektik zum Ausdruck brachte: ‚EU: Ändern oder Austreten‘ (‚L’UE, on la change ou on la quitte‘)“. Daher habe der PRCF 2017 beschlossen, seine Präsidentschaftskandidatur, „aufrichtig“ zu unterstützen, aber auch „kritisch“, „insofern die zum Ausdruck gebrachte Dialektik hinsichtlich der Alternative des Austritts aus der EU weniger stark vertreten schien.“ Man habe aber berücksichtigt, „dass es sich um eine Option handelte, den Machtkampf mit der EU auf der Grundlage des Bruchs zu führen und unsere politische Linie der Konfrontation gegen die Kräfte des großen Kapitals teilweise wieder aufzunehmen.“

… üben Kritik am Wahlkampf von LFI

Mit seiner Kritik an der EU-Wahlkampagne der „Unbeugsamen“ hält der PCF nicht zurück: „Offenkundig ist im Laufe dieser Kampagne die Dialektik, die Ihr gegenüber der EU vertreten habt, ernstlich abgeschwächt worden, um nicht zu sagen, verschwunden, was wir unsererseits bedauern angesichts der politischen und sozialen Umstände, die das Land seit mehreren Monaten erschüttern.“ Die Volksklassen, die seinerzeit den Europäischen Verfassungsvertrag zurückwiesen, hätten sich „ein weiteres Mal massiv enthalten (ebenso wie die Jungen)“. Der Aufruf, die Europa-Wahl zu einem Referendum gegen Macron zu machen, habe „unzweifelhaft zu unserem größten Bedauern wie sicher auch dem Euren den faschisierenden ‚Rassemblement National‘ begünstigt, der ganz glücklich darüber war, von den willfährigen Medien als die falsche und verlogene ‚Alternative‘ zu ‚République en March‘ dargestellt zu werden.“ Und dies „während die Gelbwesten in den Demonstrationen der letzten Monate nicht aufhörten, mehr und mehr die Botschaft des ‚Frexit‘ zu verteidigen.“ Unter diesen Umstände, so warnt der PRCF, könne „die Wiederholung der Parole von einem ‚anderen Europa‘, einem ‚sozialen Europa‘, einem ‚Europa der Bürger‘ oder einem ‚Europa der Menschen‘, wie von Ian Brossat für die KPF/ELP und leider auch von Manon Aubry vertreten, in unseren Augen nur zu einem neuen Scheitern führen.“

… und ermuntern zu der Linie von Mélenchon im Präsidentschaftswahlkampf

Das „Unbeugsame Frankreich“ befinde sich an einem „Kreuzweg“. In seinen Reihen entwickele sich eine „Fronde“. Die Abgeordnete Clémentine Autin, deren Linie sich in der Kampagne von Manon Aubry verkörpert habe, spreche sich nunmehr für einen „‘Big bang der radikalen Linken‘ aus und für eine schon x-mal propagierte Sammlung von ‚Unbeugsamen, Kommunisten, Antikapitalisten, Sozialisten und Grünen, die mit dem Neoliberalismus zu brechen entschlossen sind‘, anders gesagt, von Kräften, die leider euro-kompatibel und naiv europa-selig sind, und deren politische Positionierung sich ganz und gar gegen die Interessen der Volksklassen richtet.“ Die entgegengesetzte Option bestehe aus Sicht des PRCF in der Wiederaufnahme der  „in den Präsidentschaftswahlen 2017 entwickelten Dialektik, die es möglich gemacht hat, mehr als 19,5 Prozent der Wähler zusammen zu bringen.“

Austritt aus EU, Euro und NATO: Für ein Programm umfassender Nationalisierungen

Allein die „Option des Austritts aus EU, Euro und NATO“ sei aus Sicht des PRCF „in der Lage, das Lager der Arbeiter zum Mittelpunkt einer wahrhaften politischen Alternative zu machen“. Nur so könne die falsche Gegenüberstellung „Progressisten“ versus „Nationalisten“ überwunden werden, seien doch RN und LREM faktisch nur „die zwei Seiten derselben europäistischen und kapitalistischen Medaille“. Bekanntlich vertritt der PRCF, woran in dem Offenen Brief erinnert wird, eine generelle Strategie der antifaschistischen, patriotischen, volksnahen und ökologische Front („Front antifaschiste, patriotique, populaire et écologique“, abgekürzt „Fr.A.P.P.E.“, was an „frappe“ anklingt und Schlag bedeutet).

Die Gelbwesten seien ebenso wie die Hundertausende Arbeiter konfrontiert mit Entindustrialisierung und Betriebsverlagerungen. Soziale und demokratische Errungenschaften würden zunichte gemacht. Die Unabhängigkeit Frankreichs, ja selbst die Existenz der Republik stehe auf dem Spiel. Aktuell beispielhaft wird auf den Abbau der staatlichen Eisenbahnen SNCF, die Schließung des Whirlpool-Werkes in Amiens, die Vernichtung des Alstom-Standortes in Belfort, den Stellenabbau bei Renau und die geplante Privatisierung von Flughäfen hingewiesen. All dies erfordere einen „völligen und endgültigen Bruch mit der kapitalistischen, dem USA-Imperialismus unterworfenen EU, welche die schleichende Faschisierung des Kontinents beschleunigt,“ Das damit angestrebte Ziel sei die Ingangsetzung „ eines umfassenden Programms der Nationalisierungen in zahlreichen Bereichen (Banken und Versicherungen, Energie, Verkehr, vom großen Kapital geplünderte Werke und Betriebe).“

Klaus von Raussendorff, Bonn, ist Mitarbeiter des Verbandsvorstandes
des Deutschen Freidenker-Verbandes

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Neuen Rheinischen Zeitung im Online-Flyer Nr. 710  vom 19.06.2019


Collage: rlx (aus Bildern von pixabay.com)