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Gegen die Torheit des Antikommunismus – Ein Nachruf auf Dieter Süverkrüp

Dieter Süverkrüp

30. Mai 1934 – 16. März 2025

Nachruf von Stefan Siegert

Der Liedermacher, Liedersänger, Komponist und beste deutsche Jazzgitarrist des Jahres 1957, der Filmproduzent, Drehbuchscheiber, Verlagsgründer und Verlagsautor, der last but not least vom Werbegrafiker und „Atelierleiter“ (sechzehn Jahre Art Director) zum mit Stift und Feder zeichnenden, mit der Nadel radierenden und endlich großformatig mit dem Pinsel malenden bildenden Künstler Aufgestiegene – das Multitalent Dieter Süverkrüp, ist am 16. März 2025 in Köln verstorben. Wer ihn liebte und wohlverstand, ist traurig und denkt gern an ihn, an den Menschen, an seine Lieder.

Erst in der Beschäftigung mit diesem Text ist mir aufgegangen: die Lieder, über die ich – wie viele andere – Dieter kennengelernt habe und mit denen er für alle kapitalismuskritischen Künstler und Hörerinnen in den 1970er und 1980er Jahren ein vertrauter Name und Fixpunkt war, diese Lieder stellen, schaut man auf sein Berufsleben zurück, den eher kleineren Teil seines Schaffens dar. Was er, zum Beispiel in seinen Beiträgen zur „Sendung mit der Maus“ in den zu seiner Zeit noch meinungsoffenen verschiedenen öffentlich-rechtlichen Kanälen alles an Ideen und Projekten untergebracht hat, dürfte die Reichweite seiner politischen Lieder weit übersteigen.

Dieter Süverkrüp wurde im Frühling 1934 in Düsseldorf geboren er bekam als Kind den Terror eines deutschen Staates gegen Andersdenkende und Juden aus Eigenem mit. Das Kind wurde in Bombennächten in Luftschutzbunkern und Kellern traumatisiert. Es wurde bis nach Tilsit in eine zwar sichere aber kalte, haltlose Fremde evakuiert. Dem kleinen Dieter aus Düsseldorf blieb davon eine lebenslange Abneigung gegen Faschismus und Krieg. Er hat seine vielen Begabungen in den Dienst dieser Abneigung gestellt; nicht als Agitator, aber als historisch-materialistisch inspirierter Beobachter und Kommentator.

Der Vater war Kunstmaler, es heißt, er dilettierte auch im Dichten. Auch den Sohn zog es stark zur bildenden Kunst. Aber wie sich herausstellte, steckte mehr und anderes in ihm, es wollte auch heraus. Auch die diesen Text einleitende Aufzählung seiner Talente und Leistungen ist nur eine Auswahl dessen, was Dieter Süverkrüp alles mit sich anzustellen wusste. Wer die Freude hatte, ihn persönlich zu kennen, meint zu wissen, es war kein Ehrgeiz, der ihn antrieb, kein Gedanke an „Karriere“. Es war Neugier, Interesse, Zugriff, gefolgt von der unfassbar zielstrebigen und erfolgreichen Erarbeitung und Ausarbeitung dessen, was er können und wissen wollte.

Einer der Hits auf seiner Schaffensliste ist das Lied vom „Kryptokommunisten“. Er dreht darin dem Antikommunismus als dem Knochengift und bewährten Spaltpilz der westweltweiten „liberalen Demokratie“ eine satirische Nase. In fantastischen Übertreibungen und Wortspielen macht er sich über die lächerlichen Vorstellungen, die absurd erscheinenden Ängste lustig, die im Zusammenhang mit den Kommunisten im Umlauf sind. Erschröcklich an solchen Moritaten ist am Ende einzig die Dummheit und die Unwissenheit übers Thema Kommunismus, die in den Antikommunisten im Ergebnis zweihundertjähriger schwarz-weißer, brauner, rosaroter, grüner und schließlich auch blauer Gehirnwäsche gegen das rote Original leider als weithin gegeben vorausgesetzt werden können.

Dass die Kommunistinnen und ihre männlichen Gegenstücke daran nicht komplett unschuldig sind, wusste auch Dieter. Im Subtext des „Kryptokommunisten“ hat er freilich nur die sympathischen Wahrheiten über die Kommunisten erzählt. Sie lieben ihre Familie, sind wie alle anderen erschöpft nach der Arbeit, manche hören nach Feierabend Dinge wie Bachs Messe in h-Moll, sie üben sich in Philosophie, Analyse, sowie im Nutzen der Dialektik. Dass sie menschlich sind auch in ihren Fehlern, in Mängeln und Irrtümern, hat er im „Kryptokommunisten“ weggelassen. Wer wie die Kommunisten überall unter dem ekligen Druck dessen steht, was man im Wertewesten unter Freiheit versteht, hat wenig Sinn und Energie übrig für gelingenden Spott über die eigenen Schwächen (wie ihm in der DDR, jeder auf seine Art, in ihren Romanen etwa Erwin Strittmatter, Hermann Kant oder Jurek Becker frönten).

Dieter Süverkrüp selbst, soweit man das von außen sagen kann, wies wenige solcher „typisch“ kommunistischen Mängel auf. Er war nicht unduldsam, er hörte zu; er überredete nicht, er versuchte sachgerecht zu überzeugen; er war kein Dogmatiker, er lag auf seine stille Art meist richtig. Als beispielsweise eine beschnauzbarte Betschwester exaltierter Selbstverliebtheit mit Namen Wolf Biermann Mitte der 1970er Jahre im Westen auftrat und dann im Westen bleiben musste, woher er kam und wohin er gehörte, war Süverkrüp einer der wenigen Linken, die durchschauten, was da gespielt wurde und die das in aller Ruhe auch klarstellten (ein anderer war Peter Hacks, für den Biermann der „Eduard Bernstein des Tingeltangel“ war).

Im Reden bereitete es ihm oft Schwierigkeiten, Begriffe wie etwa „Klassenkampf“ oder „Kommunismus“ barrierefrei auszusprechen. Er wollte niemanden erschrecken, er erfand auf seine liebe Art andere Schliche, auszudrücken, was ihm wichtig war. Für viele Kommunisten untypisch war auch, er schien keine Aggressionen zu kennen. Seine Lieder und Texte bringen die Dinge auf einen Punkt, der oft brutal, zugespitzt, empörend ist, sein Thema war eben ein bis in die Haarspitzen aggressives System – aber der Ton, welchen er anschlug, war nie einzueins aggressiv. Es war der tiefe, lachende Ernst, der immer wieder dazwischengehende helle, kluge Blick aus dem Fenster (auch wenn der Raum fensterlos war), mit dem er uns sprechend und singend für sich und seine Weltsicht gewann. Bauch, Beifall, Begeisterung, schön und gut – der klare Kopf war ihm wichtiger.

Befragt nach seinem beliebtesten und bekanntesten Lied, erzählte er davon, wie sein damals zweijähriger Sohn Ben in Begeisterung für einen riesigen Bagger entbrannte und wie sich der Vater in einem langen Gespräch über Bagger aufgerufen fand, die herrschenden Eigentumsverhältnisse zu erläutern. Bagger sollen, sprach der Vater, schöne helle Miethäuser bauen, in denen sorglose Menschen leben und glücklich sein können. Sie sollten nicht dem Boss gehören, der aber mit Baggern, Bauarbeitern und Häusern nur immer maximal Geld verdienen will, aber das wisst Ihr ja schon alles. Zeitgleich mit der nach dem 2. Weltkrieg wirkmächtigsten Phase der Linken in der BRD, war das Lied vom „Baggerführer Willibald“ der Höhepunkt auch in Dieters Sangesliste. Vielleicht hätte er sein erwachsenes Publikum öfter wie die Kinder ansprechen sollen, das war sein Ton, da klappte es mit dem Agit-Tainment wie am Schnürchen, ja, direkt wie von selbst.

Als er Anfang der 1960er Jahre im Rahmen des ersten, klein anfangenden Folk-Festivals auf der Burg Waldeck auch in Westdeutschland erstmals bekannter wurde, hatte er anderen mit ihm dort auftretenden, dito noch unbekannten Sängerkollegen wie Hannes Wader, Reinhard Mey, Franz-Josef Degenhardt, Hans Dieter Hüsch et al. zehn Jahre Erfahrung als politischer Sänger (gegen Wiederbewaffnung und für die Ostermärsche) voraus.

Die kommunistische Partei – der tiefsitzende Antikommunismus war der Hauptfaktor einer sublimen Identifikation der BRD mit ihrem Vorgängerstaat – war seit 1956 verboten. Süverkrüps Rolle innerhalb der entstehenden westdeutschen Folk- und Bänkelsängerbewegung ähnelte der Rolle der verbotenen Kommunisten auf der Linken: man hörte ihm zu, orientierte sich in unterschiedlichem Tempo, in vorsichtig abgestufter Deutlichkeit an ihm – es entstand im Zeichen der ersten BRD-Friedensbewegung eine eingreifende, zeitnahe Wiedergeburt des politischen Lieds im Ton der antipapistischen Bauernkriegs-Satire, im Geist Georg Herweghs, Heinrich Heines, Erich Mühsams. Als „Protestsong“ strahlte es bis in die mit Udo Lindenberg etwas später auftauchenden Texte der deutschen Rockmusik aus. Ohne Dieter wäre das womöglich gar nicht passiert.

Seine Brauen hoben sich, sein Blick heischte Aufmerksamkeit und Bedeutung, wenn er von Gerd Semmer (1919-1967) sprach. Dieser Schneidersohn und Schneidermeister, der nicht in den Nazi-Krieg musste, weil er an einer unheilbaren Nierenkrankheit litt, der mit dreiundzwanzig das Abitur nachholte und in der beginnenden Nachkriegszeit in Berührung mit Menschen wie Erwin Piscator und Bert Brecht Schriftsteller, Lyriker und als studierter Romanist auch Übersetzer wurde, wurde progressiv zum fastväterlichen Wegweiser des musizierenden jungen Atelierleiters aus Düsseldorf.

Als Semmer 1967 seiner Krankheit erlag, war Süverkrüp nach den neun Jahren, welche die beiden zusammengearbeitet hatten, reich auch mit den Übersetzungen von Francois Villons aufmüpfig frechen Chansons und mit den Liedern der französischen Sansculotten von 1789 versorgt. Süverkrüp trat als Komponist und Interpret der Texte Semmers auf, was zunächst nur in der DDR auffiel und zu gefallen wusste, wo alsbald mit „Ca ira“ die französische und auf einer zweiten Platte mit ihren Liedern die deutsche Revolution von 1848 medial zur Geltung kam.

Hatte Süverkrüp bis dahin „nur“ für die Musik gesorgt, musste er nach dem Tod des Freunds, zumal die Zeiten das in immer aufregenderer Weise forderten, auch die Texte künftig selbst fertigen. Und wie er auch das konnte! Nach bald vierzig Jahren Klassen- und Friedenskampf mit Stimme und Gitarre, mit Wörtern und Noten, mit Wut und Witz, hatte der Sechzigjährige dann bald keine Lust mehr auf eine in seinem Fall für Jahrzehnte sehr vielseitige, sehr nützliche, sehr gründliche Beteiligung an einem für die deutsche und europäische Linke ab 1990 immer unerfreulicheren Kampf im Rahmen der Weltgeschichte.

Dieter Süverkrüp ging zum Sprung in den dritten Band des Kapitals über, wo an Stellen vom Leben jenseits des Reichs der Notwendigkeit die Rede ist. Ihn lockte freilich weder das Angeln, noch das Nachdenken als vordringliche Quellen des Glücks. Er gönnte sich in seinen gar nicht so kurzen letzten Jahren endlich das Leben eines in eigenem Auftrag im Reich der Freiheit zeichnenden, tuschenden, malenden und denkend träumenden Künstlers und Ehemanns und Vaters und Opas und irgendwo natürlich auch eines immer wieder gern besuchten und eingeladenen und erlebten Genossen. Wir haben Dir zu danken, lieber Dieter.

Stefan Siegert ist Autor mit Schwerpunkt Musik, er schreibt aber auch politische Feuilletons, verfasst Künstler-Features für den Rundfunk und zeichnet Buch-Illustrationen sowie Comics.

Webseite des Autors: www.stefan-siegert.de


Bild oben: Dieter Süverkrüp
Foto: Pläne-Verlag, CC BY-SA 2.0 de
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