UN-Sicherheitsrat: Baerbock blieb sich treu – unwissend, unsensibel, niederträchtig
Irgendwie ist es, als könne man sich schon auf den Moment freuen, an dem man auf eine Frage aus der jüngeren Generation: „Baerbock, wer war die denn?“ antworten kann: „Ach, so eine Außenministerin, nicht weiter wichtig“, und sich wieder der Kaffeetasse zuwendet.
Von Dagmar Henn
Erstveröffentlichung am 25.09.2024 auf RT DE
Die volle Pracht der Rede von Außenministerin Annalena Baerbock vor dem UN-Sicherheitsrat lässt sich auf Deutsch gar nicht vermitteln. Man möchte sämtliche Lehrkräfte des Englischen, die sie unterrichtet haben, auf Schmerzensgeld verklagen. Einschließlich der britischen Universität, an der sie studiert haben will.
Aber das ist bei weitem nicht alles. Wenn man versuchen wollte, ein physisches Gegenstück zu dem geistig-emotionalen Erlebnis zu vermitteln, es wäre schon ein schwerer Migräneanfall, Übelkeit inbegriffen. Wobei vieles davon nicht von Baerbock geschaffen ist, sondern sich aus der Dissonanz zwischen ihr und der Welt ergibt. Und wenn man ihr Gesicht betrachtet, während sie ihre eigenartig seelenlosen englischen Sätze vorträgt, ist es zum ersten Mal bar jeder Kindlichkeit, bar jeder Koketterie, aber was zum Vorschein kommt, ist böse wie das Gesicht einer Hillary Clinton (Baerbock würde das sicher auch noch als Lob auffassen).
Das ganze mädchenhafte Getue hat nicht verhindert, dass die Zeit an ihr vorübergezogen ist, schnell, wie sie sich gerade verändert. In zwei Momenten wird das besonders deutlich.
Sie hält an der Erzählung fest, die sie vor Jahren begonnen hat, und beginnt mit einer absurden Formulierung: „943 Tage werden Frauen in Butscha vergewaltigt.“ Ein Satz, der nicht einmal in ihrer Welt Sinn ergibt; schließlich ist Butscha seit Ende März 2022 unter ukrainischer Kontrolle. Sie will Emotionen schüren und fährt fort mit „gefolterten Menschen in der Ostukraine“ und deportierten Kindern.
Niemand in der deutschen UN-Botschaft oder aus dem Stab des Auswärtigen Amtes scheint ihr gesagt zu haben, dass die Welt außerhalb der westlichen Blase die Bilder aus Gaza gesehen hat, wie zerfetzte Teile von Kindern aus den Ruinen der von Israel zerbombten Häuser geborgen und in Tüten gesammelt werden, weil mehr als diese Stücke nicht geblieben sind. Und dass die Rolle des empörten guten Menschen inzwischen eine einfache, aber unüberwindliche Voraussetzung hat: den Völkermord im Gazastreifen einen Völkermord nennen.
Die Vorwürfe, die sie gegen Russland erheben will, Butscha, die „Deportation“ von Kindern, der Beschuss eines Kinderkrankenhauses in Kiew, würden, auch wenn sie wahr wären (und sie sind alle widerlegbar), vor den Gräueln im Gazastreifen verblassen, wo selbst ein in Grund und Boden gebombtes Kinderkrankenhaus nur noch eine Zahl auf einer langen Liste ist. Man würde von einer Außenministerin erwarten, dass diese zumindest soweit bewusst ist, dass eine unmittelbare Kollision vermieden wird. Aber sie ist nicht geschickt. Sie hat nicht einmal bemerkt, wie sich der Boden unter ihren Füßen bewegt hat. Es wäre theoretisch möglich, das klassische Argumentationsmuster würde lauten: Auch wenn es schlimmere Untaten gibt, mit denen wir uns befassen müssen, sollten wir nicht vergessen … es fehlt ihr die Reife und die nötige Bewusstheit, oder vielleicht auch der Mut, sich durch das Eingeständnis dieser anderen Wirklichkeit den Raum für ihre Erzählung zu verschaffen.
Der zweite dieser Momente ist ein Versuch, den russischen Botschafter anzugreifen. Dabei geht es um einen Tweet des stellvertretenden russischen UN-Botschafters Dmitri Poljanski zur Entscheidung der Vollversammlung am Sonntag:
Unfortunately there is nothing to celebrate with the adoption of the #pactofthefuture by the UN today. The UN trampled on its own principles to please a group of delegations from the “beautiful garden” that usurped negotiations from the outset. And the majority from the “jungle”… https://t.co/dbX4Z2iX4R
— Dmitry Polyanskiy 🇺🇳 (@Dpol_un) September 22, 2024
„Unglücklicherweise gibt es nichts zu feiern wegen der Annahme des Pakts für die Zukunft heute durch die UN. Die UN haben ihre eigenen Prinzipien mit Füßen getreten, um einer Gruppe von Delegationen aus dem „schönen Garten“ zu gefallen, die von vornherein die Verhandlungen usurpiert hat. Und die Mehrheit aus dem „Dschungel“ hatte wie eine simple Herde einfach nicht das Rückgrat, zu protestieren und für ihre Rechte einzutreten. Und sie werden diejenigen sein, die die Konsequenzen tragen. Das Ergebnis war, dass es keinen inklusiven Verhandlungsprozess im normalen Sinn dieses Wortes gab. Der neue Präsident der Vollversammlung versuchte, die Lage zu retten, aber es war zu spät.
Dieser Pakt ist unausgewogen und enthält sehr gefährliche Vorgaben, die nach hinten losgehen werden und den Multilateralismus und die zwischenstaatliche Natur der UN untergraben, die von der UN-Charta aufrechterhalten wird. Er ist ein enormer Schlag für die Organisation als Ganzes.“
Baerbock, die es offenkundig nicht besser weiß und der es auch niemand gesagt hat (oder die es vielleicht gesagt bekam, aber nicht zuhören wollte), versucht, diesen Kommentar gegen Russland zu wenden:
„Ihre Wahrheit ist, dass die Mehrheit aus dem „Dschungel“ nicht imstande war, die richtige Entscheidung zu treffen. So redet Putins Russland heute über andere Länder. Der Dschungel. So reden sie über die Ukraine. Eine Schönheit, die vergewaltigt werden muss.“
Sie weiß nicht, dass „Garten“ und „Dschungel“ ein Zitat sind. Und das, obwohl der Urheber dieser kolonialistischen Metapher, Josep Borrell, ihr unmittelbarer Vorredner in ebendieser Sitzung war. Sie weiß nicht, dass sein damaliger Satz, die EU sei der Garten und der Rest der Welt der Dschungel, für die Länder des Globalen Südens zum geflügelten Wort geworden ist, und der „Dschungel“ dabei Russland notwendigerweise mit einbezieht. Der abschätzige Blick, den sie, ausnahmsweise einmal zutreffend, dieser Formulierung entnimmt, nicht der Blick Russlands und seines stellvertretenden UN-Botschafters ist, sondern jener der EU und ihres außenpolitischen Sprechers, für den der Westen der „schöne Garten“ war, den der wuchernde Dschungel bedroht.
Wobei auch die selbst zutiefst rassistische Bemerkung, die Ukraine sei „eine Schönheit, die vergewaltigt werden muss“, bei mir noch zwei Assoziationen hervorrief – die Zeitungsmeldung, dass mehr als die Hälfte der Prostituierten in Berliner Bordellen inzwischen Ukrainerinnen seien, und die Auseinandersetzungen in Israel, bei denen allen Ernstes darum gestritten wurde, dass israelische Soldaten das Recht haben sollten, palästinensische Gefangene zu vergewaltigen. Die Zeitungsmeldung ist vielleicht nur in Deutschland bekannt und auch das nur bei manchen. Aber die Vergewaltigungsgeschichte aus Israel, die kennt man auf der ganzen Welt.
Es kommt einem fast so vor, als handele es sich bei allem, was sie sagt, um Seiten aus einem Drehbuch, das seit Jahren fertig in der Schublade lag. Als hätte sie alles vorab so mühsam einstudiert, dass gar keine Möglichkeit mehr besteht, Text und Spiel an die veränderte Wirklichkeit anzupassen. So stolpert sie von Falle zu Falle.
Die ukrainische Stromversorgung ist zerstört?
„Kein Zufall, sondern weil der Winter wiederkommt. Minus 15 Grad bedeutet, dass der Strom nicht arbeitet, die Heizung nicht arbeitet, und das Wasser gefroren wird. Das ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.
Und wieder und immer wieder läuft im Kopf dieser andere Film dabei, aus Gaza. Putin habe ein Kinderkrankenhaus in Kiew bombardiert.
„Und darum glauben wir, wir müssen weitere Luftabwehr schicken, um Kinderkrankenhäuser zu schützen.“
Ist es nur mein inneres Auge, vor dem dann ein deutsches Luftabwehrsystem neben einem palästinensischen Krankenhaus zu stehen kommt, oder wenigstens ein libanesisches schützt? Ist es nicht. Das ganze Publikum hat sich verändert – weltweit.
Diese Heuchelei, die rund um den Begriff eines „gerechten und andauernden Frieden“ aufgebaut wird, um diesen „Friedensplan“ des Herrn Selenskij, der eine russische Kapitulation verlangt, noch mitten in der eigenen Niederlage. Auch wenn Selenskij eine zynische und lächerliche Gestalt ist, bei der man sich beständig fragt, wie er denn die Schuld, den Tod so vieler Menschen auf dem Gewissen zu haben, in seinem kurzen Körper unterbringt, bleibt bei ihm dennoch ein Hauch von Tragik.
Baerbock, die vor nicht einmal drei Jahren mit der Attitüde antrat, als Weltstar in die Geschichtsbücher einzugehen, die mit der entsprechenden Vermessenheit weder Kleiderordnungen noch diplomatische Zurückhaltung für erforderlich hielt und meinte, die Mischung aus deutscher Wirtschaftskraft und grüner Selbstsicherheit werde sie in die Höhen der internationalen Politik tragen, hat die besagte Wirtschaftskraft und den Status des Landes auf dem Weg nach unten überholt. Sie sieht böse, bitter und alt aus bei ihrer Rede. Fast, als hätte sie begriffen, dass sie nur noch die abgelegte Mätresse der Vereinigten Staaten vertritt.
„Wir als europäische Nachbarn, wir als Deutsche, mein Land, was wir hier von unseren polnischen Freunden gehört haben, das verantwortlich war für das schlimmste Verbrechen auf dem europäischen Kontinent, die Glück haben, wieder in Frieden zu leben – meine Generation – wieder in Frieden zu leben, weil andere für uns da waren.“
Dieses grammatikalisch-historische Durcheinander ist ihre Begründung, warum gerade Deutschland die Ukraine unterstützen müsse. Vielleicht versteht sie ja, was sie meint. Nur, dass sie den entscheidenden Punkt nicht erfasst, wenn sie denn meint, historische Gnade erinnern zu müssen: Dass es die Sowjetunion war, die diese Gnade übte. Die eine offene Rechnung über 1.100 zerstörte Städte, 70.000 zerstörte Dörfer gehen ließ, um einer friedlichen Zukunft willen. Um es von ihr, Baerbock, auf doppelte Weise gedankt zu bekommen, durch die stetigen Attacken gegen Russland, die Waffenlieferungen, und eben auch durch eine „Unterstützung“ der Kiewer Ukraine, die eigentlich eine Vernichtung ist.
Es gibt einzelne Gestalten, bei denen man sich fragen kann, ob ihnen nicht gelegentlich als Gedankenblitz in den Sinn kommt, welche Schuld sie auf sich geladen haben. Wirtschaftsminister Habeck dürfte spätestens ab einem Alkoholpegel von einem Promille weinerlich werden und über sein schweres Schicksal klagen, es so gut zu meinen und doch so sehr versagt zu haben. Und dann könnte ab und zu ein unsicherer Blick über die Schulter erfolgen, wie nah denn der Schatten ist, der ihm folgt.
Baerbock, die Komödiantin? Ihre Rolle wie ihre Spielweise haben sich überlebt. Sie agiert wie eine Stummfilmdarstellerin in einem Tonfilm. Jede Bewegung, jede Mimik wirkt wie ein Zerrbild. Aber sie hat auch nicht das Zeug für eine Norma Desmond, zur Tragik fehlt ihr Authentizität wie Talent. Sie wird vielleicht ihre Memoiren schreiben lassen und eine Zeit lang von Großstadt zu Großstadt tingeln, um durch den vorgefertigten Text zu stolpern, und vielleicht lässt man sie irgendwo ein paar Schülerköpfe tätscheln. Nein, sie wird nicht einmal stürzen, das wird eher eine Art Schrumpfen oder Eintrocknen. Etwas Banales, wie man Staub aus einer Decke schüttelt.
Sie beschwerte sich, dass der russische Botschafter vor ihrem Auftritt gegangen sei. „Ich habe das mehrmals erlebt.“ Ja, verständlich, es gibt keinen Grund, sich diese Qual anzutun. Nicht einmal mehr die Fremdscham, die sie anfangs im Übermaß vermittelte, ist noch übrig. Ihre Auftritte sind nur noch Erinnerung an etwas, das vergangen ist. Sobald der akute Schmerz nachlässt, schwindet jede Bedeutung.
Dagmar Henn ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes
Bild oben: Annalena Baerbock auf der Konferenz re:publica (27.05.2024)
Foto: Steffen Prößdorf, CC BY-SA 4.0
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=149482832