Demokratie – Medien – Aufklärung

Der Denunziant als neuer Held – Die Wiederbelebung einer deutschen Tradition

Ungestraft durfte die Medienagentur Brain’n’Dead im Frühjahr 2021 den mörderischen Slogan veröffentlichen: „Querdenker müssen sterben!“. Doch zum Melden mutmaßlicher „Desinformation“ seitens politisch Andersdenkender wird eine vielfältige Petzkultur unter den Bürgern etabliert.

Von Felicitas Rabe

Erstveröffentlichung am 25.05.2024 auf RT DE

Lange Zeit waren Menschen, die andere bei der Obrigkeit anschwärzten – wenn es sich nicht gerade um Kapitalverbrechen handelt –, von der Gesellschaft eher schlecht angesehen. Insbesondere in Deutschland, wo die Bespitzelung und Denunzierung Andersdenkender durch Blockwarte, Verfassungsschutz- und Stasi-Agenten als langjährige deutsche Negativtradition gebrandmarkt ist.

Daher scheint es umso verwunderlicher, welche Blockwartmentalität gleich zu Beginn der Coronakrise im deutschen Volk nahtlos wieder abgerufen werden konnte. Besonders pikant: Damals wie heute durften sich Denunzianten darauf berufen, dass sie doch nur zum Schutz der deutschen Volksgesundheit handeln würden. Interessant wäre in jedem Fall eine Untersuchung, ob der Petzcharakter hierzulande besonders verbreitet ist ‒ im Vergleich zu anderen Nationen.

Dabei soll es ihn doch nach Meinung vieler deutscher Cancel-Culture-Befürworter gar nicht mehr geben, den typischen Deutschen. Womöglich merken dabei die überzeugten deutschen Kulturverleugner gar nicht, wie typisch deutsch die herausragend fanatische Auffassung von Cancel-Culture, Flaggensymbolik und Klimahysterie eigentlich ist. Am deutschen Wesen soll die Welt mal wieder genesen, könnte man meinen.

Zum Schutze der Volksgesundheit ‒ Denunziantentum in der Coronazeit

Jedenfalls gab es zu Coronazeiten nicht nur diejenigen Menschen in Supermärkten, die ihre Mitmenschen mit Masken auf halbmast übereifrig bei Marktleitern anschwärzten und ihren Rausschmiss forderten. Wie Pilze aus dem Boden schossen auch Behördendienste, Meldestellen, Onlineportale und Petzeinrichtungen aller Art – und dieser „Petzeraufschwung“ hält bis heute an, beziehungsweise nimmt immer weiter Fahrt auf. Corona diente quasi als Startschuss zur Legitimierung einer neuen positiven gesellschaftlichen Akzeptanz von Denunziantentum.

Als Beispiel für eine der vielen Meldestellen in der Coronazeit, bei der man Verstöße gegen die Pandemiemaßnahmen melden sollte, sei die Melde-App der Stadt Frankfurt am Main genannt. Wie die Frankfurter Rundschau im Oktober 2020 schrieb, konnten Bürger ganz anonym ihre Mitmenschen samt Foto bei einer städtischen Behörde anprangern: „Dort nämlich können Bürgerinnen und Bürger auf einem Online-Portal Verstöße gegen die ‚Coronaschutz-Verordnung‘ melden. Da kann man mit maximal 45 Zeichen den „Ort des Verstoßes“ angeben, Datum und Uhrzeit der ‚Feststellung‘ sowie Art und ’nähere Beschreibung des Verstoßes‘. Ein Foto beizufügen, ist selbstverständlich auch möglich.“

Zensur und Meldung der vom offiziellen Narrativ abweichenden Meinungen

Das politisch geförderte Denunziantentum gipfelte zuletzt in der Verabschiedung des ‚Digital Service Act‘ in der Europäischen Union. Diese ab dem 17. Februar 2024 geltenden Vorschriften haben zum Ziel, „illegale oder schädliche Online-Aktivitäten sowie die Verbreitung von Desinformation zu verhindern“, und gelten fortan für alle Internetplattformen.

Wogegen die Aufgabe des deutschen Verfassungsschutzes von jeher darin besteht, Informationen über politische Abweichler zu sammeln. Das schaffen die Verfassungsschützer allerdings nach eigenen Angaben nur noch mithilfe von Denunzianten aus der Bevölkerung, die bei der offiziellen Meldestelle der Behörde gesellschaftliche  Extremisten melden sollen.

Nur gemeinsam mit denunzierenden Bürgern könne der Verfassungsschutz seinen Auftrag erfüllen: „Sicherheit und Freiheit sind unabdingbare Pfeiler unserer Gesellschaft und gehen alle an, die Bürgerinnen und Bürger sowie die Sicherheitsbehörden. Nur gemeinsam mit Ihnen können wir unseren Auftrag erfüllen.“ Seit Februar 2022 fordert auch das Bundeskriminalamt die Bevölkerung auf, gemeinsam gegen unspezifische „Hass und Hetze“ im Netz vorzugehen. Bei der dafür eingerichteten Meldestelle „Hetze im Internet“ sollten Bürger unter anderem Straftaten wie „Propagandadelikte“ melden. Auf der BKA-Webseite heißt es dazu: „Mit dieser Kooperation soll einer zunehmenden Verrohung der Kommunikation in sozialen Netzwerken entgegenwirkt und eine effektive Strafverfolgung der dort begangenen Straftaten wie Propagandadelikten, Volksverhetzungen oder Bedrohungen ermöglicht werden.“

Was als Desinformation und was als Propaganda gilt, bestimmen die Produzenten von Fake News und Propaganda selbst

Nach all den Fake News und der Propaganda in Bezug auf die vermeintliche Coronapandemie – was mittlerweile durch die RKI-Dokumente bestätigt wird – und all der Hetze gegen diesbezüglich Andersdenkende seitens Politik und Medien kommt man bei aktuellen Melde-Kampagnen gegen Desinformation aus dem Staunen nicht mehr heraus. Ganz selbstverständlich wird seitens der Behörden davon ausgegangen, dass potenzielle Petzer nur solche Menschen als „Propaganda-Verbreiter“ in Betracht ziehen, die dem offiziellen Narrativ widersprechen. Es wird offenbar in Deutschland wieder vorausgesetzt, dass Regierung und Medien keine (nie und nimmer?) Propaganda und Hetze betreiben könnten. Und es wird wieder vorausgesetzt, dass die Petzbereiten ganz gehorsam auf Seiten der Regierung stehen, um die Regierungsungehorsamen zu diffamieren.

Insofern kann man getrost davon ausgehen, dass jener Hass und die Desinformation, die von Regierung, Medien und anderen Personen des öffentlichen Lebens seit ein paar Jahren mit zunehmender Bösartigkeit gegen Andersdenkende verbreitet werden, nicht denunziert werden. Desinformation wird nur einseitig diffamiert. Bis heute wird die seinerzeitige Desinformation der Bundeskanzlerin Merkel bei einer Pressekonferenz auf dem G7-Gipfel am 19. Februar 2021 von offizieller Stelle nicht bekrittelt. Merkel behauptete:

„Die Pandemie ist erst besiegt, wenn alle Menschen auf der Welt geimpft sind.“

Gleichzeitig durfte die Berliner Medienagentur Brain’n’Deadim Frühjahr 2021 im Rahmen einer Impfkampagne ungestraft den mörderischen Slogan veröffentlichen: „Querdenker müssen sterben!“. An Hass und sexistischer Hetze mangelt es auch nicht in der sachlich falschen Beschuldigung, mittels welcher der ZDF-Mitarbeiter Jan Böhmermann im November 2021 die Impfverweigerer beschimpfte (ab circa Minute 3:04):

„Schuld daran […] sind die Wichser, die immer noch nicht in der Lage sind, sich zu impfen.“

Wie extreme Hetzkampagnen gegen Andersdenkende auch nach Corona weiter betrieben werden, sofern sie nur der herrschenden Politik dienen, kann man aktuell in Deutschland ganz besonders an der hetzerischen Aufstachelung gegen eine in Deutschland offiziell zugelassene Partei feststellen.

Zur Entsolidarisierung der Gesellschaft: Angebotsvielfalt für die Denunzierung Andersdenkender

Nachdem das Denunziantentum in der Coronazeit gesellschaftlich eine solche Aufwertung erfuhr, werden inzwischen von offiziellen Stellen für die abstrusesten Anschuldigungen neue Meldemöglichkeiten für Petzbegeisterte geschaffen.

Bei einem neuen Portal der Amadeu-Antonio-Stiftung dürfen sich Denunzianten austoben, die andere Menschen verdächtigen, sich einer Sprache mit „antifeministischer Dimension“ zu bedienen. Sofern jemand den Eindruck habe, ein Mitbürger würde sich einer sogenannten antifeministischen Ausdrucksweise bedienen, solle er ihn bei der Meldestelle für Antifeminismus denunzieren. Zwar sei ein antifeministischer Sprachstil nicht strafbar, wird auf dem Meldeportal explizit erklärt, aber es zähle schließlich die subjektive „Erfahrung von Betroffenen“:

„Antifeminismus ist kein Straftatbestand. Wir erfassen Fälle, unabhängig davon, ob sie angezeigt wurden, und unabhängig davon, ob sie einen Straftatbestand erfüllen oder unter der sogenannten Strafbarkeitsgrenze liegen. Relevant ist die antifeministische Dimension. Im Mittelpunkt stehen die Erfahrungen der Betroffenen.“

Im Rahmen dieses Beitrags kann nur ein kleiner Einblick in das weite Feld des vielfältigen neuen Petzwesens gegeben werden: Von falschen Sprachgebrauchlern, über Falschparker bis hin zu Menschen mit unliebsamen politischen Einstellungen und mutmaßlich falschen Meinungen – für fast alles gibt es neuerdings Denunziantentools. So ruft sogar die Deutsche Umwelthilfe den Bürger zur Anzeige von Falschparkern auf.

Während die NRW-Landesregierung seit dem Juli 2022 gleich vier Meldestellen zum Anzeigen von queerfeindlichen Vorfällen eingerichtet hat. Hinsichtlich so vieler Meldestellen fragt man sich schließlich auch, was die Verwaltung eigentlich damit bezweckt? Geld sparen bei hoheitlichen Aufgaben des Ordnungsamts? Oder soll die Bevölkerung durch möglichst weit verbreitete gegenseitige Überwachung und Verpetzen noch mehr gespalten und von gegenseitigem Misstrauen durchsetzt werden ‒ im Sinne einer Entsolidarisierung und einer grundsätzlichen Abschaffung von gesellschaftlichem Zusammenhalt?

Jedenfalls richtet auch das Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen laut eigenen Angaben „ein bundesweit einzigartiges Netz in Form mehrerer Meldestellen ein, die Vorfälle auch unterhalb der Strafbarkeitsgrenze erfassen, analysieren und dokumentieren“. Gemeldet werden sollen Queerfeindlichkeit, antimuslimischer Rassismus, Antiziganismus sowie antischwarzer, antiasiatischer und weitere Formen von Rassismus – und zwar auch hier ausdrücklich auch unterhalb der Strafbarkeitsgrenze.

Dagegen ermutigt die Veritas-Beratungsstelle für Betroffene von Verschwörungserzählungen Freunde und Verwandte von sogenannten „verschwörungsgläubigen Menschen“, über Erfahrungen mit Andersdenkenden aus ihrem Umfeld zu berichten. Die Beratungsstelle behält sich dann im Falle von andersdenkenden Eltern vor, diese beim Jugendamt anzuschwärzen. Die Behörde würde daraufhin prüfen, ob den andersdenkenden Eltern ihre Kinder entzogen werden müssten.

Denunziantentum fördern heißt, „aus Überzeugung Gutes zu tun“

„Zivile Helden“ nennt sich eine Webseite, auf der rund 20 Beratungsstellen ihre Dienste für Denunzianten unterschiedlicher Themen anbieten. Hier wird der Denunziant zum Helden stilisiert, wenn er Anhänger von „Verschwörungsmythen“ und mutmaßliche Antisemiten meldet. Unerschöpflich scheinen die Möglichkeiten, die Menschen bei jeglicher Gelegenheit zum Denunzianten zu dressieren: Seit ein paar Wochen wirbt man in Kölner Schwimmbädern mit der Kampagne „Ich sag’s – Hilfe holen ist kein Petzen“ für das Denunzieren von Mitschwimmern. Als seien Bademeister nicht selbst in der Lage, sexistisches Belästigen zu identifizieren, sollen sich die Besucher von Badeanstalten nun gegenseitig beschuldigen.

Kampagne „Ich sag’s“ in Kölner Schwimmbädern, Mai 2024. Foto: Felicitas Rabe

Obendrein sollen die zumeist betroffenen Mädchen und Frauen den in der Regel männlichen Bademeistern erklären, wo und wie sie unsittlich berührt wurden. Mal abgesehen davon, dass diese Kampagne bei wohl nicht wenigen Mädchen und deren Eltern dazu führen wird, vor lauter Sorge vor Übergriffen den Töchtern den Schwimmbadbesuch zu untersagen. Das wird als kleiner Kollateralschaden entweder in Kauf genommen – oder beabsichtigt.

Bei der Feierveranstaltung zum Internationalen Tag gegen Transfeindlichkeit vor dem Kölner Dom wurde am 17. Mai 2024 mit großen Plakaten für neu eingerichtete Meldestellen geworben, wo man tatsächliche oder vermeintliche Abwertung und Diffamierung von transsexuellen Menschen anzeigen sollte.

„Anzeigen statt Aushalten“, Feier zum Internationalen Tag gegen Transfeindlichkeit, Köln, 17. Mai 2024. Foto: Felicitas Rabe

Was soll man zum Schluss noch sagen ‒ all diese Petzangebote werden von selbsternannten Gutmenschen eingerichtet. Wie zum Beispiel das Angebot der Meldestelle REspect!, bei der man unter anderem ebenfalls mutmaßliche Verbreiter von Desinformation melden kann. REspect! rühmt sich auf der eigenen Webseite damit, von knapp 60.000 Meldungen (Stand 23. Mai 2024) rund 15.000 bei der Polizei zur Anzeige gebracht zu haben. Die Sammlung von Petzereien falle den Meldestellen-Betreibern nicht immer leicht, heißt es auf deren Internetseite – aber man sei überzeugt, Gutes zu tun.

„Das machen wir – auch wenn es nicht immer leichtfällt – mit viel Spaß und der Überzeugung, etwas Gutes zu tun.“

Felicitas Rabe ist freie Journalistin. Am 29. Mai 2023 berichtete die Autorin über die Konferenz der Weltunion der Freidenker


Bild oben: pixabay.com / guvo59 / Inhaltslizenz