Zeit der Verleumder - Freidenker für Klartext

Nochmal zum „Fall Aiwanger“

Von Klaus Hartmann

Sebastian Bahlo hat unter der Überschrift „Sie haben Zeitungen und Druckereien…“ (https://www.freidenker.org/?p=16876) „die von der Süddeutschen Zeitung (SZ) losgetretene und inzwischen konzertiert wirkende Hetzkampagne gegen den Wahlkämpfer Hubert Aiwanger“ kritisiert, als „Schmierenjournalismus der untersten Kategorie“ bezeichnet und als Anmaßung, „mit ihrer dürren ‚Enthüllung‘ faktisch in den bayerischen Landtagswahlkampf einzugreifen“. Er stellt den Fall in Reihe andere Kampagnen wie der gegen „den Sänger Till Lindemann,“ und „den ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnologie Arne Schönbohm, der allein aufgrund substanzloser Unterstellungen einer rundfunkgebührenfinanzierten Krawallschachtel von Bundesinnenministerin Faeser entlassen wurde“.

Bahlos Kritik wurde wiederum kritisiert, so von Liz Sander in einer Zuschrift an die Webredaktion:

„Ganz ehrlich, der Artikel von S. Bahlo ist ja völlig daneben. Da fragt man sich ja schon, ob er nicht vom Hr. Aiwanger angestellt worden ist. Ich persönlich bevorzuge dann lieber den ‚Primärsprech`‘. Polieren jetzt die Freidenker den Boden für die Freien Wähler und einen Lindemann? Habt ihr eigentlich vergessen, wie das läuft?

Natürlich versuchen Zeitungen ihre Auflage zu stärken in der Hoffnung auf einen Skandal. Die SZ hatte hier Erfolg. Ein Hr. Aiwanger könnte sich durchaus einfach nur wie ein erwachsener Mensch benehmen, als nur von seinen Gedächtnislücken zu berichten, vor allem wenn er schon so ‚geschockt`“ war, gehe ich davon aus, dass er nix vergessen hat. Auch ist es nicht notwendig eine Lanze für die Unmündigkeit von 17-jährigen zu brechen, wenn es gerade so in den Kram passt. War es nicht so, wenn sich die Oberen in die Pfanne hauen wurde das mit einem Lächeln quittiert? Aber die Freidenker machen ja inzwischen bei allem voll mit, oder? Geht es nicht mehr um Inhalte, nur noch um Wirkung? Den Artikel von Bernd Duschner finde ich dagegen gut, weil er benennt, was versucht wird unter den Teppich zu kehren.

Inzwischen häufen sich die Artikel, die die Oberfläche der AfD reinigen – wo sind die Inhalte, die Analysen und die Zukunftsperspektiven? Machen wir es jetzt schon wie die AfD? Hauptsache ‚rumrotzen‘?“

Zum letzten Punkt, zur AfD, muss man nicht soviel sagen: Wenn ihre Vertreter die Waffenlieferungen an die Ukraine, den Wirtschaftskrieg gegen Russland kritisieren, die Wiederherstellung der Energiepartnerschaft mit Russland fordern, dann sind das unterstützenswerte Positionen. Das ändert nichts an unserer Einschätzung, dass die AfD eine zutiefst kapitalistische Systempartei ist, die auch extrem widersprüchlich agiert, wie ihre Befürwortung der Aufrüstung und die mehrheitliche Zustimmung zum 100-Milliarden-Kriegskredit der „Ampel“ zeigt.

Zum von der Süddeutschen publizierten „Flugblatt-Skandal Aiwangers“ zunächst eine persönliche Anmerkung: Mir ist ein ähnliches Flugblatt bereits knapp 20 Jahre vorher begegnet, 1969, in einem hessischen (Offenbacher) Gymnasium, ich war damals 15 Jahre alt. Auch darin war der Hauptgewinn eines Preisausschreibens der Freiflug durch den Schornstein von Auschwitz. Ein Klassenkamerad bot es mir mit diebischer Freude an, seinen Namen weiß ich noch (Aiwanger hieß er nicht). Ich wies es empört zurück, und deshalb konnte man es auch in meiner Schultasche nicht finden. Einen Skandal löste das Blatt seinerzeit allerdings nicht aus. Als „Antisemit“ verstand sich der besagte Schüler freilich nicht, er war ein glühender Verehrer des Sieges der zionistischen Armee im „6-Tage-Krieg“ 1967 über die „dummen und unfähigen Araber“.

Hier argumentiert der Beitrag von Bernd Duschner (https://www.freidenker.org/?p=16902) sehr zutreffend: „Dem Verfasser des Flugblattes ging es nicht um die Juden, wie uns die herrschenden Medien und Politiker suggerieren möchten, sondern um deutsche ‚Vaterlandsverräter‘.“ Und er spricht an, in welchem geistig-politischen Klima solche „provokativen Schülerstreiche“ nur möglich waren: In einer Bundesrepublik, die nie gründlich entnazifiziert wurde, sondern, im Gegenteil, alte Nazis in höchste Ämter der Regierung, in Gerichte einrücken konnten, deren Bundeswehr und Geheimdienste von im Faschismus bewährten Kräften aufgebaut wurden.

Eine weitere Zuschrift, von Renate Popp, berichtet, dass besagtes-Flugblatt „seit einigen Jahren in der Gedenkstätte Dachau hängt.“ Insofern „ist die Info ja nicht so neu, wie die Süddeutsche berichtete.“ Abschließend stellt sie die ironische Frage: „Ich gehe mal davon aus, dass es ganz viel Aufklärungsarbeit gegeben hat, als der Brief ins Museum kam – oder?“

Nein, es ist, wie Bernd trefflich schreibt: „Die SZ hat es genau zum richtigen Zeitpunkt aus der Tasche gezogen.“ Sebastian Bahlo hat schon erklärt, „was Aiwanger wirklich ‚verbrochen‘ hat“: Erst sich der „Corona-Spritze“ verweigern, dann sein Auftritt bei der Großkundgebung in Erding am 10. Juni 2023 unter dem Motto „Stoppt die Heizungsideologie“. Bahlo verweist auf Aiwangers Aussage „Jetzt ist der Punkt erreicht, wo die große schweigende Mehrheit sich die Demokratie zurückholen muss und denen in Berlin sagen: ‚Ihr habt ja wohl den Arsch offen da oben.‘ Wir wollen unsere Demokratie zurückholen.“ Solch ein Widerspruch gegen die Regierungslinie bleibt im „demokratischen“ Deutschland nicht folgenlos, sondern wird von den Mainstream-Einpeitschern unnachsichtig abgestraft.

Soweit könnte das als fixe Idee Bahlos (oder des Verfassers) angesehen werden, wäre da nicht ein Kronzeuge, der genau die Argumentation bestätigt. ntv machte den Juristen Karl-Nikolaus Peifer ausfindig, seines Zeichens Leiter des Instituts für Medien- und Kommunikationsrecht an der Universität Köln. In einem Interview v. 02.09.2023 (https://www.n-tv.de/panorama/Dann-haette-man-den-Uralt-Vorwurf-nicht-drucken-duerfen-article24364781.html) durfte er „die Berichterstattung für zulässig“ erklären. Und seine geniale Begründung lautet:

„Die Frage, wie vertrauenswürdig diese Person als Politikerin oder Politiker ist, ist für viele Menschen von großer Bedeutung. Daher darf man das gegenwärtige Verhalten auch mit Vorgängen aus der Vergangenheit konfrontieren. Wenn Aiwanger also nicht bei mehreren Auftritten sprachlich ins populistische, teils sogar rechtsextreme Lager gewechselt wäre, dann hätte man den Uralt-Vorwurf nicht drucken dürfen. Die Berichterstattung hilft bei der Einschätzung, ob seine Auftritte Ausdruck der Zeit sind oder zu seiner Grundeinstellung als Politiker gehören. In diesem Fall gibt es kein Recht auf Vergessen.“

Wir danken für die Bestätigung. Aiwangers Opponieren gegen die Corona-Spritze war populistisch, seine Aufforderung, die Demokratie zurückzuholen, ist rechtsextrem. Ohne diese „Fehltritte“ „hätte man den Uralt-Vorwurf nicht drucken dürfen“ – so aber zieht sich seine „Grundeinstellung“ von einem „antisemitischen Flugblatt“ nahtlos bis heute durch. Hätte er also dem Berliner Regierungskurs gehuldigt, wäre ihm auch nichts passiert. Da kennen die Mainstream-Blätter keine Gnade, besonders diejenigen nicht, die wie die SZ in der falschen Vorstellung Vieler als „linksliberal“ gelten.

Wie kann man eine solche Vorstellung von Demokratie und Meinungsfreiheit qualifizieren? Eher als ihr genaues Gegenteil. Das ist die Rechtsentwicklung, gegen die es aufzustehen gilt, und ihre treibenden Kräfte sind die Bundesregierung und ihre Hofberichterstatter. Die Speerspitze der Tendenz zur Faschisierung ist die Grüne Partei. Zumindest in diesem Punkt unterstütze ich Sahra Wagenknecht uneingeschränkt, wenn sie die Grünen als „die gefährlichste Partei im Deutschen Bundestag“ bezeichnet.

Wer dem Kurs auf Gleichschaltung entgegentritt, hat unsere Unterstützung. Wenn etwas Richtiges von den angeblich „Falschen“ gesagt wird, werden wir es nicht falsch nennen. Das liegt nicht daran, dass der Verbandsvorsitzende bei Aiwanger angestellt wäre, sondern im Gegenteil an unserer Satzung: „Der Verband ist parteipolitisch unabhängig“.

Klaus Hartmann ist Präsident der Weltunion der Freidenker und stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes

 

Dieser Beitrag bezieht sich auf einen Leserbrief zum Beitrag „Sie haben Zeitungen und Druckereien…“ von Sebastian Bahlo

  Siehe zum Thema auch: Interview von Diether Dehm mit Albrecht Müller: „Offene Debatte zu Aiwanger bei den Nachdenkseiten


Bild oben: Hubert Aiwanger am 5. September 2023 während einer Pressekonferenz im Prinz-Carl-Palais in München
Foto: Michael Lucan, CC BY-SA 3.0 de
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=137029355