
Warschauer Vertragsorganisation war Pfeiler von Sicherheit und Frieden
Zur Gründung der Warschauer Vertragsorganisation vor 70 Jahren
von Prof. Dr. Anton Latzo
Erstveröffentlichung in der UZ vom 16.05.2025
Mitte der 1950er Jahre stand die Frage der Remilitarisierung der BRD im Mittelpunkt der Politik in Europa. Das Projekt der Herrschenden in den USA und in Westeuropa mit Hilfe des EVG-Vertrages zu verwirklichen, war gescheitert. Der Bonner Regierung gelang es aber, gemeinsam mit den USA, die Einbeziehung der Bundesrepublik in das NATO-System durchzusetzen. Bonn erhielt nun auch offiziell die Möglichkeit, eine Armee von 500 000 Mann aufzustellen.
Auf einer Konferenz der NATO, die vom 9. bis 11. Mai 1955 tagte, wurde die BRD, nur 10 Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation des faschistischen Deutschlands, offiziell in die NATO aufgenommen, die offen antisowjetische Ziele verfolgte, gegen die sozialistische Entwicklung in Osteuropa gerichtet war und schon wieder eine Gefahr für den Frieden darstellte.
Nachdem die vorherigen Warnungen und Vorschläge der UdSSR, der DDR und der volksdemokratischen Staaten unberücksichtigt blieben, beschlossen diese, die Warschauer Vertragsorganisation zu bilden. Am 14. Mai 1955 unterzeichneten sie in Warschau den Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand und bildeten ein Vereintes Kommando der Streitkräfte der Teilnehmerstaaten. Die Volksrepublik China war als Beobachter vertreten.
Die Warschauer Vertragsorganisation (WVO) war aber nicht einfach nur eine Gegenaktion zur NATO und zur Aufnahme der BRD in diese Organisation. Sie entwarf zugleich einen konstruktiven Ausweg aus der gefährlichen Situation indem sie konkrete Vorschläge für Schaffung von Frieden, Sicherheit und gleichberechtigter Zusammenarbeit in Europa unterbreitete, die auch in Übereinstimmung mit Geist und Buchstabe der Vereinbarungen von Jalta und Potsdam standen.
Schon vor 1955 waren die Bemühungen der späteren WVO-Staaten darauf gerichtet, solche Bedingungen zu schaffen, die die Existenz zweier entgegengesetzter Organisationen in Europa vermeiden hätten können.
Angesichts der Gefahren, die sich aus der Politik der USA und ihrer Verbündeten ergaben, und geleitet von dem Wunsch, ein friedliches Nachkriegseuropa zu gestalten, unterbreitete die UdSSR im Februar 1954 auf der Berliner Außenministerkonferenz der Vier Mächte eine mit den volksdemokratischen Staaten abgestimmten Entwurf eines „Gesamteuropäischen Vertrages über kollektive Sicherheit in Europa“. Er sah vor, ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem – unter Beteiligung der USA – zu schaffen.
Er sollte „die Bildung von Gruppierungen der einen europäischen Staaten gegen die anderen europäischen Staaten, die Verschärfung der Reibungen in den Beziehungen zwischen den Ländern hervorruft“, vorbeugen und „eine Übereinstimmung der Bemühungen aller europäischen Staaten zur Gewährleistung der kollektiven Sicherheit in Europa“ erzielen. Die Initiative ist bekanntlich am Widerstand der Westmächte gescheitert.
Am 31. März 1954 hat die UdSSR in einer Note an die Westmächte ihre Bereitschaft erklärt, zur gemeinschaftlichen Festigung der europäischen Sicherheit sogar der NATO beizutreten. Die Ablehnung der NATO-Mächte erfolgte am 7. Mai 1954.
Solche Vorschläge entsprachen nicht den Plänen der Herrschenden in der NATO. Sie hielten an ihrer Politik des „Zurückrollens des Kommunismus“ fest und schürten Antikommunismus und Völkerhass. Ihr Konzept hat zum Beispiel der damalige Bundeskanzler der BRD, Konrad Adenauer, am 20 Juli 1952 u.a. so formuliert: „Mit einem totalitären Staat kann man nun einmal nicht sprechen, wie mit einem Bruder. Ein totalitärer Staat versteht nur eines: er hört dann, wenn der, mit dem er spricht, auch Macht hat. Und diese Macht muß sich Europa verschaffen“.
Trotzdem erneuerte die Sowjetunion in einer Note an die Regierungen Frankreichs, Großbritanniens und der USA vom 24. Juli 1954 den Vorschlag, eine Konferenz aller europäischen Staaten einzuberufen, auf der über die Schaffung eines Systems der kollektiven Sicherheit in Europa beraten werden sollte. Am 13. November 1954 wurde ein ähnlicher Vorschlag an alle europäischen Staaten unterbreitet, der ebenfalls auf Ablehnung stieß.
Angesichts der Tatsache, dass die NATO-Mächte alle Vorschläge und ihre Teilnahme ablehnten, wurde die Warschauer Vertragsorganisation am 14. Mai 1955 gegründet.
Die Teilnahme der DDR am Warschauer Vertrag festigte auch deren internationale Position im Ringen mit der auf die Liquidierung der DDR gerichteten Politik der herrschenden Kreise in Bonn. Die Mitgliedstaaten der WVO nahmen bei der Gründung der Organisation eine Erklärung von DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl zustimmend zur Kenntnis, in der es hieß: „Bei der Unterzeichnung des vorliegenden Vertrages über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand geht die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik davon aus, dass das wiedervereinigte Deutschland von den Verpflichtungen frei sein wird, die ein Teil Deutschlands in militärpolitischen Verträgen und Abkommen, die vor der Wiedervereinigung abgeschlossen wurden, eingegangen ist“.
Der unterschiedliche Charakter der beiden Organisationen offenbarte sich auch darin, dass die NATO gegen die UdSSR und die anderen sozialistischen Länder gegründet und aktiv wurde. Die Gründung der NATO war vom Grundsatz der klassenmäßigen Ausschließlichkeit geprägt.
Die WVO verstand sich als ein Bündnis für die Gewährleistung von Frieden und Sicherheit und hatte die Schaffung eines kollektiven Sicherheitssystems in Europa zum Ziel.
Im Gegensatz zur NATO wurde die WVO als ein offener Vertrag abgeschlossen, der in Artikel 9 die Möglichkeit des Beitritts anderer europäischer Staaten vorsah. Einzige Bedingung für den Beitritt war die Bereitschaft dieser Staaten, „zur Vereinigung der Anstrengungen der friedliebenden Staaten zum Zwecke der Gewährleistung des Friedens und der Sicherheit der Völker beizutragen“.
Diese wesentlichen Unterschiede prägten das Verhältnis beider Organisationen zueinander und die Inhalte ihrer Initiativen bis zur Auflösung der Warschauer Vertragsorganisation.
Der größte Erfolg der Politik der WVO war die Einberufung und Durchführung der Konferenz für Frieden und Sicherheit in Europa. Trotz der Niederlage des Sozialismus in Europa und der aggressiven Ausdehnung der NATO nach Osteuropa sind die Erfahrungen und Lehren dieser Periode von bleibendem Wert.
Angesichts der positiven, einflussreichen Rolle der WVO in den internationalen Auseinandersetzungen nimmt es nicht Wunder, dass das Bündnis der sozialistischen Staaten und seine Militärkoalition im Zentrum der ideologischen Diversion des Imperialismus standen. Seit Mitte der siebziger Jahre, nach der Helsinki-Konferenz für Frieden und Sicherheit in Europa, hat sich die psychologische Kriegführung gegen die WVO nach Umfang, Intensität und Inhalt verschärft. Unverhüllt wurde ausgesprochen, dass ihre Gegner damit die Absicht verbanden, einen „angestrebten psychologischen Terraingewinn“ in den Teilnehmerstaaten der WVO in „spätere politische, eventuell militärische Vorteile umzusetzen“.
Im Kommuniqué der Tagung des NATO-Ministerrates vom Frühjahr 1977 war zum ersten Mal ein selbständiger Punkt zur psychologischen Kriegführung enthalten. Zum gleichen Zeitpunkt beschloss der NATO-Rat auf Antrag des Präsidenten der USA , eine „Studie der Ost-West-Politik und der Entwicklung innerhalb des europäischen Ostblocks“. Diese wurde zusammen mit dem Langzeit-Rüstungsprogramm auf dem Washingtoner NATO-Gipfel 1978 zum NATO-Langzeitprogramm.
Kombiniert mit den Aktivitäten der USA und der anderen NATO-Mächten wurde die Politik von Gorbatschow, Jakowlew und Schewardnadse und Komplizen genutzt, um die Zerstörung der UdSSR und die Niederlage des Sozialismus in Europa durchzusetzen und die Politik von Jelzin, Gaidar und Tschubais zu etablieren. Bestandteil dieser Entwicklung war die Kapitulation Russlands auf der Weltbühne, was auch die Auflösung der WVO implizierte.
Damit wurden die Bedingungen geschaffen, die zur staatlichen Auflösung der CSSR, zur Aggression gegen Jugoslawien und zum Aufbau eines gegen Russland und gegen den Frieden in Europa gerichteten USA- und NATO-Gürtels entlang der Grenze Russlands, vom Baltikum bis ins Schwarze Meer, führten, dessen Zentrum die Ukraine bildet!
Prof. Dr. Anton Latzo ist Historiker und Mitglied des Beirats des Deutschen Freidenker-Verbandes
Bild oben: Der Ministerpräsident der DDR, Otto Grotewohl, bei der Vertragsunterzeichnung in Warschau am 14.05.1955
Foto: Bundesarchiv, Bild 183-30562-0001 / CC BY-SA 3.0 de
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