Arbeit & Soziales

Habeck: Von Düsseldorf in den Sportpalast

 – oder: Eine Rede, die so ähnlich bereits gehalten wurde

Die Reden von Robert Habeck sind es wert, genauer betrachtet zu werden. Nicht, weil sie rhetorisch herausragen; da entsprechen sie eher einem dritten oder vierten Remake. Es sind die Originale, die dahinter durchscheinen, die aufschlussreich sind.

Von Dagmar Henn

Erstveröffentlichung am 19.10.2022 auf RT DE

Vor einigen Monaten hielt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck eine Rede vor Industrievertretern, die beachtenswert war. Nicht, weil sie kluge Gedanken enthalten hätte, sondern weil sie sein Verständnis von „Demokratie“ bezeugte, das ausgesprochen fragwürdig war. Das klang nach Durchregieren, demokratische Prozesse wurden nur als Hindernisse dargestellt. Damals war meine Assoziation eine bestimmte Rede vor dem Düsseldorfer Club der Industriellen im Jahr 1932. Nun, mit seiner Rede zum Parteitag der Grünen jüngst hat Habeck einen großen Zeitsprung vollbracht.

Das Verhältnis zur aktuellen Wirklichkeit blieb schwierig, wie bei den Grünen nicht anders zu erwarten. Das konnte man schon bei der Eröffnung erkennen, in der es um den Monat Februar dieses Jahres ging. „Am 21. hat Putin die Separatistengebiete, die annektierten Separatistengebiete anerkannt, als Reaktion darauf haben wir am Tag danach die Genehmigung von Nord Stream 2 widerrufen und gestoppt. (…) Wenn man schaut, was diese Tage geprägt hat, dann war es damals schon die Entschlossenheit dieser Partei und der Regierung, die diese Partei jetzt mitträgt, Putin in den Arm zu fallen.“

Gut, man ist das mittlerweile gewöhnt, dass es in der deutschen politischen Kommunikation der Herrschenden die acht Jahre Krieg im Donbass nicht gibt, dass die Minsker Vereinbarungen und die aus ihnen eigentlich erwachsenen völkerrechtlichen Verpflichtungen ins Vergessen entschwunden sind und so getan wird, als hätte man rein gar nichts tun können, um eine Eskalation zu verhindern. Aber es sind die kleinen Unterlassungen, die die große Manipulation ergeben. Denn es war nicht „Putin“, der die Anerkennung der Donbassrepubliken beschlossen hat, sondern das russischen Parlament; Anträge in diesem Sinne gab es in den vergangenen acht Jahren immer wieder, und es war ein Antrag der KPRF, also einer Oppositionspartei, der jetzt letztendlich angenommen wurde. Die Unterschrift des Präsidenten unter dieser Entscheidung war nur der rechtliche Abschluss dieses Prozesses.

So zu tun, als gäbe es in Russland keine Parteien, keine politische Debatte, kein Parlament, sondern nur „Putin“, das ist ein Kernstück der Propaganda, und Habeck hält sich daran, buchstabengetreu. Mir fallen bei all diesen Sätzen, wie „Putin in den Arm fallen“, immer die „Fragen eines lesenden Arbeiters“ ein. „Cäsar schlug die Gallier. Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?“

Man müsste aber von Interessen reden, von politischen Auseinandersetzungen, darüber, wer die russische Militäroperation trägt und warum, und schwuppdiwupp wäre man bei den verschwiegenen acht Jahren, oder noch früher bei all den westlichen Bemühungen, aus der Ukraine einen Stachel im russischen Fleisch zu formen. Aber gerade das kann und darf nicht sein. Man darf auch nicht darüber reden, wie der globale Konflikt verläuft; das Aufbrechen des kolonialen Systems, das sich an den überraschendsten Orten zeigt, wie Burkina Faso und Haiti. Nein, in der grünen Partei werden solche Fragen nicht mehr gestellt. Das war zwar einmal anders, aber das ist lange her, und es wird heute engagiert daran gearbeitet, das vergessen zu machen.

Übrigens, in einer Nebenbemerkung erwähnt Habeck, auch noch voller Stolz, dass 40 Prozent der heutigen Delegierten nie zuvor auf einem Grünen-Parteitag waren. In Wirklichkeit ist das keine positive Botschaft. Zum einen sind Parteitage, die wirkliche Entscheidungen treffen, ein kompliziertes Procedere, das man beim ersten Mal mit Sicherheit nicht voll durchschaut. Schon gar nicht, wenn es eine geübte Parteitagsregie gibt, wenn die Kommissionen alle geschickt besetzt sind und wenn alle Anträge so serviert werden, dass Widersprüchliches keine Chance hat. Zum anderen ist ein derart hoher Prozentsatz von Neulingen ein Indiz für einen massiven Personalaustausch; das bedeutet, in den Monaten und Wochen zuvor wurde die Partei stramm auf Linie gebracht und alle, die dabei gestört hätten, bekamen kein Delegiertenmandat mehr. Der Beifall für Habeck bestätigt diesen Verdacht. Diese Partei ist rundumbereinigt.

Der hohe Anteil an Neulingen sorgte auch dafür, dass Habecks Lobrede für die Partei auf wohlgewogenes Gehör stieß. Wem gefällt es nicht, wenn man ihm bestätigt, wie wichtig er ist, wie bedeutend die Entscheidungen. „Nie war ich so stolz auf diese Partei“, sagte Habeck, und die Schlüsselwörter sind „Entschlossenheit“ und das „Über-sich-Hinauswachsen“.

Das klingt nach „hart wie Kruppstahl“, und so ist es auch gemeint. „Wir müssen nicht überlegen, wofür wir gegründet wurden und warum wir in der Regierung sind, wir müssen nicht unser Profil schärfen, wir müssen nicht nachdenken, was unser Standpunkt ist, wir wissen, wo wir stehen.“ Es ist unheimlich, diesen Habeck als Einpeitscher zu sehen, und noch unheimlicher ist es, diejenigen zu sehen, die sich das einpeitschen lassen.

Denn Konkretes findet sich in dieser Rede nicht. Nachdenkliches auch nicht. Die einzige Stelle, an der er beinahe versehentlich konkret wird, ist ein völliger Salat aus Behauptungen, die man nur glauben kann, wenn man der grünen Sekte angehört:

„Das größte Ausbaupaket für erneuerbare Energien, die Elektrolyse erleichtert, eine Verordnung, die den Ausbau von Wind- und Solarenergie auf den alten Braunkohleabbauflächen so erleichtert, dass das die neuen Kraftzentren der Energie werden, die Elektrolyse in den Netzwerkpunkten erleichtert, so dass das Netz entlastet wird und wir nicht mehr Strom abschalten müssen, dass die Netzgeschwindigkeit erhöht, die Energieeffizienz in Neubau und Sanierung klimaneutral ausgerichtet …“

Kraftzentren der Energie auf Braunkohleabbauflächen? Das soll das Defizit im Stromangebot beheben, das nun einmal genau dann besonders hoch ist, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht? Elektrolyse in Netzwerkpunkten, das soll wohl ein Verweis auf die Wasserstofftechnologie sein, von der immer gern geredet wird, die es aber noch gar nicht gibt … Netzgeschwindigkeit erhöht? Das geht beim Internetausbau, aber doch nicht beim Strom … der bewegt sich immer mit der gleichen Geschwindigkeit. Wenn sich etwas verändert, dann die Leistung, aber nicht die Geschwindigkeit … Dieses wirre Gerede ist also die Darstellung der grünen Erfolge? „Es lohnt sich, Regierung zu sein“, bilanziert Habeck.

Entschlossenheit, Einigkeit, Kraft und die Selbsttitulierung als „progressiv“. Die Deindustrialisierungspolitik, die Habeck betreibt, ist alles andere als progressiv, mit regressiv wäre sie passender beschrieben. Aber was schert uns die ökonomische Realität, wenn man doch 160 Geschlechter hat?

Nein, er spricht tatsächlich auch von Wirtschaft. Aber nicht von Produktionsausfällen, von Abwanderung, von den simplen technischen Grundlagen moderner Produktion. Er spricht von „sozialer Not“, von „existentieller Angst“ vor der nächsten Energierechnung, aber dann kommt wieder Wirrnis: „Die Wirtschaft und die Gesellschaft, sie gehören zusammen, und es ist Aufgabe, beides miteinander gerecht zu versöhnen und zusammenzubringen. Und das werden wir tun durch konkretes Handeln, durch konkrete Hilfe im Geld, aber auch bei den Entlastungen, bei der Ausweitung der Energie mit Effizienz und dem Festhalten an Investitionen.“

Ausweitung der Energie mit Effizienz? Nun, es ist ein Grünen-Parteitag, da ist nicht einmal grammatikalischer Sinn gefordert. Besonders hübsch sind seine Bemerkung zum Thema Stagflation: „Diese besondere Zeit, wo Inflation und Rezession sich kombinieren, sie fordert eine besondere Finanzpolitik, dass man nicht durch Investitionen die Inflation weiter antreibt, wohl aber die wirtschaftliche Grundsubstanz dieses Landes erhält und die Zukunft neu schafft. Investieren wir uns raus aus dieser Krise.“ Investieren in was? Holzpflüge und mechanische Webstühle? Wahrscheinlich meint er wieder einmal mehr Windräder, und übersieht auch dabei, dass der Beton, mit dem diese gebaut werden, leider bei der Erzeugung viel Energie braucht, und Zement ist keine Ware, die man üblicherweise auf Schiffen zwischen Kontinenten transportieren will oder muss.

Investitionen, wirkliche Investitionen, würden übrigens die Inflation nur deshalb antreiben können, weil es an einem zentralen Punkt einen Mangel gibt, nämlich bei Energieträgern, und jede zusätzliche wirtschaftliche Handlung diesen Mangel weiter verschärft und damit die Preise weiter in die Höhe treibt. Was ein klein wenig auch mit diesem Spekulationsmarkt zu tun hat (die UNCTAD hat die Hälfte aller Preiserhöhungen auf diesen Faktor zurückgeführt), aber gegen den hat die Bundesregierung nichts. Übrigens: es gäbe immer noch die Möglichkeit, wenigstens den verbliebenen Strang von Nord Stream 2 zu öffnen.

„Wir werden niemals, niemals verwechseln, was Problem und was Lösung ist. Die fossilen Energien und die Atomkraft, sie haben uns diese Energienot beschert.“ Für den Seelenfrieden eines Grünenanhängers ist es natürlich nur hinderlich, den Schatten einer Ahnung davon zu haben, welche Rolle leicht verfügbare Energieträger bei der Entwicklung der modernen Gesellschaft spielten und noch spielen. Hat man sie auch nur ansatzweise, dann ist man sehr vorsichtig dabei, an diesem Punkt einzugreifen, geschweige denn einfach abzuschalten. Es reicht, darauf hinzuweisen, dass die industrielle Revolution (und da sind wir im ausgehenden 18. und dem beginnenden 19. Jahrhundert) ohne günstige und leicht verfügbare fossile Energieträger nicht möglich gewesen wäre. Wem das nicht genügt, der mag sich die Sterbetabellen des 18. Jahrhunderts ansehen. Diese Vergangenheit war nur an sehr wenigen Punkten romantisch, und selbst die Versorgung mit sauberem Trinkwasser braucht Elektrizität. Aber das werden die nächsten Monate vermutlich ausführlich demonstrieren.

Nach dem reichlichen Selbstlob und scheinökonomischem Kauderwelsch, für das ein Wirtschaftsminister eigentlich geteert und gefedert werden müsste (ein paar Begriffe und Hintergründe hätte sich selbst ein Habeck in den letzten Monaten aneignen können, und sei es nur zum Schein) kommt der entscheidende Teil seiner Rede. Und da muss man noch einmal die Schlüsselbegriffe zuvor in Erinnerung rufen: Einheit, Entschlossenheit, Kraft.

„Und die Ursache all dessen ist nicht eine Bundesregierung oder eine Partei in der Bundesregierung, es ist der wahnsinnige, barbarische Angriffskrieg von Putin auf die Menschen.“

Das ist beste Kleinkindsprache, wie von Baerbock. Alle Entscheidungen, die in Deutschland getroffen wurden, wie jene zu Nord Stream 2, verschwinden im Nebel. Sie sind keine Entscheidungen, die Konsequenzen hatten, schon gar keine unbeabsichtigten, nein, es ist der „wahnsinnige, barbarische Angriffskrieg“.

In den Anfangsjahren der Grünen war es durchaus bekannt, dass Kriege die Folge kollidierender Interessen sind; das ist es auch, was Verhandlungen möglich macht, die Kriege beenden können. Leider bedeutet das im Umkehrschluss auch, dass Kriegsparteien, die so tun, als gäbe es keine Interessen, die sich eine derart einfache Zuschreibung von Gut und Böse zu Eigen machen, unfähig sind, über Frieden zu verhandeln. Aber Habeck geht noch einen Schritt weiter.

„Und was immer uns drückt, und was immer uns beutelt, und welche Not wir auszuhalten haben, Putin darf nicht gewinnen. Nicht auf dem Schlachtfeld und nicht bei dem Wirtschaftskrieg gegen Europa und gegen Deutschland.“

Dass „Putin“, also Russland, dabei ist, zu gewinnen, ist das eine. Kriege sind nüchterne Prozesse, bei denen technologische und soziale Potentiale aufeinanderprallen, das gilt nebenbei gesagt auch für Wirtschaftskriege, auch für den, den Habeck (nicht Putin) mit vom Zaun gebrochen hat. Und wenn er die ganze Zeit darauf herumreitet, es ginge in der Ukraine um „Menschen“ – um Menschen geht es übrigens in Deutschland auch.

Das ist aber nicht nur eine Durchhalteparole von Habeck. Das klingt nach dem „totalen“ Krieg.

„Dieser Winter wird hart werden, für ganz Deutschland, aber auch für uns, für euch, die Mitglieder dieser Partei. Wir werden Anfeindungen erleben, und viele haben es erlebt, auf der Straße und in den sozialen Medien. Weil wir für all das stehen, was Putin und seine deutschen Trolle hassen. (…) Aber wir werden durch diesen Hass nicht schwächer werden, wir werden stärker werden, wir werden an ihr (sic!) wachsen. Als Partei. Als Deutschland. Als Europa. Zu dem die Ukraine gehört.“

Was uns nicht umbringt, macht uns nur noch stärker? Es gab stehenden Beifall für diese Rede. Die Rede eines Mannes, der einmal als einer der Totengräber Deutschlands in die Geschichtsbücher eingehen wird?

Und wer meint, die Erinnerung an die Rede von Goebbels im Sportpalast 1943 sei nur meine Fantasie, man kann sie nachlesen. Die Grundmotive sind nicht ganz unähnlich, auch wenn die Sprache eine andere war. Habeck reicht schon das Stichwort „Putin“, um die Emotionen seiner Zuhörer in die „richtige“ Richtung zu lenken, da haben die deutschen Mainstreammedien offenbar ganze Arbeit geleistet.

Wenn er so weitermacht, kann man hoffen, dass demnächst in Karlshorst wieder die Unterschriften unter eine Urkunde der bedingungslosen Kapitulation gesetzt werden und dieser Spuk vorbei ist. Ich fürchte aber, da bin ich zu optimistisch.

Dagmar Henn ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes


Bild: Robert Habeck auf einer Landesdelegiertenkonferenz der Grünen NRW in Dortmund, August 2021
Foto: Bündnis 90/Die Grünen Nordrhein-Westfalen, CC BY-SA 2.0
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=115224970