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Wer hat das Minsker Abkommen beerdigt?

Im Spiegel ist ein Artikel erschienen, der für sich in Anspruch nimmt, das Minsker Abkommen zu erklären. Was der Spiegel seinen Lesern in dem Artikel alles verheimlicht, ist wirklich bemerkenswert.

von Anti-Spiegel (d.i. Thomas Röper)

Erstveröffentlichung am 15.02.2022 unter dem Titel „Der Spiegel „erklärt“ das Minsker Abkommen: Was Spiegel-Leser dabei alles nicht erfahren“ auf anti-spiegel.ru

Als im Spiegel ein Artikel erschienen ist, der das Minsker Abkommen erklären soll, da wusste ich, dass ich viel Arbeit haben würde, zumal der Artikel von Christina Hebel, der Lügenbaronin des Moskauer Spiegel-Büros, geschrieben wurde. Frau Hebel ist Lesern des Anti-Spiegel wohlbekannt, weil sie ein ganz eigenes Verhältnis zur Wahrheit hat. Der bisher dreisteste Fall war, als sie in einem Artikel so plump gelogen hat, dass der Spiegel den Artikel einige Stunden, nachdem ich die Lügen aufgedeckt hatte, still und heimlich (und natürlich ohne seine Leser darüber zu informieren) umschreiben musste, die Details finden Sie hier. Wenn Sie den Namen von Christina Hebel in die Suchfunktion des Anti-Spiegel eingeben, finden Sie viele Artikel, in denen ich im Detail aufgezeigt habe, wie diese Dame Informationen weglässt, verdreht oder sogar frei erfindet, nur um anti-russische Propaganda zu verbreiten.

Am 10. Februar ist im Spiegel der Artikel mit der Überschrift „Bedrohung der Ukraine – Was das Minsker Abkommen ist – und welche Chancen es bietet“ von Christina Hebel erschienen, den wir uns nun genau anschauen werden, denn der Artikel ist ein Meisterstück der Desinformation. Er ist lang, wirkt sehr sachlich und enthält viele detaillierte Informationen. Der Spiegel-Leser fühlt sich danach umfassend informiert, weil er nicht wissen kann, was Frau Hebel alles weglässt oder verdreht.

Da der Artikel von Frau Hebel schon lang ist, wird mein Artikel, in dem ich erklären und belegen muss, bei welchen Themen sie mit welchen Mitteln Desinformation betreibt, noch länger. Allerdings kann ich versprechen, dass sich die Lektüre für alle lohnen wird, die sich für die Themen Minsker Abkommen und Stilmittel der Propaganda interessieren.

Zwei Minsker Abkommen

Frau Hebel erweckt in ihrem Artikel den Eindruck, umfassend zu informieren und daher beginnt sie damit, dass vor dem aktuellen Minsker Abkommen, das auch Minsk II genannt wird, bereits ein erstes Minsker Abkommen gab. Diese Information ist jedoch unwichtig, denn das Abkommen gilt nicht mehr und war auch nie umsetzbar. Das lag einfach daran, dass das erste Abkommen so schwammig formuliert war, dass selbst bei gutem Willem der Beteiligten nicht klar war, wer was wann umsetzen sollte. Ich habe in meinem Buch über die Ukraine-Krise 2014 darüber ausführlich geschrieben.

Danach wurde im Februar 2015 das zweite Minsker Abkommen beschlossen. Und ab hier beginnt die geschickte Desinformation von Frau Hebel. Sie schreibt über Minsk II:

Die Vereinbarung besteht aus 13 Punkten, die wichtigsten:

  • sofortiger Waffenstillstand
  • Abzug schwerer Waffen durch beide Seiten, um Sicherheitszonen zu schaffen
  • Dialog über Lokalwahlen in den von prorussischen Kämpfern kontrollierten Gebieten
  • Begnadigung und Amnestie für prorussische Kämpfer
  • Wiederherstellen der Kontrolle der ukrainischen Regierung über die Grenze zu Russland bis Ende 2015
  • Abzug aller ausländischen Truppen und Söldner aus der Ostukraine
  • Verfassungsreform der Ukraine bis Ende 2015, die jenen Regionen im Donbass, die nicht mehr unter Kontrolle der Regierung stehen, eine gewisse Autonomie einräumen
  • Wahlen in den von prorussischen Kämpfern kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk
Was tatsächlich in Minsk II vereinbart wurde

Frau Hebel schreibt selbst, dass das die – in ihren Augen – wichtigsten Punkte sind. Sie berichtet ihren Lesern also unvollständig und macht auch keinen Hehl daraus. Was aber noch wichtiger ist: Entscheidend in dem Abkommen sind nicht die Punkte, sondern die Reihenfolge ihrer Umsetzung, denn die Punkte bauen so aufeinander auf, dass das Abkommen umsetzbar ist. Das verschweigt Frau Hebel, also schauen wir uns das zunächst einmal an. Den kompletten Text des Minsker Abkommens hat der Spiegel übrigens nie veröffentlicht, bei Interesse finden Sie das komplette Abkommen hier.

Im Minsker Abkommen ist folgende Reihenfolge festgelegt:

  1. Die Ukraine setzt bis Mitte März 2015 ein Gesetz in Kraft, das den Gebieten im Osten Selbstverwaltung garantiert.
  2. Kiew verhandelt mit den Gebieten im Osten die Richtlinien für Kommunalwahlen, die unter Aufsicht der OSZE Ende 2015 stattfinden sollen.
  3. Kiew setzt bis zu den Kommunalwahlen eine Verfassungsreform um, die den Gebieten im Osten ihre Rechte und einen Sonderstatus garantiert.
  4. Am Tag, nachdem die Wahlen von der OSZE als gültig befunden sind, bekommt Kiew die volle Kontrolle über den Osten des Landes und auch die Grenzen zu Russland von den Rebellen übertragen

Außerdem sollte Kiew, damit die Rebellen die Waffen ohne Furcht vor Vergeltung niederlegen können, eine Generalamnestie für die Soldaten auf beiden Seiten erklären, und es sollte ein Gefangenenaustausch „alle gegen alle“ stattfinden. All das sollte auch vor den Wahlen geschehen.

Was Frau Hebel komplett verschweigt, sind die sozialen Probleme. Kiew hat im Sommer 2014 alle Auszahlungen von Sozialleistungen (Renten, etc.) an die Menschen im Donbass gestoppt, im Januar 2015 ein faktische Hungerblockade über den Donbass verhängt und den Donbass vom Zahlungsverkehr abgeklemmt. Im Minsker Abkommen hat Kiew sich verpflichtet, die Zahlungen wieder aufzunehmen, den Bankenverkehr wieder zuzulassen, die Hungerblockade aufzuheben und humanitäre Hilfe ungehindert in den Donbass zu lassen.

Wären all diese Punkte 2015 umgesetzt worden, wäre der Bürgerkrieg Ende 2015 vorbei gewesen. Aber Kiew hat nicht einen einzigen der Punkte umgesetzt und weigert sich strikt, direkt mit den Rebellen zu verhandeln, was aber die Grundlage für die Umsetzung all der Punkte ist.

Davon jedoch erfahren die Leser von Frau Hebel kein Wort, sie beschränkt sich auf die Auflistung einiger der Punkte, ohne die Wichtigkeit der Reihenfolge ihrer Umsetzung zu erklären, und sie verschweigt ihren Lesern die von Kiew verhängte Hungerblockade. Daher kann kein Spiegel-Leser verstehen, worum es in dem Abkommen tatsächlich geht.

Desinformation über die Ereignisse nach der Unterzeichnung von Minsk II

Zu dem Zeitpunkt, als Minsk II unterzeichnet wurde, tobte im Donbass eine Kesselschlacht um die Stadt Debalzewe, in der ukrainische Einheiten eingeschlossen waren. Laut Minsker Abkommen sollten alle schweren Waffen kilometerweit hinter die Frontlinie abgezogen werden, was in dem Kessel gar nicht möglich war, denn er war zu klein. Diese Forderung bedeutete daher im Klartext die Räumung des Kessels, was Kiew aber ablehnte. Also wurde die Kesselschlacht im Februar 2015 ausgefochten und viele Soldaten sind vollkommen sinnlos gestorben, weil Kiew nicht bereit war, ihnen den von den Rebellen genehmigten Abzug zu gestatten.

Auch davon erfahren Leser von Frau Hebel nichts, bei ihr klingt das so:

„Bereits wenige Tage nach Unterzeichnung von Minsk II rückten prorussische Separatisten unterstützt von russischen Soldaten in die Stadt Debalzewe im Osten der Ukraine vor und eroberten den wichtigen Verkehrsknotenpunkt. Kurze Zeit später war klar, dass vereinbarte Punkte des Minsker Abkommens wie Wahlen, der Sonderstatus des Donbass und die Übergabe der Kontrolle der Grenze im Osten an die Ukraine nicht wie vereinbart 2015 umgesetzt werden würden.“

Erstens waren da keine „russischen Soldaten“ und zweitens verschweigt Frau Hebel, dass Debalzewe eingekesselt war und hätte geräumt werden müssen, wenn man den Abzug schwerer Waffen hätte umsetzen wollen. Zweitens desinformiert sie ihre Leser, indem sie von Debalzewe eine Linie dazu zieht, dass der Rest des Abkommens daher nicht umsetzbar gewesen sein soll, denn diesen Zusammenhang gibt es gar nicht.

Mehr noch: Liebe Frau Hebel, seit der Unterzeichnung von Minsk II haben Sie jahrelang geschrieben, Russland verstoße gegen das Abkommen und daher könnten die Sanktionen nicht aufgehoben werden. Sie haben Ihren Lesern aber nie erzählt, dass Kiew all die anderen Forderungen, die sie nun nennen, nicht umsetzen wollte. Woher der plötzliche Sinneswandel und warum haben Sie Ihren Lesern das so lange verschwiegen?

Die Opfer der Krieges

Frau Hebel kommt dann auf die Opfer des Krieges zu sprechen:

„Mehr als 14.000 Menschen sind nach Angaben der Uno seit Beginn der Kämpfe 2014 getötet worden, darunter Zivilisten. Zahlreiche weitere Menschen wurden durch Artilleriebeschuss und Minen verletzt. Nach Angaben der OSZE, die mit 515 Beobachtern in der Ostukraine unterwegs ist, wird der vereinbarte Waffenstillstand wieder und wieder gebrochen.“

Das stimmt, aber Frau Hebel verschweigt wieder das Entscheidende: Laut eben diesen OSZE-Beobachtern gehen 75 Prozent aller zivilen Opfer des Krieges auf das Konto der ukrainischen Armee. Das jedoch passt nicht in das von Frau Hebel gewollte Bild, das die Rebellen als die Bösen und Kiew als die Guten darstellen soll. Also lässt sie diese Information einfach weg, ihre Leser müssen ja nicht alles wissen.

Noch mehr Lügen von Frau Hebel

In dem Artikel von Frau Hebel geht es danach um die Frage, warum das Abkommen so schwer umsetzbar sein soll. Dabei nimmt sie die neue Linie Kiews auf und verbreitet sie:

„Das Abkommen ist nach Meinung seiner Kritiker nicht zu Ende gedacht und zu unklar formuliert. Das ist auch aus der Lage im Februar 2015 zu erklären, als die Vermittler versuchten, die heftigen Kämpfe schnell zu stoppen.“

Dass das Abkommen nicht zu Ende gedacht ist, müsste Frau Hebel mal begründen, denn das stimmt schlicht nicht. Das Abkommen ist sehr detailliert und listet die nötigen Schritte auf, die umgesetzt werden müssen, damit Kiew die Kontrolle über den Donbass bis Ende 2015 zurückbekommt. Auch sind die Schritte alle logisch, denn Frieden und Versöhnung kann es nur im Dialog und mit einer Generalamnestie geben, nicht jedoch mit Diktaten und Gewaltandrohungen.

Davon jedoch lenkt Kiew ab, indem es neuerdings verkündet, das Abkommen sei ein Kind seiner Zeit und es sie Kiew aufgezwungen worden, weil Kiew damals schwach gewesen sei. Frau Hebel übernimmt diese neue Linie Kiews, erklärt ihren Lesern aber nicht, was genau denn an dem Abkommen „nicht zu Ende gedacht“ sein soll.

Und dann lügt sie dreist über das Abkommen:

„Unklar bleibt auch, wer welchen der Punkte der Vereinbarung in welcher Reihenfolge erfüllen soll, denn auch das wurde nicht festgelegt. Kiew und Moskau interpretieren den Zeitplan unterschiedlich und streiten vor allem über die Frage, was zuerst kommen soll: die Wahlen in den umkämpften Gebieten oder der Sonderstatus.“

Daran gibt es nichts zu interpretieren, denn alles ist klar und eindeutig in dem Abkommen formuliert, wie jeder Anti-Spiegel nachlesen kann, weil ich es in Artikeln zu dem Thema immer verlinke. Der Spiegel-Leser weiß das jedoch nicht, denn der Spiegel verschweigt seinen Lesern den genauen Inhalt des Abkommens seit 2015 und er hat seinen Lesern den Text nie gezeigt. Darum können Spiegel-Schreiberlinge auch so dreist über den Inhalt des Abkommens lügen, denn Spiegel-Leser kennen es gar nicht.

Und noch mehr Desinformation

Wir erinnern uns daran, dass westliche Medien und Politiker Russland seit der Unterzeichnung des Abkommens vorwerfen, das Abkommen nicht umzusetzen und daher könnten die Russland-Sanktionen auch nicht aufgehoben werden. Ich habe – mit Verweis auf das Abkommen – immer darauf hingewiesen, dass das Unsinn ist, denn Russland wird in dem Abkommen nicht erwähnt und ist auch nicht als Konfliktpartei aufgeführt. Wie aber soll jemand ein Abkommen umsetzen, in dem er nicht erwähnt ist und in dem keine Forderungen an einen gestellt werden?

Frau Hebel bestätigt das nun, baut es aber sehr geschickt in ihr Lügengebäude ein:

„Zudem ist die Rolle Russlands problematisch: Kremlchef Wladimir Putin sieht sich nur als Vermittler, das Wort »Russland« taucht im Text von Minsk I und Minsk II nicht auf.“

In diesem Zusammenhang vermeidet Frau Hebel nun das, was sie früher immer getan hat: Sie weist nicht mehr darauf hin, dass Russland das Abkommen nicht umsetzt, denn wenn Russland – wie der Spiegel-Leser nun überraschend erfährt – in dem Abkommen gar nicht erwähnt wird, wie soll es dann irgendwas umsetzen? Die Frage könnte sich ein aufmerksamer Spiegel-Leser nun stellen, aber das vermeidet Frau Hebel, indem das nicht mehr thematisiert.

Russlands Rolle in dem Abkommen ist die gleiche Rolle, wie die von Frankreich und Deutschland: Diese Staaten sind Garantiemächte des Abkommens und Russlands Rolle ist es, dafür zu sorgen, dass die Rebellen das Abkommen umsetzen, was sie auch tun. Die Rolle Deutschlands und Frankreichs ist es, dafür zu sorgen, dass Kiew das Abkommen umsetzt, das allerdings tut Kiew seit der Unterzeichnung im Februar 2015 nicht.

Die Mär von russischen Soldaten

Kiew und der Westen behaupten seit 2014, im Donbass würden russische Soldaten kämpfen. Das ist nicht wahr, denn die OSZE-Beobachter veröffentlichen jeden Tag ihre Berichte und eines haben sie in den fast acht Jahren des Konfliktes noch nie gesehen oder gemeldet: Russische Soldaten.

Davon lenkt Frau Hebel geschickt ab, indem schreibt:

„Putin tut bis heute so, als sei er an dem Krieg im Donbass nicht beteiligt, als hätten dort nur russische Freiwillige gekämpft, aber nie reguläre Soldaten mit Panzern die Grenze in die Ukraine überquert. Dabei haben unabhängige Medien immer wieder darüber berichtet, dass dort auch russische Soldaten im Einsatz waren, was westliche Sicherheitsbehörden bestätigen.“

Super, oder? Anstatt sich auf die OSZE und ihre über 500 Beobachter zu berufen, spricht Frau Hebel von „unabhängigen Medien„, die irgendwas berichten. Liebe Frau Hebel: Nennen Sie doch mal so einen Medienbericht, der von jemandem geschrieben wurde, der auch tatsächlich im Gebiet der Rebellen unterwegs war und solche Soldaten gesehen hat. Stattdessen berichten die „unabhängigen Medien„, auf die Frau Hebel sich beruft, aus dem von Kiew kontrollierten Teil der Ukraine und plappern nach, was Kiew ihnen erzählt.

Und die Bestätigung durch „westliche Sicherheitsbehörden“ ist wertlos, denn der Westen ist parteiisch, und was wir von der Glaubwürdigkeit „westlichen Sicherheitsbehörden“ zu halten haben, wissen wir spätestens, seit die CIA die Massenvernichtungswaffen im Irak gemeldet hat. Man sollte sich bei seinen Quellen besser nicht auf die „Sicherheitsbehörden“ einer Konfliktpartei (oder von Sympathisanten einer Konfliktpartei) verlassen, sondern neutrale Quellen suchen.

Die haben wir ja: Die OSZE-Beobachter, aber weil die nie einen russischen Soldaten im Donbass gesehen haben, zitiert Frau Hebel die lieber nicht.

Kiew verweigert die Umsetzung des Abkommens

Dann findet sich in dem Artikel endlich ein entscheidender Satz, dessen Gewicht der Spiegel-Leser aber nicht erkennen kann:

„Die Führung in Kiew weigert sich, direkt mit den prorussischen Separatisten zu sprechen, die sie nicht anerkennt.“

Stimmt, und damit ist alles gesagt: Kiew hat das Abkommen im Februar 2015 unterschrieben und wenige Tage später bereits mitgeteilt, dass es direkte Gespräche mit den Rebellen verweigert. Da direkte Gespräche aber der Schlüssel zur Umsetzung des Abkommens sind (was der Spiegel-Leser nicht weiß), bedeutet das, dass Kiew die Umsetzung des Abkommens seit 2015 verweigert.

Das hat Frau Hebel aber nie geschrieben, sie hat all die Jahre behauptet, Russland setze das Abkommen nicht um.

Einer geht noch: Noch mehr Desinformation

Frau Hebel schreibt dann:

„In Kiew zweifelt man an der Minsker Vereinbarung, da sie nicht mehr die Realität widerspiegle, wie es heißt. Tatsächlich treibt der Kreml die Integration der Gebiete Donezk und Luhansk immer weiter voran. Moskau hat inzwischen mehr als 600.000 Bewohnerinnen und Bewohnern der von moskautreuen Kämpfern kontrollierten Regionen Donezk und Luhansk russische Pässe ausstellen lassen. Hinzukommt neben der militärischen auch die finanzielle Hilfe des Kreml für die Gebiete. Allein für die Gehälter der Mitarbeiter der Separatisten-Behörden in der Region soll Moskau über eine Milliarde Dollar im Jahr bezahlen.“

Erinnern Sie sich an den Anfang dieses Artikels? Das Problem ist, dass Kiew die Gebiete aushungern möchte. Moskau überweist Gelder an den Donbass, damit zum Beispiel Rentner wieder eine Rente bekommen. Dass Moskau Gehälter der Donbass-Behörden bezahlt, ist durch nichts belegt, Frau Hebel stellt es aber als Tatsache dar.

Ein weiteres Problem ist, dass Kiew sich geweigert hat, den Menschen im Donbass Dokumente auszustellen. Was aber tun, wenn Ausweispapiere ablaufen und man keine neuen mehr bekommen kann? Die von den selbst ernannten Rebellen-Republiken ausgestellten Ausweise erkennt praktisch niemand – und Kiew erst recht nicht – an. Diese Situation brachte die russische Regierung unter Druck und so hat die sich schließlich nach langem Zögern dazu entschieden, den Menschen im Donbass anzubieten, ihnen russische Pässe auszustellen, was sie automatisch zu russischen Staatsbürgern macht. Ich habe damals ausführlich über das Problem berichtet, mehr Details finden Sie hier.

Die Diskriminierung der ethnisch nicht-ukrainischen Staatsbürger der Ukraine betrifft – auch wenn die westlichen Medien und Politiker das kaum erwähnen – nicht nur die Einwohner des Donbass. Auch Rumänien, Polen und Ungarn kritisieren Kiew laufend wegen dessen Umgang mit ihren Minderheiten im Westen der Ukraine. In der Ukraine gelten heute ein Sprach- und sogar ein waschechtes Rassengesetz, in denen die Ukrainer nach ethnischen (um nicht „rassischen“ zu sagen) Kriterien in drei Kategorien mit unterschiedlichen Rechten eingeteilt werden.

Auch davon erfährt der Spiegel-Leser nichts, Frau Hebel stellt die humanitäre Hilfe, die Russland dem Donbass leistet, und die Ausgabe von Pässen, stattdessen als „Integration“ der Gebiete in das russische Staatsgebiet dar, was nun wirklich grober Unfug ist. Aber Frau Hebel kann diesen Unfug problemlos verbreiten, denn ihre Leser kennen all die Hintergrundinformationen ja nicht.

Die 180-Grad-Wende des Spiegel

Ich muss nochmal daran erinnern: Seit 2015 erzählen uns westliche Medien, dass das Minsker Abkommen super ist und dass das böse Russland es nicht umsetzt. Wie gesehen, war das all die Jahre gelogen. Kiew hat das Abkommen all die Jahre nicht umgesetzt, aber sich zumindest verbal irgendwie zu dem Abkommen bekannt.

Das ist nun anders und in Kiew wird inzwischen offen gesagt, dass man nicht vorhat, das Abkommen umzusetzen. Also müssen die westlichen Medien darauf irgendwie reagieren. Und das tun sie, indem sie das Abkommen nun plötzlich als eine Art russisches Diktat darstellen, das nicht umsetzbar ist.

Das ist eine 180-Grad-Wender der Medien, denn nun ist das Abkommen plötzlich böse und es ist Russland, das die Umsetzung des Abkommens fordert. Und das Minsker Abkommen umzusetzen, ist nun plötzlich schlecht. Bei Frau Hebel klingt das so:

„Putin geht es inzwischen um viel mehr: Er will nicht nur Minsk II durchsetzen, sondern verlangt von den USA und der Nato auch weitreichende Sicherheitsgarantien für sein Land. Diese sollen ihm unter anderem schriftlich zusichern, dass die Ukraine künftig nicht als Nato-Mitglied aufgenommen wird. Damit hätte Russland ein De-facto-Vetorecht, dem Kiew in dieser Form nie zustimmen wird.“

Sie wirft einfach mehrere Themen, die nichts miteinander zu tun haben, in einen Topf und verwirrt ihre Leser auf diese Weise. Die Umsetzung des Minsker Abkommens und die gegenseitigen Sicherheitsgarantien, die Russland von den USA und der NATO fordert, haben nichts miteinander zu tun. Aber indem Frau Hebel diese Dinge miteinander verbindet, verschleiert sie, dass sie gerade eine 180-Grad-Wende vollzogen hat und ihren Lesern zum Minsker Abkommen plötzlich das exakte Gegenteil dessen erzählt, was sie ihnen in den letzten acht Jahren erzählt hat.

Da stellt sich mir eine Frage: Für wie blöd hält Frau Hebel ihre Leser eigentlich?

Und weil tatsächlich wohl die meisten Spiegel-Leser gar nicht merken, dass ihnen gerade das Gegenteil von dem erzählt wird, was bisher die politische Linie war, stellt sich mir noch eine Frage: Hat sie vielleicht recht, wenn sie ihre Leser für so blöd hält?

Thomas Röper, geboren 1971, lebt seit über 15 Jahren in Russland. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

Wir danken dem Betreiber der Website anti-spiegel.ru – Thomas Röper – für die Genehmigung zur Veröffentlichung des Textes auf unserer Webseite.

Link zur Erstveröffentlichung: https://www.anti-spiegel.ru/2022/der-spiegel-erklaert-das-minsker-abkommen-was-spiegel-leser-dabei-alles-nicht-erfahren/


Bild oben: pixabay.com / Hermann / Pixabay License