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Die Abschlusserklärung des NATO-Gipfels hat nur ein Thema

Die Abschlusserklärung des NATO-Gipfels hat de facto nur ein Thema, das von US-Präsident Trump geforderte 5-Prozentziel. Die NATO zeigt damit, dass sie zu einem Lobbyinstrument der US-Rüstungsindustrie geworden ist.

von Anti-Spiegel (d.i. Thomas Röper)

Erstveröffentlichung am 25.06.2025 auf anti-spiegel.ru

Die Abschlusserklärung des NATO-Gipfels in Den Haag ist die kürzeste seit mindestens 30 Jahren. Der Umfang des Kommuniqués betrug nur 10 Prozent des Vorjahres. Es sind 427 gegenüber den 5.000 Wörtern der Erklärung nach dem Treffen in Washington 2024, hat die russische Nachrichtenagentur TASS nachgezählt. Die vom Bündnis veröffentlichte Erklärung enthält nur fünf Punkte, während es im vergangenen Jahr 38 Abschnitte mit zahlreichen Unterpunkten waren. 2023 in Vilnius waren es sogar 90 Punkte. In dem heutigen Text wird die Ukraine zweimal und Russland einmal erwähnt, während China überhaupt nicht erwähnt wird.

Im Grunde hat die Erklärung nur ein Thema, nämlich das von US-Präsident Trump geforderte Ziel, dass jedes NATO-Land bald 5 Prozent des BIP für Verteidigung ausgeben soll. Dabei sind 3,5 Prozent für Rüstung und 1,5 Prozent für angeblich kriegswichtige Infrastruktur vorgesehen, wobei auch deutsche Medien wie der Spiegel bereits schreiben, dass es um diese Gelder Streit geben wird, weil viele EU-Länder unter diesem Vorwand überfällige Investitionen in die Infrastruktur tätigen wollen, die sie dazu irgendwie als kriegswichtig zu deklarieren versuchen. Europäische Regierungen sehen darin offensichtlich einen Weg, die jahrelange Misswirtschaft im Infrastrukturbereich zu kaschieren.

Auch Waffenlieferungen an Kiew sollen auf 3,5 Prozent angerechnet werden, womit die Europäer offenbar verzweifelt versuchen wollen, die rückläufigen Ukraine-Hilfen aufzustocken.

Alles wegen Russland

All das wird, wie üblich, mit der angeblichen „russischen Bedrohung“ gerechtfertigt. Dass daran bei der NATO selbst niemand glaubt, habe ich bereits vor drei Tagen in einem Artikel aufgezeigt. Dass viele Regierungen die 1,5 Prozent für „kriegswichtige“ Infrastruktur offensichtlich nutzen wollen, um den Investitionsstau in dem Bereich zu reduzieren und die „Kriegswichtigkeit“ vieler Projekte regelrecht konstruieren müssen, zeigt ein weiteres Mal, dass man in NATO und EU in Wahrheit keinen russischen Angriff befürchtet, sondern nur einen Vorwand sucht, um den Steuerzahlern die Milliarden aus der Tasche zu ziehen.

Dass das so ist, zeigte auch eine Pressekonferenz von NATO-Generalsekretär Mark Rutte vor dem Treffen. Auf die Frage, worauf sich seine Einschätzung eines möglichen russischen Angriffs innerhalb der nächsten fünf Jahre stütze, konnte er nicht klar antworten. Ich übersetze hier die Frage und Ruttes Antwort aus dem offiziellen Protokoll der NATO:

Lauri Nurmi, Iltalehti: Lauri Nurmi, Sicherheitspolitischer Korrespondent von Iltalehti, Finnland. Sehr geehrter Herr Generalsekretär, vor zwei Wochen sagten Sie in London, Russland könnte innerhalb von fünf Jahren bereit sein, militärische Gewalt gegen die NATO anzuwenden, und wiederholten dies: in fünf Jahren. Könnten Sie uns bitte erklären, worauf diese Einschätzung basiert? Und kann Russland Finnland, Estland, Litauen, Lettland oder einen anderen NATO-Staat an der Ostflanke der NATO angreifen? Vielen Dank.

NATO-Generalsekretär Mark Rutte: Innerhalb der NATO besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass unsere Reaktion verheerend sein wird, wenn Russland uns heute angreifen würde, und die Russen wissen das.
In weiten Kreisen der NATO herrscht jedoch große Besorgnis. Wir haben vor einigen Wochen den Generalinspekteur in Deutschland und viele andere hochrangige Militärs sowie hochrangige Geheimdienstler darüber sprechen hören, dass Russland uns in drei, fünf oder sieben Jahren erfolgreich angreifen könnte, wenn wir nicht heute mehr investieren.
Die Frage könnte sein: Warum setzen Sie dann diesen Zeitrahmen bis 2035? Nun, natürlich beginnen wir heute. Das bedeutet jährliche Erhöhungen. In den nächsten drei bis fünf Jahren wird es enorme zusätzliche Verteidigungsausgaben geben. Wir müssen auch sicherstellen, dass diese Verteidigungsausgaben durch die Einstellung weiterer Soldaten gedeckt werden können und dass die benötigte militärische Ausrüstung ohne Preiserhöhungen gekauft werden kann. Das bedeutet aber auch, dass wir in drei, fünf, sieben Jahren schrittweise eine NATO aufbauen werden, die nicht nur heute, sondern auch in drei, fünf, sieben und zehn Jahren so stark sein wird, dass niemand – nicht die Russen, aber bitte beobachten Sie, was China mit seinem rasanten Militäraufbau tut. Die Marine verfügt bereits über die gleiche Anzahl an Schiffen wie die der USA, und bis 2030 wird sie auf 450 Schiffe anwachsen. Tausend Atomsprengköpfe bis 2030, und wir müssen sicherstellen, dass wir uns gegen sie verteidigen können.“

Die Abschlusserklärung

Nun übersetze ich auch die von der NATO veröffentlichte Abschlusserklärung des NATO-Gipfels:

  1. Wir, die Staats- und Regierungschefs des Nordatlantischen Bündnisses, sind in Den Haag zusammengekommen, um unser Bekenntnis zur NATO, dem stärksten Bündnis der Geschichte, und zum transatlantischen Bund zu bekräftigen. Wir bekräftigen unser eisernes Bekenntnis zur kollektiven Verteidigung, wie es in Artikel 5 des Washingtoner Vertrags verankert ist – dass ein Angriff auf einen ein Angriff auf alle ist. Wir bleiben vereint und fest entschlossen, unsere eine Milliarde Bürgerinnen und Bürger zu schützen, das Bündnis zu verteidigen und unsere Freiheit und Demokratie zu wahren.
  2. Vereint angesichts tiefgreifender Sicherheitsbedrohungen und -herausforderungen, insbesondere der langfristigen Bedrohung der euro-atlantischen Sicherheit durch Russland und der anhaltenden Bedrohung durch den Terrorismus, verpflichten sich die Bündnispartner, bis 2035 jährlich 5 % ihres BIP in zentrale Verteidigungsbedürfnisse sowie verteidigungs- und sicherheitsbezogene Ausgaben zu investieren, um unseren individuellen und kollektiven Verpflichtungen gemäß Artikel 3 des Washingtoner Vertrags nachzukommen. Unsere Investitionen stellen sicher, dass wir über die Streitkräfte, Fähigkeiten, Ressourcen, Infrastruktur, Kampfbereitschaft und Resilienz verfügen, die wir zur Abschreckung und Verteidigung im Einklang mit unseren drei Kernaufgaben Abschreckung und Verteidigung, Krisenprävention und -bewältigung sowie kooperative Sicherheit benötigen.
  3. Die Bündnispartner sind sich einig, dass diese 5%-Zusage zwei wesentliche Kategorien von Verteidigungsinvestitionen umfassen wird. Die Bündnispartner werden jährlich mindestens 3,5% des BIP auf Grundlage der vereinbarten Definition der NATO-Verteidigungsausgaben bis 2035 für die Deckung des Kernverteidigungsbedarfs und die Erfüllung der NATO-Fähigkeitsziele bereitstellen. Die Bündnispartner verpflichten sich, jährliche Pläne vorzulegen, die einen glaubwürdigen, schrittweisen Weg zur Erreichung dieses Ziels aufzeigen. Darüber hinaus werden die Bündnispartner jährlich bis zu 1,5% des BIP bereitstellen, um unter anderem unsere kritische Infrastruktur zu schützen, unsere Netzwerke zu verteidigen, unsere zivile Bereitschaft und Resilienz sicherzustellen, Innovationen voranzutreiben und unsere verteidigungsindustrielle Basis zu stärken. Die Ausgabenentwicklung und -bilanz im Rahmen dieses Plans werden 2029 im Lichte des strategischen Umfelds und der aktualisierten Fähigkeitsziele überprüft. Die Verbündeten bekräftigen ihre dauerhafte souveräne Verpflichtung, die Ukraine zu unterstützen, deren Sicherheit zu unserer beiträgt. Zu diesem Zweck werden sie direkte Beiträge zur Verteidigung und Rüstungsindustrie der Ukraine bei der Berechnung ihrer Verteidigungsausgaben berücksichtigen.
  4. Wir bekräftigen unsere gemeinsame Verpflichtung, die transatlantische verteidigungsindustrielle Zusammenarbeit rasch auszubauen und neue Technologien und Innovationsgeist zur Förderung unserer gemeinsamen Sicherheit zu nutzen. Wir werden uns für den Abbau von Handelshemmnissen im Verteidigungsbereich zwischen den Verbündeten einsetzen und unsere Partnerschaften nutzen, um die Zusammenarbeit der Verteidigungsindustrien zu fördern.
  5. Wir bedanken uns für die großzügige Gastfreundschaft, die uns das Königreich der Niederlande entgegengebracht hat. Wir freuen uns auf unser nächstes Treffen in der Türkei im Jahr 2026, gefolgt von einem Treffen in Albanien.

Da die „Investitionen“ in Rüstung de facto fast ausschließlich Waffenkäufe bei US-Rüstungsunternehmen bedeuten, ist dieser NATO-Gipfel vielleicht Trumps größter Erfolg.

Ob es für die 5-Prozentregel eine Ausnahme für Spanien gibt, wie spanische Medien in den letzten Tagen berichtet haben, ist bisher nicht ersichtlich.

Thomas Röper, geboren 1971, lebt seit über 15 Jahren in Russland. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.


Bild oben: Gruppenbild vom NATO-Gipfel in Den Haag am 24.06.2025
Foto: Bart Maat / Ministry of Foreign Affairs of the Netherlands / Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0,
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=168455513