Diether Dehms neues Album – Arbeiterlieder aus mehr als anderthalb Jahrhunderten
Rezension von Eugen Zentner
Erstveröffentlichung am 16.05.2023 auf paulbrandenburg.com
Er ist nicht nur Politiker, sondern auch Musiker. Diether Dehm gehört zu jenen Alt-Linken, die die Werte der Arbeiterbewegung hochhalten. Sein neues Album bringt das ein weiteres Mal zum Ausdruck.
Die politische und kulturelle Linke befindet sich in einer Sinnkrise. Von den alten Glaubenssätzen und Überzeugungen ist kaum noch etwas übriggeblieben. Anstatt sich um die Nöte der sozial Abgehängten zu kümmern, geht es um woke Identitätspolitik. Gendersprache, Selbstbestimmungsrechte für Transsexuelle oder der Kampf gegen toxische Männlichkeit stehen höher im Kurs als die Belange der Arbeiterschaft. Die antikapitalistische Haltung wurde durch Marktkonformität ersetzt. Doch es gibt sie noch – die Vertreter der alten Garde, Linke wie Diether Dehm. Der ehemalige Abgeordnete und Musikproduzent hat nun ein Album veröffentlicht, das die Werte der Arbeiterbewegung hochhält. „Daß ein gutes Deutschland blühe!“ heißt es und schlägt einen Bogen vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart.
Vierzehn Lieder sind es insgesamt, teilweise ältere Stücke wie „Bet und Arbeit“, das seine Ursprünge im Jahr 1863 hat. Es markiert zugleich den Beginn der Arbeiterbewegung. Ferdinand Lassalle gab es damals beim Stardichter Georg Herwegh für die Gründung des „Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins“ als „Bundeslied“ in Auftrag. Zunächst entstand es als Gedicht, wurde dann aber auch musikalisch umgesetzt. Hans von Bülow komponierte zum Liedtext einen vierstimmigen Chorsatz mit unterschiedlicher Ausführung für alle Strophen. Um 1900 wurde es schließlich vereinfacht. Peter Heinz komponierte für alle Strophen die gleiche Melodie. Auf Dehms Album findet sich eine moderne Version von Michael Letz, der das „Bundeslied“ zu einer Kantate umgestaltet hat.
Punk-Rock und Techno
Jüngeren Datums ist das Lied „If I Had a Hammer“. Pete Seeger und Lee Hays führten es zum ersten Mal am 3. Juni 1949 bei einer Fest-Veranstaltung der Kommunistischen Partei der USA in der Nicholas-Arena in New York auf. Für „Daß ein gutes Deutschland blühe!“ wurde es als Punk-Rock-Stück arrangiert. Genauso energisch kommt das Stück „Die süßesten Früchte“ daher, das die Arbeiter- quasi mit der Techno-Bewegung verschmelzen lässt. Der Electro-Sound peppt einen Text auf, den die italienische Sängerin Nilla Pizzi 1952 schrieb. Peter Alexander hat das italienische Original später gecovert. 1983 ergänzte Diether Dehm dessen Song um eine weitere Strophe, „in der die ‚kleinen Tiere‘ doch an die süßen Früchte rankommen“, wie es in dem sehr informativen Booklet heißt. Nicht fehlen durfte auf dem Album auch der Klassiker „Bella Ciao“. Dehm hat die deutsche Übersetzung neu geschrieben und den Urkonflikt wieder ins Zentrum gerückt: einer schönen Frau „Adieu“ sagen zu müssen, um in den antifaschistischen Untergrund zu gehen.
Zu den vielen Neuarrangements und Umgestaltungen der alten Arbeiterlieder bringt der Linken-Politiker seine Stimme zum Einsatz, mal kräftig, mal emotional. Einige Songs stammen aber auch aus seiner Feder, so wie das Stück „Was wollen wir trinken, 7 Tage lang“ oder „Das weiche Wasser“. Letzteres war in den frühen 1980ern als mitsingbares Lied für die damalige Friedensbewegung gedacht. Die Stoßrichtung änderte sich jedoch, als Willy Brand das Stück hörte. Er bat Dehm, das Lied für die 125-Jahr-Feier der SPD umzuschreiben. Daraufhin wurde es zunächst auf allen Parteitagen gesungen, bis die spätere SPD-Führung dieses Ritual abschaffte.
Der wohl originellste Song auf dem Album ist „Ich nur sie“, in dem es um eine Streikführerin von Amazon geht. Dehm verarbeitet darin anhand einer Auseinandersetzung die üblen Arbeitsbedingungen bei Amazon und dessen Ausbeutungspraxis, streut aber auch ein wenig Kritik am übersteigerten Moralismus woker Ideologen hinein, indem er den Konflikt um das Modethema Sexismus gestaltet. Es ist eine poppige Ballade, deren Geschichte das Zeug zu einer modern-proletarischen Love-Story hat. Sie rundet ein Album ab, das die Stimmung der Arbeiterbewegung wiederbelebt und in ein Zeitalter voller Traditionsbrüche rettet. Erschienen ist es bei dem Online-Magazin NachDenkSeiten. Weil sie kürzlich die Gemeinnützigkeit aberkannt bekamen, soll ihnen der Erlös des Tonträgers in vollem Umfang zukommen.
Diether Dehm: “Daß ein gutes Deutschland blühe!”
Bestellungen unter shop@weltnetz.tv
Die Lieder der CD wurden am 30. April in einem Konzert vorgestellt. Siehe dazu folgende Beiträge:
Das etwas andere Pleisweiler Gespräch mit Liedern von Diether Dehm war ein Experiment …
… und es ist ein schönes Experiment geworden. Am 30. April trafen sich Freundinnen und Freunde der Pleisweiler Gespräche und an der Musik von Diether Dehm Interessierte. Diether Dehm trug – begleitet von Michael Letz und Frau – Lieder seiner neuen CD vor. Die Diskussion mit den Teilnehmern des Gesprächs wurde ergänzt von Peter Brandt und dem IG-Metaller und MdB Alexander Ulrich. Die Mischung aus Musik und Wortbeiträgen hatte etwas sehr Angenehmes und Anregendes an sich. Der Erlös beim Verkauf der CDs geht an die NachDenkSeiten. … Die CD gibt es unter der Mail-Adresse: shop@weltnetz.tv oder Arbeiterlieder@edition-musikant.de. 15.- zuzügl. 2.- Versand. Ab 5 bestellten CDs: 70.- Pauschal.
(Text von nachdenkseiten.de)
CD-Veröffentlichung: „Daß ein gutes Deutschland blühe! – Arbeiterlieder von damals und jetzt“
In der Pfalz fand am 30. April 2023 das Pleisweiler Konzert statt– eine Abwandlung der legendären „Pleisweiler Gespräche“. Mit Albrecht Müller, Alexander Ullrich, Peter Brandt, Michael und Welislawa Letz und Diether Dehm war eine echte Aufbauarbeit für revolutionär-ästhetischen Verstand. in diesen finsteren Zeiten! Sicherlich, wie die stehende Ovation am Ende zeigt, nicht nur für uns auf der Bühne. Die CD ist ab jetzt bestellbar (Erlös geht an die Nachdenkseiten) shop@Weltnetz.tv Konzerte sind buchbar über arbeiterlieder@edition-musikant.de
(Text der Video-Veröffentlichung von weltnetz.tv auf YouTube)
Direktlink zum Video von weltnetz.tv auf YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=ILbnv8yRl90
Bild oben: CD-Cover von Diether Dehm