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Merkel und EU wollen Wahrheitsministerium

In der Rubrik Tagesdosis wurde am 26.10.2018 bei KenFM der Beitrag „Merkel und EU wollen Wahrheitsministerium“ von Sebatian Bahlo, Stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes, veröffentlicht.

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Der Beitrag ist auch auf YouTube verfügbar: https://www.youtube.com/watch?v=piyA5HIXGBU

 

Tagesdosis 26.10.2018 – Merkel und EU wollen Wahrheitsministerium

Ein Kommentar von Sebastian Bahlo.

Am 17.10.2018 gab Bundeskanzlerin Merkel im Bundestag eine Regierungserklärung zum bevorstehenden „Europäischen Rat“ ab. (1) Zwischen wohlbekannten Allgemeinplätzen, Auslassungen zum „Brexit“, der den unbotmäßigen Briten natürlich so schmerzhaft wie möglich gemacht werden soll, und anderen unvermeidlichen Themen versteckte sich folgende Ankündigung im Zusammenhang mit den kommenden Wahlen zum EU-Parlament:

Wir wollen zudem Leitlinien für den Umgang mit Parteien schaffen, die in ihren Kampagnen aktiv Desinformation betreiben. Und das bedeutet in letzter Konsequenz auch, in solchen Fällen über finanzielle Sanktionen nachzudenken. Denn Politik bedeutet Verantwortung: Wer sich nicht an die demokratischen Spielregeln Europas hält, der kann auch nicht erwarten, von der Europäischen Union Mittel zur Parteienfinanzierung zu erhalten.

Das Protokoll verzeichnet pflichtschuldigsten „Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP“

Auch das ist wehrhafte Demokratie, meine Damen und Herren„, setzt die Kanzlerin hinzu.

„‚Wehrhaft‘, so wie Sie sie praktizieren!„, wirft hier Alice Weidel von der AfD ein.

Da entgegnet die Zuchtmeisterin mit sadistischer Häme: „Fühlt sich da jemand angesprochen?„, was eine ganz große Koalition von Speichelleckern aus CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP zu „Heiterkeit und Beifall“ hinreißt. Diese Reaktion darf nun keineswegs als Anerkennung für einen gelungenen Scherz verstanden werden, denn es war ja gar kein Scherz. Es war das Stichwort, um das Grölen des parlamentarischen Lynchmobs hervorzurufen. Daß die AfD sich angesprochen fühlen soll, wenn die einflußreichste Politikerin der EU „Desinformation“ und „demokratische Spielregeln“ im Zusammenhang mit einer EU-Wahl im Munde führt, unterliegt keinem Zweifel. Dasselbe Spiel wäre auf den gleichen Zwischenruf von der linken Seite des Plenums gefolgt.

Merkel sollte nicht zuviel versprochen haben: In der Pressemitteilung (2) über die „Schlussfolgerungen des Europäischen Rates, 18. Oktober 2018“ steht:

„Der Europäische Rat fordert außerdem Maßnahmen (…) zum Schutz der demokratischen Systeme der Union und zur Bekämpfung von Desinformation, auch im Kontext der bevorstehenden Wahl zum Europäischen Parlament, unter uneingeschränkter Achtung der Grundrechte. In diesem Zusammenhang sollten die von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen betreffend die Wahlkooperationsnetze, die Online-Transparenz, den Schutz vor Cybersicherheitsvorfällen, die rechtswidrige Datenmanipulation und die Bekämpfung von Desinformationskampagnen sowie die Verschärfung der Vorschriften für die Finanzierung europäischer politischer Parteien rasch geprüft werden, und die zuständigen Behörden sollten operative Folgemaßnahmen einleiten.“

„Operative Folgemaßnahmen“ heißt: Diese Behörden sollen als Ankläger, Richter und Vollstrecker in einem fungieren. Was eine „Desinformationskampagne“ ist und was nicht, entscheidet nicht ein Gericht, vor dem die Beschuldigten sich verteidigen könnten, sondern es unterliegt der Willkür von EU-Behörden, mißliebigen Parteien die Finanzierung durch die EU verwehren zu können. Auf nationaler Ebene müßte ein analoges Verfahren zwangsläufig von den Gesetzgebungsorganen beschlossen werden, auf EU-Ebene genügt ein Beschluß des „Europäischen Rats“, der Zusammenkunft der Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsländer. Dies ist zweifellos, was Merkel mit den „demokratischen Spielregeln Europas“ meint.

EU-Blockflöten pfeifen aus dem letzten Loch

Man fühlt sich an das Orwellsche „Wahrheitsministerium“ erinnert. Der Vorwurf, eine „Desinformationskampagne“ zu betreiben, ist ja im allgemeinen nicht objektiv prüfbar. Wenn es nicht gerade darum geht, ob der Schnee weiß oder schwarz sei, sondern um kompliziertere Fragen wie die Interpretation von Statistiken oder darum, welches Gewicht gewissen Tatsachen zuzumessen sei oder welche Entwicklungen nützlich oder schädlich seien, so ist es üblich, daß sich Parteien im Wahlkampf gegenseitig „Desinformation“ vorwerfen, es ist aber auch klar, daß hierüber keine amtliche Entscheidung getroffen werden kann. Eben dieses Ansinnen bedeutet nichts anderes, als daß gewisse politische Meinungen als unzulässig erklärt werden sollen.

Und welche Meinungen sollen unzulässig sein? Natürlich alle, deren gemeinsamer Nenner die Kritik an der Absorption nationaler Souveränität durch die EU und an deren durch und durch undemokratischen Verfaßtheit bildet. Da diese Kritik derzeit stärker aus dem „rechtspopulistischen“ Lager zu vernehmen ist, kann der erste Schlag zunächst gegen dieses geführt werden; doch ist eine Ausdehnung auf linke Kritik jederzeit möglich und gewiß schon geplant.

Die bürgerliche Demokratie schafft sich ab, so scheint es, und die EU leistet aktive Sterbehilfe. Vorbei die Zeiten, als „Meinungsvielfalt“ als ein hohes Gut und der Inbegriff der moralischen Überlegenheit der westlichen Demokratie gefeiert wurde, dessen Export in rückständige Weltgegenden sogar Völkerrechtsbruch und Krieg legitimierte, wenn nicht obligat machte. Kaum begann diese Meinungsvielfalt einmal damit, zaghaft an der EU, dem politischen Machtinstrument der westeuropäischen Oligarchen zu kratzen, schlug ihr die letzte Stunde. Parteien, die sich nicht zu Blockflöten im großen Einheits-EU-Jubelorchester degradieren lassen, werden ausgegrenzt und bestraft. Wurden früher in den einzelnen Ländern Parteien kriminalisiert, weil ihnen vorgeworfen wurde, staatsfeindliche Ziele zu haben, so genügt jetzt bei EU-Wahlen allein der jederzeit einsetzbare Vorwurf der „Desinformationskampagne“.

Doch ist absehbar, daß durch diese Maßnahme die Ablehnung der EU bei den Völkern ihrer Mitgliedsländer nur wachsen statt abnehmen wird, zeigt sie doch schon an sich ein fortgeschrittenes Verfallsstadium an. Wenn bei den Wahlen zum EU-Parlament im nächsten Jahr die EU-Kritiker (mit oder ohne Finanzierung aus Brüssel) weiter gestärkt werden, dann wird das nicht, wie die Gesinnungswächter glauben machen wollen, ein „Rückschlag“, sondern ein Sieg für die europäische Demokratie sein.

 

Quellen

  1. https://www.youtube.com/watch?v=_VkwuMgxUu0
  2. https://www.consilium.europa.eu/media/36776/18-euco-final-conclusions-de.pdf

 

Quelle der Erstveröffentlichung: https://kenfm.de/tagesdosis-26-10-2018-merkel-und-eu-wollen-wahrheitsministerium/

Der Beitrag ist auch auf YouTube verfügbar: https://www.youtube.com/watch?v=piyA5HIXGBU


Bild: Anti-TTIP-Demo Oktober 2015 in Berlin
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