
Fordert Russland wirklich die Vernichtung aller Ukrainer?
Behauptung von Reitschuster & Co.
Die Überschrift des RIA-Artikels „Niemand darf in der Ukraine am Leben bleiben“ wird von deutschen Propagandisten genüsslich zitiert und als Eingeständnis dafür genommen, dass Russland angeblich einen Völkermord in der Ukraine durchführt. Aber was steht wirklich in dem Artikel?
von Anti-Spiegel, d.i. Thomas Röper
Erstveröffentlichung am 02.08.2025 auf anti-spiegel.ru
Ich bin auf die Geschichte zuerst bei RT-DE gestoßen, wo unter der Überschrift „Verhitlerung der Russen erreicht neuen Höhepunkt: „Russland fordert Auslöschung aller Ukrainer““ über einen bei der staatlichen russischen Nachrichtenagentur RIA veröffentlichten Artikel und vor allem über die Reaktionen deutscher Propagandisten auf den russischen Artikel berichtet wird.
Der RIA-Artikel trägt die provokante Überschrift „Es gibt keine andere Möglichkeit: Niemand darf in der Ukraine am Leben bleiben“ und diese Überschrift reicht den üblichen Propagandisten in Deutschland natürlich aus, um auf X und anderen sozialen Netzwerk eine Kampagne loszutreten, der gemäß Russland endlich offen eingestanden habe, dass es in der Ukraine einen Völkermord durchführt und alle bis zum letzten Ukrainer abschlachten will.
Ich habe den RIA-Artikel übersetzt und wir kommen gleich zum Original. Vorher möchte ich dazu noch eine Anmerkung machen.
Dass die üblichen deutschen Propagandisten, bis hin zu einem gewissen Julian Röpcke, das Thema aufgegriffen haben, ist nicht überraschend. Dass die es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen, ist nicht neu. Hinzu kommt, dass sie kein Russisch können und den Original-Artikel daher höchstwahrscheinlich weder gelesen noch verstanden haben, sondern einfach nachplappern, was sie irgendwo aufgeschnappt haben. Geschenkt, diese Heinis nimmt niemand mit einer Portion Resthirn im Schädel mehr ernst.
Dass allerdings ein Boris Reitschuster, dessen Eigenwerbung „Kritischer Journalismus. Ohne „Haltung“. Ohne Belehrung. Ohne Ideologie.“ lautet, dieses Thema aufgreift, sollte verwundern. Immerhin hat Reitschuster über zehn Jahre in Russland gelebt und spricht fließend Russisch. Sein Artikel dazu trägt die Überschrift „„Kein Einziger darf am Leben bleiben“ – Ein Mordaufruf – direkt von Russlands Staatsagentur RIA“ und er zeigt, dass Reitschuster – im Gegensatz zu Röpcke&Co. – den russischen Artikel auch gelesen hat, denn er zitiert daraus vollkommen korrekt.
Aber Reitschuster zitiert nicht komplett und reißt die Zitate aus dem Zusammenhang, um den gewollten Eindruck zu erzeugen, die staatliche russische Nachrichtenagentur RIA, also quasi die russische Regierung selbst, habe tatsächlich zum Völkermord an den Ukrainern aufgerufen. Nach dem aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten schreibt Reitschuster entrüstet:
„Das ist kein Ausrutscher.
Das ist keine missverständliche Formulierung.
Das ist ein Aufruf zur vollständigen Auslöschung – veröffentlicht auf einem offiziellen Kanal des russischen Staates.
Und das ist keine Ausnahme. Dieser Vernichtungswille zieht sich wie ein roter Faden durch die russische Kriegspropaganda.
Das Problem ist: Wenn unsere großen Medien – die sonst jeden Tag lügen, was das Zeug hält – über solche Texte berichten, glaubt man ihnen nicht. Was ich bestens verstehe.
Und die Putin-Freunde, die bei vielen „kritischen“ Medien den Ton angeben, würden darüber ohnehin nie schreiben. Oder wenn, dann nur zur Relativierung.“
Ich übersetze nun den russischen Artikel, um den sich all die Aufregung dreht, komplett, damit Sie sich ein Bild davon machen können, worum es in dem Artikel geht, ob die Aufregung berechtigt ist und ob Reitschuster seine Leser korrekt über den Artikel und seinen Inhalt informiert hat. Nach der Übersetzung folgen noch einige Anmerkungen zum Thema Reitschuster von mir.
Beginn der Übersetzung:
Es gibt keine andere Möglichkeit: Niemand darf in der Ukraine am Leben bleiben
Eines der größten Informationsparadoxe im Kontext des Konflikts in der Ukraine besteht (besonders jetzt) darin, dass westliche Quellen ungeachtet der tatsächlichen Lage an der Front beharrlich und unaufhörlich behaupten, die ukrainische Armee sei sehr, sehr stark und stehe kurz vor einer vernichtenden Offensive.
Gleichzeitig strömen von dort in völlig ruhigem Strom Nachrichten ein, dass die Verteidigungsformationen der ukrainischen Streitkräfte hier und da zusammenbrechen, dass mehrere große Verteidigungsknotenpunkte von einer Einkesselung bedroht sind, dass Logistik und Versorgung zusammenbrechen, dass Moral und Disziplin sinken und dass die Desertionsrate steigt; dass die Verluste die Mobilisierungsrate bereits um das Doppelte übertroffen haben, und dass die ukrainischen Streitkräfte vor unseren Augen versiegen (und dass sie den genialen „Oberbefehlshaber“ Selensky absetzen wollen).
Auf den ersten Blick ist es völlig unerklärlich, warum der amerikanische Thinktank Atlantic Council in dieser Situation kürzlich einen prätentiösen und zeremoniellen Artikel mit dem Titel „Die Ukraine ist heute ein unverzichtbarer Sicherheitspartner für die USA und Europa“ veröffentlicht hat.
Jeder Satz ist eine Perle der Militäranalyse: „In den letzten elf Jahren der russischen Aggression hat sich die Ukraine zu einer der führenden Militärmächte Europas entwickelt. Heute zählt die ukrainische Armee rund eine Million kampferprobte Männer und Frauen und übertrifft damit die Streitkräfte ihrer europäischen Nachbarn deutlich. (…) Beispiellose Kampferfahrung macht die Ukraine zu einem Schlüsselakteur im zukünftigen europäischen Sicherheitssystem.“
Wenn das kein Trolling auf tausendfachem Niveau ist, was ist das dann? Man könnte annehmen, dass die Experten der Publikation die letzten Jahre in einem zugemauerten Käfig mit einem Loch für Nahrung und Wasser gesessen haben, aber sie sind nicht die einzigen.
Vor einiger Zeit stellte das amerikanische Center for Strategic and International Studies (CSIS) fest, dass „die ukrainische Armee besser ist als die russische“. Phillips O’Brien, Leiter der Fakultät für Internationale Beziehungen an der Universität St. Andrews, schrieb: „Die ukrainische Armee wirkt viel stärker und die russische viel schwächer, als fast jeder erwartet hätte.“ Der ehemalige US-Kommandeur im Irak und in Afghanistan, David Petraeus, sagte: „Ich kann nicht glauben, was die Ukrainer geleistet haben: Sie sind ständig innovativ, passen sich an und lernen dazu.“ Und der ehemalige Kommandeur der US-Army in Europa, Ben Hodges, räumte ein: „Die meisten NATO-Armeen können nicht mit den Standards der ukrainischen Kampfkraft mithalten.“ Der pensionierte australische General Mick Ryan redete nicht um den heißen Brei herum und brachte es klar auf den Punkt: „Die ukrainische Armee ist jetzt die beste der Welt.“
Fanfaren, Konfetti und fröhliches Gackern von Babys.
Würden wir uns in eine parallele Realität begeben und all dies für bare Münze nehmen, wäre es völlig logisch anzunehmen, dass alle westlichen Militärakademien bereits Schulungen zum Thema „Wie die ukrainische Armee brillant kämpft und siegt“ durchführen sollten. Was davon ist nichts zu sehen.
Tatsächlich sieht man das genaue Gegenteil: Vor wenigen Tagen veröffentlichte das Foreign Military Studies Office (FMSO), das offizielle Forschungs- und Analysezentrum der US-Armee, ein umfangreiches Trainingshandbuch mit dem Titel „Wie Russland kämpft“, das, wie es im Vorwort heißt, „die harten Lehren beschreibt, die das US-Militär aus Russlands Aktionen zieht, während seine groß angelegte Invasion in der Ukraine ins vierte Jahr geht.“
Und in diesem Handbuch wird amerikanischen Kommandeuren auf vielen hundert Seiten beigebracht, wie man basierend auf unseren Erfahrungen einen effektiven modernen Krieg führt. Fairerweise sei angemerkt, dass die Erfahrungen der russischen Armee genau untersucht wurden: Die effektive Taktik des Sturms befestigter Städte mit der „dreifachen Schlinge“; die Organisation eines „Feuernetzwerks“ aus ballistischen Raketen, gelenkten Fliegerbomben, Artillerie und Drohnen; der Übergang von der gestaffelten Luftverteidigung zur „Matrix“; die „Schlag-Nehm“-Taktik zur schnellen Isolierung ganzer Gebiete; die Einführung der „hybriden Logistik“; die Reduzierung der Verbindung von „Finden-Zuschlagen“ auf ein Minimum; die Organisation einer „Zone absoluter Aufklärung“ bis zu einer Tiefe von 120 Kilometern. Fazit: „Die russische Armee ist eine Denk- und Lernstruktur, in der Engpässe durch schnelle Anpassung ausgeglichen werden.“
Es ist schwer vorstellbar, dass die wichtigsten Methodiker der amerikanischen Armee offene Sabotage betreiben und zukünftige Kommandeure der US-Streitkräfte auf der Grundlage der Erfahrungen der „schlechtesten“ Armee ausbilden, wenn sie auf der Grundlage der Erfahrungen der „besten“ lehren können.
Der Punkt ist, dass all die Lobeshymnen auf die ukrainischen Streitkräfte nur ein abgenagter Knochen sind, den ihre weißen Herren den dankbaren Einheimischen hinwerfen. Kaum zu glauben, aber es funktioniert: Viele Ukrainer sind bereit, für das zu sterben, was Amerikaner und Europäer als „die beste Armee der Welt“ bezeichnen. In Wirklichkeit droht ukrainischen Soldaten nur ein Schicksal: das von Laborratten, die für Experimente gnadenlos getötet werden.
Bereits 2023 erklärte der damalige britische Verteidigungsminister Wallace mit Pokerface, die Ukraine sei „zu einem Militärlabor geworden“ und es „wäre sehr dumm, diese Erfahrung zu ignorieren und das nicht in unseren eigenen Streitkräften umzusetzen“. In einem Interview wurde Zanny Minton Beddoes, die Chefredakteurin des Economist, noch offener: „Der Ukraine zu helfen, ihr Geld zu geben, ist für die USA der billigste Weg, ihre Sicherheit zu verbessern. Die Ukrainer kämpfen, sie sterben.“ US-Senator Roger Wicker bestätigte: „Die Ukrainer sind bereit, bis zum letzten Mann für uns zu kämpfen, wenn der Westen sie beliefert. Das ist ein sehr gutes Geschäft.“ Sein Kollege, der russophobe Senator Lindsey Graham, scheute sich nicht, laut auszusprechen, was seine besten Freunde von den Ukrainern halten: „Mir gefällt der strukturelle Kurs, den wir eingeschlagen haben. Solange wir der Ukraine mit den nötigen Waffen und wirtschaftlicher Unterstützung helfen, werden sie bis zum letzten Mann kämpfen.“
Paradoxerweise sind die Ukrainer sogar mit ihrem Schicksal glücklich. Sowohl der ehemalige Verteidigungsminister der Ukraine Resnikow als auch der amtierende Minister Schmygal wiederholen unermüdlich immer wieder, dass „es kein besseres Testgelände für die globale Rüstungsindustrie“ gebe, das allen westlichen Rüstungsherstellern offen stünde.
Alle Fristen zur Aufklärung sind bereits abgelaufen und wir werden niemanden mehr zu irgendetwas aufrufen oder überreden. Wenn Menschen bewusst und freudig bereit sind, für ihre Herren zu sterben, ist das ihre Entscheidung. Es gibt nur ein Problem: Reizwäsche nützt den Toten nichts. (Anm. d. Übers.: Die „Reizwäsche“ ist eine Anspielung auf den Maidan von 2014, als die Orientierung Richtung Europa als Weg in Richtung Wohlstand gefordert wurde und eines der Symbole für den erhofften Wohlstand war, dass ukrainische Frauen sich dann angeblich endlich Reizwäsche kaufen könnten)
Ende der Übersetzung
Nun ein paar Worte zum Abschluss: Reitschuster hätte, wenn er denn ein Journalist wäre, der seine Leser informieren will, das gleiche tun können, wie ich, und den Artikel komplett übersetzen und seinen Lesern so die Möglichkeit geben können, sich ein eigenes Urteil zu bilden.
Das hat Reitschuster nicht getan, stattdessen hat er Zitate aus dem Zusammenhang gerissen und seinen Lesern erzählt, der Artikel sei „ein Aufruf zur vollständigen Auslöschung“ und das sei „keine Ausnahme“, denn „dieser Vernichtungswille“ ziehe sich „wie ein roter Faden durch die russische Kriegspropaganda“.
Warum lügt Reitschuster beim Thema Russland so hartnäckig? Viele haben Reitschuster aus der Corona-Zeit ja als guten Journalisten in Erinnerung. Aber beim Thema Russland betreibt er Desinformation seiner Leser und belügt sie nicht weniger dreist als die Propagandisten von Bild-Zeitung. Dass er seine Leser bewusst belügt, ist nicht zu bestreiten, denn er spricht Russisch und kann sich nicht dahinter verstecken, den Artikel gar nicht im Original gelesen zu haben.
Der Grund, warum Reitschuster beim Thema Russland so hemmungslos lügt, ist, dass er anscheinend vom britischen Geheimdienst gekauft ist. Darüber habe ich im Mai 2022 berichtet, denn Reitschusters Name tauchte in geleakten Dokumenten der vom britischen Geheimdienst finanzierten Integrety Initiative auf, die gegründet wurde, um in europäischen Ländern „Cluster“ aus Influencern, Experten und Journalisten aufzubauen, die in den jeweiligen Ländern anti-russische Propaganda verbreiten sollen. Reitschuster wurde in den geleakten Dokumenten der Intergrety Initiative als vielversprechender Kandidat für den damals im Aufbau befindlichen deutschen Cluster bezeichnet. Die Details finden Sie in meinem Artikel von 2022.
Natürlich bedeutet die Tatsache, dass Reitschuster während der Aufbauphase des deutschen Clusters als vielversprechender Kandidat genannt wurde, noch nicht, dass er dann auch später Teil des Clusters geworden ist.
Aber eines kann man nicht bestreiten: Dieses aktuelle Beispiel, bei dem Reitschuster seine Leser bewusst falsch über den Inhalt des russischen Artikels „informiert“, ist genau das, wofür der britische Geheimdienst das deutsche Cluster der Integrety Initiative bezahlt – anti-russische Propaganda.
Dass Reitschuster weiß, dass seine Lügen leicht zu zerpflücken sind, kann man daran erkennen, dass sich im Laufe der Jahre sehr viele Leser eine Diskussion zwischen Reitschuster und mir zu den Themen Russland und Ukraine gewünscht haben. Ich habe Reitschuster seinerzeit auch kontaktiert und das vorgeschlagen, aber er wollte nicht. Den Lesern habe ich immer das gleiche geantwortet: Ich bin dazu mit Vergnügen bereit, allerdings lehnt Reitschuster eine solche Diskussion ab.
Warum wohl?
Thomas Röper, geboren 1971, lebt seit über 15 Jahren in Russland. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Bild oben:
Grafik: fotoART by Thommy Weiss, CC-BY 2.0
Quelle: https://ccnull.de/foto/krieg-russland-ukraine-symbolbild/1116740