Demokratie – Medien – Aufklärung

»Das mit dem Apartheid-Regime in Israel ist beileibe nicht Hallervordens Erfindung«

Mit dem Gedicht »Gaza Gaza«[1] traf Dieter Hallervorden einen Nerv – viele loben ihn für diesen mutigen Auftritt. Andere verdammen ihn dafür. Wie geht er damit um?

Roberto De Lapuente hat mit Diether Dehm gesprochen, der das Gedicht für Hallervorden geschrieben hat.

Erstveröffentlichung am 27.04.2024 im Overton Magazin

De Lapuente: Herr Dehm, Sie haben kürzlich das Gedicht »Gaza Gaza«[1]  für und mit Dieter Hallervorden veröffentlicht. Haben Herr Hallervorden und Sie mit diesen Steinigungsversuchen in der Presse gerechnet?

Dehm: Ja, das war echt eine mediale Sharia – von diesen angeblichen Pro-Israelis! Das Gedicht, der Podcast und das Video haben gleichwohl – so genau können wir es nicht sagen, weil es auf sieben Kanälen gleichzeitig veröffentlicht worden war – bis heute mindestens 8 Millionen Zugriffe. Das sind 10 Prozent der Bevölkerung. Weder hat Dieter Hallervorden diese mediale Hetze so erwartet, noch aber diese gigantische Reichweite und die riesengroßen Sympathiewellen für ihn. Nach den zigtausenden zustimmenden Schreiben, darf man getrost sagen: da stehen mal mindestens 40 Millionen Menschen hinter ihrem Volkskünstler Dieter Hallervorden – und maximal 200 Journalisten gegen ihn. Hier in einer schäbigen Querfront von Neues Deutschland bis Bild-Zeitung, von Jüdischer Allgemeinen bis Junge Welt.

»Hallervorden erhielt ein Schreiben von Jean Ziegler, mit Grüßen von Antonio Guterres«

De Lapuente: Macht das mit Dieter Hallervorden etwas, wenn man ihn jetzt in eine antisemitische Ecke stellt? Oder ist er nach Jahrzehnten in der Öffentlichkeit abgebrüht genug, dies an sich abprallen zu lassen?

Dehm: Wer so sensitiv spricht, spielt und schreibt wie Dieter Hallervorden, ist nie abgebrüht! Aber der Rückhalt in der Bevölkerung hilft! So erhielt er vorgestern Nacht von Professor Doktor Jean Ziegler ein Schreiben, auch mit Grüßen von Antonio Guterres, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, voller Solidarität und Herzlichkeit [2]. Jean Ziegler, im UN-Menschenrechtsausschuss und langjähriger Sonderbotschafter der UN für »das Recht auf Nahrung«, schreibt klar, dass das Gedicht nicht das geringste mit Antisemitismus zu tun hat und dass wir voll auf der Basis der UN-Beschlüsse stünden.

De Lapuente: Die Jüdische Allgemeine fand in einer Kolumne zum Gedicht einen Connex zu Hallervordens berühmtem »Palim-Palim«-Sketch. Nervt ihn sowas, wenn man seine Kritik an den Zuständen im Gaza mit einer alten Comedy abzubügeln sucht?

Dehm: Dieter Hallervorden gehört zu den bedeutendsten Bühnen-Persönlichkeiten der letzten Jahrzehnte, ist vielleicht sogar der bedeutendste. Zu seinem Lebenswerk zählen Didis »Palim-Palim« ebenso, wie Dieters bedeutende Kinofilme (»Sein letztes Rennen«, »Honig im Kopf« und anderes). Außerdem steht er mit 88 Jahren fast jeden Abend in einem seiner drei Theater als Intendant auf der Bühne – in ernsthaften, komischen und tragischen Rollen. Welch eine Bandbreite! Wenn die Jüdische Allgemeine eine solche Pluralität an Meinungen in Sachen Netanjahu-Kritik alleine nur dulden würde, etwa von Seiten ihrer jüdischen Leser, sie dürfte stolz auf sich sein. So aber verkümmert die Jüdische Allgemeine zum Staatspropagandablatt.

De Lapuente: Es ist erstaunlich ruhig im Kulturbetrieb – wenn man überhaupt etwas Politisches von dort vernimmt, dann regierungsnah. Wie erklären Sie sich das?

Dehm: Mit dem Ticketverkauf, der leidet unter einer Medienzensur gegen Künstler, wenn sie sich mit Reichweite zu weit nach vorne wagen! Angst fressen Künstlerseele! Aber kaum einer gesteht sich das ehrlich selbst ein! Traurig ist dazu auch die Ängstlichkeit der Linken. Aus dem Bündnis Wagenknecht kam bislang nicht mal eine leise Stimme der Solidarität, wenn Deutschlands populärster Künstler gesteinigt werden soll. Wenigstens duckt sich Wagenknecht nur weg, während Junge Welt und Neues Deutschland wieder mal bei den Staatscomedians Böhmermann und Welke mitpinkeln wollen.

»Schon kommen einige Auftragsschreiber mit dem Vorschlag an, Hallervordens »Wühlmäusen« den finanziellen Hahn abzudrehen«

De Lapuente: Dieter Hallervorden fiel in den letzten Jahren immer wieder als Kritiker des Zeitgeistes auf. Das Gendern lehnt er zum Beispiel kategorisch ab. Ist das für ihn nur eine sprachformale Kategorie?

Dehm: Dieter Hallervorden hat stets auf gedankliche und semantische Amputationen mit Spott reagiert. Bereits in seinen Sketchen – schauen Sie sich seinen »Arbeitsamts-Spot« an – wirklich sehr weise! Ich glaube nicht, dass er etwas dagegen hat, wenn jemand alle 27 Geschlechter mit einem Sternchen benennt – solange er nicht andere zum Genderstottern umerziehen will. Wir haben jetzt von Studierenden aus US-Elite-Universitäten die Anfrage für eine englische Übersetzung von »Gaza Gaza«, die eine sehr kommerzielle amerikanische Pop-Autorin machen will. Und gleiches in Französisch für Le Monde Diplomatique. Da gibt es zum Glück nicht diesen Gender-Krampf wie bei uns!

De Lapuente: Glauben Sie, dass Hallervorden in der heutigen Kulturszene nochmal eine solchen künstlerischen Aufstieg hinlegen könnte? Anders gefragt: ist er froh, dass er sich nicht mehr anbiedern muss bei Politik und Medien?

Dehm: Naja, sooo leicht fällt das Ganze auch ihm und auch heute noch nicht! Schon kommen einige Auftragsschreiber der Konzernmedien mit dem smarten Vorschlag an den Senat, Hallervordens »Wühlmäusen« und dem Schlossparktheater den finanziellen Hahn abzudrehen, solange er sich von »Gaza Gaza« nicht distanziert. Ein Schlaumeier schrieb sogar auf Facebook, er solle doch einfach behaupten, Diether Dehm hätte ihn reingelegt. Meine sehr persönliche Meinung zu Ihrer Frage, wobei ich nicht weiß, ob er sie teilt, ist, dass sein künstlerischer Weg steiniger verlaufen wäre, wenn es damals schon Wikipedia mit seinen schrecklichen Zensureinträgen gegeben hätte. Oder Facebook mit seinem Canceln, YouTube mit seinen raffinierten Reichweitendrosselungen und Banns. Ich kooperiere mit Dieter Hallervorden jetzt seit über 40 Jahren. Früher geschahen die Einschüchterungen auch brutal, aber noch viel hölzerner. Und nicht so woke und regenbogen-getuned. Früher hieß es: Du bist Ostagent und Kommunist; heute: Du bist Ostagent und AfD. Verdrehte Welt!

»Hallervorden sagt, dass er diese Hasswelle mit erhobenem Haupt durchstehen wird«

De Lapuente: Im Gedicht kritisiert er auch die Ampel, diese huldige der Apartheid. Was sagt er sonst zur Ampel?

Dehm: Im Gaza-Gedicht heißt es: »Sie geloben Apartheid die Treue / von Ampel bis AfD«. Und da ist natürlich auch Friedrich Merz von BlackRock inbegriffen. Im Video gibt es dann die Stelle »Die aus Ohnmacht brodelnde Kraft / hat niemand sich selbst ausgesucht/ doch die Macht, die die Bestien schafft/ aus kaltem Kalkül – sei verflucht!« Und an dieser Stelle zeigt das Video die Firmenembleme von BlackRock und Rheinmetall – als zwei Brutstätten des internationalen Terrorismus! Von Dieter Hallervorden dürfen Sie aber bloß nie eine linke Standardantwort erwarten. Er hat als Wechselwähler mal für die FDP, bei der letzten Berliner Wahl für die CDU votiert; er war auch Anhänger von Willy Brandt und Walter Scheel. Vor sechs Jahren war er sogar bereit, bei der Linken öffentlich in der Volksbühne aufzutreten. Aber der Riexinger-Vorstand hatte das ausgeschlagen. »Alter weißer Mann« nannte ihn Frau Kipping da.

De Lapuente: Öffentlich wird sich am Vorwurf der Apartheid gestoßen …

Dehm: Ach, das mit dem Apartheid-Regime in Israel ist beileibe nicht Hallervordens Erfindung. Sogar Sigmar Gabriel hatte das in Hebron einst als Außenminister so genannt!

De Lapuente: Zum Abschluss: Sie machen jetzt seit 1966 Liebes- und Arbeiterlieder. Herr Hallervorden leichten Spott und tiefen Ernst. Glauben Sie, dass unsere Gesellschaft totalitärer wird?

Dehm: Dieter Hallervorden sagte mir heute Morgen erneut, dass er diese Hasswelle herrschender Medien mit erhobenem Haupt durchstehen wird. Gerade wegen des ungeheuren Rückhalts in der Bevölkerung. Sie können aus dieser Aussage schließen, dass er ganz gewiss die Entwicklung unserer Gesellschaft nicht zum Guten sieht. Lassen Sie mich noch etwas sehr Persönliches anschließen: auch wenn der Rechtsstaat gegen vielleicht unappetitliche Herren wie Höcke, Krah oder Bystron bei der AfD gebeugt wird – soll sich keiner zu früh in Sicherheit wiegen und freuen! Da werden nur die Messer gewetzt, die nach der Thüringenwahl am 1.September auch Frau Wagenknecht zerstückeln sollen. Wehret den Anfängen – das heißt: wenn Frau Faeser die Demokratie ramponiert, sollten rechte und linke Demokraten auf dem Boden des Grundgesetzes ausnahmsweise mal hier und jetzt einander beistehen – über alle Schützengräben hinweg!

Dr. Diether Dehm ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes und seines Beirats

Anmerkungen
[1] auch veröffentlicht auf unserer Seite: https://www.freidenker.org/?p=18813
[2] siehe https://www.nachdenkseiten.de/?p=114282


Bild oben: Dieter Hallervorden bei der Lambertz Monday Night 2017
Foto: 9EkieraM1, CC BY-SA 3.0
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=55670601