Frieden - Antifaschismus - Solidarität

Krieg als Selbstzweck: Das Ziel deutscher Waffenlieferungen

Mit den Waffenlieferungen macht Deutschland deutlich: Ziel ist es, den Krieg in die Länge zu ziehen. Es geht um die Schwächung Russlands durch eine lange, kostspielige militärische Bindung. Deutschland nimmt dafür die komplette Zerstörung der Ukraine billigend in Kauf.

von Gert Ewen Ungar

Bundeskanzler Olaf Scholz wird nicht müde, der Ukraine die Unterstützung Deutschlands zu versichern. Mit der Zusage der Lieferung von Leopard-2-Panzern steht die nächste Forderung im Raum. Selenskij fordert nun Kampfjets. Begleitet wird diese Forderung von der Wiederholung seiner Absage an jegliche Verhandlungen mit dem russischen Präsidenten. Damit findet er Rückhalt bei deutschen Politikern und vor allem Politikerinnen. All das Spektakel um Waffenlieferungen und die weitere Unterstützung der Ukraine, die Absage an Diplomatie und Verhandlungen lässt eine zentrale Frage unbeantwortet. Was ist das Ziel? Was ist ein realistisches Ziel all der deutschen Unterstützung? Was soll erreicht werden?

Wer sich in den deutschen Medien informiert, wird schnell fündig. Das Ziel ist selbstverständlich der Sieg der Ukraine über Russland. Das sagt beispielsweise der CDU-Politiker Norbert Röttgen, und viele Nutzer der sozialen Medien schließen sich dem an. Der Westen muss so lange Waffen liefern, bis die Ukraine Russland besiegt hat. Dieses Ziel fällt allerdings unter die Kategorie „nicht realistisch“.

Es ist nicht realistisch, weil dies eine immer weitergehende Eskalation bedeuten würde – unter Umständen bis zu einer nuklearen Auseinandersetzung. Eine „Rückeroberung“ durch die Ukraine richtet sich zudem schlicht gegen die vitalen Interessen der Menschen vor Ort. Sie wird nicht durchzusetzen sein. Diese Tatsache will man in Deutschland partout nicht zur Kenntnis nehmen.

Die Rückeroberung der Republiken im Donbass, die Rückeroberung der Krim als Ziel auszugeben, ist im Gegenteil nicht nur militärisch schwer vorstellbar, es ist vor allem auch ein Akt der Verachtung gegenüber den Menschen, die dort leben. Die Krim könnte nur unter massiver Gewalt, gefolgt von massiver Verfolgung und Vertreibung der Einwohner durch Kiew wieder an die Ukraine gebunden werden. Gleiches gilt für die Volksrepubliken des Donbass.

Man mag darüber streiten, ob das Wort „Genozid“ geeignet ist, das zu benennen, was im Südosten der Ukraine seit Jahren passiert, aber die Vorgänge, die damit bezeichnet werden, wurden von Moskau nicht frei erfunden. Ein militärisches Szenario der Rückeroberung im Sinne einer „Befreiung von russischer Besatzung“ entspricht schlicht nicht der Lebenswirklichkeit der Menschen, die dort leben. Sie kann kein Ziel sein, denn sie muss scheitern, weil sie den Südosten und die Krim zu einer permanenten Konfliktzone machen würde.

Was ist also ein realistisches Ziel für die weitere Eskalation des Konflikts? Verhandlungen werden weiterhin ausgeschlossen. Ein Sieg der Ukraine über Russland ist aufgrund der militärischen Eskalationsfähigkeit Russlands ebenfalls nicht zu erreichen.

Verfolgt man die Eskalation des Konflikts durch die NATO-Staaten, verbunden mit der wiederholten Absage an Gespräche und diplomatische Lösungen, so lässt sich daraus das Ziel ableiten. Zu Beginn lieferte der Westen Flug- und Panzerabwehrraketen sowie leichte Waffen, dann ab April alte sowjetische Kampfpanzer. Dann folgten weitere Eskalationsschritte: Deutschland vereinbart einen Ringtausch mit Tschechien. Tschechien bekommt 15 Kampfpanzer vom Typ Leopard 2, Tschechien gibt schwere Waffen überwiegend aus noch sowjetischer Produktion aus eigenen Beständen an die Ukraine weiter. Deutschland sendet zudem Panzerhaubitzen. Ab Juli schickt Deutschland dann MARS-II-Mehrfachraketenwerfer sowie weitere Panzerhaubitzen, Brückenlegepanzer und Material zur ABC-Abwehr. Im August verabredet Deutschland erneut einen Ringtausch, dieses Mal mit der Slowakei. Von der Slowakei erhält die Ukraine Schützenpanzer, die Slowakei deutsche Kampfpanzer. Im September lieferte Deutschland dann weitere MARS-Systeme, ein IRIS-T-Flugabwehrsystem sowie erneut im Ringtauschverfahren weitere Schützenpanzer aus Griechenland, wofür Griechenland 40 deutsche Panzer vom Typ Marder bekommt. Schließlich liefert Deutschland Gepard-Flakpanzer, dann auch direkt Marder und schließlich Leopard. Inzwischen geht es um die Lieferung von einer größeren Zahl von Leopard-Panzern und zusätzlich von Kampfflugzeugen und Langstreckenraketen.

Das Muster ist klar. Es zeigt eine militärische Eskalation. Gleichzeitig wird deutlich, dass darüber eine Eindämmung des Konflikts nicht erreicht wurde. Er hat sich im Gegenteil ausgeweitet. Russland zerstört inzwischen in der gesamten Ukraine die Energieinfrastruktur – ohne dass die Ukraine dem trotz all der westlichen Waffensystem viel entgegensetzen könnte. Nach fast einem Jahr von immer umfassenderen Waffenlieferungen mit dem vorgeblichen Ziel, der Ukraine so zum Frieden zu verhelfen, müsste eigentlich die Erkenntnis reifen, dass dieses Ziel mit den eingesetzten Mitteln nicht erreicht wurde und man ihm auch keinen Schritt näher gekommen ist. Dass diese Erkenntnis partout nicht reifen will, ist allerdings kein Versehen, denn es geht Deutschland und seinen westlichen Partnern in der Ukraine nicht darum, dort die Bedingungen für Frieden zu schaffen.

Und um noch etwas anderes geht es nicht. Es geht nicht um Demokratie und westliche Werte. Denn gleichzeitig schaut Deutschland wie alle anderen NATO-Staaten bei der Verwendung der gelieferten Waffen im Rahmen von der Ukraine begangenen Kriegsverbrechen im Donbass weg.

Auch die innenpolitische Entwicklung in der Ukraine interessiert im Westen niemanden. Das Verbot von Medien und Oppositionsparteien, Berichte über Lynchjustiz und Zwangsrekrutierungen finden keinen Eingang in die deutsche Berichterstattung, denn diese Berichte würden das Narrativ von einer Ukraine auf dem Weg in die Demokratie konterkarieren. Für den deutschen Mediennutzer gilt: Die Ukraine hat sich für uns alle in die Schlacht um westliche Werte, für Freiheit und eine offene Gesellschaft und gegen Autoritarismus und Unterdrückung geworfen. Dieses Narrativ ist schlicht falsch. Die Ukraine hat sich mit dem Verlauf des Konflikts vollständig zu einem autoritären Staat gewandelt. Es gibt in der Ukraine zahlreiche Entwicklungen, die sich nur in lupenreinen Diktaturen finden. Das neue Mediengesetz beispielsweise, das die Medien-Kontrolle faktisch direkt dem Präsidenten unterstellt.

Doch während der sich aus deutschen Nachrichten informierende deutsche Michel von all dem wenig bis nichts weiß, weil die Berichte darüber unterdrückt werden, haben die politischen Entscheider in Deutschland selbstverständlich Zugang zu diesen Informationen. Sie wissen, was in der Ukraine passiert. Ihre Rede vom Systemkonflikt, vom Kampf der Ukraine für Demokratie und westliche Freiheit ist eine wissentliche, absichtsvolle Täuschung.

Ein militärischer Sieg der Ukraine ist nicht realistisch. Das Argument, die Ukraine würde westliche Werte militärisch verteidigen, erweist sich angesichts der tatsächlichen Ereignisse in der Ukraine als Lüge. Was ist also das Ziel des Krieges?

Es ist ganz einfach: Das Ziel ist der Krieg selbst. Das Ziel all der westlichen Waffenlieferungen ist schlicht, den Krieg so lange wie möglich am Laufen zu halten. Das Kriegsziel ist, Russland möglichst lange in diesem Krieg zu binden. Es geht dem Westen dabei nicht um die Verteidigung der Ukraine als souveränen, demokratischen Staat. Von all dem ist in der Ukraine schon längst nichts mehr übrig. Die Ukraine ist weder souverän noch demokratisch.

Alles am bisherigen Verlauf der Entwicklung seit 2008, dem Angebot der Aufnahme der Ukraine in die NATO auf dem NATO-Gipfel in Bukarest, spricht eine andere Sprache. Es ist auch jedem der Verantwortlichen klar, dass mit jeder weiteren Eskalationsstufe von der Ukraine an Substanz immer weniger übrig bleibt. Die Infrastruktur wird immer weiter zerstört, wirtschaftlich liegt die Ukraine schon jetzt am Boden und ist zudem in der Schuldenfalle gegenüber ihren ausländischen „Unterstützern“ gefangen.

Die Ukraine ist das beste Beispiel für eine Nation ohne jegliche Souveränität. Sie hat vor allem keine Möglichkeit, diesen Krieg zu beenden, da eine Beendigung des Krieges nicht im Interesse des Westens liegt. Selenskij ist mit seiner Ablehnung von Gesprächen seinen westlichen Geld- und Waffengebern weit mehr verpflichtet als dem Wohl der Ukraine und ihrer Bürger. Die zunehmende Brutalität des ukrainischen Machtapparats hinsichtlich der Unterdrückung von Opposition, Medien und auch in Bezug auf die immer häufiger werdenden Berichte über Zwangsrekrutierungen stützt diese These. Dem ukrainischen Machtapparat sind die Ukraine und die Ukrainer völlig gleichgültig.

Die Schlacht, die um den Donbass geführt wird, ist von einer Intensität, dass es den Anschein hat, dass der Ukraine zwar nicht die westlichen Waffen, wohl aber die ukrainischen Soldaten ausgehen. Dass der Westen, die USA, die NATO, aber auch Deutschland bereit sind, in der Ukraine bis zum letzten Ukrainer zu kämpfen, bewahrheitet sich mit jedem Tag ein bisschen mehr.

Natürlich schadet damit der Westen Russland. Er schadet damit aber auch sich selbst. Vor allem jedoch schadet er der Ukraine. Unter ethischen Gesichtspunkten ist die Strategie des Westens tief zu verachten. Sie ist zynisch. Allerdings geht es bei Geopolitik nicht um Ethik, sondern lediglich um Macht und Einfluss. Ethik, Moral und vor allem Menschenleben zählen in diesem Zusammenhang nicht. Das Paradox an Geschichtsschreibung ist, dass es im Nachhinein doch wieder um ethische Maßstäbe gehen wird. Daran wird sich deutsche Politik messen lassen müssen. Russland aber kann sich auf einen langen Konflikt einstellen, denn das ist das Ziel deutscher Politik.

Gert-Ewen Ungar studierte Philosophie und Germanistik und arbeitet als Pädagoge in der Sozialpsychiatrie in Berlin


Bild oben: Schützenpanzer Puma der Bundeswehr
Foto: Dirk Vorderstraße, CC BY 3.0
Quelle: https://www.vorderstrasse.de/fotos/details/schuetzenpanzer-puma-der-bundeswehr/12049/-/