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Schwere Waffen für die Ukraine? Der nächste Akt des deutschen Deliriums

Schritt für Schritt taucht Deutschland tiefer in diesen Krieg. Statt das ökonomische Elend zu verhindern, ist nur die Rede von Aufrüstung und Waffenlieferungen. Die Vernunft scheint im Exportrausch vergangener Jahrzehnte versehentlich ausgeliefert worden zu sein.

von Dagmar Henn

Erstveröffentlichung am 21.04.2022 auf RT DE

Man weiß nicht mehr, ob man lachen oder weinen soll, so umfassend ist der Wahn, in dem dieses Land zu versinken scheint. Alles, was jemals an Erfahrungen zum Thema Krieg und Frieden in Deutschland vorhanden war, ist ausgelöscht; als wollten sie morgen schon mit Hurra gen Osten stürmen. Dabei muss man nüchtern feststellen, dass verglichen mit den Vorstellungen, die bei bundesdeutschen Politikern gerade vorherrschen, das wilhelminische Deutschland des Jahres 1914 von geradezu überwältigender Rationalität war, denn da hatte man sich vorbereitet. Das heutige Deutschland schafft es, in einer Mischung aus Größenwahn und Lakaiengesinnung acht Jahre lang mit an einem Krieg zu basteln, den es eigentlich schon verloren hat, ehe es sich ernsthaft in militärische Handlungen einmischt. Was das alte Zitat bestärkt, dass Geschichte sich nur als Farce wiederholt.

Allerdings mangelt es nicht an rhetorischer Aufrüstung. „Euer Kampf ist unser Kampf,“ tönte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen jüngst bei Selenskij und griff damit nur auf, was der Fraktionschef der Konservativen im Europaparlament Manfred Weber wenige Tage zuvor in Straßburg erklärt hatte: „Der Krieg in der Ukraine ist unser Krieg.“

Damit hat er insofern unstreitig Recht, als dass es NATO, EU und auch die Bundesrepublik waren, die dafür sorgten, dass die schwärende Wunde im Donbass acht Jahre lang offen blieb. Die Scharte, die erst die Ukrainer mit einem inszenierten Aufstand sturmreif schossen, dann an Hitlerverehrer aushändigten und konsequent jeden Schritt verweigerten, der ein Ende des Bürgerkriegs ermöglicht hätte. Aber so haben die beiden das natürlich nicht gemeint.

Der aktuelle Hit, der aus diesen Lautsprechern des Krieges dudelt, heißt „Schwere Waffen für die Ukraine“. Das grüne wie das gelbe Talglicht dieser Ampel können das nicht schnell genug verwirklicht sehen. Und der Spiegel empfiehlt Olaf Scholz jetzt schon die Vertrauensfrage, weil der „pazifistische Flügel“ (Ich muss den Moment verpasst haben, als Pazifist wieder zum Schimpfwort wurde.) der SPD ihm bei der Bewilligung von hundert Milliarden für die Bundeswehr vielleicht nicht stramm genug folgt. Auch das einstige „Sturmgeschütz der Demokratie“ befindet sich schon länger auf einem inneren Russlandfeldzug und hält jetzt den Zeitpunkt für gekommen, dafür die Regierung zu tauschen. Dabei hat sich Scholz so große Mühe gegeben und erst am Dienstag erklärt (10:24):

„Gemeinsam mit unseren Partnern in der EU und der NATO sind wir uns völlig einig, Russland darf diesen Krieg nicht gewinnen.“

Als hätte irgendjemand einen Schalter umgelegt, oder eine Art Zombievirus verteilt, und plötzlich verwandeln sich allerlei Menschen, die man früher doch irgendwie für Demokraten gehalten hätte, in blutrünstige Nazis wie aus dem Horrorfilm Outpost.

Das hat eine ganz reale Seite, die sich an den irrwitzigen Verboten von Buchstaben und Flaggen zeigt, und an dem Spielraum, der jetzt schon den importierten Banderafans gegeben wird, ukrainische Flüchtlinge durch Bedrohungen auf Linie zu bringen oder ihre Gesinnung mitsamt Hakenkreuzen auf sowjetischen Ehrenmälern auszuleben – als wüsste man nicht genau, um was es sich dabei handelt. Und es ist inzwischen ungeahndet möglich, sich auf unverkennbar rassistische Weise im bundesdeutschen Fernsehen zu äußern, solange es gegen Russen geht, wie es jüngst eine Dame mit dem Namen Florence Gaub tat, immerhin stellvertretende Direktorin des Instituts der Europäischen Union für Sicherheitsfragen, also des militärischen Think-Tanks der EU.

„Wir dürfen nicht vergessen, dass, auch wenn Russen europäisch aussehen, es keine Europäer sind, jetzt im kulturellen Sinne“, erklärte sie bei Markus Lanz, denn sie hätten „einen anderen Bezug zu Gewalt, zum Tod“. Da steht er wieder, der zähnefletschende Mongole, der mit seinen dunklen Krallenhänden nach den zarten weißen Frauen greift, wie man ihn auf alten Naziplakaten finden kann. Einen anderen Bezug zur Gewalt? Die Dame kennt die europäische Geschichte schlecht. Kein anderer Teil des Planeten hat eine solch finstere Woge der Gewalt über die Welt schwappen lassen wie Europa. Kreuzzüge? Sklavenhandel? Belgisch-Kongo? Nicht zu vergessen, zwei Weltkriege?

Aber man hat jahrelang vorgearbeitet für diesen Moment, in hunderten, nein, tausenden von Artikeln und Berichten, in denen ein Russland gezeichnet wurde, das von Putin als eine Reinkarnation Rasputins regiert wird. Dessen politische Aussagen dementsprechend in eine besondere Art kabbalistischen Rätsels verwandelt werden, hinter denen sich eine finstere Bedeutung verbergen muss. Auch wenn alles nachvollziehbar und logisch ist, sobald man die Worte so hört, wie sie gesagt wurden.

Das ist der Teil, der zum Weinen ist. Nachdem erst die antifaschistische Tradition im annektierten Teil dieser Republik, der immerhin tatsächlich von Menschen regiert wurde, die gegen die Nazis gekämpft und unter ihnen gelitten hatten, nach Kräften ins Lächerliche gezogen wurde, werden dreißig Jahre später die Reste im Westen ebenfalls endgültig entsorgt. Da gab es etwas, ich sage nur Fritz Bauer oder Gustav Heinemann… Und wenn es vor acht Jahren, als Marie-Luise Beck und andere Grüne in die Ukraine pilgerten, um mit Bandera-Anhängern zu jubeln, noch eine Vermutung war, dass man Faschist sein muss, um mit Faschisten zu buhlen, liegen die Belege dafür inzwischen auf dem Tisch und die bundesdeutsche Demokratie in den letzten Zügen. Ja, es ist zum Weinen, denn zu viele Menschen haben ihre ganze Kraft investiert, um ein besseres Deutschland zu erreichen als das zwischen 1933 und 1945. Sie taten es, um für diese Nation die Ehre und die Würde wieder zu erringen, die sie im blutigen Raubzug der Naziwehrmacht durch Europa verloren hatte.

Aber wir erleben die Farce, nicht das Drama. Und da gibt es einen Anton Hofreiter, der sich vehement für die Lieferung schweren Geräts an die Ukraine einsetzt und sagt: „Ich finde es etwas paternalistisch, dem ukrainischen Militär zu sagen, ihr könnt damit nicht umgehen.“ Weil es leise Einwürfe seitens bundesdeutscher Militärs gab, es würde doch gar nichts nützen, der Ukraine Marder-Schützenpanzer zu liefern, weil sie diese nicht ohne Anlernzeit nutzen könnten.

Das ist wirklich komisch, weil natürlich wokes Geschwätz von „Paternalismus“ an technischen Tatsachen nichts ändert und diese ganzen Lieferungen in die Ukraine ohnehin nur Theater sind, das nur in zwei Varianten enden kann: Entweder der ganze NATO-Haufen kommt doch noch zur Vernunft und sagt den großen Krieg in letzter Minute ab. Oder die Irren in Washington und Brüssel setzen alles auf ihre letzte Karte und versuchen, die Vormacht zu retten, indem sie den halben Globus einäschern.

Denn selbst wenn die sich abzeichnenden Pläne, die nicht ausreichend kriegsbegeisterte SPD zu ersetzen – wo sich Scholz mit seinem menschenverachtenden Lachen damals in Moskau doch so viel Mühe gegeben hatte – und der gesamte Bestand der Bundeswehr in die Ukraine gekarrt wird, selbst wenn er samt Personal dorthin gekarrt werden sollte, wäre das Resultat – so zynisch wie abstoßend es unter menschlichen Gesichtspunkten ist und so abscheulich der Verbündete, für den man sich dort in die Bresche werfen würde – militärisch unbedeutend.

Die Fachzeitschrift Soldat und Technik bemüht sich, Herrn Hofreiter die Sachlage zumindest ansatzweise zu erklären. „Plakativ gesagt: Wenn man nicht in der Lage ist, der NATO eine zusätzliche Panzergrenadierkompanie, bestehend aus 14 Schützenpanzern, anzubieten, wie soll man dann der Ukraine 100 Schützenpanzer abgeben? Insbesondere dann, wenn man bedenkt, dass es ja nicht nur 100 Schützenpanzer wären, sondern entsprechende Ersatzteil- und Munitionspakete für Wochen und Monate Kriegseinsatz, der deutlich verschleißintensiver ist, als ein eFP-Einsatz im Baltikum oder ein Übungsplatzaufenthalt.“

Wobei die Zeitschrift hier schwer untertreibt. Das russische Verteidigungsministerium ist so nett, tagtäglich aufzuführen, wie viel Gerät die Gefechte in der Ukraine die Lieblingsedelarier des Westens inzwischen gekostet haben. Der letzte Stand waren 2.388 Panzer und andere gepanzerte Fahrzeuge. In einem Zeitraum von noch nicht zwei Monaten. Und die wirklichen Materialschlachten beginnen erst. Scott Ritter hatte – ich denke, es war in dem Gespräch mit Gonzalo Lira – einmal angemerkt, der gesamte Panzerbestand der Bundeswehr würde gerade einmal für ein Gefecht reichen. Tatsächlich hätten selbst die größeren Gefechte im Donbasskrieg, wie Ilowaisk oder Debalzewo, ausgereicht, die Bundeswehrbestände komplett zu verschrotten.

Noch erheiternder ist eine Meldung von Bloomberg. „Mitarbeiter des Pentagon sagen, dass Kiew am Tag die Wochenlieferung von Antipanzermunition verheizt. (…) Die USA haben ein Drittel ihres Gesamtbestands an Javelin-Antipanzerraketen geliefert. Sie können nicht ohne Weiteres mehr liefern, ohne ihr eigenes Arsenal massiv zu leeren. Und es mag Monate oder Jahre brauchen, um die Produktion ernstlich zu erhöhen.“

Da ist es das Stichwort: Produktion. Das ist das Dumme an Kriegen, die man nicht gegen ein hoffnungslos unterlegenes Gegenüber führt. Dinge gehen kaputt, und oft endgültig. Munition kann man nur einmal verschießen, dann ist sie weg. Über Jahrzehnte hinweg hat sich der ganze Westen so daran gewöhnt, hilflose und arme Völker zu überfallen, dass er vergessen zu haben scheint, dass man Panzer in einem Krieg mit Ebenbürtigen nicht hin- und nach ein paar Monaten wieder zurück fährt. Und dass Flugzeuge nicht ungehindert abwerfen können, was sie wollen. Dass nicht überall auf der Welt das Szenario „Kolonialherr gegen Wilde“ nachgespielt werden kann.

Es kann natürlich sein, dass man sich in Washington, Brüssel und Berlin einbildet, jetzt erst einmal eine Runde Waffenlieferungen gekoppelt mit einem ökonomischen Totalabsturz zu spielen, um dann einer verarmten und womöglich auch noch hungernden Bevölkerung zu erklären, dass aus dem Elend jetzt nur noch eine echte Kriegswirtschaft mit einem echten Kriegseinsatz retten könne, damit die bösen Russen ihr Gas, wenn sie es schon nicht freiwillig umsonst herausrücken, dann eben unfreiwillig abgeben müssen.

Denn auch wenn der Öffentlichkeit gegenüber so getan wird, als wären diese Waffenlieferungen wirklich eine große Nummer – tatsächlich ändern sie gar nichts, weil sie erstens zu großen Teilen nicht ankommen werden, zweitens das, was ankommt, nicht viel taugt – schon beeindruckend, wie viele von diesen Javelins ungenutzt herumliegen, wenn wieder einmal ein ukrainisches Munitionslager in die Hände der Volkswehr fällt – und drittens diese Menge am Resultat nichts ändert. Denn während Russland auf die NATO-Osterweiterung nicht nur politisch reagiert hat mit jahrelangen Aufforderungen, ja fast flehentlichen Bitten um Verhandlungen, hat die ganze NATO munter vor sich hingezündelt, bis hin zum Donbasskrieg. Sich groß aufgeblasen, als gehöre ihr die ganze Welt, und das für immer und ewig. Aber irgendwie hat sie vergessen, dass das Material, mit dem Kriege ausgefochten werden, weder virtuell noch durch Börsenspekulation zu haben ist, sondern ganz traditionell in Fabriken mit Maschinen aus echten Rohstoffen und mit echten Arbeitern hergestellt werden muss.

Vielleicht wird ja deshalb jetzt uns armen Eingeborenen von Natostan so sehr die Seele zurecht massiert und Tag und Nacht das Melodram der unschuldig dahingeopferten Ukraine serviert, damit man die Kehrtwende zur Kriegswirtschaft doch noch irgendwie reißt und die woke Jugend gleich welchen Geschlechts zur Verteidigung der westlichen Vormacht in die Schützengräben jagen kann. Oder sie sind wirklich alle miteinander so dumm und verantwortungslos, die Konsequenzen ihres Handelns keine zwei Zentimeter weit zu übersehen.

Denn es ist egal, wie oft hier betont wird, es handle sich um einen „unbegründeten Angriffskrieg“. Mittlerweile liegen gleich drei handfeste Gründe auf dem Tisch, die Biolabore, die Erklärung Selenskijs, nach Atomwaffen zu streben, und der vorbereitete ukrainische Angriff auf den Donbass. Und wenn nur einer davon zutrifft, einer von dreien, dann handelt es sich um einen völkerrechtlich legitimen Einsatz. Dieser Punkt ist es, der es erforderlich macht, alle Medien, die die entsprechenden Belege, wenn sie komplett veröffentlicht werden, auch der westlichen Öffentlichkeit zugänglich machen könnten, rechtzeitig zum Schweigen zu bringen. Was, wenn die Menschen, die hier ihre Heizung abstellen sollen aus Solidarität mit der Ukraine, und denen in den nächsten Monaten gezeigt werden wird, dass die ukrainischen Nazis wirklich welche sind, und dann noch erkennen, dass auch die Geschichte mit dem „unbegründeten Angriffskrieg“ nicht stimmte?

Was wäre das peinlich. Wo doch die Floskel vom „unbegründeten Angriffskrieg“ schon der erforderliche Kotau ist, damit sich jemand überhaupt noch politisch äußern darf. Dann hätte der ganze Burgfrieden nur den Effekt, dass jeder, der Teil dieser bizarren Front der NATO-Versteher war, ein für alle Mal die Glaubwürdigkeit verloren hat. Wobei, das würde den Weg zurück zur Vernunft öffnen. Das wäre, selbst wenn dieses Land bis dahin tief in der ökonomischen Misere steckt, ein gutes Ende. Vorerst besetzt aber die Farce die Bühne, und wir müssen sie betrachten, wie es einer Farce gebührt, immer mit einem lachenden und einem weinenden Auge.

Dagmar Henn ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes


Bild: Ein Leopard 2A6 der 3. Panzerkompanie der Bundeswehr feuert seine Glattrohrkanone ab
Foto: 7th Army Training Command from Grafenwoehr, Germany – Strong Europe Tank Challenge 2018, CC BY 2.0,
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=70008593