Frieden - Antifaschismus - SolidaritätZentrale Veranstaltungen

Elbe-Tag in Torgau 2021: Notbremse gegen Kriegstreiber!

Mehr als 250 Friedensaktivistinnen und -aktivisten, darunter viele Freidenker, versammelten sich am 24. April 2021 in Torgau. 76 Jahre nach der Begegnung von Soldaten der Roten Armee und der US-Army am 25. April 1945 an der Elbe erinnerten sie an den „Schwur von Torgau“, für eine Welt des Friedens zu kämpfen und forderten die Beendigung der deutschen NATO-Mitgliedschaft sowie Frieden mit Russland und China.

Die Veranstaltung musste gegen einige Widrigkeiten durchgesetzt werden. Die geplante Demonstration wurde wegen der Corona-Bestimmungen nicht genehmigt, weshalb vier Einzelkundgebungen angemeldet wurden (Brückenkopf am Ostufer der Elbe, Marktplatz, Denkmal der Begegnung und noch einmal am Brückenkopf). Die Kundgebung auf dem Marktplatz musste schon nach 20 Minuten beendet werden, weil die Stadt Torgau angeblich eine eigene Veranstaltung im Anschluss durchführen wollte (wovon vorher niemand etwas wusste und wovon auch eine Stunde später nichts zu sehen war). Bei der Kundgebung am Denkmal der Begegnung wurde die Straße nicht gesperrt, weshalb hin und wieder Autos und Busse direkt vor der Bühne vorbeifuhren. Und auch die geplante Versorgung aus der Gulaschkanone konnte nicht stattfinden, weil der Betreiber auf Druck vom Ordnungsamt abgesagt hatte.

Trotz all dieser Erschwernisse ließen sich die Teilnehmer nicht provozieren und demonstrierten friedlich unter Einhaltung der Auflagen für den Frieden. Dies natürlich nicht, ohne in den Redebeiträgen die Gewährleistung des Demonstrations- und Versammlungsrechts anzumahnen!

Wir veröffentlichen nachfolgend eine Bildergalerie sowie die Reden der Mitglieder des Deutschen Freidenker-Verbandes, Männe Grüß und Liane Kilinc.


Bildergalerie vom Elbe-Tag am 24. April 2021 in Torgau

Fotos: Ralf Lux (28), Monika Krotter-Hartmann (3), RFB e.V. (1)


Notbremse gegen NATO-Kriegstreiber

Rede von Männe Grüß, Vorsitzender der DKP-Landesorganisation Brandenburg und Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes am 24. April 2021 zum Elbe-Tag in Torgau.

Liebe Friedensfreunde, liebe Genossinnen und Genossen,

ich begrüße Euch ganz herzlich hier in Torgau im Zeichen des Elbetages – also den Tag, an dem vor 76 Jahren US-Soldaten und Rotarmisten hier an der Elbe zusammentrafen und damit der militärische Sieg über den deutschen Faschismus endgültig besiegelt war. Hier schworen sich die Soldaten der Anti-Hitler-Koalition, dass die Nationen der Erde in Frieden leben müssen.

In welcher Zeit treten wir 76 Jahre später hier zusammen? Welche Bilanz gilt es gegenüber dem letzten Elbetag 2020 zu ziehen? Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber ich muss gestehen: Rückblickend auf das letzte „Corona-Jahr“ bin ich vor allem über meine eigene politische Naivität erschrocken.

Ich war so naiv zu glauben, dass Demonstrationen und Kundgebungen wie hier in Torgau in diesem Land sicherlich totgeschwiegen, vielleicht sogar mit Hohn und Spott übergossen werden. Aber bei jedem, der mir erzählt hätte, dass unser Versammlungsrecht am Elbetag bedroht sei, hätte ich mir die Frage gestellt: Ist das vielleicht einer dieser Verschwörungstheoretiker, vor denen mich Spiegel, taz und der ZDF-Faktencheck täglich warnen?

Und nun stehe ich ein Jahr später vor Euch und stelle fest:

Freunde, unser Versammlungsrecht hier am Elbetag ist bedroht.

Denn Fakt ist: Auf Grundlage der sächsischen Corona-Verordnung wurde uns hier heute in Torgau eine Demonstration untersagt. Und dabei können wir uns noch glücklich schätzen: Nicht mal zehn Kilometer weiter östlich – in meiner Heimat Brandenburg – wäre selbst diese Kundgebung bei einem Inzidenzwert von über 200, der aktuell hier im Landkreis Nordsachsen festgestellt wurde, untersagt – im Namen einer Verordnung der Brandenburger Landesregierung, über die nie ein Parlament abgestimmt hat.

Ich sehe mich also gezwungen festzustellen, dass unsere heutige Friedensmanifestation in Torgau keine Selbstverständlichkeit ist. Das Gedenken heute musste erstritten werden.

Ich meine: Um den Friedensschwur der Elbe hier heute mit Leben zu füllen, muss von dieser Kundgebung ein deutliches und unmissverständliches Zeichen ausgehen: Für den Kampf um Frieden brauchen wir die Versammlungsfreiheit und dürfen uns gerade in dieser Vorkriegszeit kein einziges demokratisches Grundrecht abknüpfen lassen. Und deshalb müssen wir am Elbetag 2021 sagen: Weg mit der Bundes-Notbremse für unsere demokratischen Grundrechte!

 

Liebe Friedensfreunde,

ich betone: Wenn ich mich hier deutlich für die Wiederherstellung aller demokratischen Bürgerrechte ausspreche, dann geht es mir weder um eine „demokratische Gymnastikübung“, noch geht es mir um eine Huldigung des Grundgesetzes, das bekanntlich im Gegensatz zur Verfassung des ersten und einzigen deutschen Friedensstaates nie in einer Volksabstimmung beschlossen wurde. Und es geht mir schon gar nicht darum, die Existenz des Coronavirus und die Notwendigkeit seiner Bekämpfung zu ignorieren. Es geht mir um einen schlichten Blick darauf, was wir sehen, wenn wir das ganze Corona-Narrativ der Regierenden beiseiteschieben: nämlich um eine forcierte Kriegsmobilisierung – gegen Russland, gegen China – und gegen die werktätige Bevölkerung hierzulande.

Dieses Corona-Narrativ ist fester Bestandteil einer Kriegsmobilisierung, in der wir an einen Notstand als Normalzustand gewöhnt werden sollen – ein Normalzustand,  bei dem sich monatlich über eine Million Kollegen in Kurzarbeit befinden, die Erwerbslosigkeit innerhalb eines Jahres um über halbe Million wächst und fast jeder zweite Kollege Lohneinbußen hinnehmen muss, während die Reichen und Superreichen immer reicher werden.

Deshalb ist es heute so wichtig, laut und deutlich zu sagen: NEIN – wir akzeptieren Eure Corona-Demagogie nicht mehr!

  • Wir werden uns nicht länger erzählen lassen, es gehe Euch um den Gesundheitsschutz, während Ihr im Corona-Jahr die Schließung von 20 Krankenhäusern nicht nur geduldet, sondern mit Steuermitteln auch noch gefördert habt.
  • Wir akzeptieren es nicht mehr, dass eine Partei wie die Grünen für eine noch härtere Lockdown-Politik auf unsere Kosten im Bundestag wirbt, während die grüne Wirtschaftssenatorin in Berlin gegen die Anschaffung des russischen Impfstoffes Sputnik V agitiert, damit die Kriegsmobilisierung gegen Russland ja nicht ins Stocken gerät.
  • Und wir werden nicht tatenlos zusehen, dass Ihr unsere Kinder unter der Parole „Schutz des Lebens“ noch länger aus den Schulen aussperrt, um sie anschließend als NATO-Kanonenfutter für einen Krieg gen Osten marschieren zu lassen – nicht noch einmal 80 Jahre nach dem Überfall auf die Sowjetunion!

Ich stelle fest: Wenn wir Notbremsen brauchen, um das Leben unserer Kinder, das Leben unserer Eltern und Großeltern, um UNSER Leben zu schützen, dann folgende:

  • Wir brauchen eine sofortige Notbremse zur Einhaltung des Minsk-II-Abkommens durch das ukrainische Regime und Einstellung seiner Eskalationspolitik gegen Russland, um einen Krieg in Europa zu verhindern.
  • Wir brauchen zweitens eine sofortige Notbremse zum Stopp des NATO-Manövers Defender 2021 und der NATO-Mobilmachung gegen China im Südchinesischen Meer!
    US-Panzer, die durch unser Land gen Osten fahren, brauchen sogar noch mehr als eine Notbremsung: Die brauchen einen Rückwärtsgang nach Hause – mit einem Umweg über Büchel, um ihre Atomwaffen mitzunehmen.
  • Und wir brauchen dafür nicht zuletzt eine friedenspolitische Notbremse gegen Annalena Baerbock bei der Bundestagswahl im September! Wir in Potsdam, wo Baerbock als Direktkandidatin antritt, haben es auf die einfache Losung runtergebrochen: Wer Baerbock wählt – wer grün wählt, wählt den Krieg.

 

Liebe Friedensfreunde,

so sehr wir das Kriegstrommeln der NATO-Krieger hier und jenseits des Atlantiks ernst nehmen müssen, so sehr dürfen wir uns davon auch nicht betäuben lassen. Ich kann Euch verstehen – und mir geht es wie Euch –, wenn ihr daran verzweifelt, weil die Bundesregierung scheinbar unaufhaltsam ihren Kriegskurs nach innen und außen fortsetzen kann. JA – wir müssen unbedingt selbstkritisch sein, wenn es darum geht, die Friedenskräfte hierzulande zu stärken. Aber: NEIN – folgt nicht dem Sirenengesang, die Schuld für UNSERE Schwäche der Bevölkerung unterzuschieben. Mit dieser selbstgefälligen Haltung werden wir mit Sicherheit Schiffbruch erleiden.

Bedenkt: Trotz medialer Dauerberieselung sprechen sich immer und immer wieder Bevölkerungsmehrheiten gegen eine Kriegspolitik im Allgemeinen und gegen Russland im Besonderen aus.

Unsere Lage ist ernst. Aber umso stärker müssen wir uns vergegenwärtigen: Die Aufrechterhaltung der Heimatfront, das ständige Organisieren einer gesellschaftlichen Hegemonie – das ist die zwingende Voraussetzung für ihre Kriege. Aber das heißt auch: Das ist ihre Achillesferse – und es gab Zeiten in der deutschen Geschichte, da wusste die Arbeiterbewegung – übrigens im Schulterschluss mit den Soldaten – diese Schwäche voll auszunutzen und zwang den deutschen Militarismus in die Knie. Lasst uns an dieser Tradition der Arbeiterbewegung anknüpfen.

Und nicht zuletzt: Wir müssen endlich wahrnehmen, dass die deutsche Friedensbewegung nicht allein ist. Sie hat mit Russland und China mindestens zwei gewichtige und verlässliche Freunde an ihrer Seite. Schaut in die Welt: Ob Syrien, Venezuela, Weißrussland, die Krim oder immer größere Teile Afrikas – überall holen sich die NATO-Krieger Dank Agierens dieser beiden Freunde eine blutige Nase und weisen den Völkern einen Ausweg aus dem Joch des Neokolonialismus. Diese Freundschaft zu vertiefen, das verspricht mehr als die Verhinderung eines Krieges – das hat das Potenzial, die Menschheit aus der Sackgasse mit Namen Imperialismus zu führen. Und dafür lohnt es sich zu kämpfen!

In diesem Sinne: Freundschaft – Druschba!

Das heißt: Hoch die internationale Solidarität!

Männe Grüß, Potsdam, ist Mitglied des Brandenburgischen Freidenker-Verbandes und Vorsitzender der DKP Landesorganisation Brandenburg


Veränderte Zeiten – neue Feindschaften

Rede von Liane Kilinc, Vorsitzende des Friedensbrücke-Kriegsopferhilfe e.V. und Mitglied im Deutschen Freidenker-Verband am 24. April 2021 zum Elbe-Tag in Torgau.

„Hitler kaputt! Hurra!“ Das waren die Worte, mit denen sich den Berichten nach, die US-amerikanische Patrouille den Soldaten der Roten Armee zu erkennen gab. Beide Truppenteile hatten eine harte Strecke hinter sich. Die erste US-Armee war von der Landung in der Normandie über die Ardennenoffensive bis zu jenem Tag an der Elbe immer mittendrin in den heftigsten Kämpfen an der Westfront, und die 5. Gardearmee, die diesen Namen als Auszeichnung nach Stalingrad erhalten hatte, hatte sich über den Dnjepr durch Schlesien bis zur Elbe vorgekämpft. Beide hatten mehr als genug von den Schrecken gesehen, die ihr gemeinsamer Gegner hinterließ. An diesem sonnigen 25. April schuf diese Begegnung einen Augenblick zwischen Krieg und Frieden. Die Nazis hatten noch nicht kapituliert, aber ihr Ende war nicht mehr aufzuhalten, und die Freude auf den Gesichtern der Fotografien von diesem Tag zeigt schon das Wissen um den nahenden Sieg.

Auf einem der Bilder von jenem Tag sitzen amerikanische und sowjetische Offiziere bunt gemischt an langen Tischen unter blühenden Obstbäumen und feiern. Zwischen den Obstbäumen hängt ein eilig gefertigtes Transparent: „Our greetings to the brave troops of the First American Army“, unsere Grüße an die tapferen Truppen der Ersten Amerikanischen Armee. Dass ‚american‘ mit einem K geschrieben wurde, dürfte an diesem Tag niemandem etwas ausgemacht haben.

Vielleicht hatten einige der US-Amerikaner Roosevelts Rede gelesen oder gehört, die er nach seiner Rückkehr aus Jalta vor dem US-Kongress gehalten hatte. „Niemals zuvor waren die Hauptalliierten einiger – nicht nur in ihren Kriegszielen, sondern in ihren Friedenszielen,“ hatte er gesagt, und dann ausgeführt, was die von den Alliierten geforderte bedingungslose Kapitulation für ihn bedeutete: „Das Ende des Nazismus und der Nazipartei – und all ihrer barbarischen Gesetze und Institutionen. Das Ende jedes militaristischen Einflusses im öffentlichen, privaten und kulturellen Leben Deutschlands. Eine schnelle und gerechte – und strenge – Bestrafung der Nazi-Kriegsverbrecher. Die vollständige Entwaffnung Deutschlands; die Zerstörung seines Militarismus und seiner militärischen Ausrüstung; die Zerstreuung all seiner bewaffneten Kräfte; die dauerhafte Zerschlagung des deutschen Generalstabs, der so oft den Weltfrieden zertrümmert hat.“

Vielleicht hatten sie auch gelesen, was er in dieser letzten großen Rede vor seinem Tod über die Zeit nach dem Krieg sagte: „Der Aufbau des Weltfriedens kann nicht das Werk eines Mannes, oder einer Partei oder einer Nation sein. Es kann kein amerikanischer, kein britischer, kein russischer, kein französischer oder chinesischer Frieden sein. Es kann kein Frieden der großen Nationen – oder der kleinen Nationen sein. Es muss ein Frieden sein, der auf den gemeinsamen Bemühung der ganzen Welt beruht.“

Ja, ähnlich mögen sie gedacht haben, diese Soldaten, die sich am 25. April 1945 begegneten, einem Augenblick, der den Höhepunkt dieser Waffenbrüderschaft darstellte und der sich an der Grenze zwischen Krieg und Frieden ereignete.

Aber in Wirklichkeit war das nur die Grenze zwischen zwei Kriegen, dem heißen und dem kalten. An eben diesem Tag hatte Roosevelts Nachfolger Truman, der schon bei Amtsantritt geäußert hatte, das Bündnis mit den Sowjets müsse man jetzt brechen oder nie, vom Manhattan Project erfahren, der Entwicklung der Atombombe.

Und während Amerikaner und Sowjets in Torgau auf den Frieden tranken, sann man in Washington bereits darüber nach, wie man die neue Waffe gegen den Verbündeten nutzen könne.

Und wir alle wissen, dass zumindest im abgespaltenen Westen unseres Landes weder die Gesetze der Nazis verschwanden noch die Kriegsverbrecher schnell, gerecht und streng bestraft wurden, und der deutsche Generalstab, der zerschlagen werden sollte, wurde bald schon wieder zum Aufbau der Westarmee, der Bundeswehr, herangezogen und wurde dann an der Spitze der NATO benötigt.

Die Feiernden von Torgau waren schon während der Feier verraten.

Im März noch hatte Roosevelt (zur Verärgerung Churchills) den Dulles-Wolf-Plan abgelehnt, ein Angebot der Nazispitzen, den Krieg im Westen einzustellen, um ihn gemeinsam im Osten weiter zu führen. Während der Torgauer Feier saß ein Nazioffizier namens Reinhard Gehlen im Berchtesgadener Land auf einer Kiste sorgsam gefälschter Dokumente und wartete auf die Gelegenheit, sie den Amerikanern zu übergeben; die Behauptung, die Sowjetunion wolle den Krieg fortsetzen, sollte großen Teilen der Nazielite den Hals retten, und das gelang auch. So ist es nicht möglich, die Bilder aus Torgau von 1945 ohne Wehmut zu betrachten und darüber nachzudenken, wie die Welt aussähe, wäre dieses Bündnis nicht verraten worden.

Jene, die damals den Verrat betrieben, bescherten der Welt die CIA und die NATO und all die vielen Kriege seither, die es nie zu einem Weltfrieden kommen ließen. Ihre Nachfolger, nicht nur im Amt, sondern auch in der Gesinnung haben die letzten Jahre damit verbracht, immer neues Kriegsmaterial gen Osten zu karren und mit einem Manöver nach dem anderen in Bewegung zu halten.

Sie führen schon das zweite Großmanöver unter dem heuchlerischen Namen „Defender“ ( Verteidiger) durch, bei dem sie tatsächlich die Logistik für Truppeneinsätze gegen Russland üben, unter Beteiligung des US Militärs. Der kleine Diktator der Ukraine steht bereit, abermals über den Donbass herzufallen.

Es muss niemanden wundern, wenn das in Russland Erinnerungen an den Sommer 1941 weckt. Wie schreib Hitler in der berüchtigten Weisung vom 21.Dezember 1940 „Vorbereitungen, die eine längere Anlaufzeit benötigen, sind – soweit noch nicht geschehen – schon jetzt in Angriff zu nehmen und bis zum 15. April 1941 abzuschließen. Entscheidender Wert ist jedoch darauf zu legen, dass die Absicht eines Angriffs nicht erkennbar wird“.

Zu den Vorbereitungen für einen Angriff gehören logistische Probeläufe, Stabsübungen, Manöver, Erkundigungen des Terrains, Simulationen möglicher Verläufe, die Einstimmung der Bevölkerung auf den anvisierten Gegner und Verlagerungen von Material und Menschen. Aber in modernen Kriegen, die nicht mehr erklärt werden, ist bis zur letzten Sekunde unklar, ob die zusammengezogenen Truppen nur spielen wollen oder tatsächlich ein Krieg vom Zaun gebrochen werden soll.

Wie kann es also nicht beunruhigen, wenn die NATO in den letzten Jahren die Vorbereitungsschritte konsequent abarbeitet, von der logistischen Planung über die Simulationen, die die RAND-Corporation lieferte, über Stabsübungen in Polen, über die Bereitstellung von Kriegsmaterial in der Nähe der russischen Grenze bis hin zu den inzwischen täglichen Flügen westlicher Spionageflieger um die Krim oder die Donbass-Front entlang?

Eine russische Regierung, die diese Schritte nicht ernst nehme, würde die Sicherheit ihrer Bevölkerung sträflich vernachlässigen.

Selbst als Übungen sind diese Handlungen ein aggressiver Akt, weil sie das Gegenüber zwingen, Kräfte in Bereitschaft zu versetzen und dafür Mittel zu verbrauchen, die doch beispielsweise beim Wohnungsbau oder der Gesundheitsversorgung bessere Verwendung finden könnte. Was selbstverständlich auch für den inzwischen reichlich aufgeblähten Rüstungsetat der Bundesregierung gilt, nur dass in einem solchen Moment es der Aggressor ist, die NATO, die eine Entscheidung trifft, während die andere Seite, Russland, eine Entscheidung aufgezwungen wird.

Seit der Krieg im Donbass begann, vor mittlerweile unfassbaren 7 Jahren, ist der Strom westlicher Waffen, westlicher Militärberater und westlichen Geldes nach Kiew nie versiegt, und das Begleitkonzert aus Aufrüstung und Manövern, das zur russischen Grenze hin gespielt wird, wird von Jahr zu Jahr lauter. Nur das Erschrecken darüber ist über die Jahre geschwunden.

Diese 7 Jahre Krieg haben tiefe Spuren gegraben. Unser Verein Friedensbrücke veranstaltet jedes Jahr einen Malwettbewerb für Kinder im Donbass, und die Bilder haben sich verändert. Anfangs gab es nur ein alles beherrschendes Thema: den Wunsch nach Frieden. Später malten sie feiernde Menschen und spielende Kinder, Blumengirlanden und Regenbogen, um diesem Wunsch Ausdruck zu verleihen.

Heute erinnern sich nur noch die Älteren unter Ihnen daran, was Frieden ist, wie er sich anfühlt, und die Bilder sind stumm geworden. Landschaften, Stillleben, vielleicht ein Selbstporträt, aber Spiel und Feier, Sonne und Freude sind selten. Die Lebensfreude, das Leuchten, die Gemeinschaft sind verschwunden, von Jahren unter Granaten ausgelöscht oder schlicht noch nie erfahren.

Wie nah Frieden und Lebensfreude verknüpft sind, das zeigten früher unsere Kinderlieder. Über allen strahlt die Sonne.

Während die Kinder im Donbass (und auch in Syrien, wohin wir ebenfalls humanitäre Hilfe leisten) diese Freude im Krieg fast vergessen haben, werde ich das unheimliche Gefühl nicht los, dass auch die Strangulation der Lebensfreude hier bei uns, wie sie durch die Corona Maßnahmen erfolgt, ein Teil davon Kriegsvorbereitung ist. Wenn das Leben im Frieden immer mehr dem im Krieg angenähert wird – vom Gefühl des Ausgeliefert Seins – bis hin zu Ausgangssperren und Einschränkungen beim Einkaufen, die problemlos in eine Rationierung überführt werden können – wenn also die Schwelle zwischen diesen beiden doch grundsätzlich verschiedenen Zuständen immer weiter abgetragen wird, dann wird es auch leichter und vor allem für die Regierenden und die Profiteure gefahrloser, von einem in den anderen überzugehen. Wenn die Lebensfreude der Grund ist, warum die Menschen den Frieden schätzen, dann wird das Kriegsführen leichter, wenn die Lebensfreude schon genommen ist.

Wenn wir heute in die freudestrahlenden Gesichter der russischen und amerikanischen Soldaten schauen, die sich 1945 das erste Mal trafen, kommt wieder der Gedanke:

Sie waren zwar noch im Krieg, aber fast schon im Frieden.

Wir befinden uns noch im Frieden, aber vor einem drohenden Krieg.

Es sollte nicht Mutlosigkeit sein, die uns an diesem Punkt beherrscht, und auch nicht nur der angebrachte und nötige Zorn auf die Kriegstreiber in unserem Land, wir sollten an der Lebensfreude festhalten und jedes Quäntchen davon pflegen, denn daraus kommt unsere Kraft zu widerstehen!

Lasst uns noch aktiver werden im täglichen Kampf für den Frieden.

Jetzt erst recht und trotz alledem!

Liane Kilinc ist Vorsitzende des Friedensbrücke-Kriegsopferhilfe e.V. und Mitglied im Deutschen Freidenker-Verband


 Bericht von der Veranstaltung in der DKP-Zeitung „Unsere Zeit“: https://www.unsere-zeit.de/signal-fuer-den-frieden-145236/


Beitragsbild oben: Ralf Lux