Frieden - Antifaschismus - Solidarität

Ein neuer Kalter Krieg gegen China

Aus: „FREIDENKER“ Nr. 1-21, März 2021, S. 3-10, 80. Jahrgang

von Björn Schmidt

Die ökonomische Entwicklung des Westens gerät gegenüber der Entwicklung Chinas ins Hintertreffen. Dessen wachsendes ökonomisches Gewicht in Verbindung mit seiner Außenpolitik hin zu einer multipolaren Weltordnung untergräbt die jahrhundertealte Vormachtstellung des Westens und trägt zur Stärkung des nicht-imperialistischen Weltteils bei. „Frieden mit China“ muss genauso wie „Frieden mit Russland“ zu einem Kernbestandteil der Friedensbewegung werden.

Der Aufstieg Chinas zur derzeit zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt war rasant. Nach einem Jahrhundert der Eroberung, Unterdrückung und Zerteilung durch die Kolonialmächte – darunter auch das Deutsche Reich – hat sich China in Folge der anti-feudalen und anti-imperialistischen Revolution 1949 auf den Weg einer aufholenden Entwicklung gemacht. In historisch kaum vergleichbarer Weise gelang dem von der Kommunistischen Partei Chinas regierten Riesenland eine Entfesselung der Produktivkräfte und ein Jahr für Jahr beispielloses Wirtschaftswachstum. Derzeit deutet nichts darauf hin, dass sich an dieser Tendenz etwas ändert. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg seit Beginn der „Politik der Reform und Öffnung“ unter Deng Xiaoping um mehr als das 80-fache. Das BIP der USA stieg in der gleichen Zeit lediglich um das 8-fache. Der Anteil an dem Welt-Bruttoinlandsprodukt von 84,9 Billionen US-Dollar 2018 teilt sich etwa so auf: USA: 24%, China: 11 %, Japan: 4 %, BRD: 3,3 %.

Setzt sich die derzeitige Wachstumstendenz fort, so wird China im Jahr 2030 mit einem BIP von rund 26,5 Billionen US-Dollar die größte Volkswirtschaft der Welt sein. China ist die wachstumsstärkste Volkswirtschaft, der weltweit größte Exporteur und die größte Handelsnation.

Auch technologisch holt China auf: Mit 60.000 Patenten meldete China 2020 weltweit die meisten Patente an. Seine Forschungsausgaben übertreffen die der EU-Mitgliedsstaaten und liegen fast gleichauf mit denen der USA. China ist bereits weltweit führend bei der Entwicklung von Hochtechnologie wie etwa Künstlicher Intelligenz (KI). China stellt mehr Geld für KI-Entwicklung bereit als der Rest der Welt zusammen und führt mit Abstand bei Forschungsarbeiten. Auch wenn die Anwendungsbereiche bislang noch unscharf sind, zeichnet sich hier erstmals der Verlust der Vorherrschaft bei einer Schlüsseltechnologie durch den Westen ab. Bereits die bessere und günstigere 5G-Mobilfunk-Ausrüstung aus China bringt den Westen auf diesem Feld in Bedrängnis. Das Technologiemonopol war stets eine der Grundlagen seiner Herrschaft über den Rest der Welt. Große Fortschritte machte China bei der Entwicklung und Herstellung von Hochgeschwindigkeitszügen, Stromerzeugung und Hochspannungsenergieübertragung, Robotertechnik und intelligenter Fertigung, Telekommunikation und IT, Fahrzeugtechnik und -Antriebe.

War Chinas Aufstieg bis noch vor wenigen Jahren mit dem Schlagwort „Werkbank der Welt“ , also der Auftragsfertigung wenig komplexer Produkte für westliche Firmen zu niedrigen Löhnen, verknüpft, so steht heute, nach Jahrzehnten des Technologietransfers die eigene Leistungsfähigkeit bei Forschung und Entwicklung im Vordergrund. Der ehrgeizige Plan „Made in China 2025“ (miC2025) hat seit Inkrafttreten im Jahr 2015 zum Ziel, Chinas erste Phase der Transformation zu einer Industriemacht zu bewältigen. Dies beinhaltet als Zielstellung Durchbrüche in zehn festgelegten Schlüsselindustrien (u.a. Maschinenbau, Luft– und Raumfahrtindustrie, Spezialschiffbau).

Der „Westen“ fühlt sich bedroht

In weiteren Phasen soll China bis 2035 eine mittlere Industriemacht und bis 2049 stärkste Industriemacht der Welt werden. Dies wird vom Westen ernst genommen. Der US-amerikanische Think-Tank Council on Foreign Relations sieht in Chinas Plänen eine „echte existenzielle Bedrohung für die Technologieführerschaft der USA“. Und auch George Soros, der sich die Verteidigung des Kapitalismus und insbesondere der westlichen Vorherrschaft mit Hilfe von Großspenden an entsprechende politische Parteien und Organisationen zur Lebensaufgabe gemacht hat, warnt: „Xi Jinping ist der gefährlichste Gegner offener Gesellschaften“.

Die USA sollten „praktisch nicht mit der ganzen Welt einen Handelskrieg führen“, sondern sich „auf China konzentrieren“. Westliche Strategen (z.B. MERICS) stellen fest, dass MiC2025 in die Realität umgesetzt wird und China tatsächlich in einzelnen Bereichen aufholen kann, versuchen dabei allerdings auch, Chinas Achillesferse zu identifizieren, z.B. eine noch bestehende Abhängigkeit vom Ausland bei bestimmten Hochtechnologien wie etwa Halbleitertechnik, Biotechnik und Luft- und Raumfahrt.

Der weitere Aufstieg Chinas ist eng verknüpft mit dem Projekt der sog. „neuen Seidenstraße“ oder „Belt and Road Initiative“ (BRI), wie sie offiziell heißt. Die 2013 von Präsident Xi Jinping angekündigten Pläne der „neuen Seidenstraße“ gehen deutlich über bisherige Wirtschaftskooperationen hinaus. Ein Wirtschaftsgürtel von Ost nach West entsteht, mit dem China zahlreiche politische Zielstellungen verknüpft: Mehr politische Kommunikation zwischen den beteiligten Staaten und intensivere Kooperation; Verkehrsinfrastruktur zwischen Ost-, Süd- und Westasien, vom Pazifik bis zur Ostsee, Europa eingeschlossen; Handelshemmnisse sollen fallen, damit entlang der BRI mit 3 Mrd. Menschen ein gigantischer Markt entsteht; Und nicht zuletzt die zunehmende Abwicklung des Handels in örtlichen Währungen, um Kosten zu sparen, Risiken zu verringern und die Abhängigkeit vom US-Dollar zu verringern.

Unter dem Etikett BRI laufen mittlerweile viele Infrastruktur- und sonstige Wirtschaftsprojekte, die scheinbar mit dem ursprünglich definierten geografisch umrissenen Wirtschaftsgürtel wenig zu tun haben. Damit wird deutlich, dass es sich nicht um ein regionales Programm handelt, sondern um eine globale Strategie. Insgesamt sollten von chinesischer Seite in den ersten zehn Jahren eine Billion US-Dollar aufgewendet werden, Beobachter sprechen allerdings schon vom Vielfachen. Bislang nehmen 137 Länder teil, die knapp 5 Mrd. Menschen und 40 % des Welt-BIP repräsentieren. Damit verbunden ist für viele der Länder die Hoffnung auf einen Entwicklungsschub, handelt es sich doch um nichts weniger als das größte Investitionsprogramm aller Zeiten.

Die Investitionen werden von den chinesischen Banken China Development Bank und China Exim Bank sowie der New Development Bank und der Asia Infrastructure Investment Bank gestemmt, welche als Gegenmodelle zu den westlich geprägten Institutionen IWF, Weltbank und Asian Development Bank gelten. Auch dies ist ein deutlicher Hinweis auf eine Schwächung des Westens. Seit 2017 wird China in den Strategiedokumenten der US-Regierung daher auch als „strategischer Langzeit-Wettbewerber“ bezeichnet. Die NATO spricht 2019 erstmals von den Herausforderungen die sich aus dem Gewicht und der internationalen Politik Chinas ergeben. Ähnlich äußerte sich die vormalige Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini: China sei für die EU nicht nur ein wichtiger Kooperations- und Verhandlungspartner in der internationalen Politik, sondern auch wirtschaftlicher Konkurrent und Systemrivale. Unterdessen macht die US-Regierung aber keinen diplomatischen Hehl mehr aus ihrer Einschätzung, sondern formuliert geradewegs eine Kriegserklärung: „Wir sehen die Chinesische Kommunistische Partei als das, was sie ist: die zentrale Bedrohung unserer Zeit“ (Ex-Außenminister Pompeo im Juli 2020).

Entwicklung statt Neokolonialismus

In der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg entstanden neue kolonialistische Herrschaftsmethoden, vor allem in Form von ökonomischer Abhängigkeit durch Kredite und Freihandelszonen. An eine tatsächliche Entwicklung der sog. Entwicklungsländer war nicht zu denken, solange politische Auflagen wie Privatisierung und Marktöffnung erpresst wurden – immer in Einheit mit drohenden Militärinterventionen und Destabilisierung. Die ökonomische Niederhaltung ist ein zentrales Element des Neokolonialismus. China hingegen betreibt Wirtschaftspolitik im Ausland ohne politische Einmischung und Auflagen, getreu der fünf völkerrechtlichen Prinzipien der friedlichen Koexistenz: Gegenseitige Achtung der Souveränität und der territorialen Integrität, gegenseitige Nichtangriffsversprechen, strikte Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten, Gleichberechtigung aller Länder unabhängig ihrer religiösen, kulturellen oder politisch-ideologischen Orientierung und Kooperation zum gegenseitigen Nutzen.

Aufbauend auf der alten Verbundenheit im antikolonialen Kampf wuchsen Chinas wirtschaftliche Aktivitäten Schritt für Schritt, so dass es heute – etwa in Afrika – größter Handelspartner und für ein Drittel der Infrastrukturinvestitionen verantwortlich ist. Der Abfluss von Gewinnen zurück nach China kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Beziehungen zwischen afrikanischen und anderen Ländern mit China nicht zu vergleichen sind mit den Beziehungen zu den westlichen Großmächten. So geht der größte Anteil der Investitionen längst nicht mehr in den Rohstoffsektor (nur 30 %), stattdessen fächern sie sich in Infrastruktur, Fertigung, Bildung und IT auf. Chinas Aktivitäten in Afrika führen dort zu einer tatsächlichen industriellen und landwirtschaftlichen Entwicklung.

Nach dem Vorbild des chinesischen ökonomischen Aufstiegs vereinbarten afrikanische Länder mit China im Rahmen des Focac (Forum on China Africa Cooperation) einen Technologietransfer beim Aufbau und Betrieb von Produktionsstätten sowie die jährliche Vergabe von zehntausenden Stipendien und Fortbildungsmaßnahmen – mit steigender Tendenz. Chinas Wirtschaftseinfluss in Afrika stärkt das politische Selbstbewusstsein vieler Staaten gegenüber den alten und neuen Kolonialmächten. Dies spiegelt sich etwa darin wider, dass Verträge, wie die sog. EPAs (Economic Partnership Agreements) zwischen afrikanischen Ländern und der EU, nicht mehr alternativlos sind, wie noch vor wenigen Jahren.

Um die neue Entwicklungszusammenarbeit zu hintertreiben, wurde der Vorwurf in die Welt gesetzt, China betreibe selbst Kolonialismus. Die Behauptungen, China beschäftige nur eigenes Personal, betreibe Ressourcenklau, treibe Länder in die Schuldenfalle und kaufe Agrarland im großen Stil auf haben sich bei näherer Betrachtung als unwahr erwiesen. Im Gegenteil: Chinas teils großzügige Kreditvergabe und Wirtschaftskooperation, insbesondere mit Iran, Venezuela und Kuba, ist für diese vom US-Imperialismus bedrohten Länder überlebenswichtig.

Mit der Schanghai-Cooperation-Organisation (SCO) bildet China, zusammen mit Kasachstan, Kirgisistan, Russland, Tadschikistan, Usbekistan, Indien und Pakistan, eine internationale Organisation zur Beilegung von Konflikten. Besonders die Beziehungen zwischen China und Russland sind eng und zum gegenseitigen Nutzen. Zu nennen sind hier die beiden Erdgaspipelines von Sibirien nach China, die gemeinsamen Manöver, die gemeinsame Entwicklung von Raketenabwehrtechnologie, die freundschaftlichen Gesten, wie etwa die Würdigung der jeweiligen Beiträge im Kampf um Befreiung Europas und Asiens von Faschismus und Krieg. China und Russland bilden heute den Kern derjenigen Staaten, die sich den Weltherrschaftsplänen des Imperialismus erfolgreich widersetzen.

Rettet Konfrontation die Hegemonie?

Der Westen mit den USA als Führungsmacht antwortet auf den scheinbar unaufhaltsamen ökonomischen, aber in Perspektive auch politischen und militärischen Aufstieg Chinas und vieler weiterer Entwicklungsländer und den damit einhergehenden drohenden Hegemonieverlust mit einer umfassenden ökonomischen, politischen und militärischen Gegenkampagne. Sie umfasst die Umzingelung Chinas, die Unterstützung von separatistischen Bewegungen und die Entfesselung eines Handelskrieges. So hat die US-Regierung schrittweise und eskalierend Sonderzölle in Höhe von 25 % auf die Hälfte der Importe aus China erhoben. Weiterhin wurden chinesische Direktinvestitionen in sog. sicherheitsrelevanten Bereichen deutlich gebremst.

Hohe Wellen schlug die Einstufung chinesischer Unternehmen wie Huawei als „kritisch“ auf einer Liste des Handelsministeriums, in dessen Folge sie nicht mehr mit US-amerikanischen Unternehmen kooperieren dürfen. Trotz eines Teilabkommens zur Lösung des Konfliktes Ende 2019 ist er weiterhin ungelöst. Die Attacken Washingtons gegen den chinesischen Konzern Huawei und das soziale Netzwerk TikTok zielen direkt auf die Niederhaltung der chinesischen Konkurrenz und die Aufrechterhaltung der Dominanz bei Schlüsseltechnologien. Dabei ist zweifelhaft, ob das beabsichtigte Ziel erreicht wird, zwingen die Maßnahmen doch China zur beschleunigten Entwicklung eigener Systeme.

Chinesisches Kommunikationsunternehmen als Feindbild

Nichtsdestotrotz zeigen sie, dass der Imperialismus bereit ist, seine weltweite Vormachtstellung auch zum Preis einer zunehmenden Hemmung der technologischen Entwicklung insgesamt und damit auch seiner eigenen zu verteidigen.

„Die Linke“-Abgeordnete Sevim Dagdelen beschreibt die militärische Strategie der USA zur Eindämmung Chinas, basierend auf drei strategischen Zielen: „Zum Ersten geht es darum, China selbst im südchinesischen Meer und in seiner unmittelbaren Umgebung herauszufordern, zum Zweiten darum, Chinas Zugang zum Indischen Ozean zu blockieren sowie drittens ist es die Absicht, perspektivisch die Verbindung nach Westasien und Europa zu kappen“.

Dazu wird die Zusammenarbeit mit den regionalen US-Bündnispartnern Taiwan, Australien, Neuseeland, Südkorea und Japan intensiviert. Weiterhin wird die Volksrepublik China mit Militärbasen eingekreist. Ständig befinden sich hohe US-Truppenkontingente im asiatisch-pazifischen Raum und 60 % der gesamten US-Kriegsflotte operiert dort. Bereits in den letzten Jahren hat es im südchinesischen Meer, in dem China Anspruch auf einige Inseln erhebt, seine Einheiten deutlich verstärkt.

Bis zum letzten Jahr verbot der INF-Vertrag zwischen den USA und Russland den beiden Unterzeichnerländern die Stationierung von (auch nuklear bestückten) Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite bis zu 5500 km. Schon kurz nachdem der Vertrag, nach Kündigung durch die US-Regierung im vergangenen Jahr, ausgelaufen war, begann diese mit Raketentests im Pazifik – eine ungeheure Provokation gegenüber China und seinen Sicherheitsinteressen. Die US-Regierung kündigte gleichzeitig an, künftig Mittelstreckenraketen in der Region zu stationieren. Hinzu kommen Luftbasen, wie auf der Insel Guam, und patrouillierende Kriegsschiffe.

Militaristischer Größenwahn

Auch die deutsche Bundesregierung macht bei der US-amerikanischen Mobilisierung gegen China mit. So forderte „Verteidigungs“-Ministerin Kramp-Karrenbauer im vergangenen November, dass sich Deutschland als Gegenmacht zu China positionieren solle, um dessen Machtanspruch einzudämmen. Von militaristischem Größenwahn gepackt sagte sie: „Ein Land unserer Größe und unserer wirtschaftlichen und technologischen Kraft, ein Land unserer geostrategischen Lage und mit unseren globalen Interessen, das kann nicht einfach nur am Rande stehen und zuschauen“. Und das Grundgesetz völlig ignorierend: „Die Aufgaben unserer Marine gehen über die Landes- und Bündnisverteidigung hinaus. Denn Seewege sind Lebensadern. Und so ist die Freiheit der Seewege für Deutschland und unseren Wohlstand von großer strategischer Bedeutung. (…) Unsere Partner im Indo-Pazifischen Raum – allen voran Australien, Japan und Südkorea, aber auch Indien – fühlen sich von Chinas Machtanspruch zunehmend bedrängt. Sie wünschen sich ein klares Zeichen der Solidarität. Für geltendes internationales Recht, für unversehrtes Territorium, für freie Schifffahrt.“

Daraufhin kündigte die Bundesmarine an, die Fregatte Hamburg für Manöver fünf Monate lang in den Pazifik zu schicken. Statt friedlicher Handelspolitik werden nun die alten kolonialistischen Töne – begleitet von handfesten Maßnahmen – gegenüber China wiederbelebt. In diesem Jahr soll nun das US-Militärmanöver „Defender Pacific“ stattfinden, die größte Übung der US-Armee in der Region seit Anfang der 1990er Jahre. Dafür stellt die US-Regierung 364 Mio. US-Dollar zur Verfügung.

Die Uiguren …

Neben dem Vorwurf „unfairer Handelspraktiken“ setzt der Westen auf die angebliche Unterdrückung ethnischer Minderheiten wie der Uiguren. Tatsächlich existiert in der chinesischen Provinz Xinjiang sowie im Exil seit Jahrzehnten eine separatistische Bewegung mit guten Kontakten in die Türkei, die USA und die BRD. Das teils islamistisch orientierte Milieu bekämpft die chinesische Regierung und machte in der Vergangenheit auch vor Pogromen gegen in Xinjiang lebende Han-Chinesen und vor terroristischen Anschlägen nicht halt.

Auf dem Boden realer Probleme, wie der ungleichen Entwicklung der Regionen Chinas, versuchen verschiedene Organisationen, Anhänger für die Abspaltung eines „Ostturkestans“ zu rekrutieren. Die chinesische Regierung antwortet mit Repressionen gegen Separatismus einerseits und andererseits mit der Hebung des Lebensniveaus und der wirtschaftlichen Entwicklung in der Provinz. Dazu gehört auch eine gezielt angeordnete politische Umerziehung von – als solchen eingestuften – Anhängern des Islamismus in Verbindung mit beruflicher Fortbildung, was von der US-Politikerin Gay McDougall – fälschlicherweise im Namen der UNO – als „Umerziehungslager mit bis zu 3 Mio. Häftlingen“ hochgekocht wurde und als internationaler Propaganda-Fake die Runde machte. Die UNO stellte klar, dass dies nicht ihre offizielle Position ist.

… und Hongkong

Ein weiterer Schwerpunkt der Strategie des Westens, China durch Separatismus zu schwächen, ist die Einmischung in die Beziehungen zwischen Festland-China und Hongkong, das staats- und völkerrechtlich zu China gehört. Hongkong hat, von 1997 an, eine auf 50 Jahre beschränkte Autonomie. Der Westen zeigt mit seiner Kampagne gegen das chinesische „Gesetz zum Schutz der nationalen Sicherheit in Hongkong“, dass er eine Abtrennung Hongkongs von China anstrebt. Als sei Hongkong ein eigenständiger Staat unter Protektion von USA, GB, EU und BRD, wurde in scharfen Worten von China verlangt, das Sicherheitsgesetz nicht zu verabschieden.

Aktivisten der im Stil des Maidans in der Ukraine angezettelten monatelangen Ausschreitungen wurden von der deutschen Bundesregierung hofiert. An den westlichen Einmischungskampagnen wird deutlich, dass die Zerteilung und Zerstückelung Chinas, wie in den alten Zeiten des Kolonialismus, zur Strategie gehört, den eigenen Status auf der Weltbühne zu sichern.

Der deutsche Imperialismus ist auf China als Absatzmarkt und Investitionsstandort stärker angewiesen als der US-Imperialismus. Dessen Frontstellung gegenüber China teilt er jedoch zunehmend. Offiziell bezieht die deutsche Bundesregierung die Position „Eine Abkoppelung der EU und Chinas ist nicht in unserem Interesse“ (Außenminister Maas). Man werde nicht zulassen, „dass wir zum Spielball einer Großmächtekonkurrenz der USA und Chinas werden“. Halboffiziöse Thinktanks, wie etwa die Berliner SWP, raten: „Die EU mit ihrem weltweit größten Binnenmarkt hat allen Grund, gegenüber China selbstbewusst aufzutreten und sich weder der US-Strategie des Containments noch jener der Abkopplung ganzer Wirtschaftsräume (»decoupling«) anzuschließen.“ Viel schwerer wiegen nämlich im ökonomischen Gesamtgewicht die Investitionen des deutschen Kapitals in China als dies bei den USA der Fall ist. Dies gilt etwa für die deutsche Automobilindustrie. VW-Chef Diess Anfang 2019: „Bisher haben wir europäische Technologie nach China gebracht. Das ist vorbei.“ Das Land werde in den nächsten Jahrzehnten das Machtzentrum der Automobilindustrie sein. „Die Zukunft von Volkswagen entscheidet sich auf dem chinesischen Markt.“ Doch gleichzeitig sind die USA als Absatzmarkt und Investitionsziel genauso bedeutsam für die deutsche Industrie.

Friedenssichernde Abhängigkeiten

Das Handelsblatt meldet dazu: „Europäische Firmen sind in einer Zwickmühle“ (…) „Je nach Branchen machen viele von ihnen derzeit noch den größeren Teil ihres Umsatzes in den USA – aber das Wachstum kommt aus Asien.“ Es sei daher „ohne jede Alternative, hier in China zu bleiben“. Und doch scheint es bei internationalen Treffen und ihren Erklärungen, als passe zwischen die deutsche Bundes- und die US-Regierung kein Blatt Papier, sei es in Bezug auf Hongkong, auf Xinjiang, auf die angemahnte Öffnung der chinesischen Wirtschaft oder die chinesische Rolle bei der Bekämpfung von COVID-19. Nach dem Berlinbesuch des chinesischen Außenministers Wang Yi im vergangenen Jahr tobte eine Debatte unter führenden deutschen Politikern um das „richtige“ Verhältnis zu China.

Widersprüchlichkeiten dieser Art drücken die Zerrissenheit der deutschen Strategie bzgl. des drohenden Großkonfliktes der USA mit China aus. Deutsches Kapital braucht Chinas Märkte und Anlagesphären mehr denn je, seine führenden Vertreter sehen aber genauso wie die der USA eine „systemische Konkurrenz“ (Bundesverband der Deutschen Industrie) heraufziehen. Vorerst überwiegt die Interessengleichheit mit den USA in dem Punkt, den Druck auf China wegen „unfairer Handelspraktiken“ – das heißt der souveränen chinesischen Industriepolitik mit Hilfe von Staatsunternehmen – zu erhöhen, um Zugeständnisse zu erhalten.

Angesichts der uneinheitlichen Haltung der einzelnen EU-Staaten gegenüber China – von der Teilnahme an der BRI, wie Italien, oder dem 17+1 Zusammenschluss osteuropäischer Länder mit China bis hin zur aggressiven Konfrontationspolitik Deutschlands und Frankreichs – gibt es für eine geschlossene „breite Allianz gegen China“, wie sie von den antichinesischen Hardlinern angestrebt wird, noch große Hindernisse. Dies kann sich in naher Zukunft jedoch ändern, etwa wenn deutschen Konzernen ernsthafte Konkurrenz aus China droht oder die Notwendigkeit, den Systemkonkurrenten China niederzuringen, dringlicher wird und sich in politischen Strategien niederschlägt.

2012 gegründet: Jährlich stattfindende Zusam­menkünfte der „China-Mittel-Ost-Europa-Gipfel, 17+1“

Das Handelsblatt berichtet bereits, dass die Bundesregierung zunehmend auf „Diversifizierung“ von Auslandsinvestitionen dränge. Man wolle die rasch zunehmende „wirtschaftliche Abhängigkeit von der Volksrepublik … verringern“, werden Stimmen aus dem Auswärtigen Amt zitiert. Es gehe, heißt es, um „die Eindämmung des Risikos, das von einer einseitigen Fokussierung auf einen Handelspartner ausgeht“.

Antichinesischer Konsens

Der Imperialismus begleitet seinen Aggressionskurs gegenüber China mit einer Hetzkampagne – international wie auch in Deutschland. Die Gegnerschaft zu China wird zunehmend zum Konsens scheinbar verfeindeter politischer Parteien und Lager. Die Durchsetzung dieser Position in der Bevölkerung stößt allerdings auf ernsthafte Hindernisse. Seit über einem Jahr werden US-Regierung und -Opposition nicht müde, China die Schuld am Ausbruch von COVID-19 zu geben – bis hin zur wahnwitzigen These, China habe das Virus sogar selbst entwickelt, um den westlichen Ländern zu schaden.

Den aggressiven Vorwürfen der US-Regierung gegen China schlossen sich auch zahlreiche deutsche Medien und Politiker an, von BILD bis ZEIT, von den Grünen bis zur CDU. Immer stärker werden wirtschaftliche und politische Maßnahmen gegen China eingefordert. Die Grüne Annalena Baerbock forderte eine Absage des für September 2020 geplanten EU-China-Gipfels in Leipzig wegen der Einführung des Sicherheitsgesetzes in Hongkong. Auch aus dem anarchistisch-autonomen Spektrum wurde nun ohne Zurückhaltung gegen China getrommelt.

Leipziger Gruppen demonstrierten gegen den EU-China-Gipfel unter dem Motto „Gegen die Festung Europa und das autoritäre Regime Chinas“. In allen Bundestagsparteien und vielen Bewegungen und Organisationen haben sich einflussreiche anti-chinesische Stimmen etabliert.

Einen Gleichklang von „linksradikal“ bis zur AfD gibt es etwa beim Thema Hongkong. Die Zugehörigkeit Hongkongs zu China wird negiert, das Sicherheitsgesetz delegitimiert. Die bisherige Linkspartei-Vorsitzende Kipping hofft: „dass beim Gipfel zwischen EU und China nicht nur das Thema Marktzugang angesprochen wird, sondern dass es zuallererst um die Menschenrechte geht. Und ich erwarte, dass die Bundesregierung gegenüber der chinesischen Führung eines sehr deutlich macht: Es muss Schluss sein damit, dass Uiguren, dass Minderheiten eingesperrt werden in China in Lager. Es darf keine Repression gegenüber der Demokratiebewegung in Hongkong geben.“

Doch die chinafeindliche Kampagne fruchtet zunächst nicht richtig. Eine deutliche Mehrheit – 73 % – der deutschen Bevölkerung verlangt von der Bundesregierung, sich in dieser Auseinandersetzung nicht an der Seite der USA zu positionieren (Sicherheitsreport 2020 des „Centrum für Strategie und höhere Führung“). Diese Ergebnisse bringen Redakteure deutscher Leitmedien zum Kochen. Spiegel Online etwa titelte im Mai 2020: „Junge Deutsche wandeln sich zu China-Fans“. „Am größten ist der Anteil der China-Fans bei den 18- bis 34-Jährigen. Fast die Hälfte von ihnen, 46 Prozent, erwartet mehr von Peking als von Washington (umgekehrt 35 Prozent, die übrigen sind unentschieden). Im Osten liegt für junge Deutsche anscheinend die Macht der Zukunft. (…) 25 Prozent [der Deutschen] geben an, ihr Bild von China sei positiver geworden“.

Variante für „linke“ Zielgruppen

Die Politstrategen in den westlichen Thinktanks, die den Neuen Kalten Krieg gegen China entfesseln wollen, setzen nicht allein auf die plumpe offene Hetze gegen China. Vielmehr wurden „linke“ und „alternative“ Stimmen gegen China laut, die auf einer Gleichsetzung von Imperialismus mit China fußen. Ob es um Überwachungstechnik, die Nutzung von Hochtechnologie wie 5G oder Smartcities, Strategien zur Eindämmung von Covid-19, die Rolle des Militärs oder Chinas Präsenz in internationalen Gremien und Konferenzen geht:

Die Gleichsetzung Chinas mit Imperialismus bedient sich immer vermeintlicher oberflächlicher Ähnlichkeiten bei Ausblendung der fundamental verschiedenen Gesellschaftsordnungen Sozialismus und Kapitalismus, der damit einhergehenden Unterschiedlichkeit der Staatsapparate und der auch außenpolitisch entgegengesetzten Ziele.

Die Hoffnung darauf, dass Deutschland aufgrund seiner Abhängigkeit vom chinesischen Markt sich nicht an einer künftig auch militärischen Eskalation beteiligen würde, ist trügerisch. Die Bundesrepublik gehört ökonomisch-politisch-militärisch zum westlichen Lager, zu NATO, EU, zu den internationalen Finanzinstitutionen.

Seit ihrer Gründung 1949 ist die BRD das Land Europas mit dem größten Anteil US-amerikanischen Kapitals und entsprechend starker politischer Bindung an den US-Imperialismus. Sie profitiert von seiner weltweiten Vormachtstellung, was Konkurrenz und Konflikt untereinander nicht ausschließt. Ein kurzer Blick in den medialen Mainstream und leider auch zunehmend in die „alternativen Medien“ zeigt: Stimmungsmache, Hetze, Mobilisierung nicht mehr allein gegen Russland, sondern nun auch gegen China.

Dabei gibt es Hoffnung: Denn die Stimmungsmache verfängt nicht so, wie es von den Herrschenden gewünscht wird. Die Bewunderung für Chinas Leistungen, nicht nur bei der COVID-19-Bekämpfung sondern bei Armutsbekämpfung, bei technologischem Fortschritt, bei der rasanten Entwicklung der Infrastruktur des Landes, bei Mobilität und Verkehr, bei der Hebung des Massenwohlstands, beim Gesundheitswesen, in Kultur und Sport nimmt zu – weltweit und in der Bundesrepublik. Genauso der Wunsch, mit China zu kooperieren und sich nicht auf den Kriegskurs der USA zu begeben. Hinzu kommt das wirtschaftliche Interesse bei kleinen und mittleren Unternehmen, stabile Geschäftsbeziehungen mit China nicht einer imperialistischen Globalstrategie zu opfern.

Fregatte Bayern soll im Sommer im Südchinesischen Meer aufkreuzen.  Foto: Pedro Carreras, Quelle: wikimedia.org, CC 3.0

Die Bundesregierung muss unter Druck gesetzt werden, ihre Teilnahme an Manövern abzusagen, die Kriegsschiffe der Bundesmarine zurückzuholen, die Einmischung in die Angelegenheiten Chinas zu unterlassen und das Völkerrecht zu achten, insbesondere die nationale Souveränität Chinas und aller anderen Staaten. Internationale Verträge, wie der von den USA gekündigte INF-Vertrag, dürfen nicht zu Gunsten der USA und ihrer Anti-China-Strategie sabotiert werden. Die Bundesregierung muss zu einer Annäherung an China gezwungen werden und zu einer Beteiligung Deutschlands an der Seidenstraße – ohne Illusionen darüber, dass die BRD damit sozialistischer würde, aber mit dem Ziel, die Kooperation und Freundschaft mit China auch als wirtschaftliche Alternative zum krisengeschüttelten, westlichen Kapitalismus unter US-amerikanischer Vorherrschaft anzubieten. All dies erfordert eine umfassende Zerlegung des „Feindbildes China“ in all seinen Facetten, das uns tagtäglich eingehämmert wird.

Björn Schmidt ist Mitglied des Deutschen  Freidenker-Verbandes Hannover


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