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Die Solidarität der EU

Wegen des Ausbleibens von Unterstützung aus Brüssel und Berlin bitten mehrere Staaten Europas Beijing um Hilfe im Kampf gegen Covid-19.

Erstveröffentlichung am 17.03.2020 auf www.german-foreign-policy.com

BERLIN (Eigener Bericht [von german-foreign-policy.com]) – Nach dem Ausbleiben von Unterstützung sowie nach Exportverboten für medizinische Schutzausrüstung seitens Deutschlands und der EU bitten mehrere europäische Staaten China um Hilfe im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie. Hatte vergangene Woche Italien erste Hilfslieferungen aus der Volksrepublik erhalten, weil Deutschland die Ausfuhr wichtiger Schutzkleidung nicht erlaubt, so hat sich am Sonntag nun auch Serbien mit der Bitte um Hilfe an Beijing gewandt. Vorausgegangen war der Beschluss der EU, das deutsche Exportverbot umgehend für sämtliche Mitgliedstaaten verpflichtend zu machen und die Ausfuhr wichtiger Güter zur Covid-19-Bekämpfung allenfalls noch in Ausnahmefällen zu gestatten. Serbien hat drastische Maßnahmen eingeleitet, um die Pandemie zu stoppen – ein Versuch, der in China gelungen ist, den Deutschland jedoch unterlässt; hierzulande heißt es nur noch, man wolle die Virus-Ausbreitung „verlangsamen“. Die Coronakrise verstärkt neben den Rissen in der EU auch die transatlantischen Spannungen: Die Trump-Administration hat einen aussichtsreichen deutschen Impfstoffhersteller zu übernehmen versucht.

Exportstopp für Schutzausrüstung

Erheblichen Unmut hatte zunächst die Entscheidung der Bundesregierung vom 4. März ausgelöst, einen Exportstopp für bestimmte Arten medizinischer Schutzausrüstung zu verhängen. Begründet wurde das mit der Notwendigkeit, zu erwartende Knappheit im eigenen Land zu verhindern – eine bemerkenswerte Aussage: Die schnelle Ausbreitung des Covid-19-Virus war seit Mitte Januar bekannt; wieso ein Land, das sich als Vormacht der EU begreift und Weltmachtambitionen an den Tag legt, nicht in der Lage ist, binnen sechs Wochen seine Versorgung etwa mit den nötigen Atemschutzmasken zu organisieren, ist nicht wirklich klar. Schon am 6. März drangen eine ganze Reihe von EU-Staaten sowie Janez Lenarčič, EU-Kommissar für humanitäre Hilfe und Krisenschutz, darauf, Berlin solle das Exportverbot umgehend wieder aufheben; andernfalls stelle Deutschland die Fähigkeit der EU, gemeinsam auf die Coronakrise zu reagieren, in Frage.[1] Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wies die Forderung kategorisch zurück und verlangte seinerseits, anstatt Kritik an der Bundesrepublik zu üben, solle Brüssel umgehend den Export von Schutzausrüstung an Nicht-EU-Staaten verbieten.

Im Stich gelassen

Am härtesten getroffen hat das deutsche Exportverbot Italien. Das Land verzeichnete am 4. März – an dem Tag also, an dem die Bundesregierung ihr Exportverbot für Schutzausrüstung verhängte – erstmals mehr als 3.000 Covid-19-Infektionen und mehr als 100 Covid-19-Todesfälle. Am 5. März stieg die Zahl der Todesopfer auf fast 150, am 6. März bereits auf knapp 200. Wegen der Epidemie hatte Rom bereits bei der EU um Nothilfe ersucht, aber sogar noch am 12. März keinerlei Unterstützung bekommen.[2] Damit wiederhole sich, was Italien bereits in mehreren tiefen Krisen erlebt habe, urteilte Nathalie Tocci, Direktorin des renommierten Istituto Affari Internazionali (iai) in Rom: Das Land sei von der EU stets „alleingelassen worden“ – erst in der Eurokrise, dann während der Massenflucht nach Europa in den Jahren 2015 bis 2016, „jetzt in der Coronakrise“.[3] Erschwerend kam hinzu, dass EZB-Präsidentin Christine Lagarde Italien am 12. März mit der Äußerung in den Rücken fiel, es sei nicht die Aufgabe ihrer Institution, Risikoaufschläge („spreads“) zu senken; die Äußerung werde Rom „teuer zu stehen kommen“, urteilten Spezialisten mit Blick auf die Schwäche des italienischen Finanzwesens, „und das gerade in einer Phase, in der das Land mehr Geld zur Bewältigung der schweren Corona-Krise benötigen wird“.[4] Lagardes Äußerung stieß in Rom entsprechend auf empörten Protest.

Hilfslieferungen aus China

Eine gewisse Wende brachte erst ein Covid-19-Hilfsprogramm der Volksrepublik China. Am 12. März traf in Rom ein Team von neun chinesischen Experten mit 31 Tonnen Hilfsgütern zum Kampf der Pandemie ein. Bereits zuvor hatte Beijing Covid-19-Experten und -Hilfsgüter nach Iran und in den Irak entsandt; Italien war allerdings der erste Staat Europas, der – von der EU im Stich gelassen – aus China Unterstützung erhielt: ein bemerkenswerter Moment in der Geschichte des Kontinents, der einst China zur Halbkolonie degradierte und es nicht gewohnt ist, sich von ehedem militärisch unterworfenen und ökonomisch ausgeplünderten Ländern helfen zu lassen. „Das ist es, was wir als Solidarität bezeichnen“, erklärte Italiens Außenminister Luigi Di Maio zu den chinesischen Hilfslieferungen.[5] Nicht nur in EU-kritischen Spektren des Landes hat die Erfahrung, von der Union in einer umfassenden Krise ignoriert, von Beijing dagegen unterstützt worden zu sein, einen tiefen Eindruck hinterlassen. In einem Akt der Schadensbegrenzung hat die Bundesregierung noch am 12. März das Exportverbot für Schutzausrüstung dahingehend modifiziert, dass Ausnahmen genehmigt werden können [6], und Italien die Lieferung von einer Million Atemschutzmasken plus weiterer Ausrüstung in Aussicht gestellt [7]. Ob das genügt, die erstarkende Kritik in Italien zu beschwichtigen, ist ungewiss.

Brief an Beijing

Parallel zu der punktuellen Relativierung des deutschen Exportverbots hat die EU die Forderung, die Gesundheitsminister Spahn vor zehn Tagen erhoben hat, erfüllt und am Sonntag nun ihrerseits ein Ausfuhrverbot für Covid-19-Schutzausrüstung in Nicht-EU-Staaten erlassen; künftig müssen sämtliche EU-Mitglieder dem deutschen Vorbild folgen und die Lieferung solcher Güter in andere Länder ausdrücklich genehmigen.[8] Erneut zeichnet sich ab, dass Beijing in die Bresche springt. Am Sonntagabend teilte Serbiens Präsident Aleksandar Vučić mit, er habe seinem chinesischen Amtskollegen Xi Jinping einen Brief mit der Bitte um Hilfe gesandt; dabei gehe es nicht nur um Hilfsgüter, sondern auch um die Entsendung von Medizinern. Serbien versucht, nach dem Vorbild Chinas die Ausbreitung der Pandemie vergleichsweise früh zu stoppen, und hat bereits nach der Entdeckung von 55 Covid-19-Infektionen harte Schritte von der Schließung der Schulen bis zur Schließung seiner Grenzen beschlossen. Ausgenommen vom Einreiseverbot seien lediglich Chinesen, „die wir bitten, zu kommen und uns mit allem zu helfen“, erklärte Vučić am Sonntag, wobei er starken Unmut über das EU-Exportverbot bekundete, das es Belgrad faktisch unmöglich macht, medizinische Schutzausrüstung aus der Union zu beziehen. Das Verbot sei „von Leuten“ verhängt worden, „die uns belehrt haben, wir sollten keine chinesischen Waren kaufen“, sagte Vučić.[9]

Risse in der EU

Mit seiner Äußerung spielte Vučić auf den Konflikt um die Wirtschaftskooperation zahlreicher Länder Ost- und Südosteuropas, darunter Serbien, mit China an. Weil die EU weite Teile ihrer ost- und südosteuropäischen Peripherie lediglich als billige Produktionsstandorte nutzt und sie sonst politisch und ökonomisch vernachlässigt, ist es Beijing im vergangenen Jahrzehnt gelungen, seine Zusammenarbeit mit der Region spürbar zu intensivieren („16+1“ bzw. „17+1“, german-foreign-policy.com berichtete [10]). In Berlin und Brüssel hatte dies starken Unmut ausgelöst. Ebenso verhielt es sich, als im vergangenen Jahr auch Rom die „Seidenstraßen“-Kooperation mit Beijing verstärkte; Berlin und Brüssel unternahmen fast alles, um den Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung zu verhindern, blieben damit jedoch erfolglos.[11] Die ausbleibende Covid-19-Hilfe aus Brüssel und die Unterstützung aus Beijing verstärken die Risse in der EU ein Stück mehr.

Übernahmeversuch

Gleichzeitig heizt die Coronakrise auch die transatlantischen Spannungen weiter an. Am Sonntag war ein US-Versuch bekannt geworden, die Tübinger Firma Curevac zu übernehmen und ihren Hauptsitz in die Vereinigten Staaten zu verlagern, um Zugriff auf ihre Patente zu erhalten. Curevac arbeitet an einem Covid-19-Impfstoff; Firmenchef Daniel Menichella hatte am 3. März an einem Treffen im Weißen Haus teilgenommen, auf dem US-Präsident Donald Trump mit Managern aus der Pharmabranche über die Herstellung eines solchen Impfstoffs gesprochen hatte. Laut Berichten soll Trump den Curevac-Eignern eine Milliarde US-Dollar in Aussicht gestellt haben; dafür habe der Impfstoff zunächst nur in den Vereinigten Staaten zur Verfügung stehen sollen.[12] Der Fall hat in den vergangenen Tagen für erhebliche Aufmerksamkeit und hektische diplomatische Aktivitäten gesorgt.[13] Letztlich ist der Übernahmeversuch abgewehrt worden. Spekulationen besagen, die plötzliche Ablösung von Menichella kurz nach seinem Besuch im Weißen Haus habe mit der Angelegenheit zu tun. Die Bundesregierung hat klargestellt, sie hätte die US-Übernahme gegebenenfalls mit allen Mitteln verhindert.

[1] Francesco Guarascio, Philip Blekinsop: EU fails to persuade France, Germany to lift coronavirus health gear controls. reuters.com 06.03.2020.

[2] Elisabeth Braw: The EU Is Abandoning Italy in Its Hour of Need. foreignpolicy.com 14.03.2020.

[3] Ben Hall, Miles Johnson, Martin Arnold: Italy wonders where Europe’s solidarity is as coronavirus strains show. ft.com 13.03.2020.

[4] Stefan Schaaf: „Fiscal First“ – Lagarde schockiert Italien. capital.de 12.03.2020.

[5] Coronavirus: arrivati in Italia dalla Cina 9 medici specializzati. repubblica.it 13.03.2020.

[6] Anordnung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie von Beschränkungen im Außenwirtschaftsverkehr für bestimmte Schutzausrüstung. zoll.de 12.03.2020.

[7] Tonia Mastrobuoni: Coronavirus, la Germania invierà un milione di mascherine all’Italia. larepubblica.it 13.03.2020.

[8] Commission moves to ensure supply of personal protective equipment in the European Union. ec.europa.eu 15.03.2020.

[9] Milica Stojanovic: Serbia Imposes State of Emergency, Pleads for China’s Help. balkaninsight.com 16.03.2020.

[10] S. dazu Ein Kompass für Südosteuropa.

[11] S. dazu Kampf um die Seidenstraße.

[12] Jan Dams: Donald Trump greift nach deutscher Impfstoff-Firma. welt.de 15.03.2020.

[13] Feindliche Übernahme in Zeiten von Corona? Frankfurter Allgemeine Zeitung 16.03.2020.

 

Link zur Erstveröffentlichung: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8218/

Anmerkung zur Quelle: Die „Informationen zur Deutschen Außenpolitik“ (german-foreign-policy.com) werden von einer Gruppe unabhängiger Publizisten und Wissenschaftler zusammengestellt, die das Wiedererstarken deutscher Großmachtbestrebungen auf wirtschaftlichem, politischem und militärischem Gebiet kontinuierlich beobachten. Weitere Informationen hier: https://www.german-foreign-policy.com/info/editorial/


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