Die Vernunft verteidigen – gegen Sekten, Aberglauben, religiösen Wahn
Eröffnung der L. Ron Hubbard Straße in Los Angeles. Es war der Gründer der Scientology-„Sekte“. Zu der Veranstaltung kamen tausende von Menschen.
KEINE WOCHE VERGEHT…
ohne neue Schreckensmeldung: Persönlichkeitszerstörung, Entfremdung von Eltern und Freunden, totale psychische Abhängigkeit oder wirtschaftlicher Ruin bis hin zur organisierten Massenselbsttötung, – die Medien sind auf regelmäßige Sensationsberichterstattung über sogenannte „Sekten“, Gurus, Wunderheiler und andere Scharlatane abonniert. Die teils kriminellen Methoden der obskuren Geschäftemacher stehen außer Frage, aber: das Interesse der Massenmedien gilt vor allem den Auflagenhöhen und Einschaltquoten, und nur selten seriöser Information; die Aufklärung, auch über Gefahren, bleibt so meist auf der Strecke.
„Moderner“ Wunderglaube, obskure Gruppen und okkulte Praktiken, neue Gurus, Psychokulte und ein boomender Esoterikmarkt – der religiöse Supermarkt mit immer neuen Sonderangeboten ist eine Wachstumsbranche mit ungebrochener Nachfrage.
WOHER KOMMT DIE KUNDSCHAFT?
Der Bedarf an Heilsversprechen und Religiosität wächst in Krisenzeiten enorm, er ist Ergebnis von Orientierungsverlust und Abwesenheit von Sinn; klassisch gesprochen, der Geist geistloser Zustände. Auf die Frage nach dem Sinn des Lebens und der Zukunft finden Viele keine rationale Antwort mehr. Wo Ausgrenzung, Existenzbedrohung, soziale Erniedrigung zu einem massenhaften Phänomen wird, wachsen Perspektivlosigkeit und Zukunftsangst, nimmt die Empfänglichkeit für neue Heilsbringer und ihre Botschaften zu.
Die private religiöse Sinnsuche außerhalb der Großkirchen ist eine Folge der gepriesenen Individualisierung, sprich der Vereinzelung, Entsolidarisierung, des Egoismus und Kampfes jede/r gegen jede/n, Resultat von Entfremdung und Selbstentfremdung, der erfahrenen Zerrissenheit der realen Welt.
IRRATIONALISMUS – AUCH GANZ WELTLICH
Die geistlosen Zustände bringen nicht nur Wunderliches in religiösem Gewand hervor. In den Massenmedien wimmelt es von „Außerirdischen“, gegen sie soll alles Menschenwerk vergeblich sein, „kosmische Sachzwänge“ fordern Gehorsam. Selbst Publikationen, die als seriös gelten wollen, mögen nicht auf den Hokuspokus mit den Horoskopen verzichten.
In vielen Völkshochschulprogrammen tummeln sich immer mehr „Geistheiler“ und andere Spinner. In den Feuilleton-Spalten und den Geisteswissenschaften macht sich Wissenschaftsfeindlichkeit und wissenschaftlich gestylte Mystik breit. Jene, die als Rezept gesellschaftlicher Gesundung die „Selbstheilungskräfte des Marktes“ beschwören, richten zugleich an den Hochschulen Lehrstühle für Esoterik und andere irrationale Heilslehren ein. Die Erkennbarkeit der Welt wird bestritten mit dem Ziel, ihre Veränderbarkeit zu leugnen. Der Kapitalismus wird als ewige Ordnung, als „Ende der Geschichte“ gepriesen.
Freidenkerinnen und Freidenker setzen dagegen die Verteidigung der Vernunft und bekämpfen den Irrationalismus in jeder, nicht nur in seiner „heiligen“ Gestalt.
„SEKTEN“?
Der Begriff der „Sekte ist ein untauglicher Begriff, alle Religionen haben als „Sekten“ begonnen. Was wir heute als Religionen bezeichnen, waren vordem erfolgreiche „Sekten“. Die Bezeichnung „Sekte“ wird überwiegend als Kampfbegriff der Etablierten gegen unliebsame Konkurrenz gebraucht.
Wir haben aber keinen Anlaß, den „Sekten“-Unsinn etwa deshalb zu verteidigen (oder klammheimliche Sympathie für ihn zu empfinden), weil er eine Konkurrenz und mögliche Schwächung der Großkirchen bedeutet. Dem Papst und auch „Realpolitikern“ in den Amtskirchen ist es wichtig, daß die Menschen überhaupt glauben. Umgekehrt lassen wir uns nicht in die kirchlich inspirierte Kampagne zur Bekämpfung ihrer unliebsamen Konkurrenz einspannen.
Kirchen und „Sekten“ – Jacke wie Hose
Wir werfen keinesfalls die veschiedenen Organisationen in einen Topf. So gibt es einerseits rationalere Strömungen in den Kirchen, mit denen man die Diskussion und in bestimmten Fragen Zusammenarbeit suchen kann, andererseits gibt es jene kriminellen Organisationen, die Giftgasanschläge verüben, Selbsttötungsorgien organisieren, kidnappen, gefangenhalten, psychischen und physischen Terror ausüben.
Unser Maßstab der Beurteilung ist der Grad des Irrationalismus, den jede einzelne sogenannte „Sekte“ oder Kirche unters Volk bringt, in weichem Maße sie die Köpfe der Menschen gefangennimmt, ihre Freiheit des Denkens enteignet, sie der realen Welt entfremdet, ihre selbstbewußte und selbstbestimmte Tätigkeit untergräbt, sie vom aktiven Eingreifen in die Auseinandersetzungen und Kämpfe für ihre Interessen abhält.
GEGEN „SEKTEN“- MIT DEN KIRCHEN IM BUNDE?
Im Kampf gegen die Gefahren der obskuren Gruppen und für reale Aufklärung sind die sogenannten „Sektenbeauftragten“ der Großkirchen keine Verbündeten, sondern die klassische Fehlbesetzung. Ihren Auftraggebern geht es um Konkurrenzbekämpfung, weshalb sie alle nicht „Rechtgläubigen“ einschließlich freie Weltanschauungsgemeinschaften ins Visier nehmen.
Sie vertreten Institutionen, die selbst Wunder- und Reliquienglaube fördern, Heilige-Rock-Wallfahrten und Exorzismus praktizieren, Organisationen mit „Sekten“-Struktur unterhalten wie Opus Dei oder den „Orden vom Heiligen Grab“, und die jene „neuen religiösen Bedürfnisse“ mit reaktionären Bewegungen wie den “ Evangelikalen “ oder den “ Charismatikern“ auffangen wollen.
NAZI-RELIGIOSITÄT
Ein besonderes Kapitel stellen Gruppen dar, die unter religiösem Deckmantel faschistische und rassistische Ideologien verbreiten. Sie verdienen die gesteigerte Aufmerksamkeit aller demokratisch und antifaschistisch eingestellten Menschen. Diese Gruppen verehren die „alten keltischen und germanischen Götter“ und propagieren ein „Neuheidentum“. Ihre Gegnerschaft gegen alles „christlich-jüdische“ ist reaktionär, weil gegen die Gleichheit und die Solidarität mit den Schwachen gerichtet. Bei ihrer Propagierung des nordischen Herrenmenschen fordern sie das Ver hungernlassen der aus ihrer Sicht Minderwertigen in den unterentwickelt gehaltenen Ländern. Diese Gruppen sind, wie alle Nazi-Organisationen, nach dem Grundgesetz zu verbieten und aufzulösen!
„STARKER STAAT“ GEGEN „SEKTEN“?
Kirchenvertreter und eine Mehrheit der Enquete-Kommission des Bundestages „Sog. Sekten und Psychogruppen“ propagieren staatliche Zwangsmaßnahmen zum Schutz vor „Sekten“ vom Geheimdiensteinsatz bis zu Berufsverboten. Dies lehnen wir als sachlich ungeeignet und aus prinzipiellen Gründen ab. Ein weiterer Abbau demokratischer Rechte, der Marsch in den totalen Oberwachungsstaat muß verhindert werden!
Damit wollen wir nicht eine sogenannte Religionsfreiheit aller möglichen obskuren Gruppen verteidigen. Gegen kriminelle Machenschaften gibt es Gesetze und polizeilichen Zugriff, hingegen lehnen wir Geheimdienste zur Bespitzelung der Bevölkerung grundsätzlich ab, nicht nur in „untergegangenen Staaten „.
ALTERNATIVE: AUFKLÄRUNG!
Freidenkerinnen und Freidenker setzen auf die Möglichkeit der aufklärung, der Information und Beratung. Dies darf nicht der kirchlichen Konkurrenz oder Sensationsjournalisten überlassen werden. Wir fordern die Unterstützung öffentlicher Stellen, wissenschaftlicher Einrichtungen und anderer Initiativen, die es sich zur Aufgabe machen, über den „höheren“ Schwachsinn aufzuklären, vor den Praktiken der dubiosen Organisationen zu warnen, Aussteigern zu helfen und sie vor der Rache der Guru-Anhänger zu schützen. Die Gliederungen des DFV sind gefordert, sich auf diesem Gebiet verstärkt zu engagieren.
IN DER SCHULE BEGINNEN
Zur öffentlichen Aufklärung gehört nicht zuletzt, bei der Erziehung von Kindern und Jugendlichen anzusetzen. Nicht missionarische Glaubensunterweisung in Form des konfessionellen Unterrichts ist angesagt, erforderlich ist eine Erziehung zur weltanschaulichen Mündigkeit und Selbstbestimmung.
Kirche und Schule gehören endlich und gründlich getrennt. Ansätze dazu wie im Schulfach LER (Lebenskunde, Ethik, Religionskunde) im Land Brandenburg sind nachdrücklich zu unterstützen. Die Regelschule nach dem Grundgesetz muß die bekenntnisfreie Schule werden.
KRITIK AN „SEKTEN“ IST GESELLSCHAFTSKRITIK!
Wie die Kritik an der Religion bleibt auch die Kritik an den „Sekten“ stumpf, wenn sie sich auf den geistigen Bereich beschränkt, und nicht zu den gesellschaftlichen Grundlagen vordringt. Thematisiert werden müssen die gesellschaftlichen Verhältnisse, die statt humanen Lebenssinns eine Sucht nach Irrationalismus, nach Flucht aus der Realität, nach illusionärer Tröstung produzieren.
Nur eine Gesellschaft, in der der Mensch kein verlassenes, erniedrigtes, verächtliches Wesen ist, sondern in der die Teilhabe aller Menschen als Subjekte am gesamten gesellschaftlichen Lebensprozeß gefördert wird, bedarf der diversen Heiligenscheine nicht. In diesem Sinne ist für Freidenkerinnen und Freidenker die Religionskritik wie die Kritik an „Sekten“ immer Gesellschaftskritik. Die Diskussion über Grundfragen der Entwicklung, der Zukunft und grundsätzliche gesellschaftliche Alternativen muß offen, öffentlich und offensiv geführt werden.
Und es ist höchste Zeit für eine Alternative zu dem System, das Kapitalverwertung und Profitmaximierung zum Allerheiligsten erklärt, auch wenn Menschenwürde und Menschenrechte dabei auf der Strecke bleiben!
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