Frieden - Antifaschismus - Solidarität

20 Jahre seit NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien – Teil 13 und 14

Der Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien am 24. März 1999 markierte das Ende des Friedens in Europa, ein Frieden, der seit der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs gehalten hatte, zumindest in Europa. Mit Beiträgen in loser Folge wird RT-Deutsch in den nächsten Wochen die wichtigsten Stationen der NATO-Vorbereitungen auf diesen Krieg in Erinnerung rufen.

Wir veröffentlichen die Teile 13 und 14 hier zusammenhängend.

Übersicht

Bisher veröffentlicht:

Teil 1 – 16.02.2019: Ursachen, Hintergründe, Fake News und False Flag von Rainer Rupp

Teil 2 – 21.02.2019: Deutschlands Rückbesinnung auf unrühmliche Traditionen von Klaus Hartmann

Teil 3 – 25.02.2019: Luftangriffe in Bosnien-Herzegowina als Test für Kosovo von Rainer Rupp

Teil 4 – 01.03.2019:  Falsche-Flagge-Massaker als Vorwand für NATO-Aggression von Rainer Rupp

Teil 5 – 02.03.2019: Warum wurde Milošević zum Hassobjekt des Westens? von Klaus Hartmann

Teil 6 – 04.03.2019: Das „Račak-Massaker“ – Teil des NATO-Drehbuchs (I) von Doris Pumphrey

Teil 7 – 06.03.2019: Das „Račak-Massaker“ – Teil des NATO-Drehbuchs (II) von Doris Pumphrey

Teil 8 – 08.03.2019: Teil des NATO-Drehbuchs – „Massaker von Srebrenica“ (I) von George Pumphrey

Teil 9 – 09.03.2019: Teil des NATO-Drehbuchs – „Massaker von Srebrenica“ (II) von George Pumphrey

Teil 10 – 09.03.2019: Terror-Paten und die letzte Chance von Klaus Hartmann

Teil 11 – 20.03.2019: Der Countdown läuft – Die letzten Tage vor dem Angriff von Rainer Rupp

Teil 12 – 21.03.2019: Lügen, bis sich der Balkan biegt von Klaus Hartmann

Neu auf dieser Seite

Teil 13 – 22.03.2019: Momentaufnahme zwei Tage vor dem Angriff von Rainer Ruppp

Teil 14 – 24.03.2019: Kriegsverbrechen und Kriegslügen von Ralph Hartmann


Teil 13 (Erstveröffentlichung auf RT Deutsch am 22.03.2019)

Momentaufnahme zwei Tage vor dem Angriff

von Rainer Rupp

Am 24. März jährte sich der militärische Überfall der NATO auf Jugoslawien zum 20. mal. Der Geheimdienstexperte und Analyst Rainer Rupp schrieb damals zwei Tage vor dem Angriff seine Gedanken dazu auf – die RT Deutsch im folgenden dokumentiert.

Am 22. März 1999, unmittelbar vor dem absehbaren NATO-Angriff auf Jugoslawien, hatte der Autor dieser Zeilen seine Gedanken zu dem bevorstehenden mörderischen Wahnsinn in einer Zelle in der Justizvollzugsanstalt Saarlouis auf einer alten Schreibmaschine zu Papier gebracht und per Post an eine linke Tageszeitung in Berlin geschickt. Zwei Tage später fielen die ersten NATO-Bomben. Es folgen Auszüge aus dem Text.

(Hinweis der Redaktion: Rainer Rupp war über 20 Jahre als Kundschafter für die Hauptverwaltung Aufklärung des DDR-Ministeriums der Staatssicherheit tätig. Als Topagent „Topas“ war er im NATO-Hauptquartier tätig und hat den Diensten im Osten hochbrisante Informationen geliefert. Sowohl ehemalige CIA- als auch KGB-Agenten bestätigten, dass Rupp mit seinem Engagement verhinderte, dass das NATO-Manöver „Able Archer“ zum Dritten Weltkrieg führte. Rupp wurde 1994 zu einer zwölfjährigen Haftstrafe wegen „schweren Landesverrats“ verurteilt.) 

„Von dem Moment an, wo die NATO-Bodentruppen im Kosovo sind, ist die serbische Herrschaft über die Provinz beendet“ freute sich der Korrespondent des amerikanischen „Christian Science Monitor“ am 19.3. im BBC-World Service. Er unterstrich die Notwendigkeit, nun schnell die „diplomatische Zustimmung“ Belgrads zur Besetzung seines nationalen Territoriums durch NATO-Truppen mit Luftangriffen herbei zu bomben. Mit der Schlagzeile: „Milošević will es nicht anders“ hieb die Washington Post in die gleiche Kerbe.

Auch die staatstragenden deutschen Medien heizen die Kriegspropaganda gegen die bösen Serben an, die den guten NATO-Frieden ablehnen und sich stattdessen auf einen „Krieg mit der internationalen Völkergemeinschaft(!)“ vorbereiten. So weist die freie, demokratische West-Presse bereits den Weg in die schöne NATO-Zukunft. Nicht mehr die UNO, sondern die NATO soll den Willen der „internationalen Völkergemeinschaft“ verkörpern. In der NATO seien schließlich 19 demokratisch gewählte Regierungen vereint, die sich bei einem gemeinsamen Beschluss gar nicht irren könnten, belehrte neulich ein deutscher Polit-Professor die Leser der „Blätter für deutsche und internationale Politik“.

Weiter führte der Herr Professor aus, dass die NATO die Werte der „internationalen Völkergemeinschaft“ sogar noch besser verkörpere als die UNO. Denn in der UNO seien jede Menge unsicherer Kantonisten vertreten, und China und Russland seien sogar im UNO-Sicherheitsrat, was bedeutet, dass diese autokratischen Regime sogar die Beschlüsse der freien NATO mit einem Veto torpedieren können. Jedem vernünftigen Menschen müsse doch klar sein, das die internationale Gemeinschaft dies nicht länger hinnehmen könne. Deshalb dürfte sich in Zukunft die NATO keiner anderen Organisation mehr unterordnen, erst Recht nicht der reformbedürftigen UNO.

Das Gewaltmonopol der UNO? Die Beachtung des Völkerrechts? In der „Neuen Weltordnung“ des „liberalen“ Amerikas sind das Ladenhüter, die das Recht des Stärkeren auf unerträgliche Weise einschränken. Und da die Amerikaner nicht nur die Stärkeren, sondern auch die Guten sind, führen sie folgerichtig auch nur gute Kriege. Sie kämpfen und bombardieren immer nur für die Freiheit, für die Menschenrechte und für die freie Marktwirtschaft und den unbehinderten, weltweiten Zugang freier amerikanischer Konzerne zu Rohstoffen und Märkten. Ganz besonders aber setzen sie sich für die freie Entfaltung der Börsenspekulanten ein, indem sie mit großer Zähigkeit für den freien, unkontrollierten, internationalen Kapitalverkehr kämpfen.

Da sich „Deutschland als Nicht-Nuklearmacht mit weltweiten Interessen nicht allein behaupten kann“, so steht es seit 1992 in den „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ heißt, „gilt die Bündnisbindung an die Nuklear- und Seemächte in der Nordatlantischen Allianz“. Deshalb  unterstützt die rot-grüne Regierung in Bonn fleißig die USA bei der Führung und Vorbereitung ihrer Menschenrechtskriege, besonders gegen Serbien, denn auch Deutschland beansprucht den Balkan als sein Interessensgebiet nicht erst seit gestern.

Allerdings gibt es in Serbien noch anachronistische Überbleibsel aus einer dunklen sozialistischen Zeit, die dem freiheitsliebenden, internationalen Kapital immer noch diktatorisch Schranken setzten. Auch sind die Serben ein widerspenstiges Volk, das die Vorzüge einer Besatzung durch NATO-Truppen einfach nicht einsehen will. Überhaupt gilt, dass Serbien auf dem Balkan das Haupthindernis für die Etablierung der neuen Weltordnung in dieser Region darstellt.

Hauptschuld trägt der mit großer Mehrheit demokratisch gewählte Diktator Milošević. Als Präsident Jugoslawiens betreibt er im Kosovo Völkermord an den doch so harmlos in die amerikanischen Kameras lächelnden, netten UÇK-Terroristen. Er verfolgt diese armen Gewaltseparatisten gnadenlos, nur weil die ihre serbischen Nachbarn und Sicherheitskräfte ermorden, die sie beschützen sollen. Dieser „neue Hitler“ besitzt sogar die Frechheit, die Zahl der jugoslawischen Soldaten in der serbischen Provinz Kosovo noch zu erhöhen, obwohl ihm die USA und die NATO das strikt verboten haben. Der internationalen NATO-Völkergemeinschaft bleibt also nichts anderes übrig, als die Serben mit Bomben zu stoppen.

An dieser Stelle wird allerdings von Seiten weltfremder Idealisten Kritik an den USA und ihrer NATO laut. Wenn man – so lautet der Vorwurf – überhaupt von „genozidartigen Verfolgungen“ reden kann, dann fänden diese nicht im Kosovo statt, sondern in der Türkei, wo jüngst etwa 3.000 kurdische Dörfer zerstört und die Bevölkerung vertrieben wurde. Der Krieg in den kurdischen Gebieten habe bereits mehrere Zehntausend Tote gefordert. Gefangene werden systematisch gefoltert und die Menschenrechte mit Füßen getreten! Obwohl diese Angaben von unabhängigen Quellen bestätigt sind, ist es trotzdem ausgesprochen naiv und altmodisch, von der NATO zu verlangen, wegen der Kurdenverfolgung auch gegen die Türkei vorzugehen. Wer so argumentiert, der hat die moderne, von den USA dynamisch geführte Menschenrechtsdebatte überhaupt nicht verstanden.

Die fundamentalen Rechte der US-amerikanischen und westeuropäischen Großunternehmen sind nämlich in der Türkei bestens gesichert. Seit Jahren hat sich kein westlicher Konzern oder Investmentbanker über die Freiheiten in der Türkei beschwert. Deshalb wird die NATO auch nicht Ankara, sondern Belgrad bombardieren.

Die bestechende Logik der US- und NATO-Menschenrechtskriege lässt sich am sehr gut am Beispiel der aktuellen Situation im Irak darlegen. Im andauernden amerikanisch-englischen Luftkrieg gegen die irakische Bevölkerung fallen täglich neue Bomben. Täglich steigt die Zahl der zerfetzten, unschuldigen Opfer, täglich sterben Kinder, weil Medikamente oder Lebensmittel fehlen. Letztere können nicht mehr beschafft werden, weil die USA das Programm der UNO „Irakisches Öl gegen Lebensmittel und Medikamente“ zerbombt haben. US-Kampfjets, die angeblich nur die irakische Luftabwehr bekämpfen, zerstörten nämlich rein zufällig eine der beiden Pipelines, die im Rahmen eines UN-Abkommens eine begrenzte Menge Öl exportierten dürfen, um von dem Erlös Medizin und Lebensmittel zu importieren.

Die täglich neuen Opfer des US-Bombenkrieges unter der irakischen Zivilbevölkerung haben für die westlichen Medien nicht den geringsten Nachrichtenwert. Man will unsere Politiker in der Ausübung ihrer schweren, aber notwendigen Entscheidungen nicht mit einem moralischen Dilemma behindern. Die Menschenrechtsexperten im amerikanischen und englischen Kriegsministerium sind sich nämlich mit ihren sozialdemokratischen und grünen Kollegen in Deutschland einig, dass die westliche Wertegemeinschaft hart bleiben muss und dass deshalb noch mehr Iraker sterben müssen, bis sie begriffen haben und das tun, was Washington von ihnen erwartet, nämlich sich gegen Saddam Hussein zu erheben und ihn davonzujagen. Nur so kann sich die irakische Bevölkerung von dem verbrecherischen Saddam Hussein befreien, und deshalb helfen ihnen die US-Bomber dabei. Wer glaubt, das sei ein Hirngespinst, der möge sich bitte in die politische Diskussion einlesen, die zu diesem Thema in den USA stattfindet.

Erschwerend kommt im Irak jetzt hinzu, dass Saddam Hussein bereits Frankreich, Russland und China den Zugang zum irakischen Öl versprochen hat, sobald die UN-Sanktionen demnächst aufgehoben werden. Amerikanische und britische Konzerne hat Saddam allerdings ausdrücklich ausgeschlossen. Bei so viel verbrecherischer Energie muss Saddam erst recht weg, egal mit welchen Mitteln. Und notfalls muss die Bevölkerung in die Steinzeit zurück bombardiert werden, bis sie endlich begreift, was von ihr verlangt wird. Allerdings stellte selbst das konservative britische Wirtschaftsmagazin „The Economist“ Anfang März 1999 verwundert die Frage nach dem Sinn dieser US-Politik. Den hat allerdings unser Grüner Außenminister Josef Fischer längst begriffen, denn er erklärte, er habe „vollstes Verständnis“ für das Vorgehen der Amerikaner im Irak.

Fischer – und mit ihm die Grünen – haben verstanden, dass man erst ein paar gute Kriege führen muss, um der Welt die Menschenrechte und den Frieden zu bringen. Diese realistische Einsicht in die Notwendigkeit macht Herr Fischers Größe aus. Denn es gehört schon allerhand Mut dazu, in einem solch atemberaubenden Tempo alle Prinzipien der Grünen „Friedenspartei“ dem eigenen Machterhalt zu opfern. Aber Herr Fischer, der nun im Fall Jugoslawien ganz allein „über Krieg und Frieden entscheiden kann“ (O-Ton Spiegel Interview Anfang März 1999), hat viel dazu gelernt, besonders wie man oben bleibt. Dazu gehört auch, dass die NATO als „größte Friedensorganisation“ aller Zeiten die störrischen Serben bombardieren muss. Denn trotz aller NATO-Drohgebärden scheint Serbien weiterhin nicht gewillt, seine Souveränität kampflos aufzugeben. Wenn die NATO ihre Glaubwürdigkeit nicht dauerhaft in Frage gestellt sehen will, muss sie angreifen.

So sind die Weichen für den Angriffskrieg gestellt. Rechtzeitig zum fünfzigjährigen Jubiläum der NATO-Gründung in Washington zeigt die nordatlantische Wertegemeinschaft ungeschminkt ihre hässliche Fratze. Bei den Feierlichkeiten in Washington soll auch das Neue Strategische Konzept der NATO verabschiedet werden: Beibehaltung der nuklearen Erstschlagoption, Selbstmandatierung und die Änderung des Artikels 5 der NATO-Charta dahingehend, das nicht mehr die territorialen Grenzen der Mitgliedsländer verteidigt werden, sondern statt dessen die weltweiten „Sicherheitsinteressen“ der Mitgliedsländer. Damit lässt sich trefflich immer ein Kriegsgrund konstruieren.

Natürlich will die NATO mit dieser neuen Strategie niemanden beunruhigen. Die Menschen müssen langsam daran gewöhnt werden. Folglich überrascht es nicht, wenn die Sprecher der NATO und der Regierung in Bonn (und bald wieder in Berlin) erklären, dass der selbstmandatierte NATO-Angriff auf Serbien, „einmalig“ sein soll, also keineswegs als Präzedenzfall angesehen werden dürfe. Mit dem gleichen Brustton der Überzeugung erklärten die gleichen Herren vor nicht allzu langer Zeit, dass deutsche Soldaten niemals außerhalb der NATO-Grenzen kämpfen würden; und wegen der bekannten historischen Gründe erst Recht nicht in Serbien. Nun ist es aber bald soweit. Man mag über die Politik Miloševićs denken wie man will. Fakt bleibt, dass serbische Soldaten wieder ihre Heimat auch gegen deutsche Aggressoren verteidigen müssen.

Wer die Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht gesehen hat, hat einen Eindruck davon bekommen, wie im letzten Krieg in deutschem Namen auch in Serbien hunderttausendfach gemordet und geschändet wurde. Bei dem Gedanken, dass sich vielleicht auch die jungen serbischen Soldaten an diese Bilder und Geschichten erinnern, müsste es den deutschen Militärs, die jetzt ins Kosovo geschickt werden sollen, doppelt unwohl in ihrer Haut sein.

(JVA-Saarlouis den 22. März 1999, überarbeitet am 20. März 2019)

Rainer Rupp ist Mitglied des Beirats des Deutschen Freidenker-Verbandes

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Teil 14 (Erstveröffentlichung auf RT-Deutsch am 24.03.2019)

Kriegsverbrechen und Kriegslügen

von Ralph Hartmann

Am 24. März jährte sich zum 20. Mal der Tag, an dem NATO-Bomber von ihren Basen in den USA, Deutschland, Italien und Flugzeugträgern starteten, um ihre todbringende Fracht ins Ziel zu bringen: Hunderte Krankenhäuser, Fabriken und Schulen fielen den Bomben zum Opfer.

54 Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation des faschistischen Deutschlands wurde in Europa wieder Krieg geführt. Und die Bundeswehr war dabei. Deutsche ECR- und Recce-Tornados flogen in der ersten Staffel. Sie trugen am Rumpf das gleiche Balkenkreuz wie einst die Stukas, die im April 1941 auf Befehl Hitlers über Jugoslawien herfielen und Belgrad in Schutt und Asche legten. Dieses Mal währte der Krieg gegen das Balkanland nicht vier Jahre, sondern nur 78 Tage, an denen jedoch mehr Sprengstoff eingesetzt wurde als während des ganzen Zweiten Weltkrieges gegen das damalige, wesentlich größere jugoslawische Königreich.

Bereits während des Krieges pries der Verteidigungsminister und Ex-SPD-Vorsitzende Rudolf Scharping die „Heldentaten“ der deutschen Tornado-Piloten. Sie wurden hoch dekoriert, aber ihre Namen und jeweiligen Kriegsverdienste wurden – wie ungewöhnlich doch für die deutsche Kriegsgeschichte – der Öffentlichkeit verschwiegen. Scharping rühmte deutschen Heldenmut in einem Krieg, den Deutschland angeblich gar nicht geführt hat. Gut erinnerlich sind schließlich die Worte, die Bundeskanzler Gerhard Schröder am Abend des Überfalls über Funk und Fernsehen an die „lieben Mitbürgerinnen und Mitbürgern“ richtete:

Wir führen keinen Krieg, aber wir sind aufgerufen, eine friedliche Lösung im Kosovo auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen.

Die Folgen des Nicht-Krieges waren schrecklich. Zertrümmert oder demoliert wurden 60 Brücken, 19 Bahnhöfe, 13 Flughäfen, 480 Schulobjekte, 365 Klöster, Kirchen, Kultur- und historische Gedenkstätten, darunter der Park des Gedenkens an die im Zweiten Weltkrieg von der deutschen Wehrmacht erschossenen 7.000 jugoslawischen Bürger. Mit herkömmlichen und Graphitbomben wurden die Hauptelektrizitätswerke angegriffen und über längere Zeiträume bis zu 70 Prozent der Bevölkerung von der Stromversorgung abgeschnitten. Die Auswirkungen für die Grundversorgung der Zivilbevölkerung, für Krankenhäuser, Geburtskliniken, Inkubatoren, Wasserpumpen und viele andere Bereiche waren katastrophal, zeitweilig konnte die Bevölkerung durch den Ausfall der Alarmsirenen nicht einmal mehr vor den Angriffen der Terrorpiloten gewarnt werden. Zerschlagen wurden die Relaisstationen für Rundfunk und Fernsehen, darunter die in der unmittelbaren Nähe der nationalen Gedenkstätten auf dem Avala-Berg bei Belgrad und dem Lovćen in Montenegro.

Zerstört oder beschädigt wurden 110 Krankenhäuser, lebensnotwendige medizinische Geräte, Hilfs- und Arzneimittel. Infolge der Bombardierung von Straßen, Brücken und Bahngleisen sowie des Kraftstoffmangels nach der Zertrümmerung der Raffinerien musste die Behandlung von Patienten mit chronischen Herz- und Nierenerkrankungen, von Diabetes- und Krebspatienten unterbrochen oder verspätet durchgeführt werden. Der wochenlange Aufenthalt in Schutzkellern führte bei vielen zum Ausbruch von schweren Darmerkrankungen.

In Schutt und Asche gelegt wurden 121 Industriebetriebe, in denen 600.000 Jugoslawen in Arbeit standen. Rund 2,5 Millionen Menschen verloren damit ihre Existenzgrundlage. Über 2.500 Menschen wurden getötet, mehr als 10.000 schwer oder leicht verletzt. 30 Prozent aller Getöteten und 40 Prozent der Verstümmelten und Verletzten waren Kinder.

Nach diesem „glorreichen Sieg“ wurde das südserbische Gebiet Kosovo von der NATO okkupiert. Unmittelbar nach der Eroberung haben die USA in der Nähe des kleinen kosovarischen Ortes Ferizaj einen ihrer größten Auslandsstützpunkte, die Militärbasis Camp Bondsteel, errichtet. Sie umfasst 386 Hektar, auf denen 7.000 US-Soldaten mit modernster Waffentechnik stationiert sind.

Das Kosovo ist ein armes, aber an Ressourcen reiches Gebiet. Es verfügt über beträchtliche Vorkommen an Blei, Zink, Chrom, Nickel, Silber, Gold und mit 17 Milliarden Tonnen über die zweitgrößten Braunkohlelagerstätten Europas. Begierig griff das internationale Kapital nach diesen Reichtümern. Das Kosovo wurde aus dem serbischen Staatsgebiet herausgerissen. Unter Missachtung der nach der NATO-Aggression verabschiedeten UN-Resolution 1244, in der die territoriale Integrität der Bundesrepublik Jugoslawien und die Zugehörigkeit des Kosovo zu Serbien festgeschrieben ist, wurde das Gebiet nach absurden Scheinverhandlungen gegen den erbitterten Widerstand Belgrads zu einem unabhängigen Staat ausgerufen und von der Mehrheit der NATO-Staaten anerkannt. An der Spitze dieses Staatsgebildes stehen die ehemaligen Führer der UÇK, die einst selbst von den USA als „terroristische Organisation“ gekennzeichnet worden war.

Mit der völkerrechtswidrigen Abtrennung des Kosovo von Serbien fand der Prozess der gewaltsamen Zerschlagung der einst vom slowenischen Alpengipfel Triglav bis zum mazedonischen Ufer des Ohridsees, von der Adria bis zum serbischen Kapaonikgebirge reichenden jugoslawischen Föderation seinen Abschluss. Die Bundesrepublik Deutschland hat maßgeblich dazu beigetragen.

Was für ein Wortbruch! Im „Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“, eingegangen in die Geschichte als „Zwei-plus-Vier-Vertrag“, verpflichtete sich der zukünftige deutsche Einheitsstaat in völkerrechtlich verbindlicher Weise, dass vom deutschen Boden nur Frieden ausgehen wird und dass nach der Verfassung des vereinigten Deutschlands Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht unternommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, verfassungswidrig und strafbar sind.

Ganz in diesem Sinne erklärte der bundesdeutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) bei der Unterzeichnung:

Unsere Botschaft an die Völker dieser Welt ist: Wir wollen nichts anderes als in Freiheit und Demokratie und in Frieden mit allen anderen Völkern leben.

Wenige Wochen später, am 3. Oktober 1990, dem Tag, in dessen erster Minute vor dem Reichstagsgebäude in Berlin die überdimensional große schwarz-rot-goldene Einheitsflagge gehisst wurde, richtete Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) an alle Regierungen der Welt, mit denen das nun vereinigte Deutschland diplomatische Beziehungen unterhielt, eine Botschaft. Zu den Adressaten zählte auch Ante Marković, Ministerpräsident der jugoslawischen Föderation. Der Kanzler versicherte:

Unser Land will mit seiner wiedergewonnenen nationalen Einheit dem Frieden in der Welt dienen (…). Von deutschem Boden wird in Zukunft nur Frieden ausgehen. Wir sind uns bewusst, dass die Unverletzlichkeit der Grenzen und die Achtung der territorialen Integrität und der Souveränität aller Staaten in Europa eine grundlegende Bedingung für den Frieden ist.

Eingefügt in seine Botschaft hatte der Kanzler einen Satz, der gerade für Jugoslawien von besonderem Gewicht war. Er pries den Friedensauftrag des Grundgesetzes und schrieb:

Zugleich stehen wir zu den moralischen und rechtlichen Verpflichtungen, die sich aus der deutschen Geschichte ergeben.

Worte, Worte, Worte – ein Jahr später waren sie nur noch Schall und Rauch. Ungeachtet aller feierlichen Erklärungen über Friedensverantwortung und Verzicht auf Machtstreben mischte sich die Bundesrepublik massiv in die inneren Angelegenheiten Jugoslawiens ein, eines der Staaten der Anti-Hitler-Koalition, der zugleich zu den Gründungsmitgliedern der Organisation der Vereinten Nationen und der Bewegung der Blockfreien Staaten gehörte, und betrieb erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg wieder offen Großmachtpolitik. Sie begann mit der überstürzten Anerkennung Sloweniens und Kroatiens 1991, erreichte ihren Höhepunkt in der Teilnahme am verbrecherischen Krieg gegen Jugoslawien und fand ihren vorläufigen Schlusspunkt in der aktiven Mitwirkung an der völkerrechtswidrigen Abtrennung des Kosovo. Und nicht wenige Politiker, die dazu beigetragen haben, das autonome Gebiet aus Serbien herauszubomben, beschuldigen Russland, die Halbinsel Krim völkerrechtswidrig annektiert zu haben. Was für eine Doppelmoral!

Das Kosovo war seit ewigen Zeiten serbisches Land, im Mittelalter war es das politische, wirtschaftliche und religiöse Zentrum Serbiens, Sitz der Nemanjidendynastie und des serbisch-orthodoxen Patriarchen. Das Gebiet galt allgemein anerkannt als „Wiege der serbischen Staatlichkeit und Kultur“. Die Krim dagegen war nicht Jahrhunderte, sondern lediglich einige Jahrzehnte lang Bestandteil der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik und ab 1991, nach dem Zerfall der Sowjetunion, Teil des ukrainischen Staates. Zuvor hatte die Halbinsel seit den Zeiten der Zarin Katharina, genauer: seit 1783 zu Russland gehört. „Ukrainisch“ wurde der unbestreitbar historische Teil Russlands durch einen Verwaltungsakt im Februar 1954. Die Bevölkerung der Krim, mehrheitlich Russen, wurde nicht befragt und hat von diesem Wechsel erst danach aus der Presse erfahren.

Nach dem von den USA, der Bundesrepublik und ihren Verbündeten mit massiver Einmischung unterstützten Staatsstreich in Kiew, der antirussischen Politik der neuen Machthaber und der beginnenden Diskriminierung der Russisch sprechenden Bewohner haben die Bürgerinnen und Bürger der Krim in einem Referendum mit überwältigender Mehrheit für die Rückkehr in die Russische Föderation gestimmt. Die mithilfe eines brutalen Angriffkrieges erfolgte Annexion des Kosovo durch die NATO ist mit der friedlichen Wiedervereinigung der Krim mit Russland, bei der nicht ein einziger Schuss fiel, absolut nicht vergleichbar.

Unzählige Male haben Kriegsgegner den Satz: „Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst“ zitiert. Doch die Geschichte aller Kriege zeigt, dass sie bereits viel früher, schon in der Phase ihrer Vorbereitung, massakriert wird. Die Zerschlagung Jugoslawiens – von der Unterstützung der Separatisten in Slowenien und Kroatien über die Intervention im bosnischen Bürgerkrieg bis zur Abtrennung des Kosovo – ist dafür ein nahezu klassisches Beispiel. Von Anfang an war sie in Deutschland von einem Lügenfeldzug begleitet, der sich von Goebbelsschen Kampagnen darin unterschied, dass der Reichspropagandaminister nicht über die heutigen Mittel der Massenmanipulation verfügte, wie sie das Informationszeitalter bietet. Allein schon der NATO-Angriff auf Jugoslawien war von einer solchen Lügenflut begleitet, dass es schwerfällt, sich auf drei Beispiele zu beschränken

Erstes Beispiel: Von wenigen Ausnahmen abgesehen, machten deutsche Politiker und Medien die Rede des damaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milošević vom 28. Juni 1989 anlässlich des 600. Jahrestages der Schlacht auf dem Amselfeld zu einem immer aufs Neue in die Propagandaschlacht geworfenen Schlüsseldokument, in dem der Redner, später zum „Schlächter vom Balkan“ ernannt, ein chauvinistisches Programm für ein „ethnisch reines Großserbien“ verkündet habe. Kein Einziger der Verleumder – auch nicht die FAZ, die den Text der Rede, allerdings grob verfälscht, veröffentlichte – lieferte dafür einen überprüfbaren Beweis. Sie konnten es auch nicht, denn die Forderung nach einem „Großserbien“, zudem einem „ethnisch reinen“, ist darin nicht zu finden.

Stattdessen trat Milošević für die Überwindung der dramatischen nationalen Teilungen in Jugoslawien ein, für gleichberechtigte und harmonische Beziehungen zwischen den Völkern Jugoslawiens als unumgängliche Bedingungen für den wirtschaftlichen und sozialen Wohlstand des Landes, für die Eintracht in Serbien als Voraussetzung für das Wohlergehen aller seiner Bürger, ungeachtet ihrer nationalen und religiösen Zugehörigkeit. Das zu melden, lag nicht im Interesse derer, denen der sozialistische Vielvölkerstaat auf dem Balkan ein Dorn im Auge und ein Hindernis auf dem Weg zu den Ölquellen im Osten war.

Zweites Beispiel: In jedem halbwegs zivilisierten Land tragen die Minister für Äußeres und für Verteidigung eine besondere Verantwortung für die Bewahrung des Friedens. Doch in Deutschland stellten sich gerade der grüne Außenminister Joseph Fischer und der SPD-Verteidigungsminister Rudolf Scharping an die Spitze derer, die die Kriegspropaganda zu seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gekannten Höhen führten. Der eine als Erfinder des „serbischen Faschismus“ und der neuen Auschwitz-Lüge, der andere als unübertroffener Greuelmelder.

Joseph Fischer hatte sich schon lange auf den Weg begeben, die deutsche Schuld an den Verbrechen der Vergangenheit auf Deponien auf dem Balkan zu entsorgen und mit ihr deutsche Untaten in der Gegenwart zu rechtfertigen. Bereits 1995, als in seiner Partei eine heftige Debatte um deutsche Bundeswehreinsätze in Bosnien geführt wurde, hatte er in seinem berühmt-berüchtigten zehnseitigen Brief an seine grünen Parteifreunde vom „Wiederauftauchen eines blutigen völkischen Faschismus“ gesprochen und die Interventionsforderung für Bosnien verteidigt. Wörtlich hatte er erklärt:

Ich habe die Position der Interventionspflicht bei Völkermord – es ist für mich der unveräußerliche Kern des Antifaschismus und seines Vermächtnisses des ‚Nie wieder Auschwitz‘ – schon immer vertreten.

Um diese den Holocaust banalisierende neue Auschwitz-Lüge zu untermauern, machte Fischer die „serbische Sonderpolizei“ zur „SS von Herrn Milošević“ und die Albaner zu unter Schock stehenden Leuten, „weil sie denken, sie sind plötzlich im Film ‚Schindlers Liste‘ aufgewacht“. Für ihn stand außer Zweifel: „Es war ein wirklicher Schock, dass Milošević bereit war, zu handeln wie Stalin und Hitler.“

Deshalb auch war der „Faschismus“ des jugoslawischen Präsidenten für Fischer kein gewöhnlicher Faschismus: „Was Milošević treibt, ist eine völkische Politik, es ist eine rohe, barbarische Form des Faschismus.“ Hier wurde der Faschismusvorwurf zu einer Propagandalüge, die denen der Faschisten in nichts nachstand.

Drittes Beispiel: Im Unterschied zu seinem Kabinettskollegen Fischer ging SPD-Verteidigungsminister Rudolf Scharping ins Detail: Am 21. April 1999 berichtete er vor der European Business School in Oestrich-Winkel folgendes: „Wenn ich leider sehr ernst zu nehmende Berichte höre, dass innerhalb einer Nacht ein Stadtteil Pristinas geräumt wurde, dass 3.000 Menschen zusammengetrieben wurden, dass man am nächsten Tag nicht mehr feststellen konnte, wo diese Menschen waren, wohl aber Leichenberge auf dem Friedhof selbst, dann ist das ein solches Beispiel. Wenn ich höre, dass in einem kleinen Ort 28 Lehrer einer Schule aus den Klassenzimmern herausgetrieben und vor den Augen ihrer Schülerinnen und Schüler erhängt werden, dann ist das ein zweites Beispiel.

Und wenn einem Flüchtlinge erzählen, und das nicht einmal, sondern mehrfach, dass man Frauen ihre Kinder aus den Armen reißt und ihre Köpfe abschneidet, um mit ihnen Fußball zu spielen, wenn ermordeten Schwangeren der Bauch aufgeschlitzt wird und der Fötus erst gegrillt und dann in den Bauch zurückgelegt wird (…). Wenn man dies alles weiß, hoffe ich, kommt jedem in Deutschland die eine oder andere Erinnerung hoch.“

Zugegeben, die Horrorgeschichten Scharpings sind extrem, aber obwohl sie offenkundig einem kranken Hirn entstammten, wurden sie von den Medien millionenfach verbreitet. Was kümmerte sie die Wahrheit, Hauptsache, das Feindbild stimmte.

Nach der Okkupation des Kosovo ist die Bundeswehr bekanntlich nach Afghanistan gezogen, um die Freiheit, wie ihr Verteidigungsminister sagte, am Hindukusch zu verteidigen. Als deutsche Soldaten dort eine Frau und zwei Kinder erschossen hatten, entschuldigte sich Bundesverteidigungsminister Jung beim afghanischen Präsidenten, und die Bundeswehr zahlte der betroffenen Familie eine Entschädigung. Wie anders war das doch im Kosovo-Krieg. Bis heute gibt es kein Wort der Entschuldigung für die dabei begangenen Kriegsverbrechen, ganz zu schweigen von Reparationen.

Weniger noch: Als die Hinterbliebenen der im serbischen Städtchen Varvarin von NATO-Raketen ermordeten Zivilisten und die zum Teil für immer schwer geschädigten Überlebenden die Bundesrepublik Deutschland verklagten und von der Bundesregierung Schmerzensgeld und Schadenersatz verlangten, wurde ihre Klage von deutschen Gerichten als unbegründet zurückgewiesen. Und damit nicht genug: Auf der Grundlage eines Kostenfeststellungsbeschlusses des Landgerichtes Bonn wurden die serbischen Kläger, die Ehepartner, Väter und Mütter der Getöteten und die Schwerstverletzten unter Androhung einer Zwangsvollstreckung aufgefordert, rund 16.000 Euro Verfahrenskosten an die Bundesrepublik Deutschland zu zahlen. Ein Kommentar erübrigt sich.

Ralph Hartmann war von 1982 bis 1988 Botschafter der DDR in Jugoslawien, zuletzt Doyen des diplomatischen Korps.

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