Frieden - Antifaschismus - Solidarität

20 Jahre seit NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien – Teil 11 und 12

Der Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien am 24. März 1999 markierte das Ende des Friedens in Europa, ein Frieden, der seit der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs gehalten hatte, zumindest in Europa. Mit Beiträgen in loser Folge wird RT-Deutsch in den nächsten Wochen die wichtigsten Stationen der NATO-Vorbereitungen auf diesen Krieg in Erinnerung rufen.

Wir veröffentlichen die Teile 11 und 12 hier zusammenhängend.

Übersicht

Bisher veröffentlicht:

Teil 1 – 16.02.2019: Ursachen, Hintergründe, Fake News und False Flag von Rainer Rupp

Teil 2 – 21.02.2019: Deutschlands Rückbesinnung auf unrühmliche Traditionen von Klaus Hartmann

Teil 3 – 25.02.2019: Luftangriffe in Bosnien-Herzegowina als Test für Kosovo von Rainer Rupp

Teil 4 – 01.03.2019:  Falsche-Flagge-Massaker als Vorwand für NATO-Aggression von Rainer Rupp

Teil 5 – 02.03.2019: Warum wurde Milošević zum Hassobjekt des Westens? von Klaus Hartmann

Teil 6 – 04.03.2019: Das „Račak-Massaker“ – Teil des NATO-Drehbuchs (I) von Doris Pumphrey

Teil 7 – 06.03.2019: Das „Račak-Massaker“ – Teil des NATO-Drehbuchs (II) von Doris Pumphrey

Teil 8 – 08.03.2019: Teil des NATO-Drehbuchs – „Massaker von Srebrenica“ (I) von George Pumphrey

Teil 9 – 09.03.2019: Teil des NATO-Drehbuchs – „Massaker von Srebrenica“ (II) von George Pumphrey

Teil 10 – 09.03.2019: Terror-Paten und die letzte Chance von Klaus Hartmann

Neu auf dieser Seite:

Teil 11 – 20.03.2019: Der Countdown läuft – Die letzten Tage vor dem Angriff von Rainer Rupp

Teil 12 – 21.03.2019: Lügen, bis sich der Balkan biegt von Klaus Hartmann


Teil 11 (Erstveröffentlichung auf RT Deutsch am 20.03.2019)

Der Countdown läuft – Die letzten Tage vor dem Angriff

von Rainer Rupp

Es waren SPD und Grüne, die am kommenden Sonntag vor 20 Jahren deutsche Soldaten in den ersten Angriffskrieg seit 1945 schickten. Aber während der letzten Tage vor dem Angriff gab es noch ein diplomatisches Gerangel zwischen den USA und den NATO-Partnern der EU.

Mit der deutschen Beteiligung am NATO-Bombenkrieg gegen Jugoslawien hat die Regierungskoalition von SPD und Grünen die Büchse der Pandora für viele weiteren US- und NATO-Angriffskriege geöffnet. Jedem sollte bewusst sein, dass die angeblich soziale SPD und die angeblichen Friedenstäubchen bei den Grünen mit ihrer verbrecherischen Entscheidung nicht nur Jugoslawien, sondern auch das Völkerrecht in Trümmer gelegt haben. Es ist derselbe Boden, auf dem aktuell auch die alten anti-russischen Reflexe und Kriegshetze gegen Russland gedeihen.

Es spricht Bände über die politische Verfasstheit unseres Landes, dass die Verantwortlichen für die vielen Tausenden von unschuldig Getöteten oder zu Krüppeln gebombten Zivilisten, vor allem Frauen und Kinder, heute noch immer auf freiem Fuß sind. Dank anhaltender Fake News zur Rechtfertigung der damaligen Kriegshetze gegen Jugoslawien erfreuen sich die damals verantwortlichen Politiker auch heute noch eines hohen sozialen Ansehens. In unserem „Rechtsstaat“, in dem angeblich alle Menschen gleich sind, sind Politiker eben „gleicher“ als gewöhnliche Sterbliche, selbst wenn sie Kriegsverbrecher sind.

In dieser Woche vor genau zwanzig Jahren lief in der NATO bereits der Countdown zu den Luftangriffen auf Belgrad und zur Zerstörung von Jugoslawiens ziviler Infrastruktur, wie etwa Strom- und Wasserversorgung. Letzteres stellt für sich allein genommen bereits völkerrechtlich ein Kriegsverbrechen dar. Zugleich allerdings fand hinter den Kulissen der westlichen Einheitsfront gegen Serbien – wie so oft – erneut eine knallharte, politische Rangelei zwischen den europäischen Führungsmächten und den USA statt.

Ähnlich wie bereits vier Jahre zuvor im Konflikt um Bosnien-Herzegowina wollte Washington den geplanten Krieg gegen Serbien dafür nutzen, nach dem Ende des Kalten Krieges der NATO eine neue Daseinsberechtigung zu verleihen. Mittels des zu erwartenden umfangreichen Krieges gegen Serbien sollte die NATO von allen westeuropäischen Nationen wieder als die alleinige Ordnungsmacht auf dem Alten Kontinent anerkannt werden. Zugleich würde dadurch auch die führende Rolle der USA als „unverzichtbare Nation“ auch in allen europäischen Angelegenheiten wieder gefestigt werden.

Als Präsident Bill Clinton daher am 9. März 1999 mit Richard Holbrook seinen Mann fürs Grobe nach Belgrad schickte, um Serbien und speziell der serbischen Provinz Kosovo die „Pax-Amerikana“ aufzuzwingen, führte das zu starken Irritationen in den meisten europäischen Hauptstädten. Besonders Frankreich und England waren über die selbstherrliche Art verstimmt, mit der der US-Sondergesandte Richard Holbrook – ganz im Stil eines römischen Prätorianers und mit überheblichen „Veni, vidi, vici“ (ich kam, sah und siegte)-Allüren – ohne Abstimmung mit den europäischen NATO-Verbündeten nach Belgrad gereist war.

Anders als in Bosnien-Herzegowina wollten die Regierungen in London und Paris, dass die Lösung des Kosovo-Konfliktes ihre europäische „Show“ sein sollte. Im Unterschied zu Bosnien-Herzegowina sollte diesmal der Frieden im „europäischen Hinterhof“ unter Führung der europäischen NATO-Mächte hergestellt werden.

Indem Washington aber Holbrook nach vier Jahren erneut in das Endspiel der diplomatischen Schlacht warf, war für die Europäer klar, dass die Amerikaner auch im Kosovo-Konflikt wieder die Zügel an sich reißen wollten. Daher befürchten die europäischen „Friedenserzwinger“ auf dem Balkan den Verlust ihres erst jüngst wieder mühsam aufgebauten politischen Prestiges. Eine Meldung der International Herald Tribune (IHT) vom 8.3.1999 aus London, wonach die europäischen NATO-Diplomaten über das Auftauchen von Mr. Holbrook „nicht besonders glücklich“ waren, schien das zu bestätigen.

Denn bereits in Bosnien-Herzegowina hatte sich der US-Rabauke Holbrook mit brutalen Nötigungen, Erpressungen und mit Drohungen massenmörderischer Luftangriffe auf Kosten der zaghafteren europäischen Verhandlungsstrategie einen Namen als „durchsetzungsfähiger Diplomat“ gemacht, der bekam, was er wollte. Zugleich erklärte der österreichische Botschafter Petritsch, einer der drei Vermittler in den so genannten „Kosovo Friedensgesprächen“, dass das Auftauchen von Holbrook „die Lage nur noch komplizierter machen“ würde.

Washington und ihre atlantischen Mediensprachrohre argumentierten, dass die bisherigen alleinigen Bemühungen der NATO-Europäer, nämlich die Serben von den friedenspolitischen Vorteilen einer Stationierung von NATO-Truppen auf ihrem Territorium zu überzeugen, erheblich zu wünschen übrig ließen. Was sich hier wie ein dummer Witz anhört, nämlich die Forderung zur Aufnahme von NATO-Besatzungstruppen in ganz Serbien, einschließlich im Kosovo, war tatsächlich die zentrale Forderung im sicherheitspolitischen Anhang zum schändlichen Vertragswerkes von Rambouillet. Nachdem es den Europäern nicht gelungen war, den respektlosen Serben dieses unmögliche Zugeständnis abzuringen, sollte nun Washingtons Abgesandter Holbrook gegenüber der serbischen Regierung andere Saiten aufziehen und bei Nichtbefolgung mit Krieg drohen.

Natürlich war allen Beteiligten von vornherein klar, dass Serbien – ebenso wie jeder andere souveräne Staat – sich niemals freiwillig von fremden Mächten militärisch besetzen lassen würde. Daher stand auch von vornherein fest, dass die von Washington angebotene „diplomatische Lösung“ á la Rambouillet absichtlich so konstruiert war, dass sie scheitern musste, um den nachfolgenden Krieg zu rechtfertigen. Vor seinem Abflug nach Belgrad ließ Holbrook denn auch schon mal die Weltöffentlichkeit diesmal ganz ehrlich wissen, was die Serben erwartet:

Ich freue mich darauf … Präsident Milošević … die Konsequenzen klar zu machen, wenn sich die Lage (im Kosovo) nicht bereits vor und während der Pariser Gespräche dramatisch verbessert.

Noch am selben Tag machten führende NATO-Politiker gegenüber der bereits erwähnten Tageszeitung IHT deutlich, was mit der Aussage von Holbrooke gemeint war: „Der Auftrag von Herrn Holbrook ist, die Glaubhaftigkeit der NATO-Drohung mit Luftangriffen wieder herzustellen, um so die serbische Seite zur Annahme des Friedensplans für das Kosovo zu bewegen“. Wobei der „Friedensplan“ eben schlicht die NATO-Besetzung ganz Serbiens beinhaltete.

Derweil überfielen im Kosovo fast täglich albanische Gewaltseparatisten der UÇK serbische Armeeposten und Polizeiwachen, zündeten serbische Klöster an oder ermordeten in entlegenen Dörfern serbische Zivilisten. Und folterten und töteten deren albanische Nachbarn, da diese für sie „Verräter“ waren, nur weil sie einvernehmlich mit ihren serbischen Nachbarn zusammen leben wollten. Zugleich reagieren die jugoslawischen Streitkräfte mit dem Beschuss der Stützpunkte der UÇK. Letztere war noch ein Jahr zuvor – auch von den USA und den Europäern – auf die „schwarzen Liste“ der internationalen Terrororganisationen und kriminellen Banden aufgeführt worden.

Erst im letzten Jahr vor dem NATO-Angriff gegen Serbien hatte der „Wertewesten“ erkannt, welchen Nutzen man aus der UÇK zwecks endgültiger Zerschlagung des störrischen Serbiens ziehen könnte. Flugs wurden die UÇK-Kämpfer als nützliche Terroristen neu eingeordnet. (Die Parallele zur aktuellen Lage in der nord-syrischen Provinz Idlib ist unverkennbar. Auch dort hat der verkommene Wertewesten inzwischen die Rolle des Beschützers der al Kaida-Terrorableger übernommen, um die Friedensbemühungen Assads und Russlands zu konterkarieren.)

Auch im Kosovo spielte sich der NATO-Wertewesten als Beschützer der UÇK auf. Er definierte die Mörderbanden zu „Freiheitskämpfern“ gegen den angeblich „Neuen Hitler“ und „Schlächter“ Milošević um. Als nächstes wurden die Terroristen in Rambouillet und später, kurz vor dem NATO-Angriff, bei den Verhandlungen in Paris auf dem diplomatischen Parkett gar zum ebenbürtigen Verhandlungsgegner der serbischen Regierung erhoben.

Nach einer achtstündigen Sitzung mit Präsident Milošević flog Präsident Clintons Ausputzer Holbrook am 10. März 1999 ergebnislos in die USA zurück. Belgrad war – wie sicherlich zu erwarten war – weiterhin nicht bereit, ein Abkommen über eine substantielle Autonomie für das Kosovo zu unterzeichnen oder sich dem NATO-Diktat zu unterwerfen, fremde Truppen auf jugoslawischem Territorium zu stationieren und denen auch noch die Oberhoheit zu übertragen. Dabei war sich die Regierung in Belgrad bewusst, dass sie von der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung auch unterstützt wurde.

All das fand vor dem Hintergrund andauernder Kämpfe zwischen UÇK-Terroristen und jugoslawischen Sicherheitskräften statt. Die Scharmützel fanden zu diesem Zeitpunkt in den überwiegend ethnisch-albanischen Dörfern an der Grenze zu Mazedonien statt, in denen sich die UÇK-Banden verschanzt hatten und wo sie die Bewohner als Schutzschilde gegen die jugoslawischen Sicherheitskräfte benutzten. Wie nicht anders zu erwarten, gab der Wertewesten allein Belgrad die Schuld für die Toten bei all diesen Kämpfen. Wie heute im syrischen Idlib, hatte der „Wertewesten“ schon damals größeres Verständnis für die Mörder und Entführer serbischer und albanischer Zivilisten als für deren Opfer.

Nach dem geplanten Scheitern Holbrooks in Belgrad war klar, dass der lang geplante, US-geführte NATO-Krieg gegen Serbien nicht mehr abzuwenden war. Genau zwei Wochen nach dem Besuch Holbrooks in Belgrad sollten die ersten NATO-Marschflugkörper und lasergesteuerten Bomben hauptsächlich zivile Ziele in Jugoslawien zerstören.

Rainer Rupp ist Mitglied des Beirats des Deutschen Freidenker-Verbandes

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Teil 12 (Erstveröffentlichung auf RT-Deutsch am 21.03.2019)

Lügen, bis sich der Balkan biegt

von Klaus Hartmann

Um einen Krieg vom Zaun zu brechen, muss die Bevölkerung in den Aggressorstaaten vorbereitet und bearbeitet werden. Schließlich braucht man, wenn schon keine euphorische Unterstützung, so doch zumindest „Ruhe an der Heimatfront“. Und dafür haben PR-Agenturen zu sorgen.

Zuerst muss aus dem Bewusstsein verdrängt werden, dass das Völkerrecht ein Gewaltverbot vorschreibt. Bevor hier Unklarheiten aufkommen, sei der entscheidende Satz aus der UNO-Charta zitiert: „Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“ Das ist eigentlich unmissverständlich: Kein Land darf ein anderes angreifen.

Damit ein solcher Rechtsbruch dennoch akzeptiert wird und nurmehr als lässliche Sünde erscheint, muss er als unabweisbar im Interesse der Menschenrechte, der Humanität verkauft werden, sozusagen als übergesetzlicher „Notstand“ erscheinen. Hier schlägt die Stunde der „Spin-Doktoren“, die die erforderliche „Story“, heute gern harmlos „Narrativ“ genannt, mit dem richtigen „Wording“ und „Framing“ an den Mann und die Frau bringen – wie das im „Neusprech“ der Manipulation – letztlich psychologischer Kriegsvorbereitung – genannt wird. Dazu brauchen die Krieger, also die Politiker entsprechende Helfer – diverse Regierungssprecher, einen NATO-Sprecher, PR-Agenturen und natürlich gefolgt von Medien, die das 1:1 drucken, wie sie lügen.

Falls die genannten PR-Agenturen hier auf Skepsis stoßen sollten: Eine besonders aktive heißt Ruder Finn, sitzt in Washington und nennt sich Kommunikationsfirma. Während der Zerstörung Jugoslawiens „kommunizierte“ sie unentwegt für verschiedene Auftraggeber, aber immer gegen dieselben: gegen die bösen Serben. Der Schweizer Friedensforscher Dr. Daniele Ganser sagt dazu:

Im August 1991 hatte sie von der kroatischen Regierung einen Propaganda-Auftrag erhalten, im Mai 1992 von der bosnischen Regierung und im Herbst 1992 von der Führung der Kosovo-Albaner. In allen Fällen lautete der Auftrag, die Serben als Unterdrücker und Aggressoren darzustellen, die Kroaten, bosnische Muslime und Kosovo-Albaner als Opfer. Genau diese Darstellung diente der NATO auch 1999. Die Serben waren immer die Bösen, die Kroaten, die Albaner und die bosnischen Muslime immer die Guten. Nur mit diesem Trick konnte man die Deutschen wieder in den Krieg führen.

Rund 200.000 Dollar zahlten die kroatischen Separatisten an Ruder Finn, die PR-Agentur Jefferson Waterman International erhielt gar 800.000 Dollar. Der Auftrag u.a.:

Pro-aktive Verbreitung einer möglichen kroatischen Militäraktion in der Krajina: ‚Sollte der Zeitpunkt kommen, dass es für Kroatien notwendig sein wird, mit Gewalt die Kontrolle über die kroatischen Territorien zurückzugewinnen, auf denen gegenwärtig die UN präsent ist, muss man mit einer Welle von Kritik rechnen und ihr entgegenwirken. Das Fundament für die Rechtfertigung solcher Aktionen sollte jetzt gelegt werden und nicht nach vollendeten Tatsachen‘. 

Ebenfalls wurde ein Vertrag mit der privaten US-amerikanischen Militärfirma MPRI (Military Professional Resources Inc.) unterzeichnet, die militärisches Training und verwandte Hilfsdienste für ausländische Regierungen durchführen. Nach der Unterzeichnung des Vertrags mit MPRI startete die kroatische Armee die „Operation Sturm“ und „Blitz“, sie überrannte in vier Tagen die UN-Zonen der serbischen Krajina und Westslawonien. Die dabei begangenen Kriegsverbrechen und die Vertreibung von über 250.000 Serben, die in diesen Gebieten seit Jahrhunderten siedelten, wurden vom „Westen“ geflissentlich „übersehen“.

Den Einsatz von PR-Agenturen zur Kriegspropaganda haben die Publizistin Mira Beham und der Wissenschaftler Jörg Becker ans Licht gebracht. Denn das US-Justizministerium verwaltet die Akten des „Foreign Agents Registration Act“ (FARA), das Gesetz wurde in den 1930er Jahren zur Abwehr einer Zusammenarbeit von PR-Agenturen mit den deutschen Faschisten beschlossen. Heute wird es missbräuchlich zweckentfremdet, um die Arbeit von RT, Sputnik und anderer unbequemer Medien in den USA zu bedrohen. Sie fanden 157 Halbjahresverträge, die von 1991 und 2002 zwischen Regierungen des Balkan und amerikanischen PR-Firmen geschlossen wurden.

Weiter stellten Beham und Becker fest:

Wir mussten aus diesen Akten lernen, dass solche PR-Firmen auch anstelle von Diplomaten auf internationalen Konferenzen sitzen und dann sozusagen in Vertretung der Albaner oder in Vertretung der kroatischen Regierung auf gleicher Augenhöhe mit Vertretern anderer Regierungen verhandeln. Das hat uns sehr verblüfft, zur Kenntnis zu nehmen beispielsweise, dass bei den großen Friedensverhandlungen in Rambouillet die albanische Seite gar nicht mit Albanern vertreten war, sondern mit Angehörigen verschiedener amerikanischer PR-Agenturen, die dort saßen und die Albaner vertraten. Dieses ist, glaube ich, etwas ungeheuer Bedenkliches.

Der Champagner sprudelt, als die Bomben fallen

Aber die „Dienstleistungen“ der Agentur Ruder Finn gingen noch weiter: Das politische Programm für die Kosovo-Albaner und die Forderung, dass das Kosovo ein UN-Protektorat werden soll, stammt auch aus ihrem Haus. „Wie die FARA-Unterlagen belegen, wurde die Verbreitung des politischen Programms der Kosovo-Albaner bis Ende 1997 von Ruder Finn durch umfangreiche PR-Maßnahmen in Medien, NGOs, Think Tanks usw., durch Kongress-Reisen ins Kosovo, Menschenrechtskampagnen sowie durch ein dauerndes Lobbying für eine Gesetzgebung im US-Kongress bzw. Resolutionen im UN-Sicherheitsrat unterstützt“, so Beham und Becker.

„Ich muss sagen, als die NATO 1999 angriff, haben wir eine Flasche Champagner aufgemacht“, freute sich James Harff von ebendieser PR-Firma Ruder Finn, die erfolgreich das Feindbild Milošević in den Medien verbreitet hatte. Das ist auch bei den nachfolgenden Aggressionen ein ständig wiederkehrendes Muster: Alle „ungehorsamen“ Staaten haben keine Regierung, sondern ein Regime. Die international eher neutrale Bezeichnung wird in Deutschland keinesfalls so verstanden, sondern assoziiert im Hinterkopf das Nazi-Regime: „Wir sind vor allem auch gar kein Regime“, gab Regierungssprecher Seibert 2018 zum Besten, um zu bekräftigen, dass er es als Abwertung verstanden wissen will. Die Staatschefs solcher Länder sind auch keine Präsidenten oder Regierungschefs, sondern Machthaber, und zwar wahlweise noch steigerungsfähig als „Verrückte“, „Schlächter“, „Diktatoren“, „Mörder des eigenen Volkes“ oder gar als „neuer Hitler“.

Das erfüllt zwar den Tatbestand der Volksverhetzung, zumindest aber fällt es unter die neue Kategorie „Hate Speech“ – allerdings nur dann doch nicht, wenn es von der WWG, der „Westlichen Werte-Gemeinschaft“ kommt! Der Zweck der Diffamierung liegt auf der Hand: Das so charakterisierte Land und seine politische Führung sollen vom Schutz durch das Völkerrecht ausgeschlossen, für vogelfrei erklärt werden, da für solche Untermenschen „die Anwendung der für Menschen gemachten Gesetze nicht möglich ist“ (wie der legendäre Franz-Josef Strauß dereinst dichtete).

Jamie Shea – Der NATO-Spindoctor

Eine zweifelhafte Berühmtheit als Kriegspropagandist während der NATO-Aggression gegen Jugoslawien erwarb sich der NATO-Sprecher Jamie Shea. Durch ihn wurde der „Beruf“ des  einer größeren Öffentlichkeit ein Begriff. „Spin“ bedeutet „Dreh“, und der „Doctor“ gibt der Sache, also der hier zu verkündenden Fakten einen „Dreh“. Der „Spin-Doctor“ dreht alles so hin, wie es sein Auftraggeber, hier also die NATO, braucht.

Mit Wahrheit hat sein Beruf natürlich nichts zu tun, eher im Gegenteil. Das bekannte er selbst ganz offenherzig, und zwar schon in seiner Dissertation „Französische Intellektuelle und der Große Krieg 1914-1920“: „Der Konflikt zwischen Wahrheit und Wahrheit verbirgt in Wirklichkeit den Kampf zweier Formen von Propaganda.“ Folgerichtig war für ihn jede Kritik, jede Opposition gegen den Ersten Weltkrieg sentimentaler Pazifismus. Falls er bei der NATO jemals eine Stellenbeschreibung hatte, stand darin sicher: „Er muss dafür ausgebildet sein, den Medienkrieg zu führen.“ Wenn NATO-Bomben Krankenhäuser, Eisenbahnzüge und Flüchtlingskolonnen treffen, bestreitet er das heute, bedauert es morgen und rechtfertigt es übermorgen. Ein Kriegspropagandist aus Berufung.

Den unzweifelhaften Höhepunkt seines betrügerischen Wirkens erreichte Shea mit der Erfindung der „Kollateralschäden“. „Kollateral“, also „benachbart“, „seitlich gelagert“, galten ihm die zivilen Opfer von NATO-Bombardements. Nicht, weil sie in stabiler Seitenlage oder am Straßenrand lagen, sondern weil er sie als nebensächlich betrachtete. Denn die Hauptsache waren ja die Bomben auf den Feind, seine militärische Schwächung. Da muss man halt Tote „nebenbei“ in Kauf nehmen, da soll mal beim Publikum nur keine Sentimentalität aufkommen. Wie es eben auch die US-Außenministerin Madeleine Albright „klassisch“ auf den Punkt gebracht hat. Als über 500.000 Kinder im Irak in Folge des Embargos starben und sie auf die Frage, ob es den Preis wert gewesen sei, in ihrer unnachahmlich „humanitären“ Art antwortete: „Wir glauben, es ist den Preis wert.“

Als am 14. Mai 1999 NATO-Flieger Bomben auf das Dorf Koriša im Kosovo abwarfen und mindestens 87 Zivilpersonen töteten, erklärte NATO-Sprecher Shea am selben Tag in der BBC: „Wir haben Berichte, dass es ebenfalls unter Soldaten zu Todesfällen kam, nicht einfach nur unter Zivilpersonen.“ Bei einer Pressekonferenz am folgenden Tag erklärte der damalige deutsche NATO-Generalleutnant (und heutige Stadtbürgermeister von Oppenheim) Walter Jerzt die kleine 5.000-Seelen-Ortschaft Koriša zum legitimen Angriffsziel, „weil sich dort auch militärische Einrichtungen befanden“.

Beim Angriff am 12. April 1999 feuerte ein NATO-Kampfflieger zweimal unmittelbar nacheinander Raketen auf einen Zug, der gerade eine Eisenbahnbrücke bei Grdelica überquerte. Dabei wurden zwei Waggons getroffen, mindestens 12 Menschen starben und viele wurden verletzt. Der Oberbefehlshaber der NATO in Europa, General Wesley Clark, sprach tags darauf bei einer Pressekonferenz im NATO-Hauptquartier von einem „unglücklichen Zwischenfall“. Er präsentiert das Cockpit-Video des Flugzeugs, wonach der Pilot keine Wahl gehabt habe: „Schauen Sie angestrengt auf den Zielpunkt, konzentrieren sie sich genau hierauf, und Sie können sehen, falls Sie wie ein Pilot auf Ihren Job fokussiert sind, wie plötzlich dieser Zug erschien.“

Am 20. Januar 2000 schreibt Arnd Festerling in der Frankfurter Rundschau den Beitrag „Zug um Zug eine neue Version“, und enthüllt darin, dass das Video mit fünffacher Beschleunigung abgespielt wurde, um den Eindruck zu erwecken, dass der Pilot den auf die Brücke zurasenden Zug nicht hätte erkennen können. Für NATO-Sprecher Shea war das natürlich kein Betrugsversuch, sondern ein „technisches Problem“.

Als die NATO am 7. Mai die Chinesische Botschaft im Zentrum Belgrads mit Raketen beschoss, starben drei chinesische Journalisten und viele Botschaftsangehörige wurden schwer verletzt. Die NATO bedauerte offiziell, angeblich habe der Pilot einen „veralteten Stadtplan benutzt“. Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping murmelte etwas von „unpräziser Zielplanung“ und „Mängeln in den nachrichtendienstlichen Informationen“. Anfang 2000 wurde offenbar, dass dieses Ziel an jenem Tag das einzige war, das der US-Geheimdienst CIA ausgesucht hatte, der unterstellte, dass das jugoslawische Militär von der Botschaft mit militärtaktischen Informationen versorgt wurde.

Flüchtlingskonvoi vorsätzlich bombardiert

Auch die Kosovo-Albaner, zu deren Schutz die Bomben angeblich abgeworfen wurden, blieben nicht verschont: Bei einem Raketenangriff auf einen Flüchtlingstreck bei Đakovica (Djakovica oder Gjakova) am 14. April 1999 kamen mehr als 70 Menschen ums Leben. Scharping und Shea zweifelten tagelang die NATO-Urheberschaft an. Danach folgte der Versuch einer Entschuldigung mit der (angeblich zu großen) Flughöhe des Piloten, er habe die „traktorähnlichen Fahrzeuge“ mit serbischen Militärfahrzeugen verwechselt. Der von der „International Strategic Studies Association“ veröffentlichte Funkverkehr zwischen Piloten und Kommandobasis zeichnet ein anderes Bild:

Pilot: Ich verlasse jetzt die Wolken. Ich sehe immer noch nichts.

Basis: Setzen Sie Ihren Flug fort. Richtung Nord 4280.

Pilot: Ich bin unter 3000 Fuß. Unter mir eine Kolonne von Fahrzeugen. Eine Art von Traktoren. Was soll das? Ich verlange Instruktionen.

Basis: Wo sind die Panzer?

Pilot: Ich sehe Traktoren. Ich nehme nicht an, dass die Roten die Panzer als Traktoren getarnt haben.

Basis: Was sind das für komische Geschichten? So ein Ärger! Da stecken sicher die Serben dahinter. Zerstören Sie das Ziel!

Pilot: Was soll ich zerstören? Traktoren? Gewöhnliche Fahrzeuge? Ich wiederhole: Ich sehe keine Panzer. Ich verlange weitere Informationen.

Basis: Es ist ein militärisches Ziel. Zerstören Sie das Ziel! Ich wiederhole: Zerstören Sie das Ziel!

Vorsätzlich wurden Zivilisten ins Visier genommen, so die Aussage eines spanischen F-18-NATO-Piloten nach seiner Rückkehr vom Einsatz Ende Mai. Wiederholt habe er wie seine Kameraden Befehle erhalten, zivile Einrichtungen zu bombardieren:

Mehrere Male protestierte unser Colonel bei den NATO-Chefs, dass sie Ziele ausgewählt hatten, die keine militärischen waren – einmal bekamen wir von den US-Militärs den kodierten Befehl, dass wir über den Städten Priština und Niš Anti-Personen-Bomben abwerfen sollten. Unser Colonel verweigerte den Befehl, und ein paar Tage später wurde er versetzt.

So wurden sogenannte Kassettenbomben (Splitterbomben) auch gegen „weiche Ziele“ (Menschen) in Serbien eingesetzt: In Niš zerfetzen solche Geschosse am 7. Mai 1999 13 Zivilisten und verletzten 29 weitere schwer.

Für viele überraschend strahlte die ARD am 8. Februar 2001 die investigative Dokumentation von Jo Angerer und Mathias Werth aus: „Es begann mit einer Lüge. Wie die Nato im Krieg um Kosovo Tatsachen verfälschte und Fakten erfand“. Der Kasseler Friedensratschlag kommentierte:

Das einzig Bedauerliche, ja, wirklich Ärgerliche an der ARD-Dokumentation ist, dass sie erst jetzt zu sehen war. Warum nicht schon im April 1999? Die meisten Tatsachen, die hier ausgebreitet wurden, waren ja schon bekannt.

Darin enthalten ist auch ein Interview mit dem berüchtigten NATO-Sprecher Jamie Shea. Er betonte, wie wichtig es in der Demokratie sei, dass die politischen Führer ihre Meinung der Bevölkerung beibringen, dies sei kriegsentscheidend. Besonders lobte er Scharping:

Die politischen Führer spielten nun die entscheidende Rolle für die öffentliche Meinung. Sie sind die demokratisch gewählten Vertreter. Sie wussten, welche Nachricht jeweils für die öffentliche Meinung in ihrem Land wichtig war. Rudolf Scharping machte wirklich einen guten Job. Es ist ja auch nicht leicht, speziell in Deutschland, das 50 Jahre lang Verteidigung nur als Schutz des eigenen Landes gekannt hatte, statt seine Soldaten weit weg zu schicken. Psychologisch ist diese neue Definition von Sicherheitspolitik nicht einfach.

Nicht nur Minister Scharping, auch Kanzler Schröder und Minister Fischer waren ein großartiges Beispiel für politische Führer, die nicht der öffentlichen Meinung hinterherrennen, sondern diese zu formen verstehen. Es stimmt mich optimistisch, dass die Deutschen das verstanden haben. Und jenseits der sehr unerfreulichen Begleiterscheinungen, der Kollateralschäden, der langen Dauer der Luftangriffe, hielten sie Kurs. Wenn wir die öffentliche Meinung in Deutschland verloren hätten, dann hätten wir sie im ganzen Bündnis verloren.

Dank unseres hervorragenden Personals war der Krieg also nicht gefährdet. Sollen wir ihnen dankbar sein – oder darauf bestehen, sie vor Gericht zu bringen?

Klaus Hartmann ist Vorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes

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