
Die Außenpolitik der Sowjetunion unter der Leitung von Maxim Litwinow
Ein historischer Überblick von Wofgang Schürer
Bemerkungen zu Maxim Litwinow, geboren am 17. Juli 1876, gestorben am 31. Dezember 1951
Er wurde in Bialystok geboren. Die Stadt gehörte damals zum zaristischen Russland und gehört heute zu Polen. Er entstammte einer aschkenasischen jüdischen Familie. Nach der sozialistischen Revolution in Russland (07. November 1917, nach dem Gregorianischen Kalender, 25. Oktober 1917, nach dem Julianischen Kalender) trat er in den diplomatischen Dienst der Sowjetregierung. Er wurde 1921 Vizeaußenminister und war, vom 21. Juli 1930 bis zum 03. Mai 1939, Außenminister. Später wurde er Botschafter der Sowjetunion in den Vereinigten Staaten (10. November 1941 bis 22. August 1943). Er starb in Moskau.
Bemerkungen zum Völkerbund, gegründet am 10. Januar 1920, auf der Pariser Friedenskonferenz
1924 gehörten bereits 55 Staaten zum Völkerbund, darunter 26 aus Europa, 5 aus dem Empire, 4 aus Asien, 18 aus Lateinamerika und 2 aus Subsahara-Afrika.
Die 26 europäischen Staaten waren:
- Westeuropa: Vereinigtes Königreich, Frankreich, Niederlande, Belgien, Irland, Luxemburg
- Mitteleuropa: Polen, Tschechoslowakei, Ungarn, Österreich, Schweiz
- Südosteuropa: Rumänien, Jugoslawien, Bulgarien, Griechenland, Albanien
- Nordeuropa: Schweden, Dänemark, Finnland, Norwegen, Litauen, Lettland, Estland
- Südeuropa: Italien, Spanien, Portugal
Die 5 Empire-Staaten waren:
- Indien, Südafrika, Kanada, Australien, Neuseeland
Die 4 asiatischen Staaten waren:
- Japan, China, Thailand, Iran
Die 2 Staaten aus Subsahara-Afrika waren:
- Äthiopien, Liberia
2 der 20 Staaten aus Lateinamerika fehlten: Mexiko (Aufnahme 1931), Ecuador (Aufnahme 1934)
1926 wurde Deutschland Mitglied, 1932 die Türkei und der Irak, 1934 Afghanistan, 1937 Ägypten.
Bemerkungen zur ursprünglich antisowjetischen Politik des Völkerbundes
18 der 55 Staaten, die 1924 zum Völkerbund gehörten, hatten sich 1918-1922 an der militärischen Intervention der Alliierten gegen Sowjetrussland beteiligt, darunter 4 Großmächte (Japan, Vereinigtes Königreich, mit den 5 Empire-Staaten, Frankreich, Italien), Polen, die Tschechoslowakei, Jugoslawien, Rumänien, Griechenland, Finnland, Litauen, Lettland, Estland)
Liste der 22 Staaten, die 1920-1926 diplomatische Beziehungen zur Sowjetunion aufnahmen
1920: Litauen, Lettland, Estland; 1923: Deutschland, Polen, Finnland, Türkei, Iran, Afghanistan
1924: Vereinigtes Königreich, Frankreich, Italien, Schweden, Dänemark, Norwegen, Österreich, Griechenland, Albanien, China, Mexiko; 1925: Japan; 1926: Uruguay (1927 bis 1932 folgten keine weiteren Staaten.) Die Vereinigten Staaten, die niemals Mitglied des Völkerbundes wurden, waren 1932 die einzige Großmacht, die keine diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion hatte.
Bemerkungen zum Kriegsverzichtsvertrag, unterschrieben in Paris, am 27. August 1928
Die Sowjetunion gehörte nicht, im Unterschied zu den 6 anderen Großmächten, zu den 15 Erstunterzeichnern, trat dem Kriegsverzichtsvertrag jedoch bereits am 08. September 1928 bei. Maxim Litwinow hatte sich besonders dafür eingesetzt. Am 09. Februar 1929, in Moskau, schlossen die Sowjetunion, Polen, Rumänien, Lettland und Estland einen parallelen Kriegsverzichtsvertrag, der auch „Litwinow-Protokoll“ genannt wird. Die Türkei und Litauen folgten später. (Finnland verweigerte die Unterschrift.) Der Kriegsverzichtsvertrag trat am 24. Juli 1929 in Kraft. Bis 1934 unterschrieben 62 Staaten. Von den 63 Staaten, die irgendwann dem Völkerbund angehörten, fehlten Argentinien, Bolivien, Uruguay und El Salvador. Dagegen gehörten die Vereinigten Staaten, Saudi-Arabien und Island zu den Unterzeichnern.
Der japanische Angriffskrieg gegen China und die Folgen für Sowjetisch-Fernost und Sibirien
Japan begann den Angriff am 18. September 1931. Es okkupierte zunächst die 3 mandschurischen Provinzen und verwandelte diese in den Satellitenstaat Mandschukuo. Am 21. Februar 1933 begann Japan mit der Besetzung einer innermongolischen Provinz, die am 04. März 1933 Mandschukuo angegliedert wurde. Am 27. März 1933 trat Japan aus dem Völkerbund aus. Am 31. Mai 1933 schloss Japan einen Waffenstillstand mit China. Die Sowjetunion hatte nunmehr eine sehr lange Grenze mit dem Japanischen Imperium.
Die 61-Staaten-Abrüstungskonferenz in Genf, eröffnet am 01. Februar 1932
Anfänglich nahmen alle 7 Großmächte teil. Maxim Litwinow verlangte die vollständige Abrüstung, zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Am 30. Januar 1933 erfolgte in Deutschland die Machtübertragung an die Nazipartei. Deutschland verließ die Abrüstungskonferenz am 14. Oktober 1933 und trat am 19. Oktober 1933 aus dem Völkerbund aus. Im November 1934 endete die Abrüstungskonferenz.
Der Eklat auf der Londoner Weltwirtschaftskonferenz (12. Juni bis 27. Juli 1933)
Am 16. Juli 1933 veröffentliche der deutsche Delegierte, Alfred Hugenberg, ein Memorandum, in dem er für Deutschland neuen Siedlungsraum verlangte. Die Sowjetunion, die an der Konferenz teilgenommen hatte, protestierte in scharfer Form.
Die weitere Durchbrechung der außenpolitischen Isolierung der Sowjetunion
Am 28. Juli 1933 nahm Spanien diplomatische Beziehungen zur Sowjetunion auf. Die Vereinigten Staaten folgten am 16. November 1933. Ungarn, die Tschechoslowakei, Rumänien und Bulgarien 1934. Belgien, Luxemburg und Kolumbien 1935. Die Sowjetunion hatte nunmehr zu 23 europäischen und 8 nichteuropäischen Staaten diplomatische Beziehungen. In Europa fehlten noch 5 Mitglieder des Völkerbundes: Jugoslawien, die Niederlande, Portugal, die Schweiz und Irland normalisierten vor dem 01. September 1939 nicht ihre Beziehungen zur Sowjetunion.
Die Aufnahme der Sowjetunion in den Völkerbund und die Folgen für die Weltpolitik
Die Aufnahme erfolgte, auf französische Initiative, am 18. September 1934. Die Sowjetunion, das Vereinigte Königreich, Frankreich und Italien waren nunmehr die 4 Großmächte, die im Völkerbundrat den Weltfrieden sichern sollten. Die Sowjetunion schloss am 02. Mai 1935 ein Defensivbündnis mit Frankreich und am 16. Mai 1935 ein Defensivbündnis mit der Tschechoslowakei. Dieses bestimmte jedoch, dass die sowjetische Beistandspflicht erst einträte, wenn vorher Frankreich seine Beistandspflicht erfüllt haben sollte.
Die Sowjetunion, der Völkerbund, und der italienische Angriffskrieg gegen Äthiopien
Italien begann den Angriff am 03. Oktober 1935. Der Völkerbund leistete Äthiopien keine Hilfe. Das Vereinigte Königreich lehnte die sowjetische Forderung, den Suezkanal für Italien zu sperren. Am 09. Mai 1936 wurde Äthiopien von Italien annektiert.
Die Sowjetunion, der Völkerbund und der Spanische Bürgerkrieg, seit dem 18. Juni 1936
Italien und Deutschland intervenierten auf Seiten der Putschisten. Die Sowjetunion stand auf der Seite der Regierung. Das Vereinigte Königreich verlangte, am 08. August 1936, in ultimativer Form, dass Frankreich seine Unterstützung für die Regierung einstellen sollte. Der Völkerbund leistete der Regierung keine Hilfe. Italien trat am 07. November 1937 aus dem Völkerbund aus. Der Bürgerkrieg endete, am 01. April 1939, mit dem Sieg der Putschisten.
Die Sowjetunion und die Eskalation des japanischen Angriffskrieges gegen China
Japan brach den Waffenstillstand am 07. Juli 1937. Die Sowjetunion schloss, am 21. August 1937, ein Defensivbündnis mit China. Der Völkerbund leitete China keine Hilfe.
Die Sowjetunion und die Annexion Österreichs durch Deutschland, am 13. April 1938
Die Sowjetunion war die einzige Großmacht, die gegen diese Annexion protestierte.
Der japanisch-sowjetische Grenzkrieg in Fernost, 29. Juli bis 11. August 1938
Er endete mit einem Waffenstillstand, nachdem die Rote Armee die in die Sowjetunion eingedrungenen japanischen Truppen zurückgeworfen hatte.
Die Sowjetunion und die Beseitigung der Tschechoslowakei, 1938-1939
Am 29. September 1938, in München, beschlossen Deutschland, Italien, das Vereinigte Königreich und Frankreich, dass die Tschechoslowakei die sudetendeutschen Gebiete an Deutschland abtreten müsste. Die Sowjetunion protestierte in scharfer Form. Im Oktober 1938 annektierte Deutschland die sudetendeutschen Gebiete, am 15. März 1939 das restliche Tschechien. Ungarn annektierte den Süden der Slowakei und die Karpatenukraine. Die restliche Slowakei wurde in einen deutschen Satellitenstaat verwandelt. (Polen hatte 1938 das tschechische Olsagebiet annektiert.)
Die Sowjetunion und der seit dem 03. April 1939 geplante deutsche Angriff auf Polen
Die Sowjetunion bot, am 18. April 1939, dem Vereinigten Königreich und Frankreich ein Defensivbündnis an, für den Fall eines deutschen Angriffs auf Polen, für den Fall eines deutschen Angriffs auf Frankreich, und für den Fall eines deutschen Angriffs auf die Sowjetunion, unter Umgehung Polens, über Lettland, Estland und Finnland. (Litauen grenzte damals nicht an die Sowjetunion.) Polen sollte sich auch im zweiten und dritten Falle am Krieg gegen Deutschland beteiligen. Der geplante 4er-Block kam nicht zustande. Am 03. Mai 1939 kam es zu einem Wechsel im sowjetischen Außenministerium, Wjatscheslaw Molotow löste Maxim Litwinow ab.
Wolfgang Schürer ist Vorsitzender des Kreisverbandes Offenbach a. M. der Freidenker
Bild oben: Maxim Litwinow (Bildmitte) besucht als sowjetischer Außenminister die Türkei, Oktober 1931
Foto: unbekannt, Public Domain
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=17539962