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Der Historiker Karl Schlögel: Persil wäscht Westen weiß und noch mehr…

Immer leicht blasiert, aber dafür voll und ganz für den Krieg – wenigstens erhält der Historiker Karl Schlögel keinen Friedenspreis. Frieden liegt ihm auch fern. Aber er, die Stifter des Preises, den er erhalten soll, und die deutsche Geschichte ergeben eine fleckige Mischung.

Von Dagmar Henn

Erstveröffentlichung am 26.11.2024 auf RT DE

Es ist nicht das erste Mal, dass aktuelle Preise, die Preisstifter, die Preisträger und deren Ansichten eine seltsame historische Resonanz ergeben. Wobei in diesem Fall, dem Historiker Karl Schlögel, der nun den Gerda Henkel Preis erhalten soll, gleich noch ein anderer Preis und eine andere Preisträgerin in Erinnerung gerufen werden – die Ikone der US-Neokons, Anne Applebaum, die dieses Jahr ausgerechnet den „Friedens“preis des Deutschen Buchhandels erhielt. Schlögel sitzt in der Jury dieses Preises.

Der Preis, den er jetzt erhält, ist natürlich viermal so lukrativ wie der andere; der Gerda Henkel Preis wird ihm 100.000 Euro einbringen. Nicht dass Schlögel Not leidend wäre; seit er von seinem einstigen jugendlichen Radikalismus in der maoistischen KPD zum bürgerlichen Glauben zurückkehrte, verbrachte er sein Dasein mit Stipendien und wohl bestallten Professuren. Er weiß, was von ihm erwartet wird, und er liefert.

„Russland ist der Feind“, zitiert ihn die Welt gleich in der Überschrift in einem der vielen Artikel, die dieser Preis jetzt veranlasst. „Wir sind ja schon in einer Kriegssituation.“ Und noch besser, ganz im Einklang mit der Kriegstreiberin Applebaum:

„Und deswegen finde ich die Lieferung von Waffen, die auf die Ausgangspunkte dieser Aggressionen abzielen, längst überfällig und dringend notwendig.“

Es ist ein klein wenig peinlich für einen Historiker, wenn er einen Satz wie diesen von sich gibt:

„Putin ist ein meisterhafter Choreograph und Analytiker der Schwächen der Gegenseite. Ich glaube nicht, dass er einen festen Plan hat, aber er hat immer wieder gesagt, dass es keine festen Grenzen der russischen Welt gibt.“

Besonders peinlich ist das, wenn besagter Historiker irgendwo in den Tiefen seiner verdrängten Erinnerungen auch noch die „Fragen eines lesenden Arbeiters“ von Brecht vergraben und auch noch diverse andere historische Forschungen mitbekommen haben müsste, die eine derart platte, spätestens ans 19. Jahrhundert gemahnende Personalisierung eigentlich untersagen.

Wobei, ein Eintreten für Waffenlieferungen wäre noch weit stärker untersagt. Doch auf jeden Fall hat er die richtige Heimat gefunden, um sich bepreisen zu lassen.

Wahrscheinlich heißt der Preis nach Gerda Henkel, weil ihr Mann, Hugo Henkel, eine doch nicht wirklich saubere Weste hat; so wie auch das Geld, das in diesen Preis fließt, alles andere als unbefleckt ist. Auch wenn es nicht so sehr das Chemieunternehmen Henkel, bekannt für das Waschmittel Persil (dessen Wirkstoff ausgerechnet der Bruder von Karl Liebknecht entdeckt hat), ist, dessen Geschichte abgründig ist, sondern die Firma Degussa, in die Henkel sich eingekauft hatte, und dann wiederum eine Tochterfirma der Degussa namens Degesch, die es mit einem einzigen Produkt in die Weltgeschichte schaffte: Zyklon B.

Noch 2019 veröffentlichte die Frankfurter Rundschau ihre Rezension eines Buches über die Degussa in der Nazizeit unter der Überschrift „Persil und Zyklon B zusammendenken“. Und zitiert darin „einen bemühten Mangel an Neugierde“, der bei der Geschäftsführung der Degesch zu verzeichnen gewesen sei. Man hat das Zyklon B an die SS geliefert, aber wohlweislich nicht darüber nachgedacht, wozu es gebraucht würde.

War Hugo Henkel anwesend, als Hitler am 26. Januar 1932 seine berühmte Rede vor dem Industrie-Club Düsseldorf hielt? Nicht unwahrscheinlich, immerhin ist der Hauptsitz des Unternehmens dort. 1933 jedenfalls trat er in die NSDAP ein, und 1945 fand er sich auf der Kriegsverbrecherliste des Kilgore-Kommittees des US-Senats, zusammen mit 41 weiteren Industriellen.

Übrigens erwähnt der Historiker Peter Hayes in seinem von der FR rezensierten Buch auch die Vermutung, der Erwerb der Anteile an der H. Th. Böhme AG im Jahr 1935 in Chemnitz sei im Zuge einer „Arisierung“ erfolgt, also zu einem Schleuderpreis als Beute für die politische Gefolgschaft. Ins Archiv der Firma wurde er nicht gelassen.

Die Gerda Henkel Stiftung ist also nach der Ehefrau des Waschmittelfabrikanten benannt, weil die braunen Flecken bei ihr weniger sichtbar sind; aber irgendwie ist mit Schlögel der Kreis wieder geschlossen. Das Unternehmen musste zwar zu Beginn des Zweiten Weltkriegs darum ringen, seine Produkte auf die Liste der kriegswichtigen Güter zu hieven; aber dank der „sorgfältigen Vorbereitung in Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden“ gelang das doch, und die Hoffnungen waren wohl groß: „Die Vergrößerung des Reiches im Osten und Südosten, die große Produktionsmassierung in Düsseldorf und Genthin und der allgemein steigende Absatz unserer Produkte lassen es als angebracht erscheinen, eine Erweiterung unserer Produktionsbasis nach Beendigung des Krieges vorzusehen“, hieß es in einer Firmenchronik, die noch im Jahr 2001 in diesem Tonfall veröffentlicht wurde. „Die Vergrößerung des Reiches im Osten“, das war der Vernichtungskrieg der Wehrmacht, Unternehmen Barbarossa und Generalplan Ost.

Da war es durchaus passend, dass das Papier, mit dem aus vielen der mächtigsten Nazis, als sich die amerikanische Politik dann gedreht hatte, „Mitläufer“ wurden, „Persilschein“ genannt wurde. 1947 galten Hugo Henkel und diverse andere Mitglieder der Familie dann als „entnazifiziert“.

„Wir befinden uns in einer Vorkriegssituation, die, ohne in eine Analogie zu verfallen, viel mit den 1930er Jahren zu tun hat“, erklärt Schlögel in einem Interview mit der Rheinischen Post. „Auch damals baute sich etwas auf, was man wohl ahnen, aber noch nicht so genau abschätzen konnte.“

Interessant. Erstaunlicherweise gab es unter den Deutschen, die ab 1933 ins Exil gingen, ziemlich viele, die bereits verlässlich sagen konnten, dass Krieg geführt werden, und auch, in welche Richtung er vor allem zielen würde. Es gibt ein Gedicht aus dem Jahr 1927, geschrieben von Erich Weinert, später vertont von Hanns Eisler und gesungen von Ernst Busch (also noch etwas, an das sich Herr Schlögel aus seiner Jugend erinnern müsste), in dem heißt es:

„Es flüstern die Kohle- und Stahlproduzenten,
es flüstert die chemische Kriegsproduktion,
es flüstert von allen Kontinenten:
Mobilmachung gegen die Sowjetunion!“

Überraschend war dann eher der Frankreichfeldzug. Aber heute gibt es ja die EU, da ist ein derartiges Vorspiel nicht mehr nötig. Den nötigen Stahlhelm-Tonfall hat sich Schlögel jedenfalls angeeignet:

„Die Frage ist doch, ob wir aktuell den Gefahren ins Auge schauen oder ob wir einknicken und kapitulieren werden. Ich hätte nie gedacht, dass ein solcher Ernstfall eintreten würde und wir in die Situation einer so harten Prüfung geraten werden.“

So ist das. Wer nicht bereit ist, mit Hurra auf den ausgetretenen Pfaden des Ostlandritts mitzuziehen, der „knickt ein“ oder „kapituliert“. Wenn seine Preisrede auch so klingt, dann dürfte es der Düsseldorfer Rüstungslobbyistin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die bei der Verleihung bestimmt im Publikum sitzt, Tränen der Rührung in die Augen treiben. Die nebenbei die politische Entwicklung eines Hugo Henkel, der 1914 für die Liberale Partei Mitglied der Düsseldorfer Stadtverordnetenversammlung geworden war, auch gewissermaßen nachvollzieht; oder aber, stattdessen oder gleichzeitig, die Geschichte der nordrhein-westfälischen FDP rückabwickelt, die in ihrer Landtagsfraktion immerhin den bundesdeutschen Rekord an NSDAP-Mitgliedern in einem deutschen Parlament hielt.

Sie kann vermutlich mit Karl Schlögel ein Duett singen, wenn dieser, ganz nonchalant, was man sich als emeritierter Professor mit zusätzlich 100.000 Euro Preisgeld auch problemlos leisten kann, im Gegensatz zu den meisten anderen Deutschen, noch eine Runde Blut, Schweiß und Tränen als Dreingabe liefert:

„Amerika wird nicht mehr allein die Bürde der Verteidigung des Westens und der Unterstützung für die Ukraine tragen. Es wird also eine Neuverteilung der Lasten geben. Genau das kommt auf Europa und auf Deutschland zu.“

Nachdem ein guter Teil besagter „Lasten“ in den Kassen der Firma Rheinmetall landen wird, wäre da nicht eine kleine Zusatzgabe der Kanonendrechsler an den willfährigen Herrn Professor angesagt? Dass er die in Deutschland wohl in regelmäßiger Wiederholung erforderliche Qualifikation des „bemühten Mangels an Neugierde“ mitbringt, hat er in seiner Vita sicher hinreichend bewiesen. Und keiner der Sätze, die ihm im Vorlauf der Preisrede entfleuchen, lässt daran zweifeln, dass er in sonorem Ton, gelegentlich mit einem Hauch intellektueller Distanz bekränzt („Wenn der Wille der Wähler zu einem Erstarken der Demagogen und Polarisierer auf der linken oder auch rechten Seite führt, dann bedeutet das, dass an der Funktionsweise der Demokratie irgendetwas nicht stimmt“), seine aktualisierte Version der Hunnenrede liefen wird:

„Es wird furchtbar lange dauern, bis die russische Kultur nach dem Ende des Krieges sich von dieser Kontaminierung und Instrumentalisierung durch den Krieg erholen wird – wenn überhaupt.“

Nein, es ist kein Wunder, dass man ihn bei Henkel liebt. Immerhin, die Gerda Henkel Stiftung leistet sich auf ihrem Wissenschaftsportal L.I.S.A auch Arbeiten zur „Dekolonialisierung Russlands“, wie die aktuelle Version des Generalplans Ost betitelt wird, und förderte mit zwei Millionen Euro „ukrainische Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen“ – natürlich nicht die, die vor der Maidandiktatur geflohen sind, sondern deren Anhänger. Da kommt zusammen, was zusammen gehört.

Nur eine Frage kann bisher noch nicht beantwortet werden: Lässt sich mit Persil auch die nächste Runde Westen wieder weiß waschen? Sind das neue Flecken oder sind es noch die alten, die wieder neu hervorgetreten sind? Und wie viele Waschgänge wird es brauchen, um die „Kontaminierung und Instrumentalisierung“ wieder aus der deutschen Geschichtswissenschaft zu entfernen?

Dagmar Henn ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes


Bild oben: Karl Schlögel (links) bei den 51. Römerberggesprächen am 30. April 2022 in Frankfurt am Main.
Foto: Simsalabimbam, CC BY-SA 4.0
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=117677525