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Journalismus als Blase: Wie der DJV die Pressefreiheit interpretiert

Der Pressesprecher des Deutschen Journalistenverbandes begrüßt die Entscheidung, RT DE keine Sendelizenz auszustellen. In einem Podcast verdeutlicht er seine Auffassung von Journalismus: Journalismus ist Sprachrohr der Politik, darüber hinaus eine elitäre Blase.

von Gerd Ewen Ungar

Erstveröffentlichung am 30.08.2021 auf RT DE

‚In Afghanistan ist es zu einer weitgehend friedlichen Machtübernahme durch die Taliban gekommen. Diese haben zugesagt, die Rechte von Frauen zu respektieren und Opposition zuzulassen, zudem den Terrorismus und den Drogenhandel zu bekämpfen. Die Situation in der Hauptstadt ist ruhig. Chaos gibt es lediglich am Kabuler Flughafen, der allerdings unter US-amerikanischer Kontrolle steht. Dort sind auch Tote zu beklagen, die allerdings nicht auf das Konto der Taliban gehen. Russland hat angeboten, mit Flugzeugen dabei zu unterstützen, Ausreisewillige außer Landes zu bringen. Die Sicherheit der Ausreise wurde von den Taliban garantiert.‘

So oder ähnlich hätte eine Nachricht über die Vorgänge in Afghanistan in den ersten Tagen nach der Machtübernahme durch die Taliban aussehen können. Nichts daran ist falsch, es ist sogar deutlich näher an der Wahrheit als zahlreiche Beiträge des deutschen Mainstreams zur dortigen Entwicklung. Die Nachricht ist nur leider in dieser Form recht undramatisch. Vor allem aber bedient sie so formuliert nicht die hier etablierte Erzählung, die im Kern lautet, dass ohne westliche Hilfe Afghanistan in Chaos und Barbarei versinkt.

An dieser verschobenen Sicht auf die Zusammenhänge lässt sich auch in dieser Krise der bedauernswerte Zustand des deutschen Journalismus ablesen. An den großen Erschütterungen, an Finanzkrise, Ukrainekrise, an der Berichterstattung über Syrien oder jetzt Afghanistan wird deutlich: Dem deutschen Journalismus fehlt es an ganz viel. Es fehlt an Ausgewogenheit, an Differenziertheit und Vielfalt in der Themensetzung und in der Setzung von Blickwinkeln.

Seinen Meinungsbeiträgen fehlt es nicht nur an Tiefe, sondern auch an der Fähigkeit mittels Kontroverse eine diskursive Breite herzustellen, über die eine Demokratie eigentlich verfügen muss, um überhaupt für eine solche zu gelten. Der deutsche Journalismus hat sich eingeigelt – mit jeder globalen Krise ein bisschen mehr.

Der deutsche Journalismus ist einer Demokratie unwürdig

Das gilt nicht für alle Journalisten. Es gibt sicherlich viele, die gut und gründlich arbeiten, die sich um die Vermittlung differenzierter Sichtweisen bemühen und versuchen, komplexe Themen in ihrer Komplexität zu vermitteln, ohne dass daraus einfach ein Schwarz-Weiß wird. Aber in seiner Breite, in den Meldungen, die es auf die Titelseiten schaffen, ist der deutsche Journalismus unterkomplex, weithin regierungstreu und unkritisch gegenüber Regierungshandeln, einseitig in geopolitischen Zusammenhängen und aggressiv belehrend gegenüber seinen Lesern und Zuschauern. Mit anderen Worten, der deutsche Journalismus ist einer Demokratie unwürdig.

Es wäre dringend notwendig, diesen Zustand zu korrigieren und eine größere Vielfalt nicht nur zuzulassen, sondern geradezu einzufordern.

Allerdings passiert in Deutschland genau das Gegenteil. Vielen neuen Marktteilnehmern wird das Arbeiten in Deutschland in perfider Weise schwer gemacht. Konten werden gekündigt, Kanäle auf großen Plattformen abgeschaltet, es wird in großem Umfang zensiert, ohne es Zensur zu nennen. Wenn es um tatsächlich gelebte Pressefreiheit geht, die sich auch in einer medialen Vielfalt widerspiegelt, sieht es in Deutschland inzwischen sehr düster aus.

Auch RT DE ist davon betroffen. Auch RT DE wurde das Konto gekündigt, die Reichweite künstlich eingeschränkt, es wird drangsaliert und diffamiert. Aktuell wird eine von RT in Luxemburg beantragte Sendelizenz verweigert. Politischer Druck ist zu vermuten. Dabei verwundert es sehr, wer sich über diesen Vorgang freut.

Die Gewerkschaft der Journalisten hat ein Problem mit Pressefreiheit

Hendrik Zörner, Pressesprecher des Deutschen Journalistenverbands begrüßt die luxemburger Entscheidung. Er begrüßt damit, das Medienangebot für Deutschland weiter eng und einseitig zu halten. Es ist die Interessenvertretung der deutschen Journalisten, die ein Problem mit Pressefreiheit hat.

Es ist wichtig zu analysieren, woher diese bizarre Schieflage kommt, um zu verstehen, warum der deutsche Journalismus so unglaublich schlecht informiert.

Ein Journalistenverband sollte eigentlich eine wertschätzende Haltung gegenüber seinen Mitgliedern einnehmen. Er sollte sich auch für die Freiheit der Presse einsetzen. Das tut der DJV nicht und positioniert sich in einseitiger Weise. Das ist schändlich und schädlich. Aber es ist auch symptomatisch für eine grundlegende Fehlstellung in Deutschland, die ihre Ursache in einer grundlegenden Angst etablierter Medienkonzerne vor einer tatsächlichen Freiheit der Presse hat.

Historisch ist der DJV eng mit den Redaktionen der großen Medienhäuser und der GEZ-Medien verbunden. So wundert es kaum, dass Zörner sich auch für die Erhöhung des Rundfunkbeitrags eingesetzt hat. Gleichzeitig begrüßt er die Absage an RT. Damit wird der Deutsche Journalistenverband zu einem Feind der Pressefreiheit, denn so wie die großen Medienkonzerne die Drangsalierung ihrer neuen Kollegen ihrem Publikum verschweigen oder, wie im Fall von Ken Jebsen, sie sogar beklatschen, begrüßt auch Zörner, wenn es kein neues, zusätzliches Angebot in Deutschland gibt. Vielfalt ist ihm Bedrohung.

Wie unterscheiden sich Journalismus, PR und Propaganda?

Auf seiner Webseite gibt der DJV dann auch einen Einblick in den Journalismus, wie er ihn sich vorstellt. In einem Podcast interviewt der stellvertretende Pressesprecher Paul Eschenhagen seinen Chef, den Pressesprecher des Verbandes Hendrik Zörner. Eschenhagen liefert die Stichworte, auf die Zörner antwortet. Alles ist abgesprochen, alles ist koordiniert, nichts passiert spontan, keine Frage ist kritisch, alles ist reine PR. Nun mag man einwenden, von einem Podcast in eigener Sache seien kaum investigative Offenlegungen zu erwarten. Das ist sicher richtig, aber der Beitrag ist in einer peinlichen Weise zahm und bieder, dass er beim Zuhören ein Gefühl von Fremdschämen weckt. Er ist Beispiel dafür, wie ein Interview nicht zu sein hat.

Dennoch ist der Podcast hörenswert, denn er offenbart die inneren Widersprüche und kognitiven Dissonanzen, die sich auftun, wenn man Zörners Beitrag über die Ablehnung der Sendelizenz für RT beim Zuhören mitdenkt. Auf der einen Seite meint Zörner, der Verband maße sich nicht an, darüber zu urteilen, was Journalismus sei. Es sei der Medienkonsument, der letztlich entscheidet, was Journalismus ist.

Im Fall von RT darf der Medienkonsument dann allerdings nicht entscheiden, ob er das Programm sehen möchte oder nicht. Das Programm fällt für Zörner unter den Begriff „Propaganda“ und ist daher kein Journalismus. Was er mit Propaganda meint, bleibt unklar. Gegen PR hat er dagegen nichts. Journalismus und PR seien die zwei Seiten einer Medaille. Sie benötigen sich gegenseitig, stellt Zörner fest. PR sei zudem eine Art Journalismus, auch wenn sie letztlich Auftragskommunikation sei. Außerdem seien viele PR-Fachleute ehemalige Journalisten. Es gebe daher Überschneidungen, die rechtfertigen, dass der DJV beide Berufsgruppen vertritt.

Das sich daraus ergebende Problem der Nähe von Journalisten zu den Zentren der Macht und des Geldes, von Drehtüreffekten und ihrer domestizierenden Wirkung auf das kritische Denken thematisiert Zörner erst gar nicht. RT dagegen mache weder Journalismus noch PR, sondern Propaganda. Die Verweigerung der Sendelizenz sei daher „ein Gewinn für den Rundfunk, den Journalismus und für alle Fernsehzuschauer.“ Das ist argumentativ schon recht knallig. Der Mann, der sich in einem Podcast sanftmütig gibt und behauptet, letztlich sei es der Konsument, der durch seinen Konsum festlegt, was Journalismus ist, befürwortet ein Verbot, durch das der Konsument sich ein Urteil gar nicht erst bilden kann. Das ist schon eine bemerkenswerte Glanzleistung in geistiger Verbiegung.

Der deutsche Journalismus war und bleibt eine elitäre Clique

Dabei musste der DJV schon mehrfach mit seinen Anschuldigungen gegenüber RT DE zurückrudern. Zörner weiß, dass sein Vorwurf nicht haltbar ist, er erhebt ihn dennoch. Hört man den Podcast zu Ende, erahnt man auch den Grund, warum das so ist. Früher brauchte es einen Bürgen, um im DJV aufgenommen zu werden. Der DJV galt als Chefredakteurs-Gewerkschaft, gesteht Zörner zu. Man konnte nur auf Empfehlung Mitglied im Berufsverband werden. Mit anderen Worten: Der deutsche Journalismus war eine Clique und hat, nimmt man die Beiträge Zörners zusammen, diesen Charakter nie verloren. Man lässt in den elitären Zirkel niemand neues so ohne weiteres rein. Nicht einfach so. Man muss sich andienen, den Gesinnungstest bestehen, Speichel lecken, erst dann bekommt man die Würdigung der Anerkennung und Akzeptanz. Zörner beschreibt faktisch offen das zentrale Problem des deutschen Journalismus. Er ist eine Seilschaft und damit dysfunktional.

Das erklärt auch die Schieflage der Berichterstattung und den Mangel an Meinungsvielfalt zu allen großen Themen, denn mit Seilschaften und elitären Zirkeln lässt sich keine breite Meinungsvielfalt sondern eben nur eine Meinungsblase erzeugen. Und das ist der deutsche Journalismus eben auch: Eine Blase. Blickt man auf die großen, geopolitischen Themen, dann muss man zudem feststellen, eine Blase, die den Kontakt zur Realität inzwischen vollständig verloren hat. Der deutsche Journalismus, wie ihn der DJV repräsentiert, ist nicht in der Lage, einem breiten Publikum Zusammenhänge zu erläutern und weltpolitische Vorgänge angemessen und neutral einzuordnen.

Zörner macht mit seinem Statement zu RT deutlich, dass dies nach den Vorstellungen des DJV auch so bleiben soll. Dabei bräuchten die deutschen Gazetten dringend ein Korrektiv, eine Herausforderung, streitbare Antipoden. Es ist aber die Interessenvertretung der Journalisten in Deutschland, welche die mangelhafte Qualität des deutschen Journalismus, seine Einseitigkeit, seinen desinformativen Charakter aktiv befördert und seine Einigelung verteidigt. Nicht nur in der ökonomischen und technologischen Entwicklung, auch im Journalismus hat Deutschland den Anschluss zur Welt längst verloren.

Gert-Ewen Ungar, Jahrgang 1969, studierte in Frankfurt am Main Philosophie und Germanistik, lebt jetzt in Berlin und arbeitet als Pädagoge in der Sozialpsychiatrie.
Er ist regelmäßiger Autor bei RT DE.

Link zur Erstveröffentlichung auf RT DE: https://de.rt.com/meinung/123182-journalismus-als-blase-wie-djv/


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