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Auch mit Joe Biden: Osteuropa bleibt im Visier der USA

Bereits vor seiner Wahl zum US-Präsidenten hat Joe Biden den globalen Führungsanspruch der USA bekräftigt. Zu dessen Umsetzung ist die Vorherrschaft in Eurasien laut dem US-Strategen Brzezinski unerlässlich. Neben China steht dort vor allem Russland den US-Interessen im Weg – weshalb die neue Biden-Administration Osteuropa verstärkt ins Visier nehmen wird.

von Prof. Dr. Anton Latzo

Erstveröffentlichung am 23.01.2021 auf RT DE

Die außenpolitische Praxis der USA nach dem zweiten Weltkrieg, einschließlich der von Präsident Barack Obama und seinem Vize Joe Biden geführten Regierung, hat eine hegemoniale Politik verfolgt. Die USA haben sich von dem von Zbigniew Brzezinski formulierten Ziel, die „einzige“ und sogar die „letzte“ Weltmacht zu sein, auch jetzt nicht verabschiedet.

Sie verfolgen auch mit dem am Mittwoch vereidigten Präsidenten Joe Biden das Konzept, wonach Eurasien „das Schachbrett (ist), auf dem der Kampf um globale Vorherrschaft auch in Zukunft ausgetragen wird“. Sie gehen davon aus, dass eine Macht, die in Eurasien die Vorherrschaft gewinnt, diese auch weltweit ausüben kann.

Eurasien umfasst die Territorien von Lissabon bis Wladiwostok und schließt bekanntlich China und Russland ein. „Eine Macht, die Eurasien beherrscht, würde über zwei der drei höchstentwickelten und wirtschaftlich produktivsten Regionen der Welt gebieten“, heißt es in Brzezinskis Werk „Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft“ von 1997.

Deshalb müsse das Ziel amerikanischer Außenpolitik darin bestehen, zu sichern, „dass kein Staat oder keine Gruppe von Staaten die Fähigkeit erlangt, die Vereinigten Staaten aus Eurasien zu vertreiben oder auch nur deren Schiedsrichterrolle entscheidend zu beeinträchtigen“. Die USA müssten „das Emporkommen eines Rivalen um die Macht … vereiteln“.

Vor seiner Wahl zum Präsidenten der USA hat Joe Biden zwar erklärt, er wolle die Außenpolitik neu ausrichten. Aber unter welchen Gesichtspunkten? Grundsätzlich hieß es in seinem programmatischen Artikel in den Foreign Affairs (März/April 2020) unter der Überschrift „Warum Amerika wieder führen muss“: „Als Nation müssen wir der Welt beweisen, dass die Vereinigten Staaten bereit sind, wieder zu führen.“

Offensichtlich wird auch in Zukunft differenziert zwischen „demokratischen“ Staaten, also Staaten, die kapitalistisch sind und den Intentionen der USA folgen, und den anderen Staaten, die auch an ihre nationalen Interessen denken – ganz zu schweigen von denen, die andere Wege bei der Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse wagen. Biden wolle Schritte unternehmen, „um das demokratische Fundament der Vereinigten Staaten zu stärken und andere zum Handeln anzuregen“. Er wolle seine „demokratischen Mitstreiter auf der ganzen Welt einladen, die Stärkung der Demokratie wieder auf die globale Agenda zu setzen“.

Dabei bezog er sich ausdrücklich auf die Beziehungen zu den Verbündeten der USA und auf die Rückkehr in das Pariser Klimaabkommen sowie in die WHO. Auch zu Donald Trumps Austrittsdrohungen aus der WTO geht er auf Distanz.

Im gleichen Beitrag stellte Biden klar, dass die politische Agenda seiner Administration „die Vereinigten Staaten wieder am Kopfende der Tafel platzieren“ werde, von wo aus sie führen werden und zwar „nicht nur durch unsere beispielhafte Macht, sondern durch die Macht unseres Beispiels“. Der Anspruch auf eine anhaltende und auszubauende Dominanz ist nicht zu übersehen!

Man wird die Macht aber „umsichtiger“, „überlegter“ und mit einem „freundlichen“ Gesicht einzusetzen versuchen – was an der Substanz der Hegemonialpolitik nichts ändert. „Wir können gleichzeitig stark und klug sein“, so Joe Biden. Er fuhr fort: „Es gibt einen großen Unterschied zwischen groß angelegten, unbefristeten Einsätzen von Zehntausenden amerikanischer Kampftruppen, die beendet werden müssen, und dem Einsatz einiger hundert Special Forces-Soldaten und Geheimdienstkapazitäten zur Unterstützung lokaler Partner gegen einen gemeinsamen Feind. Diese kleinen Missionen sind militärisch, wirtschaftlich und politisch nachhaltig und fördern das nationale Interesse.“

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist auch, dass Biden die NATO als „ein Wertebündnis“ kennzeichnet. Sie sei nicht nur „das Herzstück der nationalen Sicherheit der Vereinigten Staaten“, sondern auch „das Bollwerk des liberal-demokratischen Ideals – ein Wertebündnis“. Dies sei „weitaus dauerhafter, zuverlässiger und leistungsfähiger als Partnerschaften, die auf Zwang oder Geld aufgebaut wurden“.

Es ist auch daran zu erinnern, dass die USA ihre Beziehungen zu allen osteuropäischen ehemaligen Warschauer Vertragsstaaten nicht nur im Rahmen ihrer NATO-Mitgliedschaft, sondern auch durch bilaterale strategische Partnerschaften gestalten. Da Biden sich darum bemühen will, die „Partnerschaften … für die Welt, mit der wir heute konfrontiert sind, neu zu definieren“, kann das ein Hinweis darauf sein, dass er beide Säulen, NATO und bilaterale Partnerschaften, inhaltlich besser zusammenzuführen und verzahnen will!

Denn, „um der russischen Aggression entgegenzuwirken, müssen wir die militärischen Fähigkeiten des Bündnisses scharf halten und gleichzeitig seine Fähigkeit erweitern, nicht-traditionelle Bedrohungen wie Korruption, Desinformation und Cyberkriminalität anzunehmen“, so Präsident Biden.

Das heißt im Klartext: die NATO und ihre Mitglieder noch mehr auf die Linie der US-Außenpolitik einzuschwören, um „Russland echte Kosten“ aufzuerlegen „und uns der russischen Zivilgesellschaft stellen, die sich immer tapfer gegen das kleptokratische autoritäre System von Präsident Wladimir Putin gestellt hat“.

Wichtig ist für die USA, dass der amerikanische Einfluss in allen ehemaligen Sowjetrepubliken gesichert ist, und dass diese Länder, zusammen mit den ehemaligen Warschauer Vertragsstaaten, ein sicheres Gelände für ausländisches Kapital sind und sich an das westliche Rechtsverständnis anpassen. Damit lässt sich sowohl die Ausbeutung der Arbeitskraft als auch der materiellen und geistigen Reichtümer dieser Länder absichern und auch der Missbrauch des Territoriums dieser Staaten als Brückenkopf gegen Russland und den gesamten eurasischen Raum rechtfertigen!

Dazu sind die USA bereit, wenn es diese Staaten nicht „freiwillig“ tun, mit Mitteln der Desintegration eine innere bzw. regionale Ordnung durchzusetzen, wie es am Beispiel Jugoslawien und der Ukraine bewiesen wurde.

Die nächsten Jahre dürften somit eine weitere Zuspitzung der Widersprüche in Osteuropa bringen, nicht nur eine Zuspitzung der inneren Entwicklung der Länder, sondern auch im Kampf um die Sicherung des Einflusses der USA in dieser Region. Denn die Vereinigten Staaten sind nicht nur an der Hegemonie im bilateralen Verhältnis zu diesen Ländern interessiert.

Wer die Region kontrolliert, hat unmittelbaren Zugang zu den russischen Grenzen von der Ostsee bis über das Schwarze Meer hinaus. Derjenige kontrolliert aber auch einen großen Teil der Verbindungen der EU und ihrer Mächte zum „Gegner“ Russland. Er hat auch die Kontrolle über wichtige Verbindungsstränge der Seidenstraße, die zwischen Westeuropa und dem „strategischen Rivalen“ China verlaufen.

Unter diesen Gesichtspunkten ist – bei Weiterführung der NATO-Politik und der bilateral vereinbarten militärischen Präsenz der USA in der Region (besonders in Rumänien, Polen, den baltischen Staaten und der Ukraine) – auch künftig mit der Politik der massiven Einmischung in die inneren Angelegenheiten der osteuropäischen Staaten zu rechnen. Dabei werden auch die Instrumente der „Soft Power“ mit dem breiten Netz von Nichtregierungsorganisationen erweiterte Förderung durch die staatlichen Institutionen der USA erfahren. Die „Menschenrechte“ sind ja schon länger ein beliebtes Instrument der Demokratischen Partei der USA.

Auch Äußerungen der wieder in das Außenministerium an leitender Stelle zurückgekehrten Victoria Nuland deuten in diese Richtung. Sie hat sich schon in der Regierung von Obama besondere Verdienste beim Eindringen der USA beispielsweise in die Ukraine erworben. Jetzt soll sie Staatssekretärin für politische Angelegenheiten werden. Unter Außenminister Anthony Blinken, der auch schon früher Spitzenberater von Vizepräsident Biden war, bildet sie mit Wendy Shermann ein Trio in der Außenpolitik, das die Kontinuität in der amerikanischen Hegemonial- und besonders der Europapolitik absichert und die vorher gemachten Erfahrungen und Kontakte einbringt.

Nuland ist mit dem neuen US-Präsidenten auch durch die Politik verbunden, die beide in den ehemaligen Sowjetrepubliken – auch in persönlichem Interesse – betrieben haben. Besonders sind dabei die Vorgänge in der Ukraine und in Moldawien sowie in Rumänien bekannt geworden. Die aus der Vermengung zwischen persönlichen, geschäftlichen und politischen Aktivitäten zum Zwecke der Erlangung persönlicher materieller Vorteile resultierenden Interessen von Biden und seinen Mitarbeitern verstärken ihr Interesse, an der vor der Trump-Zeit verfolgten Politik anzuknüpfen und sie „ergebnisreich“ fortzuführen.

Darüber hinaus soll Antony Blinken laut Pressemeldungen ein enges Verhältnis zum Milliardär George Soros und dessen Stiftungen Open Society unterhalten, die in allen osteuropäischen Staaten vertreten sind, Kader für die Politik und die gesellschaftlichen Institutionen dieser Länder vorbereiten und über diese aktiv in die Politik eingreifen. Die US-Geheimdienste bilden zudem ein besonders wichtiges Instrument.

Insgesamt dürften von der Politik der USA in Osteuropa auch unter Präsident Joe Biden keine positiven Wirkungen auf die Situation in diesen Ländern und in Europa ausgehen. Es ist zu erwarten, dass die USA auch weiterhin den „parallelen Staat“ aufbauen wird, um ihre politischen und militärischen Positionen in der Region zu erhalten, um sie im Kampf um die Erhaltung der internationalen Vorherrschaft einzusetzen. Dabei sind die Ziele der USA gegen Russland ein entscheidender Gesichtspunkt.

Weitere Destabilisierung im Inneren der Länder, ihre politische, militärische und ökonomische Ausnutzung im Interesse der von den USA verfolgten internationalen Politik sowie eine weitere Verbreitung von Nationalismus und Russophobie sind die unausweichlichen Folgen dieser Politik! Bereits länger andauernde Krisen werden weiter bestehen und, bedingt durch den Ausbau der Region zum militärischen Aufmarschgebiet, an Schärfe zunehmen und die Gefahren des Einsatzes von Gewalt verstärken. Eine andere Entwicklung erfordert eine grundlegende Wende in den Zielen und in der Politik der USA, die aber nicht abzusehen ist.

Bis dahin werden die osteuropäischen Staaten auf dem großen Schachbrett als einfache Schachfiguren missbraucht!

Prof. Dr. Anton Latzo ist Historiker und Mitglied des Beirats des Deutschen Freidenker-Verbandes

Link zur Erstveröffentlichung: https://de.rt.com/meinung/112093-osteuropa-bleibt-im-visier-usa/


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Karte: Eigenes Foto (Räth Globus, ca. 1995)