Religions- & Kirchenkritik, Säkulare Szene

Mea Culpa? Gegen die Missverständnisse päpstlicher „Schuldbekenntnisse“

Rede von Klaus Hartmann, Bundesvorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes e.V. bei einer Mitgliederversammlung in Offenbach am Main

Am 12. März 2000 wurden die Augen der Weltfernsehgemeinde auf einen Gottesdienst in Rom gerichtet. Nach wochenlangen Ankündigungen, Spekulationen und häppchenweisen Vorveröffentlichungen wurden die Papst-Worte mit Spannung erwartet, mit denen er sich zur Schuld der Kirche äußern und um Vergebung bitten wollte. Das Medienspektakel war perfekt inszeniert, bloß zum dürftigen Inhalt des „Schuldbekenntnisses“ stand es im umgekehrt proportionalen Verhältnis. Insofern geht die Kirche offenbar mit der Zeit – im Zeitalter der Event-„Kultur“ bedeutet die Show alles, der Inhalt nichts.

Der Schwindel beginnt schon mit dem Titel. Denn von „meiner Schuld“ sprach Karol Woityla in seinem Gebet kein Sterbenswörtchen, auch nicht von der Schuld der Katholischen Kirche. Die Institution trifft keine Schuld, nur „ungehorsame Glieder“ hätten „auf Methoden zurückgegriffen, die dem Evangelium nicht entsprechen“, und das auch nur „mitunter“, aber auf jeden Fall zu einem guten, höheren Zweck: „im Namen des Glaubens und der Moral in ihrem notwendigen Einsatz zum Schutz der Wahrheit“. Zwar bittet er „im Namen der ganzen Kirche“ um Vergebung, aber nur „für die Sünden der Söhne und Töchter der Kirche“. Das waren demnach alles EinzeltäterInnen, handelnd ohne Auftrag. Also alles halb so wild?

Aber warum dann so viel Lärm um angeblich fast nichts? Weil sich die vatikanischen Experten sehr wohl bewußt sind, dass im Gedächtnis vieler Menschen die Verbrechen der Kirche durchaus präsent sind. Gleichwohl wollen sie sich die Peinlichkeit ersparen, sie beim Namen zu nennen, und formulieren statt dessen in markanter Harmlosigkeit: „In manchen Zeiten der Geschichte haben die Christen bisweilen Methoden der Intoleranz zugelassen.“ Sind damit die Hundertausende Opfer der Kreuzzüge gemeint? Die Millionen, die Ketzerverfolgung, Hexenverbrennung, die Inquisition auf dem Gewissen hat? „Bisweilen“ heißt nicht: Jahrtausende hindurch, „zugelassen“ leugnet jede aktive Rolle. Und wohlgemerkt – keines der Kapitalverbrechen wird beim Namen genannt, keines wurde offenbar von den Kirchenoberen angeordnet, immer sollen nur die verflixten EinzeltäterInnen verantwortlich gewesen sein.

Man muss nicht Atheist und Freidenker sein, um den infamen Schwindel seiner Schein-Heiligkeit zu erkennen. Auch der Reformtheologe Hans Küng nannte das „Mea Culpa“ zumindest doppelbödig und halbherzig. „Das ganze Bekenntnis war schwammig“.

Unter den „bisweilen zugelassenenen Methoden der Intoleranz“ dürfen wir uns jenes glorreichen Kapitel der katholischen Kriminalgeschichte vorstellen, das in den letzten Jahren bis ins Jahr 2000 seinen 500. Jahrestag feiern lässt: Die sogenannte „Entdeckung“ Amerikas durch die katholischen Flotten Spaniens und Portugals, welche die „Entdeckten“ millionenfach mit ihrem Leben bezahlen mussten. Der lange theologische Streit, ob Farbige überhaupt Menschen oder eher Tiere seien (der schließlich – im Interesse ihrer Missionierbarkeit! – zugunsten des Menschenstatus entschieden wurde), wäre in diesem Kontext auch des Erinnerns wert gewesen.

Regelmäßig nehmen Freidenker auf der ganzen Welt das „Heilige“ Jahr zum Anlass, ihres Vordenkers und -kämpfers Giordano Bruno zu gedenken. Im „Heiligen“ Jahr nicht etwa deshalb, um die Kirche zu ärgern, sondern der Vatikan war es, der im Jahr 1600 meinte, das „Heilige“ Jahr nur würdig begehen zu können, wenn er den „Ketzer“ Bruno zuvor ermordet: Er wurde vor 400 Jahren auf dem Campo dé Fiori in Rom auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Man möchte annehmen, die Haltung zu diesem Verbrechen wäre auch heute ein geeigneter Prüfstein, wie ernst die Schuldbekenntnisse der Täter gemeint sind. Doch selbst im Jahr 2000 hat Giordano Bruno von ihnen keine Gnade zu erwarten. Am 3. Februar 2000 meldete Radio Vatikan, „nach Ansicht des päpstlichen Haustheologen George Cottiers wird es keine Rehabilitierung des vor 400 Jahren hingerichteten Renaissance-Gelehrten Giordano Bruno geben.“ Die entwaffnende Begründung dafür stand – nach gleicher Quelle – in der katholischen Zeitung Avvenire: “ Brunos Denken sei niemals katholisch gewesen.“

Doch damit nicht genug: 1889 errichtete die Stadt Rom gegen den scharfen Protest des Vatikan ein Denkmal für Giordano Bruno auf dem Campo dé Fiori – und im Jahr 2000 versuchte der Vatikan erneut, das Denkmal für die Dauer des „Heiligen“ Jahres entfernen oder zumindest verhüllen zu lassen! Selbst die Erinnerung an ihr Mordopfer scheint die Scheinheiligen zu stören.

Zur notorischen Frauenfeindschaft des katholischen Klerus fiel dem Papst ein: „Lasst uns beten für die Frauen, die allzu oft erniedrigt und ausgegrenzt werden. Wir gestehen ein, dass auch Christen in mancher Art Schuld auf sich geladen haben, um sich Menschen gefügig zu machen.“ Damit ist das Thema erledigt, aber nicht ganz, denn der nächste Aufruf folgt sogleich: „Lasst uns beten … für die ungeborenen Kinder, die man im Mutterleib tötet.“ Danach wartet man auf ein Wort der Verurteilung oder Distanzierung von jenen fundamentalistischen Terroristen, die in den USA Sprengstoffanschläge auf Abtreibungskliniken verüben, die Ärzte, Klinikpersonal und Frauen – im Namen des Lebens! – mit dem Tode bedrohen und ermorden, natürlich vergebens.

„Lass die Christen der Leiden gedenken, die dem Volk Israel in der Geschichte auferlegt wurden. Lass sie ihre Sünden anerkennen, die nicht wenige von ihnen gegen das Volk des Bundes und der Seligpreisungen begangen haben, und so ihr Herz reinigen.“ „Wir sind zutiefst betrübt über das Verhalten aller, die im Laufe der Geschichte deine Söhne und Töchter leiden ließen“ – lauten die Papstworte zum millionenfachen Massenmord an den europäischen Juden.

Der stellvertretende Zentralratsvorsitzende der Juden in Deutschland, Michel Friedmann, sprach von einer verpassten „einmaligen Chance“, da es der Papst versäumt habe, die Rolle des Vatikans, der Kirche, des Papstes und der gläubigen Christen im Dritten Reich kritisch anzusprechen. Friedman forderte die katholische Kirche auf, die Archive aus der Zeit des Holocaust zu öffnen, damit das Bekenntnis ernst genommen werden könne.

Manche Zeitgenossen wollen der kritischen Sicht des jüngsten Papstwortes nicht folgen, und weisen darauf hin, dass es ja im Zusammenhang mit einer ganzen Reihe von Verlautbarungen des Vatikan stehe. Bloß: Wer an dieser Stelle einwendet, dass der Vatikan ja bereits im März 1998 eine Erklärung zum Holocaust abgegeben habe, der sei an die seinerzeitige Einschätzung von Emil Carlebach (im Freidenker 2-98) erinnert, dass dieses „Elaborat“ eine Mischung von Erfindungen und Lügen darstelle, zu dem Zweck, „den Vatikan und insbesondere Papst Pius XII. von der schweren Mitschuld an dem millionenfachen Judenmord zu entlasten“.

Kein Wort über die Unterstützung der Franco-Putschisten gegen die gewählte Volksfront-Regierung in Spanien. Kein Wort dazu , dass „der Fromme“ zwar einzelne Priester, die sich dem Widerstand angeschlossen hatten, exkommunizieren liess, hingegen nicht einen einzigen Massenmörder. Kein Wort darüber, dass Widerständler wie der Kaplan Joseph Rossaint auch nach 1945 „von den Bischöfen wie ein Aussätziger behandelt“ wurde und keine Pfarrei erhielt. Kein Wort darüber, dass der Vatikan eigens den Bischof Hudal einsetzte, „der die Mörder aus SS, Gestapo und KZ mit falschen Pässen versorgte, um ihnen die Flucht nach Übersee zu ermöglichen“. Und auch kein Wort zu dem jahrhundertelangen kirchlichen Antijudaismus, der dem Holocaust vorangegangen war und vorgearbeitet hat.

Doch während das Schweigen zu diesem Thema in der Öffentlichkeit verschiedentlich kritisiert wurde, vermisste kaum jemand ein Schuldbekenntnis für den jahrhundertelangen katholischen Kreuzzug gegen die Orthodoxie, die Hetze gegen die orthodoxen Slawen, die bis heute den Resonanzboden für die antiserbische Hetzpropaganda vorbereitet hat. Kein Wort über den Völkermord an 750.000 Serben durch das klerikal-faschistische Ustascha-Regime in Kroatien, wo der Franziskaner-Pater Filipovic zeitweise höchstpersönlich KZ-Kommandant war, verantwortlich für die Ermordung von 40.000 Serben. Kein Wort darüber, dass der kroatische Faschisten-Chef Ante Pavelic sich nach 1944 ebenfalls vatikanischer Fluchthilfe erfreuen konnte, dass der Vatikan Ustascha-Gold im Wert von 200 Millionen Dollar vor dem Zugriff der Allierten versteckte – und zwar bis heute.

Ein Missverständnis ist es schließlich, wenn manche Zeitgenossen glauben, der Papst hätte im vergangenen Jahr den NATO-Überfall auf Jugoslawien verurteilt. Tatsächlich hat er „die Gewalt“ verurteilt und in allgemeinen Worten zum Frieden gemahnt. So konnte Erzbischof Lehmann der Fernsehgemeinde so verschmitzt wie eiskalt buchstabieren, dass dies keinesfalls als Kritik an der NATO gelesen werden könne – denn schließlich wolle ja die NATO die Gewalt stoppen!

So bleibt uns, sie an ihren Früchten zu erkennen: im Herbst 1998 hat Karol Woityla den Kardinal Stepinac, Schutzpatron der kroatischen Ustascha-Faschisten, seliggesprochen, genau zur rechten Zeit – des NATO-„Aktivierungsbefehls“! Und es bleibt uns die be(un)ruhigende Erkenntnis, dass wir unsere Einschätzung der Katholischen Kirche nicht revidieren müssen: als einer kriminellen Organisation, die in Treue fest zu den Herrschenden und zum Imperialismus steht.