Weltliche Trauerkultur

Trauer um Lorenz Knorr

Trauerrede, gehalten von Klaus Hartmann, Bundesvorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes

Frankfurt am Main, Hauptfriedhof, 17.12.2018

Trauerrede für Lorenz Knorr

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Trauernde,

wir, die Freidenker, trauern um Lorenz Knorr (18. Juli 1921 – 26. November 2018).

Neben den vielen schon erwähnten und auch nicht genannten Engagements war Lorenz auch und bis zuletzt Mitglied des Beirats des Deutschen Freidenker-Verbandes, zudem Ehrenmitglied im Landesverband Hessen und im Kreisverband Frankfurt am Main.

Wir schätzten ihn und, man muss sagen: wir verehrten ihn, weil er mit seiner Persönlichkeit und mit seinem Wirken uns unendlich viel gegeben hat, uns belehrt hat, uns reicher gemacht hat, uns nahe gekommen ist.

„Lorenz lebte Politik“ – so der erste Satz in unserer gemeinsamen Traueranzeige, und wenn auch Politik nicht alles war, so war sein Leben doch durch und durch politisch. Es waren zunächst die Zeitumstände, der heraufziehende Faschismus, der barbarische Krieg, die keine andere Wahl ließen, die Entscheidungen verlangten. Andere trafen eine andere Wahl, wählten den Weg des geringeren Widerstands, der Anpassung, des Mitmachens.

Für Lorenz undenkbar – er lernte früh, was es heißt, Grundsätze, Prinzipien zu haben, ihnen treu zu bleiben und in Übereinstimmung mit ihnen zu handeln, seine Klasse nicht zu verraten, Solidarität zu praktizieren.

Anpassen an die faschistische Herrschaft oder alle Kraft für den Widerstand – das war für Lorenz keine Frage. Lorenz entschied sich dafür, dem faschistischen Ansturm auf die Tschechoslowakische Republik gemeinsam mit seinen Genossinnen und Genossen entgegenzutreten, den faschistischen Krieg zu sabotieren.

Diese frühen ihm abverlangten Entscheidungen prägten sein politisches Leben, seine Wertschätzung für Grundsätze und Prinzipienfestigkeit. Es war ein Leben für den Frieden und den Sozialismus – und bald nach der Befreiung vom Faschismus waren wieder Entscheidungen gefordert: Für ein friedliches Deutschland – oder Wiederbewaffnung, NATO-Mitgliedschaft, Atomrüstung? Die SPD-Führung entschied sich für den Weg des Militarismus und Imperialismus, mit dem Godesberger Programm wurde der Abschied vom Marxismus und der Frieden mit dem Kapitalismus besiegelt, mit zahlreichen Unvereinbarkeitsbeschlüssen – sogar gegen die Ostermarschbewegung – beteiligte sich die SPD in der Hochzeit des Kalten Krieges an der „Hexenjagd gegen alles Linke“ (Die Zeit, 12. April 1974).

Diesen Weg konnte Lorenz nicht mitgehen und entschied sich, trotz des Lockens Herbert Wehners mit einer hauptamtlichen Parteikarriere, für den Parteiaustritt.

Die Hauptaufgaben und Wirkungsfelder von Lorenz sind mit Aufklärung, Frieden, Antifaschismus ausgewiesen – wie das Motto unserer Konferenz 2006 zu seinem 85. Geburtstag und auch der aus diesem Anlass erschienene Band mit ausgewählten Schriften von ihm lautete.

Aber diese Anliegen können nach seiner Auffassung nur wirksam werden, wenn dem „rapiden Kulturverfall von weltgeschichtlicher Dimension“ Einhalt geboten, eine „alternative Kultur des Widerstandes“ gegen die „Sinnentleerung des Lebens“ entwickelt wird und „sich die antiimperialistischen Kräfte nicht mehr von der Hegemonie des gegenwärtig herrschenden Systems einschüchtern“ lassen, wie er in seinem Referat zum Freidenker-Kulturseminar auf Burg Waldeck 2005 hervorhob.

Aus seiner Erfahrung in der sozialistischen Jugendarbeit wusste Lorenz, dass die künstlerisch-kreative Selbstentfaltung nicht nur dem Erlernen von Autonomie und Selbstbestimmtheit dient, sondern ein wichtiges Element ist, um nicht nur den Verstand anzusprechen, sondern „den ganzen Menschen“ mit seiner Emotionalität für den Kampf zu begeistern.

Lorenz war immer der Mann der klaren Gedanken und ebensolcher Worte. Kein „Um-den-heißen-Brei-Herumreden“, sondern zu „sagen, was ist“ war sein Motto. Das Verschweigen der Wahrheit aus Opportunismus oder falscher Rücksichtnahme kam für ihn nicht in Frage, auch kein Ausweichen auf „unverfängliche“ Themen, die bei den Herrschenden und den ihnen (ge)hörigen Medien keinen Anstoß erregen.

Die „Delegitimierung der DDR“ nannte er eine Geschichtsfälschung, die als „Instrument der Systemstabilisierung“ dient. Lorenz wünschte sich „einen nichtangepassten DGB“, der „für die weitere kapitalistische Ausplünderung und Herrschaft eine potenzielle Gefahr werden“ könne.

Lorenz warnte, dass die Krise des Kapitalismus die der Profitwirtschaft innewohnenden Expansionskräfte hervortreten lasse, deren Aggressivität sich in „Weltordnungskriegen“ Bahn breche; dass man derzeit „auch ohne einflussreiche Neofaschisten“ auskomme, aber auch die von den derzeit mächtigeren Akteuren ausgehenden Gefahren müssten beim Namen „Rechtsextremismus“ genannt werden.

Ein „neuer gefährlicher Geschichtsrevisionismus mit globalem Anspruch“ sei das Ergebnis der „neoliberalistischen Deregulierung“, die mit einer „Entregelung der zwischenstaatlichen Beziehungen“ das „demokratische Völkerrecht der UN-Charta“ und „den Weltfrieden untergräbt“, warnte Lorenz im März 2003 beim Weltkongress der Freidenker in Prag.

Unbeeindruckt von der antiserbischen Propaganda, die den NATO-Überfall auf Jugoslawien vorbereitete, wurde Lorenz Gründungsmitglied des Internationalen Komitees Slobodan Milošević. Unbeeindruckt von den Kriegslügen und der Dämonisierung zwecks Start des Irak-Krieges unterstützte er die Solidarität mit dem Irakischen Widerstand gegen die US-Besatzung.

Lorenz‘ überreiche politische Erfahrung, gepaart mit dem klaren weltanschaulichen Fundament eines gebildeten Marxisten, gestatteten ihm Erkenntnisse zu den Entwicklungen der Gegenwart und dem Gang der Geschichte, die über jene vieler seiner Kampfgefährten hinausgingen.

Aber er vertrat seine Positionen nie dogmatisch oder unduldsam, Überlegenheitsgehabe und Arroganz waren ihm fremd. Er versuchte, mit Argumenten zu überzeugen, Andere zum gemeinsamen Lernen und solidarischen Handeln zu motivieren.

Sein eigenes zentrales Anliegen war die Einheit der Friedens- und antifaschistischen Kräfte, gegründet nicht auf dem „kleinsten gemeinsamen Nenner“, sondern das im ständigen geduldigen Ringen erreichbare Maximum an Klarheit und Konsequenz: Das Trennende beiseiteschieben, das Verbindende, Gemeinsame aufspüren und entwickeln.

Ausgehend von Georgi Dimitroffs Überzeugung, dass an Faschismus und imperialistischem Krieg nur eine kleine Minderheit der Exponenten des Finanzkapitals ein Klasseninteresse haben, war Lorenz der Überzeugung, dass für den Kampf um Frieden und Antifaschismus die übergroße Mehrheit gewonnen werden kann und muss. Dieser Kampf darf nicht sektiererhaft, nach dem Motto „klein, fein und rein“ angelegt werden, sondern muss weltanschauungs- und parteiübergreifend sein. Wie schon in der Deutschen Friedens-Union Atheisten und religiös gläubige Menschen zusammenwirkten, Kommunisten, Sozialdemokraten und Parteilose, bürgerlich-Konservative, Arbeiter, Unternehmer, Pazifisten und ehemalige Generäle, geeint im antifaschistischen Konsens: „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“

In einer Zeit, in der führende US-Militärs einen Krieg gegen China „in 10-15 Jahren“ für „sehr wahrscheinlich“ halten und der britische Generalstabschef fordert, sich „aktiv auf einen Krieg mit Russland“ vorzubereiten, ist es für uns von größter Wichtigkeit und Dringlichkeit, dieses Vermächtnis von Lorenz zu bewahren, und mit aller Kraft für die Erhaltung des Weltfriedens weiterzukämpfen.

Als philosophischer Materialist wusste Lorenz, dass es kein „Leben nach dem Tod“ gibt, sondern der Mensch in seinen Taten weiterlebt, an die sich seine Kampfgefährten und Freunde erinnern.

Am 11. November, 15 Tage vor seinem Tod, sahen wir Lorenz zum letzten Mal. Trotz seiner Einschränkungen war er optimistisch gestimmt. Zum Abschied sagte er mit einem Lächeln und festem Blick, mit geballter, erhobener Faust: „Vorwärts – Trotz alledem!“

Es waren seine letzten Worte, die wir von ihm hörten. Sie bleiben uns Verpflichtung, so behalten wir ihn in Erinnerung, so wollen wir von ihm Abschied nehmen.

 

Klaus Hartmann, Bundesvorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes

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