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Militär gegen die Arbeiterregierung in Thüringen und Sachsen – 100 Jahre Reichsexekution

Der Deutsche Freidenker-Verband Thüringen erinnerte in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung an die gewaltsame Beseitigung der Landesregierungen in Thüringen und Sachsen auf Befehl des Reichspräsidenten Friedrich Ebert vor hundert Jahren. Die Veranstaltung fand am 30. September im Kulturhaus „Mon Ami“ in Weimar statt. Die Landesvorsitzende der Thüringer Freidenker, Heike Cienskowski, eröffnete die Veranstaltung. Vorträge wurden vom Historiker Dr. Steffen Kachel, Kreisvorsitzender der Partei Die Linke in Erfurt, und dem Bundesvorsitzenden des Deutschen Freidenker-Verbandes Sebastian Bahlo gehalten. Die Besucher der Konferenz beteiligten sich mehrheitlich an einer regen Diskussion und beschränkten sich dabei nicht nur auf die Vergangenheit sondern bezogen die Gegenwart mit ein.

Für die musikalische Umrahmung sorgte Freidenker Ernesto Schwarz aus Hessen und für das leibliche Wohl Andreas Cienskowski von den Thüringer Freidenkern.

Wir dokumentieren hier die Eröffnungsansprache von Heike Cienskowski sowie den Vortrag von Sebastian Bahlo.

Webredaktion


Eröffnungsansprache

von Heike Cienskowski
gehalten auf der Veranstaltung „Militär gegen die Arbeiterregierung in Thüringen und Sachsen. 100 Jahre Reichsexekution“, Weimar, 30.09.2023

Das Thema unserer Konferenz ist leider immer noch aktuell. Wir wissen aus der Geschichte , dass Militär immer gegen die Aufbegehrenden eingesetzt wurde. Die Aufständischen wurden verraten, gequält und getötet.

Schauen wir zurück z.B. auf den Bauernaufstand von 1524 – 1526 . Die Bauern lehnten sich auf, weil die Abgaben an die Obrigkeit zu hoch waren und immer höher wurden. Das Elend wurde ebenfalls immer größer. Sie konnten ihre Familien nicht ernähren , hatten kein Geld für Heizung oder Medizin etc. Die Not wurde immer unerträglicher. Es kam zum Aufstand. Das große Bauernheer umfasste im Mai 1525 etwa achttausend Mann und wurden in der Schlacht von Frankenhausen von der gemeinsamen Kriegsmacht des Herzogs von Georg von Sachsen, des Herzogs Heinrich von Braunschweig und des Landgrafen Philipp von Hessen zertrampelt.  Viele hunderttausend Bauern , die nichts als ihre Menschenrechte und christliche Milde verlangten, wurden abgeschlachtet.

Oder denken wir an den Aufstand der Schlesischen Weber von 1844 – dem „Vormärz. Hier wurde die Ausbeutung der Weber oder Tagarbeiter ebenfalls unerträglich. Der Aufstand wurde von der preußischen Regierung brutal niedergeschlagen. Auch hier gab es Tote. Dieser Aufstand war Ausdruck des sich entfaltenden Klassenkampfes des Proletariats gegen die Bourgeoisie.

Die Revolution von 1848/49 in Deutschland wurde von der breiten Arbeiterbewegung – lokale Gewerkvereine, zwei gesamtnationale Gewerkschaftsverbände und der Arbeiterverbrüderung getragen. Der Erfolg der Revolution wurde ebenfalls von den Herrschenden verhindert . Es begannen Jahre des brutalen Terrors , der am härtesten die Arbeiter traf.

Ebenso erging es der Pariser Kommune. Marx zog daraus den Schluss , dass die Arbeiterklasse in Deutschland den alten Staatsapparat der Ausbeuterklasse zerbrechen und ihren eigenen errichten muß.

Mit dem Übergang zum Imperialismus und Militarismus verschärfte sich der Klassenkampf in Deutschland – Crimmitschauer Streik 1903/04 , Ruhrarbeiterstreik 1905 , Wahlrechtskämpfe und Massenkämpfe gegen drohende Kriegsgefahr.

In der Novemberrevolution 1918 erhob sich die deutsche Arbeiterklasse gegen den deutschen Imperialismus und Militarismus . Die Volksmassen stürzten die Monarchie , erkämpften soziale Rechte und bürgerlich-demokratische Freiheiten.

Der Kampf der Arbeiterklasse gegen den deutschen Imperialismus, der sich unter dem Deckmantel der  Bürgerlich-Demokratischen Republik versteckte , ging weiter. Im Frühjahr 1919 rangen die revolutionären deutschen  Arbeiter um die Verteidigung und Erweiterung der in der Novemberrevolution erkämpften Errungenschaften . Die Kraft der Aktionseinheit bewies der Sieg über den Kapp-Putsch 1920. Heldenhaft kämpften die revolutionären Arbeiter 1921 in den durch Provokationen der herrschenden Klasse ausgelösten Märzkämpfen.

Nicht nur in Deutschland und in der Vergangenheit hat die herrschende Ausbeuterklasse alles unternommen , um Aufbegehren der Unterdrückten brutal niederzuschlagen bzw. bereits im Keim zu ersticken . Der Kampf der Unterdrückten hält an. Dies zeigen die aktuellen Veränderungen der politischen Weltlage.

Heike Cienskowski ist Vorsitzende des Landesverbandes Thüringen des Deutschen Freidenker-Verbandes


Lehren und Schlußfolgerungen mit Blick auf aktuelle Auseinandersetzungen

Vortrag von Sebastian Bahlo
gehalten auf der Veranstaltung „Militär gegen die Arbeiterregierung in Thüringen und Sachsen. 100 Jahre Reichsexekution“, Weimar, 30.09.2023

Hundertste Jahrestage müssen nicht immer lehrreich sein, weil die Zeit, in die sie fallen, nicht notwendig eine geeignete Perspektive bildet, um das gegebene historische Ereignis zu bewerten. Einen „Glücksfall“ stellte der Jahrestag des Vertrags von Rapallo im April letzten Jahres dar. Denn die Erinnerung an diesen Vertrag, in dem sich das Deutsche Reich und Sowjetrußland aussöhnten und eine Zusammenarbeit zu beiderseitigem Nutzen vereinbarten, hat natürlich wie die Faust aufs Auge gepaßt, als im Wochentakt neue Sanktionspakete gegen Rußland beschlossen wurden. Die „Würdigungen“ der antirussischen Meinungsfabrik fielen erwartbar aus: „Ein verhängnisvolles Abkommen“ erblickte die Zeit, und der Bayerische Rundfunk belehrte: „Bis heute spricht man von dem ‚Rapallo-Komplex‘, wenn eine zu starke Annäherung Deutschlands an Russland befürchtet wird.“ Die Stuttgarter Zeitung schlüsselte die Geschichte von der Gegenwart her auf und fragte: „Ein Muster für Nord Stream 2?“ Unter der Überschrift: „‚Teufelspakt‘ mit Putins Vorfahren“. Der hessische Freidenker Wolfgang Schürer schrieb am Ende seiner historischen Einordnung: „Joseph Wirth (DZP, Reichskanzler 1921–1922), bezeichnete den Vertrag von Rapallo am 29. Mai 1922 im Reichstag als ‚ehrliches, aufrichtiges Friedenswerk‘. Dagegen hatte Friedrich Ebert (SPD, Reichspräsident 1919– 1925) bis zum Schluss versucht, den Vertrag zu verhindern.“ https://www.freidenker.org/?p=12801

Das glaube ich dem Autor auch ohne weiteres. Offenbar würgte Ebert nicht nur die Revolution und alle revolutionären Bestrebungen im Interesse des deutschen Kapitals ab, sondern er diente auch gewissermaßen als Agent der ausländischen Mächte, die wegen des Vertrags von Rapallo Gift und Galle spuckten. Ich kann nur spekulieren, weil ich zu wenig Historiker bin, um einen Beweis zu versuchen: Doch es scheint mir plausibel, daß es zu einem guten Teil gerade das Zusammenwirken dieser Entwicklungen, einerseits das Erstarken der kommunistischen Bewegung, andererseits die von der bürgerlichen Reichsregierung vorangebrachte Annäherung an Sowjetrußland war, die den Reaktionär Ebert zu den Zwangsmaßnahmen gegen Sachsen und Thüringen veranlaßte, weil er die Vereinigung dieser beiden Kräfte fürchtete.

Es ist übrigens eine Schande, daß die SPD-Stiftung noch heute Eberts Namen trägt und daß diese Stiftung es wagt, regelmäßig die demokratische Gesinnung nicht etwa der Regierenden, sondern der Bevölkerung zu überprüfen. (Ich beziehe mich auf die „Mitte-Studien“, von denen ich eine vor Jahren analysiert habe https://www.freidenker.org/?p=6318 , die jedesmal große Empörung hervorrufen, weil sie angeblich das Anwachsen des Rechtsradikalismus in der Bevölkerung beweisen sollen, wobei ihre Methode lediglich darin besteht, Ablehnung der Regierung als rechtsradikal zu definieren und das ganze als empirische Forschung auszugeben – ein zutiefst antidemokratisches Unterfangen.)

Um vergangene Ereignisse auf das Heute zu beziehen, sind die verschiedenen historischen Bedingungen gegenüberzustellen, wobei auf die welthistorische Dimension einzugehen ist. Man wundere sich daher nicht, daß ich nun von einigem sprechen werde, was mit unserem Thema nicht unmittelbar zu tun hat; doch der Kreis wird sich hoffentlich wieder schließen. Ich gehöre zu denen, die mit Lenin die Epoche, in der wir leben, als die Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Kommunismus betrachten. Das mögen manche als anachronistisch verlachen, die nur an den Zusammenbruch der Sowjetunion und des sozialistischen Staatensystems in Europa denken. Dabei übersehen sie, daß die Welt trotz dieser Niederlage dem Ende des Kapitalismus inzwischen ein ganzes Stück nähergekommen ist, nur hat sich die Gestalt des Klassenkampfes in der internationalen Arena gewandelt.

Nach dem 1. WK bestand die realistische Möglichkeit, daß proletarische Revolutionen in einigen der entwickeltsten kapitalistischen Ländern die Macht des Sozialismus weltweit entscheidend stärken. Nach dem 2. WK sahen sich die Staaten, die neu begannen, den Weg des Sozialismus zu beschreiten, von vornherein in einer wirtschaftlich ungünstigen Situation, während das imperialistische Lager fest unter der Führung der USA vereint war, dort beförderte ein wachsender Massenwohlstand, der als Vorteil des Kapitalismus erschien, obwohl er eigentlich nur die Dividende der imperialistischen Ausbeutung der übrigen Welt darstellte, nachhaltig das Absterben revolutionärer Bewegungen und die innere Zersetzung der sozialistischen Länder.

Nach dem Zerbrechen des sozialistischen Blocks in Europa und Auflösung der Sowjetunion feierten wahnsinnige imperialistische Ideologen „das Ende der Geschichte“, doch es sollte ein Pyrrhussieg sein. Erstens war nach Abschluß der Rekapitalisierung Osteuropas und des Sowjetgebiets eine relative Grenze für die weitere Ausdehnung des Imperialismus erreicht, und der Imperialismus kann ohne Ausdehnungsmöglichkeit nicht leben. Zweitens hat die Sowjetunion der Russischen Föderation ein wichtiges Erbe hinterlassen: das militärische Potenzial einer Supermacht, eine in der Breite gebildete, kulturell und technisch hochstehende Bevölkerung und das gelebte Prinzip der Gleichheit und Brüderlichkeit der Völker Rußlands. In Tschetschenien ist der letzte große Versuch äußerer Mächte, einen Keil zwischen die Völker Rußlands zu treiben, grandios gescheitert. Nach einem furchtbaren Jahrzehnt des Niedergangs verstand es Wladimir Putin, diese Erbschaft unter Ausnutzung der Möglichkeiten des Kapitalismus klug zu verwenden, um Rußland wieder zu einem mächtigen und erfolgreichen Land zu machen, dessen Politik ausschließlich durch das nationale Interesse geleitet wird – und damit per se zu einem antiimperialistischen Land. (Denn es ist mein Vorschlag zur Lösung des Problems, wie zu definieren ist, was ein „imperialistisches“ respektive ein „antiimperialistisches Land“ ist, das Kriterium, ob das nationale Interesse die Interessen des Monopolkapitals in der Politik dominiert oder ihnen untergeordnet ist, heranzuziehen.)

Die andere antiimperialistische Großmacht ist die Volksrepublik China. Auch sie verdankt ihre Erfolge der nationalen Befreiung unter Führung der Kommunistischen Partei. Die übereilten Versuche zum beschleunigten Aufbau des Sozialismus mußten korrigiert werden, da sie die Abhängigkeit von der kapitalistischen Umwelt nicht berücksichtigten. Doch die Entwicklung des chinesischen Kapitalismus fand unter absoluter nationaler Kontrolle statt, was mit dem Prinzip des Imperialismus unvereinbar ist.

Mit der wachsenden Bedeutung der BRICS-Gruppe erscheint eine neue Ära der Weltwirtschaft am Horizont, in der der Kapitalismus zwar noch gebraucht wird, aber sein Schicksal vom politischen Willen souveräner Nationen abhängt, wogegen es bisher die Monopolkapitalisten waren, die den Nationen ihren Willen aufgezwungen haben.

Wie schlägt sich all das nun in der deutschen Politik nieder? Der westdeutsche Staat war von Anfang an der treuste Vasall des US-Imperialismus und die Regierungen des vereinten Deutschland sind es bis heute und opfern die nationalen Interessen des deutschen Volkes dieser Gefolgschaft, was besonders seit dem letzten Jahr extreme Züge angenommen hat. Die Situation wird weiter dadurch verkompliziert, daß mit der Annexion der DDR Elemente eines westdeutschen Kolonialregimes etabliert wurden, die auch einen antikolonialen Widerstand hervorrufen. An der Spitze dieses Widerstands stand lange die PDS/Die Linke; seit einigen Jahren ist die führende Rolle der AfD zugefallen. In der Widerstandsbewegung vereinigen sich wirtschafts- und sozialpolitische Forderungen, Kampf gegen Einschränkungen individueller Rechte wie unter dem Vorwand der Pandemiebekämpfung, Ablehnung der transatlantischen Gefolgschaft und der damit verbundenen Kriegspolitik und die Forderung nach Frieden und Freundschaft mit Rußland. („Rapallo-Komplex“!)

Es ist die Angst der Herrschenden vor diesem Widerstand, der das allgegenwärtige Einprügeln auf die AfD erklärt, die Beschwörung einer „Brandmauer“, die Instrumentalisierung des Verfassungsschutzes. 2019 fand zwar keine Reichsexekution gegen Thüringen statt, aber die Bundeskanzlerin erklärte unverblümt, daß die mit AfD-Stimmen zustandegekommene Wahl eines FDP-Ministerpräsidenten rückgängiggemacht werden müsse, und schließlich konnte genügend Druck aufgebaut werden, um dies durchzusetzen. Und wenn ich die Wahlumfragen richtig lese, könnte es in den beiden Ländern, die von der Reichsexekution betroffen waren, nächstes Jahr AfD-Mehrheiten geben. Mal sehen, was dann so passiert.

Man kann jetzt wahrscheinlich denken, ich hätte mich als AfD-Fan geoutet. Das ist nicht der Fall. Mir geht es um etwas anderes: Die Spaltung der Arbeiterklasse hat seinerzeit dem Faschismus den Weg bereitet. Zu dieser Spaltung hat der Fall, über den wir heute sprechen, nicht unerheblich beigetragen. Zur Überwindung der Spaltung braucht es die Volksfront. Die heutige Volksfront darf sich nicht von einem verlogenen Pseudoantifaschismus, der in Wirklichkeit profaschistisch ist, spalten lassen. Sie muß undemokratische Machenschaften zurückweisen, egal gegen welche Partei sie gerichtet sind. Sie muß auch einen Weimarer Richter Dettmar verteidigen, der strafrechtlich verfolgt wird – eine sachlich unsinnige Hausdurchsuchung inklusive – weil sein Urteil zur Maskenpflicht 2020 nicht opportun war. Denn was heute gegen den einen recht war, ist morgen gegen den anderen billig. Der Schlußvers aus Niemöllers berühmten Gedicht: „Als sie mich holten, war niemand mehr da, der etwas hätte sagen können“, ist stets in Erinnerung zu behalten.

Die Einschränkungen demokratischer Rechte, die sich derzeit nur unter anderem, aber besonders grell in der Verschärfung und dem Mißbrauch der §§ 130, 140 StGB im Sinne eines Gesinnungsstrafrechts zeigen, wonach man mit bis zu drei Jahren Haft bedroht wird, wenn man den Krieg in der Ukraine anders bewertet als die Bundesregierung oder die Hungersnot in der Ukraine zu Beginn der 1930er Jahre nicht für einen vorsätzlichen Völkermord hält, entschieden zu bekämpfen, muß eine Hauptaufgabe des fortschrittlichen Kräfte – und natürlich insbesondere der Freidenker – sein. Und hier erweist sich unser Gedenken an die undemokratische Reichsexekution vor hundert Jahren als sehr passend.

Sebastian Bahlo ist Vorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes


Ernesto Schwarz gestaltete das musikalische Rahmenprogramm

Bild oben: Das Präsidium der Veranstaltung. V.l.n.r.: Sebastian Bahlo, Heike Cienskowski, Dr. Steffen Kachel
Foto: Privat