Arbeit & Soziales

Toxische Propaganda: Corona, Ukraine und die Sehnsucht, nützlich zu sein

Warum ist es so schwierig, zu einer Aufarbeitung der Corona-Zeit zu kommen, obwohl inzwischen viele Fakten auf dem Tisch liegen? Die Ursache ist ein besonders bösartiger emotionaler Missbrauch. Wer überzeugt ist, etwas Gutes getan zu haben, wird dieses Gefühl heftig verteidigen.

Von Dagmar Henn

Erstveröffentlichung am 04.06.2023 auf RT DE

Nachdem zunehmend klar wird, dass die meisten Warnungen der als „Coronaleugner“ diffamierten Kritiker zutrafen – von der Gefährlichkeit des Virus bis hin zur Unwirksamkeit des „Impfstoffs“ und der extremen Korruption in allen beteiligten Strukturen – würde man eigentlich eine Aufarbeitung der gesamten Episode erwarten. Schließlich wird die Gesellschaft noch lange mit den hinterbliebenen Schäden zu tun haben, seien es nun Impfopfer oder psychische Probleme. Aber bisher bewegt sich sehr wenig.

Es gibt viele Faktoren, die diesen Stillstand begünstigen. Es gibt einen neuen Schauplatz, auf den die Emotionen gerichtet werden. Es gab zwischen den beiden Extremphasen keine Atempause. Es gab keinen signifikanten Wechsel beim politischen Personal oder den Medien, so dass nach wie vor die Personen, die involviert waren, den Diskurs bestimmen. Und selbst auf der privaten Ebene ist es sicher nicht einfach, ein Fehlverhalten einzugestehen. Vor allem angesichts dessen, wie weit das in manchen Fällen ging.

Aber es gibt noch einen ganz anderen Aspekt, dessen Bedeutung vielleicht unterschätzt wird und der mit manchen Bezeichnungen (wie „Gutmensch“) eher verdeckt als enthüllt wird. Denn noch weitaus schwieriger als ein Gegenüber dazu zu bringen, einen Fehler einzugestehen, der auf nach allgemeiner Sicht moralisch fragwürdigem Verhalten beruhte (wie z.B. die Denunziation eines zu großen Kindergeburtstags), ist es, jemanden dazu zu bringen, ein Verhalten als einen Fehler zu erkennen, das diese Person als hilfreich, nützlich, sozial definiert (und auch erlebt) hat.

Es sind die positiven, nicht die negativen Eigenschaften, die in diesem Fall gegen die Gesellschaft gerichtet werden. Und genau dieser Punkt erzeugt dann eine besonders starke Abwehr. Zu erkennen war dies erstmals bei der Einwanderungswelle 2015 (und außerdem eine starke Förderung der Korruption). Auch wenn klar ist, dass die Kürzung der EU-Mittel für die Flüchtlingslager ein entscheidender auslösender Faktor waren; dass selbst eine Unterbringung in tausenden Kilometern Entfernung humanitär zweifelhaft ist, weil sie das Recht der Flüchtlinge auf Heimkehr unterminiert; und dass (bei allem beschworenen Pathos) der Staatsapparat beispielsweise in der Wohnungsfrage nicht wirklich an einer Problemlösung arbeitete und im Sicherheitsbereich alle fünfe gerade sein ließ – bis heute ist eine rationale Debatte über die damaligen Ereignisse in Deutschland nicht möglich.

Dabei möchte ich nur noch einmal kurz jenen Moment herausgreifen, der mich damals stutzig machte: die große Inszenierung der „Willkommenskultur“ am Münchner Hauptbahnhof. Wenn wirklich humanitäre Fragen im Vordergrund gestanden hätten, hätte es diese Szenen nicht gegeben, in denen Menschen stundenlang ohne Versorgung in einem völlig überfüllten Bahnhof ausharren mussten. Denn es gab in München eine Alternative – und das Sozialreferat, das in einem solchen Fall gefragt ist, Hilfen zu koordinieren, hat seine Zentrale genau an diesem Ort: am Ostbahnhof.

Im Gegensatz zum Hauptbahnhof ist der Ostbahnhof ein Durchgangsbahnhof mit Ausgängen in zwei Richtungen. An der Hinterseite auf eine Straße mit wenig Verkehr und großen Gewerbeflächen in der Nähe, sogar Großküchen. Die Flüchtlinge kamen damals mit Zügen aus Österreich; alle Züge aus Österreich nach München fahren über den Ostbahnhof zum Hauptbahnhof. Im Gegensatz zum Hauptbahnhof, dessen 28 Gleise in der Regel dicht belegt sind, weil an diesem Ort Tag für Tag eine halbe Million Menschen aufbricht oder ankommt, sind die hinteren Gleise des Ostbahnhofs meist frei, insbesondere das Sondergleis, das einmal für Autozüge eingerichtet wurde.

Man hätte dort die Züge ankommen, die Menschen aussteigen lassen und direkt versorgen können, sowohl mit Nahrung als auch mit ersten Hilfsgütern; es hätte Platz für Busse gegeben. Sprich, alles hätte ruhig, effizient und maximal schonend für die Betroffenen ablaufen können.

Stattdessen fuhren die Züge zum Hauptbahnhof, blockierten dort bundesweit den normalen Eisenbahnverkehr. Und weil rund um den Hauptbahnhof ständig dichter Verkehr ist und noch dazu auch damals schon ein halbes Dutzend Baustellen, war es extrem schwierig, die Menschenmengen überhaupt von dort in Unterkünfte zu bringen. Anders gesagt: Dieser Ablauf war nicht logisch, außer man wollte möglichst überzeugende Bilder menschlichen Elends und dann eben den Mythos von den engagierten Helfern, die bei der anderen Variante nicht einmal nötig gewesen wären.

Diese ziemlich unmenschliche Werbeaktion zielte darauf ab, der gesamten Bevölkerung zu signalisieren, so könne man zeigen, dass man ein guter Mensch sei. Es war die gleiche Art Signal wie während Corona und jetzt bezogen auf die Ukraine. Die entscheidende Frage ist allerdings: Warum funktionierte das? Und warum funktioniert es bei bestimmten Gruppen besser als bei anderen?

Der Schlüssel dazu ist nicht, dass die einen besser sind als die anderen. Der Mensch ist im Kern ein kollektives Wesen; er will sich als Teil einer größeren Gruppe fühlen, und in der Regel will er zum Wohle dieser größeren Gruppe auch beitragen. Gäbe es dieses psychische Bedürfnis nicht, wären keine Hochkulturen entstanden, deren Ausgangspunkt immer freiwillig gemeinsam verrichtete Tätigkeit ist. Auch Vorstellungen von Gerechtigkeit sind tief verankert, übrigens bereits schon bei Primaten.

Wenn man betrachtet, in welchen Gruppen und in welchen Regionen diese ans Gute im Menschen appellierenden propagandistischen Coups am wenigsten fruchten, deckt sich das so ziemlich mit jenen Gebieten, in denen Teile jener Kollektivität, die die deutsche Gesellschaft jahrhundertelang prägte, noch erhalten sind. Im Osten und auf dem Land. Dort, wo es noch Vereine gibt, alltägliche Kontakte mit den Nachbarn, und – zumindest in gewissen Grenzen – auch wechselseitige Hilfe.

Aber viele dieser Strukturen sind bereits verschwunden oder haben ihre Relevanz verloren. Der Sportverein hat sich ins Fitnessstudio verwandelt, die Kirchengemeinden sind weitgehend irrelevant, die Gewerkschaften sind zu Dienstleistern geworden und die Parteien führen bestenfalls noch ein Halbleben. Gerade für die Menschen, die in der Verwaltung oder im Bildungsapparat tätig sind, die sich im alltäglichen Leben bestens an eine Gesellschaft der beständigen Konkurrenz angepasst haben, sind diese kollektiven Reste besonders fern und vom Ruch des Unmodernen umgeben.

Das ändert aber an den Bedürfnissen nichts. Im Gegenteil, je tiefer sich jemand in seinem Berufsleben auf die Konkurrenz einlässt, desto schmerzhafter wird die Lücke, desto stärker wandelt sich die fehlende Gemeinschaftlichkeit in eine Schwäche der Selbstwahrnehmung und einen Mangel an Sinn. Ganz zu schweigen davon, dass die Zahl der Tätigkeiten, die der Soziologe David Graeber „Bullshit-Jobs“ nannte – in der Regel gut bezahlte, aber absolut unsinnige Stellen – hoch ist. Es ist dieser permanente Mangel, der die Bereitschaft erzeugt, auf ein öffentliches Angebot wie bei der Flüchtlingshilfe einzugehen.

Dasselbe Muster findet sich wieder bei den Corona-Maßnahmen. Diejenigen, die nach wie vor nicht wahrnehmen wollen, dass die Lockdowns nicht nützlich, sondern schädlich waren, sind vor allem diejenigen, die ihre eigene Akzeptanz der Vorgaben als ein Opfer sahen, das sie im Interesse der Allgemeinheit bringen, durch das sie sich als nützlicher Teil der Gesellschaft wahrnehmen konnten.

Das heißt, gerade die Wahrnehmung der negativen Folgen verstärkt in diesem Kontext das Gefühl, ein Opfer gebracht zu haben. Was wiederum eine Lücke im Selbstwert schließt, die von der gegenwärtigen Gesellschaft beständig gerissen wird. Dadurch wird jede Vorhaltung, das Ganze sei völlig sinnlos, wenn nicht sogar kontraproduktiv gewesen, zu einem Angriff auf die Selbstwahrnehmung, zu einem Entzug der emotionalen Belohnung für dieses Opfer. Und darum wird sie besonders heftig zurückgewiesen.

Ein Grund, warum diese emotionale Manipulierbarkeit so hoch ist, liegt in der sozialen Struktur in Deutschland. In keinem anderen europäischen Land ist die soziale Mobilität (vor allem die Möglichkeit des Aufstiegs) so gering wie in Deutschland. Selbst Hochzeiten finden in der Regel innerhalb der gleichen gesellschaftlichen Schicht, wenn nicht gar innerhalb der Berufsgruppe statt. Es gibt extrem wenige Chefärzte, die mit Friseurinnen, oder Rechtsanwältinnen, die mit Klempnern verheiratet sind.

Hinzu kommt, dass sich gerade in den letzten Jahrzehnten auch noch die Stadtviertel entmischt haben. Auslöser dafür waren zum einen die Gentrifizierung, also der Umbau einiger Viertel in Luxusquartiere, und zum anderen die Vorgaben des SGB II, die in Billigquartiere drängten. Das Ergebnis: Unterschiedliche Klassen und Schichten begegnen sich kaum mehr, schon gar nicht als Erwachsene. Unmittelbarer Kontakt ist aber eine der Voraussetzungen für das natürliche soziale Verhalten. Man hilft innerhalb der Gruppe, der man sich zugehörig fühlt. Wenn diese Gruppe aus lauter Wohlsituierten besteht, hilft man eben nicht.

Der ganze Diskurs, der in die Köpfe der Deutschen hämmerte, dass die Armen letztlich an ihrem Schicksal selbst schuld seien, hat ein Übriges getan. Man denke nur an die bösartigen Kampagnen, mit denen Hartz IV durchgesetzt wurde. Das hat, ganz nebenbei, auch der Hilfsbereitschaft, der Solidarität in der unmittelbaren Nähe das Objekt entzogen. Was wiederum unter anderem deshalb funktionierte, weil „der Arbeitslose“ und „die Alleinerziehende“ für größere Teile der Gesellschaft etwas Abstraktes sind, das man aus den Nachrichten oder Reality-Soaps kennt.

Es gab einmal die alte christliche Vorgabe, gemäß der Prasserei, Habgier und Hochmut Sünde sind, die im Gegenzug die Sitte auslöste, auf die eine oder andere Weise Abbitte zu leisten. Dass diese Vorgabe mittlerweile völlig verschwunden ist, hat zu einem emotionalen Ungleichgewicht geführt. Denn der Gerechtigkeitssinn des Primaten ist dennoch vorhanden, und unbewusste Schuldgefühle sind ein noch größeres Problem als bewusste. Die vorhandenen Schemata, und seien es die Spendenkampagnen, die die Großkirchen zur Fastenzeit durchführten, verloren im Laufe der Zeit ihre Gültigkeit. Und im gut separierten Alltag können sich derjenige, der gerne nützlich wäre und derjenige, dem eben das eine Hilfe wäre, nicht finden. In der Folge ist das Grundbedürfnis zu helfen zu einem manövrierbaren Pool geworden, der nach Belieben genutzt werden kann. Und gerade weil die konkrete Erfahrung wechselseitiger Hilfe im Alltagsleben fehlt, lässt dieser Pool sich mittlerweile selbst auf völlig absurde Objekte wie „das Klima“ lenken.

Gesellschaftlich und politisch ist es durchaus legitim, jene, die sich so begeistert in das aktuelle Angebot zum Gutsein stürzen, zu fragen, wo sie denn waren und sind, wenn es um Wohnungslosigkeit und Armut im eigenen Land geht. Es wird ihnen in der Regel nicht einmal bewusst sein, dass es neben den offiziellen Angeboten zu einer scheinbaren Kollektivität nach wie vor das Angebot einer wirklichen gäbe, die allerdings erfordert, die sozialen Schranken eigenständig zu überwinden. Es wird ihnen auch nicht bewusst sein, dass jedes dieser Angebote immer eine Kehrseite hat: Zum Beispiel schließt die Hilfe für die Ukraine, auch humanitäre, jene für den Donbass absolut aus, wird offiziell ständig signalisiert. Und genauso wurde erst die Solidarisierung mit der inländischen Armut untergraben, ehe man Flüchtlinge als Objekt anbot.

Wie sehr das Bedürfnis nach Kollektivität hinter diesem Verhalten steckt, kann man gerade an jenen beobachten, die immer noch an den Masken festhalten. Das ist weit mehr ein Erkennungszeichen, wie es vor vielen Jahren einmal die Buttons der Punks waren – im Ergebnis der Überzeugung, sich damit wirklich noch vor etwas Gefährlichem zu schützen.

Je ausgeprägter der Mangel an einer positiven Zukunftsvision zu spüren ist, je weiter der positive Bezug auf das Land, den Wohnort, die Klasse unmöglich gemacht wird, desto leichter fällt die Manipulation genau jener Eigenschaften, die eigentlich die Grundlage dafür bieten, eine menschlichere Gesellschaft zu schaffen. Wenn es nur darum ginge, die Maskenfans von medizinischen Fakten zu überzeugen, wäre das vergleichsweise einfach. Da es aber um eine Handlung geht, die sie als fürsorglich für andere empfinden und man ihnen mit der Gegenargumentation auch diese Fürsorglichkeit abspricht, ist es ausgesprochen mühsam.

Ob sich diese Nuss aktiv knacken lässt? Klar ist jedenfalls, ein „ich weiß, dass du es gut meinst, aber“ genügt nicht, um das Dilemma zu lösen. Und wie man an den Blockaden bei der Aufarbeitung von Corona erkennen kann, sind die Widerstände beträchtlich. Auf der anderen Seite allerdings gibt es immer noch die Möglichkeit, dass die Realität in diese künstlichen Situationen eindringt. Dann würde dieser ganze Widerstand umschlagen; und zwar in Zorn auf jene, die gerade die positiven, die menschlichen Eigenschaften derart missbraucht haben.

Die Manipulation der negativen Gefühle ist das eine. Wenn die Medien täglich daran arbeiten, Hass auf alles Russische zu erzeugen, bleibt das immer noch als ein negatives Gefühl erkennbar. Es ist die Kopplung mit den positiven Gefühlen und Sehnsüchten, die die Propaganda der letzten Jahre so toxisch macht und zu einer Gefangenschaft in einer falschen Welt führt, aus der man nur schwerlich entrinnen kann.

Dagmar Henn ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes


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