Wer ist hier eigentlich der „Zauberlehrling“?
VVN-Geschäftsführer verbreitet „antideutsche“ Ideologie
Von Klaus Hartmann, Bundesvorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes
In der Verbandszeitung „antifa“ (Jan./Feb.2016) nimmt sich der Bundesgeschäftsführer Thomas Willms den Deutschen Freidenker-Verband und den Bundesverband Arbeiterfotografie zur Brust. Seine Behauptung: bei ihnen handele es sich um „wichtige Knotenpunkte“ der „Rechts-Links-Annäherungsversuche“. „Zauberlehrlinge“ hat Willms sein Pamphlet betitelt, was insofern passt, als er selbst ganz besessen vom „antideutschen“ Zauber ist.
Zunächst beginnt der Beitrag hoffnungsvoll, da er eine Begriffsklärung verspricht, die Totalitarismusdoktrin mit dem „Querfront“-Begriff in Verbindung bringt, und schließlich mit einem historischen Abriss beginnt. Leider werden die Hoffnungen in allen drei Punkten enttäuscht. Der geschichtliche Vorspann ist zwar ca. eine Seite lang, aber Willms bringt das Kunststück fertig, dem Publikum mit keiner Silbe zu verraten, was die „Querfront“ historisch war bzw. sein sollte.
Keine „Querfront“!
Stattdessen werden zwei Personen präsentiert, Karl Radek und Arthur Moeller van den Bruck. Letzterer war ein Ideologe und Publizist aus der Kaiserlichen Obersten Heeresleitung, Vertreter der „Konservativen Revolution“ und der außenpolitischen Orientierung auf Moskau, er starb 1925. Radek war polnischer Sozialdemokrat, zählte 1915 bei der Zimmerwalder Konferenz zur „Zimmerwalder Linken“, reiste 1917 mit Lenin nach Russland, unterstützte den Hamburger Aufstand 1923, war Funktionär der Komintern, im ZK der KPdSU Anhänger Trotzkis, deswegen 1929 aus der Partei ausgeschlossen, 1937 zu zehn Jahren Lagerhaft verurteilt, 1939 von einem Mithäftling umgebracht, 1988 rehabilitiert.
Was hatten beide miteinander zu tun? Sie waren zwei von mehreren Autoren eines Schlagabtauschs vom Juli bis Dezember 1923 in der Zeitschrift „Gewissen“, herausgegeben von einem Nachfolgeverein der „Vereinigung zur Bekämpfung des Bolschewismus“, eine nähere Bekanntschaft zwischen beiden gilt als unwahrscheinlich.[1] In der Debatte ging es um die Bewertung Leo Schlageters, eines während der französischen Ruhrbesatzung 1923 hingerichteten Freikorps-Aktivisten. Der KPD wird seitdem ein „Schlageter-Linie“ genannter Kurs vorgeworfen, der über die Arbeiterklasse hinaus auch die Mittelschicht und national Gesinnte für die Revolution gewinnen und der nationalistischen Rechten zu entfremden versuchte.
Was prädestiniert diese beiden Personen, um als repräsentativ für eine „Querfront“ vorgeführt zu werden, was verbindet sie, die sich offenbar nicht mal kannten? Dass „immer schon Russland im Zentrum des Interesses beider Strömungen gestanden hat,“ antwortet Willms. Aha: Radek hat Lenin nach Russland begleitet, van den Bruck wollte eine ‚ostorientierte‘ Außenpolitik des imperialistischen Deutschland – eine enorme ‚Gemeinsamkeit‘! Van den Bruck als Exponent der nationalistischen Rechten wollte einen „deutschen Sozialismus“, schrieb als Hauptwerk „Das dritte Reich“. Radek war Bolschewist, hing Trotzkis „Weltrevolution“ an, und wollte die Massen von der nationalistischen Rechten auf die Seite der Kommunisten herüberziehen. So viel ‚Gemeinsamkeit‘ ist selten.
Nach Willms wird die „Querfront“ real, wenn die Rechte “Begriffe der politischen Linken“ integriert und umgekehrt, wenn Linke Anhänger der Rechten zu sich „herüber zu ziehen“ versuchen. Überraschung! Dass Nazis soziale Demagogie betreiben, sich als „Anwälte des kleinen Mannes“ aufspielen, um die von ihnen vertretenen Klasseninteressen der Monopolbourgeoisie zu verschleiern, ist wahrlich ein alter Hut. Und wenn Linke nicht versuchten, die den Nazis auf den Leim gegangenen zurückzugewinnen, hätten sie das ultimative Stadium der Unfähigkeit erreicht. Zwar gesteht er selbst ein, dass beide Phänomene „letztlich gegeneinander gerichtet sind“, für seine Behauptung einer „Querfront“ bleibt dies aber völlig folgenlos.
Definitiver „Querfront“-Beweis: Zusammenarbeit vom Marxisten und Faschisten
Und als wäre all dies noch nicht genug, wird auch noch der Seitenwechsel einzelner Akteure angesprochen, mit Mussolini als Beispiel (vom Chefredakteur des Zentralorgans der Sozialistischen Partei zum Faschistenführer). Wir wollen den Reichswehr-Offizier Richard Scheringer hinzufügen, der von der NSDAP zur KPD wechselte, und aus aktueller Zeit kann hier Jürgen Elsässer genannt werden (von den Antideutschen über „junge Welt“ und „ND“ zu seinem rassistisch-islamophoben „Compakt“. Dadurch würde „das Wechselspiel verkompliziert“, meint Willms.
Wer die Seite wechselt, verkompliziert das Wechselspiel? Wie meint er das? Komplizierter wird doch nur das Verwechselspiel von Willms: denn wenn einer zur gegnerischen Mannschaft wechselt, wird er damit ja nicht zum Verbündeten, sondern dezidiert zum Gegner, beide Mannschaften werden nicht ‚querfrontig‘ zu einer, sondern spielen noch entschiedener gegeneinander. Oder?
Historische Querfront
Lässt sich aus diesem Durcheinander ein Begriff von „Querfront“ gewinnen? Natürlich kein brauchbarer. Als „Querfront“ gilt Willms „der Versuch, … Links und Rechts zusammenzubringen“. Ohne sich dessen bewusst zu sein, kennzeichnet er damit seine eigene Vorgehensweise ganz gut. Nur bedeutet die Diagnose tatsächlicher oder vermeintlicher ideologischer Übereinstimmungen nicht „Querfront“, derartige parallele Erscheinungen haben mit der historischen „Querfront“ nichts zu tun. Das wird klar, wenn man sich vergegenwärtigt, welche Rolle das Konzept „Querfront“ in der deutschen Geschichte – anders als Willms halluziniert – tatsächlich gespielt hat. Da die Freidenker „die Richtigstellung der Begriffe“ als zentral für ihre Aufklärungsarbeit heute ansehen[2], hier in der gebotenen Kürze eine Erläuterung des sagenumwobenen Begriffs.
In der Weimarer Republik kam der Begriff erst Anfang der 1930er Jahre auf. Er kennzeichnete eine von Reichskanzler Kurt von Schleicher vorgeschlagene Bündnisstrategie. Nach der Weltwirtschaftskrise 1929 sahen sich die drei Reichskanzler Brüning, von Papen und von Schleicher nacheinander in der unkomfortablen Lage, dass sich ihre Kabinette nicht auf eine parlamentarische Mehrheit stützen konnten.
Von Schleicher erinnerte sich an bessere Zeiten (für das Kapital) 1914, als zum Beginn des Ersten Weltkriegs der Kaiser „keine Parteien, sondern nur noch Deutsche“ kannte. Die Sozialdemokratie hatte sich widerstandslos ergeben und den Kriegskrediten zugestimmt, die Gewerkschaften entsagten der Interessenvertretung und traten für den „Burgfrieden“ ein. Eine Neuauflage erschien von Schleicher wünschenswert, weshalb er, um dem autoritären Präsidialregime mehr politischen Rückhalt zu verschaffen, eine Querfront propagierte: bestehend aus Reichswehr, Gewerkschaften und dem ‚linken’ Flügel der NSDAP.[3] Damit scheiterte er umgehend, und nach knapp zwei Monaten im Amt wurde am 31.01.1933 Hitler von Reichspräsident von Hindenburg zum Reichskanzler berufen.
Dass dieses dann „Querfront“ genannte Konzept“ durch „konservative Revolutionäre“ der Linie Moeller van den Brucks, „Nationalrevolutionäre“ wie Ernst Niekisch, den „Tat“-Kreis um Hans Zehrer, der die gleichnamige Monatsschrift herausgab, oder den „linken Flügel“ der NSDAP um Gregor und Otto Strasser in Teilen vorgedacht, unterstützt oder propagiert wurde, ändert nichts am Ergebnis: es wurde nicht Realität.
Dass wir vom VVN-Geschäftsführer trotz seiner vorgeschalteten Geschichtsbetrachtung rein gar nichts über diese historische „Querfront“ erfahren, hat einen Grund. So kann er nämlich auf einen korrekten Begriff des Beschriebenen verzichten, und nach Belieben selbst einen komponieren. Diese seine „Querfront“ gibt er als „Zwillingsschwester“ der Totalitarismus-Doktrin aus. Das macht auf den ersten Blick den Eindruck, er lehne diese antikommunistische Doktrin ab, in Wirklichkeit strickt er an ihr mit, indem er Kommunisten und NSDAP-Nahe in seine „Querfront“ zusammensperrt.
Im Sinne der historischen Begriffstreue hingegen zielt „Querfront“ als Strategie auf die Einbindung der Sozialdemokratie bzw. einer rechtssozialdemokratischen Gewerkschaftsführung in die Politik der Herrschenden. Dies begann mit der Zustimmung zu den Kriegskrediten und der „Burgfriedenspolitik“ während des 1. Weltkriegs. In der Weimarer Republik folgte über lange Phasen eine „Politik der Arbeitsgemeinschaft mit der Bourgeoisie, die von den Führern der Sozialdemokratie betrieben wurde“, die Georgi Dimitroff als eine der Ursachen für den Sieg des Faschismus nannte.[4] In der alten BRD war eine gewerkschaftliche Politik der Sozialpartnerschaft (unter Kanzler Ludwig Erhard) und der Einbindung in die „Konzertierte Aktion“ (während der ersten Großen Koalition mit SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller) charakteristisch, ebenso wie heute des Co-Managements und des DGB-Schulterschlusses mit der Bundeswehr – hier liegt immer ein Fall von „Querfront“ vor.
Die Totalitarismus-Doktrinäre, die den Menschen „rot = braun“ eintrichtern möchten, wollten die „Querfront“ schon immer als „Gemeinsamkeit“ oder „Zusammenarbeit von Linken und Faschisten“ definiert sehen. In dieser Reihe stehen auch die „antideutschen“, tatsächlich „neokonservativen“ Ideologen, die sich mit dieser Manipulation als Gesinnungspolizei aufspielen. Wer „Querfront“ nicht exakt im historischen Sinn gebraucht, macht daraus ein Werkzeug der Totalitarismus-Doktrin. „Wer die Begriffe manipuliert, okkupiert die Gedanken der Menschen“, meinte der Philosoph Hans-Heinz Holz.[5]
Geschichtsklitterung
So wenig die Querfront wirklichkeitsmächtig wurde, so gute Dienste leistete und leistet sie den antikommunistischen Legenden: „Die Extreme von beiden Seiten“ hätten die „Weimarer Demokratie zerstört“, oder „KPD und NSDAP“ hätten „beim Berliner Verkehrsarbeiterstreik zusammengearbeitet“, oder der deutsch- sowjetische Nichtangriffsvertrag sei ein „Hitler-Stalin-Pakt“ gewesen, mit dem „der 2. Weltkrieg vorbereitet wurde“. Die Kommunisten seien „rotlackierte Faschisten“, meinte der SPD (West)-Vorsitzende Kurt Schumacher. Das waren unhinterfragbare Glaubenssätze in der Kalten-Kriegs-Wirklichkeit der BRD, so stand es selbst in den Schul-Lehrplänen. Heute werden sie durch „antideutsche“ Blätter wie die „jungle world“ am Leben gehalten.[6]
Als „Querfront-Beleg“ nennt Willms die Aufnahme „rechter“ Begriffe wie „nationale Befreiung“ durch Linke. In dieser Absicht zieht auch ein Autor der „antideutschen“„jungle world“ das KPD-Programm „zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes“ als Querfront-Beweis heran. Wer sich davon erschrecken und vom Selberlesen dieses Dokuments abhalten lässt, erfährt über den Inhalt nichts. In der Proklamation des ZK der KPD v. 24.08.1930 heißt es: „Die Faschisten (Nationalsozialisten) behaupten, sie seien eine ‚nationale‘, eine ‚sozialistische‘ und eine ‚Arbeiter‘partei. Wir erwidern darauf, dass sie eine volks- und arbeiterfeindliche, eine antisozialistische, eine Partei der äußersten Reaktion, der Ausbeutung und Versklavung der Werktätigen sind. Eine Partei, die bestrebt ist, den Werktätigen alles das zu nehmen, was ihnen selbst die bürgerlichen und sozialdemokratischen Regierungen noch nicht nehmen konnten. Eine Partei der mörderischen, faschistischen Diktatur, eine Partei der Wiederaufrichtung des Regimes der Junker und Offiziere, eine Partei der Wiedereinsetzung der zahlreichen deutschen Fürsten in ihre ‚angestammten‘ Rechte, der Offiziere und hohen Beamten in ihre Titel und Posten.“ „Die Nationalsozialisten behaupten, Wirtschaftskrise und Ausplünderung der Massen seien lediglich Folgen des Youngplans; die Überwindung der Krise sei bereits gesichert, wenn Deutschland die Fesseln des Versailler Vertrages abstreift. Das ist ein grober Betrug. Um das deutsche Volk zu befreien, genügt es nicht, die Macht des Auslandskapitals zu brechen, sondern die Herrschaft der eigenen Bourgeoisie im eigenen Lande muss gleichzeitig gestürzt werden.“[7]
Wo, bitte, ist hier die „Querfront“? Wer hat die Gegnerschaft zum Faschismus prägnanter formuliert? Was, außer diffamieren, soll das „Querfront“-Gerede? Die gleiche Absicht verfolgt Willms offenbar mit der Bemerkung, dass „die sowjetische und erst recht die russische Außenpolitik“ sich für „beide Strömungen“ interessiert habe, und „sie seit einigen Jahren auch aktiv fördert und nutzt“.
Wir wollen mit Lenin antworten: „Einen mächtigeren Gegner kann man nur unter größter Anspannung der Kräfte und nur dann besiegen, wenn man unbedingt aufs sorgfältigste, sorgsamste, vorsichtigste, geschickteste sowohl jeden, selbst den kleinsten ,Riss’ zwischen den Feinden, jeden Interessengegensatz zwischen der Bourgeoisie der verschiedenen Länder, zwischen den verschiedenen Gruppen oder Schichten der Bourgeoisie innerhalb der einzelnen Länder als auch jede, selbst die kleinste Möglichkeit ausnutzt, um einen Massenverbündeten zu gewinnen, mag das auch ein zeitweiliger, schwankender, unsicherer, unzuverlässiger, bedingter Verbündeter sein. Wer das nicht begriffen hat, der hat auch nicht einen Deut vom Marxismus und vom wissenschaftlichen, modernen, Sozialismus überhaupt begriffen.“ [8]
Im Fokus: die Friedensbewegung
Nach dem Ausflug in die Geschichte kommt der VVN-Geschäftsführer in der Gegenwart an, aber ebenso wie das Fundament seiner Vorwürfe, die „Querfront“, bei genauem Hinsehen zerbröselt, sind die aktuellen Vorwürfe nicht minder auf Sand gebaut. Dabei werden zunächst der Deutsche Freidenker- Verband (und in Folge der Bundesverband Arbeiterfotografie) ins Visier genommen, und die unterschiedlichen Positionen zu den „Mahnwachen für den Frieden“ gegenübergestellt:
„Um diese (…) tobte bekanntlich ein harter Kampf. In diesem hat sich die VVN-BdA von Anfang an eindeutig gegen jede Einflussnahme nationalistisch-rechtsgestrickter Akteure gewehrt. Der Verband der ‚Freidenker‘, insbesondere dessen Bundesverband, ist einer der vehementesten Vertreter einer Zusammenarbeit mit Mahnwachen und ähnlichen Akteuren.“
An dieser Darstellung stimmt fast nichts. Dass sich ‚die VVN-BdA in einem harten Kampf gegen rechtsgestrickte Akteure gewehrt‘ hätte, ist allen Beteiligten unbekannt. Außer, eine Distanzierung von den Mahnwachen zu Papier zu bringen, hat sie nichts geleistet. Das hat nur im praktischen Leben, auf der Straße, niemand zur Kenntnis genommen, in den Mahnwachen nichts bewirkt, und die „rechtsgestrickten Akteure“ hat es auch nicht in die Flucht geschlagen.
Der Freidenkerverband verhielt und verhält sich tatsächlich anders. Allerdings nicht, wie Willms behauptet, indem wir ‚vehement für die Zusammenarbeit mit rechtsgestrickten Akteuren eintreten‘, ganz im Gegenteil. Freidenkerinnen und Freidenker haben sich von Anbeginn an den Mahnwachen für den Frieden beteiligt, wir haben es begrüßt, dass sich viele Menschen erstmals und unaufgefordert engagiert haben. Wir taten dies gemeinsam mit vielen Friedensfreunden, die nicht von einem ‚Alleinvertretungsanspruch‘ geblendet und mit Verachtung auf ‚unreife Protestierer‘ herabgeblickt haben.
Uns war bewusst, dass Nazis und Rassisten versuchten, beim Friedensthema anzudocken, Einfluss zu gewinnen, im Trüben zu fischen. Unsere Konsequenz war: Hingehen, auftreten, klare inhaltliche Positionen vertreten, und immer wieder die Unteilbarkeit der Losung „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“ zu bekräftigen. Es kam uns darauf an, bei den neu in Bewegung gekommenen Menschen selbst Lernprozesse anzustoßen und zu unterstützen. Innerhalb weniger Monate wurde erreicht, dass in über 95% der Fälle Nazis isoliert, vom Platz gestellt und vertrieben wurden – von den Aktivisten der Mahnwachen selbst!
Jürgen Elsässer z. B., den Willms in seinem Beitrag wiederholt hochleben lässt, hat seit Sommer 2014 auf keiner Mahnwache mehr gesprochen. Auf seinem Blog appellierte er im Juli 2014 „Verhindern wir, dass die Montagsdemos von Links kaputtgemacht werden!“[9] Die Ursache sieht er darin, dass linke Redner (…) sofort begannen, andere Strömungen wegzubeißen.“ Künftige Veranstaltungen dürften „nicht wieder von den linken Gebetsrednern dominiert“ werden. Jedenfalls dürfte unbestritten sein, dass die VVN für Elsässer keinen Grund zum Klagen geliefert hat, sie hat sich ja lieber ‚fein rausgehalten‘.
Ignoriert Willms diese Entwicklung mit Absicht, weil er sich Elsässer als ‚Lieblingsfeind‘ nicht nehmen lassen will, mit dem man so gut die ganze Bewegung diskreditieren kann, oder ist es schlicht Unkenntnis, weil er um die Veranstaltungen lieber einen großen Bogen gemacht hat? Ungerührt davon werden weiterhin Linke wie Pedram Shayar und Internationalisten wie Ken Jebsen mit Elsässer in einen Sack gesteckt, man nimmt weder ihre Entwicklung noch aktuellen Aussagen zur Kenntnis, schon gar nicht ihre Erklärung vom Mai 2014: „Organisierte Neonazis, braune Kameradschaften und faschistoide Praktiken haben auf unseren Mahnwachen nichts verloren.“
Jede Organisation soll über ihre Politik selbst entscheiden. Freidenker für ihren Teil lehnen einen „Salon-Antifaschismus“ ab. Wir haben keine Angst, mit dem „Volk“ in Berührung zu kommen, das andere lieber für ‚unberührbar‘ erklären. Wir haben auch keine Angst vor dem Urteil „Schuldig durch Kontakt“, das bevorzugt durch Spezialisten gesprochen wird, die sonst nichts zustande kriegen. Wir arbeiten auf der Grundlage von „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“ mit allen zusammen, die dazu bereit sind. Deshalb sind wir auch stolz darauf, mit dem „Friedenswinter 2014/15“die Zusammenarbeit von „alter“ und „neuer Friedensbewegung“ gefördert zu haben. Mit den neuen Kampagnen „Raus aus der NATO!“, „Beenden Sie das Aushungern des syrischen Volkes!“, „Stopp Ramstein“ und „Nein zur Bundeswehr in Syrien!“ ist es gelungen, die spalterische Unterscheidung von „alt“ und „neu“ in der Friedensbewegung hinter uns zu lassen.
Was ‚dürfen‘ Freidenker?
Was der Freidenkerverband sein ‚sollte‘, darüber macht sich Willms auch so seine Gedanken: „Eigentlich ein Verband der Konfessionslosen und linken Kirchenkritiker, verhält er sich unter der Führung seines Vorsitzenden Klaus Hartmann seit einigen Jahren eher wie eine Art Partei mit allgemeinpolitischem Anspruch.“
Eine Vereinigung von „Konfessionslosen und linken Kirchenkritikern“ würde aber kaum den Anforderungen des Art 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 7 WRV (Vereinigungen zur gemeinschaftlichen Pflege einer Weltanschauung) gerecht. Außerdem verkennt der Autor, dass sich bereits die 1905 und 1908 gegründeten Vorgängerorganisationen, die sich 1927 zum Deutschen Freidenker-Verband zusammenschlossen, als sozialistische Kulturorganisationen verstanden haben.
Möglicherweise ist ihm auch unbekannt, dass Max Sievers, der erste Vorsitzende des vereinigten Verbandes, bereits 1919 im Soldatenrat in Berlin wirkte, 1933 auf der ersten Liste der von den Faschisten Ausgebürgerten stand sowie nach Verhaftung und Flucht bis zur erneuten Verhaftung 1943 intensivste Widerstandsarbeit geleistet hat (Herausgabe des „Freidenker“, der „Sievers-Korrespondenz“ und des „Freien Deutschland“), wegen Hochverrat durch Freislers „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilt, und 1944 im Zuchthaus Brandenburg-Görden mit dem Fallbeil ermordet wurde. Sein 1939 erschienenes Buch trägt den programmatischen Titel „Unser Kampf gegen das Dritte Reich. Von der nazistischen Diktatur zur sozialistischen Demokratie“. Das allgemeine „politische Mandat“ nehmen die Freidenker also bereits seit Beginn des vorigen Jahrhunderts wahr, und seit der Befreiung vom Faschismus ist „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“ konstitutiv für die Identität des Freidenkerverbandes.
Leider missfällt Willms auch das antifaschistische Engagement der Freidenker, denn „zur … NPD … wird nur behauptet, dass diese ‚geheimdienstlich‘ gesteuert sei“. „Geheimdienstlich“ in Anführungszeichen – er zitiert. Wir nennen den Inlandsgeheimdienst nicht bei seinem irreführenden Marketingnamen „Verfassungsschutz“. „Nur behauptet“ druckt er fett, hat er nicht mitbekommen, dass der NPD-Verbotsprozess wegen „zu großer Staatsnähe“ platzte? Oder wie wir gerne formulieren: „zu großer NPD-Nähe des Staates“! Er beanstandet „diverse Freidenker-Autoren, die häufig gegen einen deutschen ‚Polizeistaat‘ polemisieren“. Hat er vom Polizeischutz für Nazi-Demos und Polizeigewalt gegen Antifaschisten noch nichts mitbekommen?
Dann beanstandet Willms, „dass man sich mit ‚Rechtspopulisten‘ ‚politisch auseinandersetzen‘ solle“. Um der Aussage einen Skandalgehalt anzudichten, unterschlägt er einfach den Zusammenhang, denn der nächste Satz lautet: „Für Faschismus gilt das nicht. Hier gilt das Verbot“.
Doch der entscheidende Aufreger für Willms ist uns schon oft begegnet: „Wichtig ist den Autoren die Entschuldung der ‚Massen‘ bezüglich ihrer Beteiligung am historischen Faschismus.“ Wer aber beschuldigt die „Massen“, wer hat sie angeklagt? Es sind die „antideutschen“ Neocons, die vergessen machen wollen, dass der Faschismus den Interessen des monopolitischen Finanzkapital dient und von ihm an die Macht geschoben wurde, sie bestreiten, dass Faschismus eine Form bürgerlicher Herrschaft ist, sie suggerieren, Faschismus sei ein Projekt der „subalternen Massen“. Damit wollen sie Dimitroff und eine marxistische Faschismusanalyse entsorgen.
Dagegen setzt sich der Deutsche Freidenker-Verband zur Wehr, und damit „vertritt der Verband dieselbe dogmatische Verengung, wie sie anhand des Duos Witt-Stahl/Sommer beschrieben wurde“, schreibt Willms, und verweist auf seinen selbstverfassten Verriss des Buches „Antifa heißt Luftangriff“ (in antifa 5/15). Dem hat er den geschmackvollen Titel „Ein Stahlgewitter“ verpasst, nicht nur eine Anspielung auf Ernst Jüngers Heldensaga über den 1. Weltkrieg, auch eine Verballhornung des Namens der Herausgeberin Susann Witt-Stahl. Vielleicht findet sich in der VVN jemand, der den Geschäftsführer darüber aufklären kann, dass seit der Verballhornung jüdischer Namen im „Stürmer“ und anderen Nazi-Blättern jedes Spiel mit Namen zum Denunzieren deren Träger als zumindest ‚latent antisemitisch‘ gilt. „No jokes with names“ lautet deshalb ein angloamerikanischer Benimm-Kodex.
Immer bei der Wahrheit bleiben!
Im Stile seiner „Querfront“-Geschichtsmanipulation untersucht Willms dann den „Freidenker“ 1-2015 mit dem Titel „70 Jahre Befreiung von Faschismus und Krieg“. Aus der Umschlaggestaltung schließt er messerscharf, „dass es dem Verband wichtig ist, als antifaschistisch zu gelten.“ Man darf vermuten, dass dies der VVN/BdA auch nicht unwichtig ist.
Aber der Geschäftsführer der VVN hieße nicht Willms, fände er nicht sogleich ein Haar in der Suppe: Nämlich auf der „Rückseite das Fritz-Cremer-Denkmal in Buchenwald, ergänzt mit den häufig zitierten Auszügen aus dem Schwur von Buchenwald. Der notwendige Hinweis, dass es eben nur Auszüge sind, fehlt allerdings, was angesichts des Heftinhaltes keine sprachliche Lappalie ist.“
Die Auszüge lauten:
„Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht!
Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung.
Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.
Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig.“
Mit dem Schwur von Buchenwald kennt sich die VVN offenbar aus. Auf Ihrer Homepage steht unter dem Impressum:
„Die Vernichtung des Faschismus mit seinen Wurzeln, der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“
Dieser Schwur der befreiten Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald ist bis heute aktuell geblieben und unverändert gültiges Leitmotiv der VVN-BdA. [10]
Aktuell „gebleiben“? Sonderlich viel Sorgfalt haben sie auf den Schwur offenbar nicht verwandt. Im Vergleich: Die VVN zitiert zwei Sätze (die sie zu einem zusammenbastelt), wir zitieren vier Sätze (die vier abschließenden Sätze, die den Charakter des Schwures haben), und uns werfen sie vor, auf den „notwendigen Hinweis, dass es eben nur Auszüge sind“, verzichtet zu haben, verzichten aber selbst darauf. Und dass sie das Zitat ‚umgestalten‘, aus „Nazismus“ „Faschismus“ machen, die Worte „ist unsere Losung“ wegfallen lassen – geschenkt. Aber wenn wir uns das erlaubt hätten – nicht auszudenken.
Was aber Willms so schmerzlich vermisst, dass er auf den „Auszügen“ herumreitet, erklärt er zum Glück ausführlich: „Würde man den ganzen Text heranziehen und nicht nur die Sätze aus denen man Bestätigung für das eigene Anliegen zu finden meint, würde man bemerken, dass der Schwur sich ausdrücklich bei den ‚verbündeten Armeen‘ bedankt. Als einziger namentlich genannter Politiker wird US-Präsident Roosevelt herausgehoben als ‚des grossen Freundes der Antifaschisten aller Länder, eines Organisatoren und Initiatoren des Kampfes um eine neue demokratische, friedliche Welt.‘“
Auch darüber gerät Willms ins Stolpern: „herausgehoben als ‚des großen Freundes …‘“? Woher der falsche Genitiv? Schlechtes Deutsch? Unachtsamkeit? Nein, es ist Willms‘ Manipulationsabsicht, die diesen Fehler verursacht hat. Er biegt diesen Satz zurecht, aus dem er „Bestätigung für das eigene Anliegen zu finden meint“.
Worin besteht das Zurechtbiegen, die Manipulation durch Wilms? Er scheint seine Leserschaft für recht unbedarft zu halten, offenbar rechnet er mit ihrer Unwissenheit, dass der Schwur der Buchenwald-Häftlinge am 19. April 1945 erfolgte, eine Woche nachdem der US-Präsident Franklin D. Roosevelt am 12. April 1945 verstorben war. Denn aufgrund dessen stand der Schwur auch im Zeichen der Trauer, was aber Willms durch Weglassen des Satzteils „Wir gedenken an dieser Stelle …“ sowie des anschließenden Satzes „Ehre seinem Andenken!“ negieren möchte. Daher auch der ‚falsche Genitiv‘ in seinem Bruchstück, dagegen ist die Verwandlung von „friedsame“ in „friedliche“ Welt eher eine lässliche Sünde. Für alle Interessierten die komplette Passage:
„Wir gedenken an dieser Stelle des großen Freundes der Antifaschisten aller Länder, eines Organisatoren und Initiators des Kampfes um eine neue demokratische, friedsame Welt F. D. Roosevelt. Ehre seinem Andenken!“
Dass die ‚namentliche Hervorhebung von Roosevelt‘ in dessen unmittelbar vorangegangenem tragischen Tod begründet lag, hätte aber nicht zu Willms‘ Manipulationsvorwurf an die Freidenker gepasst. Er will eben suggerieren, wir hätten wegen einer Aversion gegen die USA oder weil nicht die Sowjetunion, nicht Stalin „hervorgehoben“ würden, etwas weggelassen.
Es ist also Willms, der genau das tut, was er den Freidenkern vorwirft: eine Weglassung zwecks Manipulation. Und dann ruft er noch „Haltet den Dieb!“. Legt das nicht die Gegenfrage nahe, ob die reale Manipulation durch den VVN-Autor möglicherweise in einer Aversion gegen die Sowjetunion gründet?Und könnte man nicht auch fragen: ‚Sagt er noch die Unwahrheit, oder lügt er schon?‘
Im Diffamierungsmodus
Nachdem Willms in neokonservativer „Rot-gleich-Braun“-Manier sein kontrafaktisches „Querfront“ -Paradigma zusammengeschustert hat, versucht er, diese vermeintliche Wunderwaffe politischer Denunziation gegen Personen und Organisationen zum Einsatz zu bringen, die er von seinem Standpunkt aus als politische Gegner ausgemacht hat.
Neben dem Deutschen Freidenker-Verband und dem Bundesverband Arbeiterfotografie (nebst ihrer Satirezeitung „Krokodil“) hat er besonders die „Neue Rheinische Zeitung“ und die „Nachdenkseiten“ ins Visier genommen. Die Attackierten werden ggf. dazu selbst Stellung nehmen. Zwecks Diffamierung der „Neue Rheinische Zeitung“ lässt Willms eine Kronzeugin zu Protokoll geben, die würde „seit längerem“Elsässer Gelegenheit geben, „seine rechtspopulistischen Gedanken zu äußern“. Dass es damit seit 2012 vorbei ist, erfährt man freilich nicht. Bemerkenswert erscheint besonders die Attacke gegen die „Nachdenkseiten“ von Albrecht Müller, ehemaliger Planungschef im Bundeskanzleramt unter Willy Brandt und Helmut Schmidt, abgefertigt unter der Überschrift „Vereinfachungsindustrie“, mit „Schlagseite nach rechts“. Offenbar ist es der Experte selbst, der zwischen „rechts und links“ nicht mehr unterscheiden kann.
Dem Freidenkerverband attestiert Willms den Verlust der „Fähigkeit, offenkundig irrationale und wahnhafte Personen abzuwehren“. Dann nennt er Namen und Symptome. „Der Freidenker-Aktivist Hartmut Barth-Engelbart“ zeige sich „umtriebig“, „gleichzeitig kann er nicht ‚Israel‘ schreiben, ohne drei negative Adjektive hinzuzufügen“. Was „Antideutsche“ und „Neocons“ für den letzten Beweis für „Antisemitismus“ halten. Elias Davidsson sei „auf die Leugnung des Islamismus im Allgemeinen und des Terroranschlags vom 11. September im Besonderen spezialisiert“. Die Spezialität von Willms scheint die schlechte Recherche zu sein, denn Davidsson ‚leugnet‘ beides nicht, aber er streitet gegen das rassistische Propagandakonstrukt, Islamismus mit Terror zu assoziieren sowie die regierungsamtliche Verschwörungstheorie zu 9/11. Bei der Freidenker-Konferenz am 12.09.2015 zu „Nützlicher Feind: ‚Faktor Islam‘“ hat Davidsson den brillanten Vortrag „Mythos Islamistischer Terrorismus“ gehalten.[11] Hauptsache, Willms konnte hier ‚unauffällig‘ das Wort „Leugnung“ platzieren, da ist die „Holocaust-Leugnung“ nicht mehr weit. Von Davidsson weiß er noch, der sei „aus Island zugewandert“, nicht jedoch, dass er als Sohn jüdischer Eltern in Palästina geboren und aufgewachsen ist, bevor er nach Island emigrierte.
Wenn schon nicht bei sauberer Recherche, so liegen Willms‘ Fähigkeiten offenbar mehr im medizinischen Bereich, Fachgebiet Psychiatrie. Denn mit „wahnhafte Personen“ wird ein psychopathologischer Befund vorgelegt, ein Krankheitssymptom im Rahmen psychischer Störungen diagnostiziert. Das ist im Umgang mit Andersdenken ein Zeichen für Kulturverfall und Negierung von Menschenwürde, und für Antifaschisten ein absolutes Tabu. Vielleicht sollte der Spezialist sich auch auf die Volksweisheit besinnen: „Wenn du mit dem Finger auf andere Menschen zeigst, zeigen drei Finger auf dich selbst.“
Mit der „Querfront“-Keule gegen Russland
Willms greift gerade solche Positionen an, die in scharfem Kontrast zu westlichen Weltmachtstrategien stehen. Die Diffamierung soll nach der superschlauen Machart funktionieren, linke Personen und Organisationen, die diese Positionen vertreten, einfach irgendwie mit rechten Buhmännern in Verbindung zu bringen. Nachdem uns Willms eingangs mitgeteilt hat, dass „Russland im Zentrum des Interesses beider Strömungen“ steht, fragen wir uns nach den Ursachen für sein eigenes intensives Interesse an Russland.
Zunächst gilt ihm „‘Frieden‘ in Kombination mit ‚Russland-Solidarität‘“ als aktueller Anknüpfungspunkt von Neonazis, dann folgt der nächste Auftritt von „Lieblingsfeind“ Elsässer. In den Steuerunterlagen von dessen „Compakt“-Magazin stöbernd, entdeckt Willms „eine unerklärte Finanzierungslücke von jährlich 100.000 Euro“. Da Elsässer aber bei diversen Kongressen mit dem Institut de la Démocratie et de la Coopération, einer „Vorfeldorganisation des russischen Staates“ zusammengearbeitet hat, schließt der Steuerexperte messerscharf, dass dieses Institut womöglich für die „Stabilität“ von „Compact“ sorgt. Mit der Vermutung ‚Elsässer ist von den Russen gekauft“ wird generell nahegelegt: Freunde Russlands sind gekaufte Querfrontanhänger.
Stellt sich hier nicht eher die Frage, ob Willms und Elsässer nicht eigentlich Brüder im Geiste sind, insofern sie beide die traditionelle Volksfront-Strategie der Arbeiterklasse, die den Herrschenden künftig wieder gefährlich werden könnte, nach Kräften zu ruinieren versuchen: der eine durch eine Volksfront-Karikatur ohne Kommunisten und Arbeiterbewegung, die sich Idolen à la Sarrazin an die Brust wirft, der andere mit einem Generalverdacht gegen breite Bündnisse sozialistischer und antiimperialistischer Kräfte als von rechts unterwanderte „Querfront“-Bildung?
Zuwider ist Willms, wer für gute Beziehungen zu Russland eintritt. Das ist angesichts der fortgesetzten Einkreisungspolitik von USA und NATO gegen Russland, angesichts der NATO-Aggression in der Ukraine und der damit heraufbeschworenen Gefahr eines Heißen Krieges in Europa, ja eines neuen Weltkriegs, eine höchst merkwürdige Einstellung, speziell für den Vertreter einer Organisation, für die „Nie wieder Krieg“ noch gelten soll. Schlichteste Gemüter könnten mittlerweile gemerkt haben, dass die USA in dem Bemühen, ihren machtpolitischen Niedergang als „einzige Weltmacht“ aufzuhalten, bestrebt ist, Westeuropa – mit Hilfe neokonservativer europäischer Atlantiker in eine Konfrontation mit Russland hineinzutreiben. Kein Wunder, dass die NATO nach Meinungsumfragen nur noch von jedem zweiten positiv gesehen wird.[12]
Im Dezember 2014 haben mehr als 60 Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien in dem Aufruf „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!“ eindringlich gewarnt: „Wir dürfen Russland nicht aus Europa hinausdrängen. Das wäre unhistorisch, unvernünftig und gefährlich für den Frieden. Seit dem Wiener Kongress 1814 gehört Russland zu den anerkannten Gestaltungsmächten Europas. Alle, die versucht haben, das gewaltsam zu ändern, sind blutig gescheitert – zuletzt das größenwahnsinnige Hitler-Deutschland, das 1941 mordend auszog, auch Russland zu unterwerfen.“[13]
Klartext der Freidenker: „Die einzige Chance zur Verteidigung des Friedens besteht in der Annäherung an Russland. (…)Nur an der Seite Russlands kann ein dritter Weltkrieg verhindert werden. (…). Nur im Bündnis mit ihm hat unsere Forderung ‚Deutschland raus aus der NATO – NATO raus aus Deutschland‘ eine realistische Chance, perspektivisch durchgesetzt zu werden. Eine halbseidene Position der ‚Äquidistanz‘ irgendwo in der Mitte zwischen der NATO und Russland war noch nie so falsch und gefährlich wie jetzt. Sie lähmt vor allem den Widerstand gegen den Krieg. Denn wenn nicht entschieden die Lüge, dass von Russland eine Bedrohung ausgehe, zurückgewiesen wird, dann bleibt die zentrale und psychologisch wirksamste Begründung für die Kriegseskalation der NATO im Raum stehen.“[14]
Besonderen Anstoß nimmt Willms ander Feststellung der Freidenker, dass „das Russland Putins“ einen „neuen Typ von relativ fortschrittlichem ‚Staatskapitalismus‘“ verkörpert, dass der Gegensatz zwischen den USA und anderen imperialistischen Zentren einerseits und aufstrebenden Schwellenländern andererseits als ein „neuer Systemkonflikt“ zu analysieren ist. Hätte sich Willms besser informiert, hätte er auch hier „Querfront“ schreien müssen; denn nicht deutsche Freidenker sondern der britische „Economist“, ein Leitorgan des neoliberalen westlichen Kapitalismus, hat die Weltlage im Wesentlichen so beschrieben, Fazit: „Der entscheidende Kampf des 21. Jahrhunderts spielt sich nicht zwischen Kapitalismus und Sozialismus ab, sondern zwischen verschiedenen Versionen von Kapitalismus.“[15] Die sogenannten BRICS-Staaten bilden eine neue eigenständige Staatengemeinschaft und streben eine Weltordnung an, die der gegenwärtigen entgegengesetzt ist. Sich in der Wahrnehmung der weltpolitischen Wirklichkeit dümmer anzustellen als der Klassengegner, kann zumindest von den Freidenkern niemand verlangen. Objektiv verteidigt Willms das von den Neocons proklamierte „Neue amerikanische Jahrhundert“[16].
Der Autor beanstandet weiter die Feststellung: „Die USA würden im Gegensatz zu Russland von einer ‚parasitären Schicht der Finanzoligarchie‘ beherrscht, eine Begrifflichkeit die gleich fünfmal auftaucht.“ Er verschweigt, dass dieser Begriff zentral in Lenins Imperialismusanalyse ist, der mit wissenschaftlicher Exaktheit genau die Schicht bezeichnet, welche die staatsmonopolistischen Staaten des Westens beherrscht.[17] Dabei wird den Freidenkern, die – wie der „Economist“ – mit Respekt zur Kenntnis nehmen, dass Putin die oligarchischen Räuber der Staatsmacht untergeordnet hat, von Willms wahrheitswidrig unterstellt, dass sie „das russische Oligarchentum ignorieren“.
Das Verschweigen der Leninschen Urheberschaft für die Analyse des Parasitären des imperialistischen Kapitalismus hat aber einen besonders infamen Grund, denn Willms findet „hier das Bemerkenswerte die Unterscheidung zwischen ‚gutem‘ und ‚schlechtem‘ Kapital“. Nicht Lenin, sondern die Nazis, die mit der Unterscheidung zwischen „raffendem“ und „schaffendem“ Kapital auf Bauernfang gingen, sollen also Pate für die Freidenker-Einschätzung gestanden haben! Das ist der aus der „antideutschen“ Giftküche bekannte Versuch, Linken eine „regressive“ oder „verkürzte“, jedenfalls „antisemitische“ Kapitalismuskritik zu unterstellen. Und wo die Beweisführung nicht funktioniert, muss man eben nachhelfen. Indem Willms das „gute“ und das „schlechte“ Kapital in Anführungszeichen schreibt, suggeriert er, dass es sich um Zitate handele. Dabei führt er diese Begriffe erst ein. Das ist dann nicht mehr, wie bisher wiederholt, eine Unwahrheit, das ist glatt gelogen.
Antiimperialistische Solidarität und Frieden
Was Willms gar nicht passt, ist die internationalistische Solidarität der Freidenker mit den von völkerrechtswidrigen Aggressionen bedrohten Ländern Syrien und Iran. Der Deutsche Freidenkerverband hatte bereits im Dezember 2012 in einem Offenen Brief an die Bundeskanzlerin und die Bundestagsabgeordneten gegen die Stationierung von Patriot-Raketen in der Türkei protestiert. Dieser Militäreinsatz, die Entsendung eines Spionageschiffs, aber auch die strategische Partnerschaft mit den Aggressor-Staaten Türkei, Katar und Saudi Arabien, der Abbruch der diplomatischen Beziehungen und Planungen für die Zeit „nach Assad“ stellten in ihrer Gesamtheit eine „wesentliche Mitwirkung“ bei der Einschleusung und Unterstützung bewaffneter Banden in Syrien dar. Dies ist nach UN-Definition ein Akt der Aggression, d.h. ein schwerer Verstoß gegen das Völkerrecht und auf der Ebene persönlicher Verantwortung ein völkerrechtliches Delikt.[18]
Im Dezember 2015 gingen mehrere Strafanzeigen beim Generalbundesanwalt gegen die Eskalation der Einmischung in Syrien durch Einsatz von Tornado-Flugzeugen der Bundeswehr ein, darunter eine unter Mitwirkung von Freidenkern. Die von den Freidenkern vertretene völkerrechtliche Position zum Syrien-Konflikt ist inzwischen weitgehend Konsens der Friedenskräfte. Im Geiste der Verteidigung des Völkerrechts solidarisierten sich Freidenker mit in Deutschland lebenden patriotischen Syrern, die vor allem gegen die Diffamierung ihres Landes in den deutschen Medien protestieren.
Für Willms beweist das alles nur eine „bemerkenswerte Affinität … insbesondere und ausgerechnet gegenüber dem Assad-Regime“, in der Überschrift des Aufsatzes „Syrien – Der gefährliche Mythos einer ‚friedlichen Revolution“ sieht er eine „Verdrehung der Tatsachen“, mit der „das jahrzehntealte Diktatoren-Regime „entschuldet“ werde. Damit übernimmt er schlankweg die neokonservative „Assad muss weg“- Propaganda gegen die legitime Regierung des Landes, die er sich durch eine Reise des NPD-EU-Abgeordneten Voigt nach Damaskus beglaubigen lässt. Womit auch die „Querfront“-Keule wieder geschwungen werden kann, weil Voigt die syrische Regierung „mit ganz ähnlichen Argumenten unterstützt, wie die linken Assad-Freunde.“
Auch die etwas länger zurückliegende Reise einiger Freidenker in den Iran diffamiert Willms, die dem Angebot des Muslim-Marktes nach unmittelbarer Information in dem Land folgten, das von neokonservativen, prozionistischen Kräften mit Krieg bedroht wurde. Sich nicht mit den von Herrschaftsmedien dargebotenen Verzerrungen zufrieden zu geben, gilt ihm als „Offenbarungseid“. Als Vehikel der Diffamierung dienen wieder andere Mitreisende, auf die unsere Teilnehmer keinen Einfluss hatten (zwei ‚Geeignete‘ werden selektiv genannt, die anderen nicht), und nicht zuletzt der „Empfang bei Ahmadinedschad“, Gottseibeiuns!
Warum wird das Bedürfnis nach Information über ein von imperialistischen Mächten bedrohtes Land diffamiert? Warum geschieht dies in der Pose des „Antifaschismus“? Ist das nicht ein hinterhältig getarnter Versuch, für neokonservative Kriegsziele in der eigenen antifaschistischen Klientel um Verständnis zu werben?
Gegen das Spalten und Auseinanderdividieren der Friedenskräfte lancierte der Deutsche Freidenker-Verband und die Arbeiterfotografie Ende Juni 2015 den Aufruf „Sagt NEIN, ächtet Aggressionen, bannt die Weltkriegsgefahr!“ In dieser programmatischen Erklärung werden fünf konkrete Ziele formuliert: „NATO-Vertrag kündigen!“, „Vertrag über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte kündigen!“, „Mit Russland kooperieren!“, „Eine grundsätzlich andere, friedliche Außenpolitik gestalten!“, „Die Unterwerfung unter ‚supranationale‘ Instanzen des Finanzkapitals beenden!“ Das Forderungsprogramm ist in der zentralen Losung zusammengefasst: „Deutschland raus aus der NATO – NATO raus aus Deutschland“.[19] Der Aufruf wurde bisher von 60 Gruppen und Organisationen aus der Friedensbewegung unterstützt und von über 800 Personen unterzeichnet.
Darüber verrät Willms seinem Publikum nichts, andernfalls könnte er nicht so umstandslos „Frieden“, „Russland-Solidarität“ etc. zu ‚rechten Themen‘ erklären, die Friedensbewegung zynisch nur als „die ausgezehrten Reste der traditionellen Friedensbewegung“ wahrnehmen, und den Freidenkern „eine starke Einengung ihres Bündnisspektrums“ nachsagen.
Die Methode, mit der Willms versucht, den Deutschen Freidenker-Verband und die Arbeiterfotografie zu diffamieren, besteht ganz simpel darin, Sozialisten mit irgendetwas Rechtsextremem und Faschistischem in Verbindung zu bringen: Über ihre Forderungen wird wahrheitswidrig behauptet, es seien rechte, sie setzten auf die gleichen Themen und böten so Anknüpfungspunkte für Annäherungen. Die marxistische Imperialismuskritik wird umgefälscht und als eine der Nazis ausgegeben, die Solidarität mit den Opfern imperialistischer Aggressionskriege als ‚rechts‘ denunziert. Seit der Weimarer Republik betreiben Faschisten eine ausgeprägte soziale Demagogie, stellen sich als Anwälte des „kleinen Mannes“ dar und bemächtigen sich linker Positionen, dies reicht bis zu scheinbar antikapitalistischen Forderungen wie heute „Weg mit Hartz IV!“. Aufgabe der Linken bleibt es, diese Demagogie zu entlarven und Faschisten als politische Interessenvertreter des Monopolkapitals zu enttarnen. Wer stattdessen Sozialisten aufgrund der Nazi-Demagogie „Gemeinsamkeiten“ unterstellt, spielt im Betrugssystem mit.
Das Hantieren mit solchen kontrafaktischen und ahistorischen „Querfront“-Anwürfen kennzeichnet Willms als einen Zauberlehrling des „antideutschen“ Ungeists. Das Bezeichnende dabei ist, dass er politische Positionen zu diskreditieren versucht, die in kämpferischer Opposition zu den neokonservativen Weltmachtstrategien stehen. Inhaltlich wendet sich Willms auf verleumderische Weise gegen freundschaftliche Beziehungen zu Russland, gegen das Eintreten für ein multipolares Staatensystem, gegen Verteidigung des Völkerrechts, gegen anti-imperialistische Solidarität, gegen Einigkeit und Stärke der Friedensbewegung. Bleiben zwei Fragen: Ist das „antideutsche“ Gewese mit dem „Querfront“-Vorwurf nicht im Wesentlichen der Versuch, das Immunsystem linker Milieus gegen neokonservative Herrschaftsideologien zu schwächen? Und ist Willms nur ein „antideutscher“ Zauberlehrling oder aber ein verkappter Neocon, der es an die Spitze der VVN-BdA geschafft hat?
[1] Volker Weiß, Moderne Antimoderne, S. 426, Anm. 232
[2] Aufgaben der Aufklärung: „Die Richtigstellung der Begriffe“
[3] https://www.antifainfoblatt.de/artikel/der-begriff-querfront-eine-historische-betrachtung
[4] Georgi Dimitroff, Bericht auf dem VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale, Ausgewählte Schriften, Bd.2, Berlin 1958, S.523ff.
[5] Hans Heinz Holz, Aufhebung und Verwirklichung der Philosophie Bd. II, S. 11, Aurora Verlag, Berlin, 2011
[6] Olaf Kistenmacher: Heil Moskau!, 22.05.2014, http://jungle-world.com/artikel/2014/21/49896.html
[7] Die Rote Fahne, 24. August 1930, s. Ernst Thälmann, Reden und Aufsätze zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd.2, Berlin 1956, S.530ff
[8] Der „linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus, 1920, Lenin Werke, 4. Ausgabe, Bd. 31, S.52
[9] https://juergenelsaesser.wordpress.com/2014/07/02/verhindern-wir-dass-die-montagsdemos-von-links-kaputtgemacht-werden/
[10] http://www.vvn-bda.de/impressum/, Screenshot der Website vom 23.01.2016
[11] „Freidenker“ 4-2015, S. 26 ff
[12] http://www.pewglobal.org/2015/06/10/nato-publics-blame-russia-for-ukrainian-crisis-but-reluctant-to-provide-military-aid/
[13] http://www.zeit.de/politik/2014-12/aufruf-russland-dialog
[14] http://www.jungewelt.de/2014/04-07/020.php, „Freidenker“ 4-2014, S. 71 ff
[15] Adrian Woolridge, The rise of state capitalism, „Economist“ 21.01.2012, http://www.economist.com/node/21543160
[16] Project for the New American Century (PNAC), neokonservative Denkfabrik in Washington, Nachfolgeorganisation: Foreign Policy Initiative
[17] Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, Werke Bd. 22, S. 189-309, 1960, Berlin/DDR
[18] Artikel 1 der Resolution A/RES/3314 (XXIX) der Generalversammlung vom 14. Dezember 1974