Zensur-Versuch in der Hauptstadt: Die Geister beginnen, sich zu scheiden
Anlässlich der Auseinandersetzung um die Verleihung des Kölner Karlspreises für Engagierte Literatur und Publizistik an Ken Jebsen
Von Klaus von Raussendorff
Der Berliner Kultursenator Klaus Lederer hat es seiner Partei „Die Linke“ vorgemacht. Er pfeift auf das Grundgesetz, dessen Artikel 5 das Recht eines jeden garantiert, „seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten“. Der Gebieter über den Kulturetat der deutschen Hauptstadt, hat die Betreiber des einzigen städtischen Berliner Kinos „Babylon“ genötigt, den Mietvertrag für eine Preisverleihung an den Journalisten Ken Jebsen am 14. Dezember 2017 zu kündigen. Der dreiste Zensur-Versuch findet beim Führungspersonal der Partei „Die Linke“ kein ungeteiltes Echo.
Die Aufrechten
Da sind immerhin die, die Evelyn Hecht-Galinski die „Aufrechten“ genannt hat: Wolfgang Gehrcke und Christiane Reymann sowie Andreas Maurer. Sie rufen auf: „Bitte helft, Zensur zurückzuweisen – Empört Euch“ (1). Sie wollen auch an der Kundgebung „Demokratie und Meinungsfreiheit verteidigen“ teilnehmen, die am 14. Dezember um 16 Uhr auf dem Rosa-Luxemburg-Platz geplant ist. Das ist Anlass für die stellvertretende Parteivorsitzende Caren Lay, „im Parteivorstand einen Antrag auf Distanzierung von Ken Jebsen zu stellen.“ (Neues Deutschland vom 04.12.2017)
Nach dem Zensur-Skandal: Ein skandalöser Beschluss
So kommt nach dem Zensur-Skandal ein skandalöser Partei-Beschluss zustande (2), in dem es heißt: „Der Parteivorstand bekräftigt sinngemäß seinen Beschluss 2014/215 vom 25./26. Mai 2014: ‚DIE LINKE distanziert sich unmissverständlich von Aktivitäten von Rechtspopulisten, Nationalisten, Verschwörungstheoretikern und Antisemiten, die […] rechtspopulistische Welterklärungsmuster und ‚Querfront‘-Strategien salonfähig […] machen (wollen). […] DIE LINKE wird mit diesen Kräften ganz grundsätzlich nicht zusammenarbeiten.‘ Ferner beschließen die anwesenden Mitglieder des 42köpfigen Gremiums: „Der Parteivorstand erklärt sich solidarisch mit allen Linken, die Querfrontbestrebungen kritisieren und dafür angegriffen werden, darunter dem LINKEN Kultursenator Klaus Lederer und seinem Recht, sich kritisch zur sogenannten Preisverleihung an Ken Jebsen im Berliner Kino Babylon zu äußern.“ Damit orientiert der Beschluss die Partei weiterhin als erstrangiges Ziel auf das Vorgehen gegen vermeintliche „Rechtspopulisten“, „Nationalisten“, „Verschwörungstheoretiker“, „Antisemiten“ und „’Querfront‘-Strategen“.
Den massiven Zensur-Versuch Lederers billigend, stellt der Parteivorstand diesen irreführend als einfache Meinungsäußerung hin. Dem sollen 18 Vorstandsmitglieder zugestimmt haben, bei sieben Nein-Stimmen und fünf Enthaltungen. Wie viele der 42 Vorstandsmitglieder anwesend gewesen sind, ist nicht bekannt. Zu wissen, wer sich wie verhalten hat, wäre natürlich nützlich, damit Mitglieder und Sympathisierende wissen, mit wem man es an der Spitze der Partei „Die Linke“ zu tun hat. Die Mehrheit scheint eher knapp. Es scheint sich aber bestätigt zu haben, was Evelyn Hecht-Galinski in ihrem Beitrag in der NRhZ vom 26.11.2017 (3) diagnostiziert: „Klaus Lederer ist der Prototyp eines linken Spaltpilzes, der sich einreiht in die unrühmliche Rolle vieler Pseudo-Linker und philosemitischer Israel-Freunde, angefangen von Petra Pau über Katja Kipping bis zu Bodo Ramelow, um nur ein paar Namen hervorzuheben.“
Koschmieders „junge Welt“ von Anfang an mit von der Hetz-Partie
In der Ausgabe von „junge Welt“ vom 2. Dezember findet sich ein außergewöhnlicher Artikel unter der Überschrift „Verlogene Debatte: Intervention gegen rechtsaffine Demagogen. Eine Berliner Posse“ (4). Daß Dietmar Koschmieder, Leiter des Verlages, in dem die „junge Welt“ erscheint, nicht zu den Verteidigern der „Meinung der anderen“ gehört, ist sattsam bekannt. Bemerkenswert an dem Text ist allerdings, dass erstens dieser mit „Redaktion, Verlag und Genossenschaft“ unterzeichnet ist. Da fragt man sich denn doch: Fand sich schließlich keiner, der mit seinen Namen ein Schriftstück verantworten wollte, in dem Friedensaktivisten als „rechtsaffine Demagogen“ angepöbelt werden, und Zensur als „Posse“ verharmlost wird? Konnten sich die Helden der mutierten jungen Welt zu diesem Bubenstück nur in der kollektiven Anonymität aufraffen? Soll etwa Koschmieders politische Richtung für die Lohnabhängigen des Verlages nun auch schwarz auf weiß als verbindlich vorgegeben werden? „Unternehmensgrundsätze“ nennt man das bei Springer.
Erstaunliches Verhalten eines bekannten Imperialismus-Kritikers
Bemerkenswert ist zweitens, dass das Schriftstück zur Hälfte aus einem „online erschienenen Debattenbeitrag“ von „jW-Autor Knut Mellenthin“ besteht. Mellenthin findet „verlogen, scheinheilig und beschissen“, dass sich die NRhZ über Zensur beschwert. Daher die Überschrift „Verlogene Debatte“. Die NRhZ, so Mellenthin, unterhalte einen „Trump-Fanklub“. Da dürfe man sich nicht über Zensur beklagen. „Antiamerikanismus“ scheint vorerst aus dem Vokabular der Verleumder der NRhZ verschwunden. Angekreidet wird ihr nun ein Mangel an obligater Distanzierung vom Präsidenten der USA. „Und was die Partei ›Die Linke‹ angeht“, befindet Mellenthin: „Die aktuelle Debatte ist, gemessen an der Gestaltungs- und Darstellungsmacht des Ledererschen Typs in eurer Partei, nur ein Nebenschauplatz“ Das ist auch eine Art, den Aufrechten in der Partei in den Rücken zu fallen, für die es natürlich alles andere als nebensächlich ist, für Demokratie und Meinungsfreiheit zu kämpfen, wo diese wie im Falle Lederer und Seinesgleichen beschädigt wird. Wer wie Mellenthin argumentiert, springt den Zynikern in der linken Partei bei, was auch nicht damit zu verschleiern ist, dass er von „Ablehnung der Ledererschen Zensurmaßnahme“, vom „Möchtegerndiktator Lederer“ und von Leuten „ des Ledererschen Typs“ redet.
Erinnerungen werden wach
Es ist mehr als zwanzig Jahre her, aber bei einigen in peinlicher Erinnerung. Im Mai/Juni 1995 verfasste Mellenthin eine 22seitige „Studie“ zum Thema „Der jugoslawische Bürgerkrieg und die internationale Politik“, „die der Bereich Außen- und Friedenspolitik der PDS-Bundestagsgruppe in Auftrag gegeben hatte“. Es genügt, aus dem letzten Abschnitt zu der Frage „Einmischung oder Nichteinmischung?“ einige markante Sätze zu zitieren. Als ob ihm die nationale Verfassungssouveränität und das Aggressions- und Einmischungsverbot der UN-Charta unbekannt sind, schreibt Mellenthin damals: „Die inneren Verhältnisse einzelner Staaten sind, vom Standpunkt der internationalen Staatengemeinschaft aus betrachtet, bis heute ein nahezu rechtsfreier Raum (sic!): Es gibt dafür keine konkret ausgearbeiteten, international allgemein anerkannten Normen, beispielsweise zur Frage der Minderheitenrechte und des Rechts auf Lostrennung.“ Es „scheint, unvermeidlich, dass dort, wo keine rechtlichen Normen gelten, geschweige denn durchgesetzt werden (können), primär das ‚Recht des Stärkeren‘ gilt.“ „Im fünften Jahr des jugoslawischen Bürgerkriegs überhaupt noch von einer ‚politischen Lösung‘ oder gar von einer ‚Lösung mit friedlichen Mitteln zu sprechen, geht an der Wirklichkeit vorbei.“ „Die Position, man müsse erst sämtliche nicht-militärischen Mittel konsequent und gründlich ausprobieren, bevor an ein militärisches Eingreifen gedacht werden dürfte, ist einerseits politisch und moralisch völlig plausibel. Andererseits darf sie aber im Falle eines mehrjährigen Bürgerkrieges nicht als beliebiges Herumexperimentieren auf Kosten von Menschen verstanden und praktiziert werden.“ „Die verallgemeinernde Position, dass ein militärisches Eingreifen den Betroffenen auf gar keinen Fall helfen könne, sondern nur zusätzliche Opfer fordern würde, ist sachlich falsch. Das kann unter Umständen so sein, aber es gibt dafür keinen Automatismus.“
Heute denkt Mellenthin nach einer ganzen Serie westlicher Interventionskriege und ihrer schrecklichen Folgen vermutlich ganz anders als damals. Ihn an seine früheren „Ratschläge“ an die Linkspartei zu erinnern, soll ihn nur dazu bewegen, damit heute zurückhaltender zu sein und bei seinen auch von dem Verfasser dieser Zeilen geschätzten außenpolitischen und historischen Analysen zu bleiben.
Fußnoten
1 http://www.wolfgang-gehrcke.de/de/article/1939.bitte-helft-zensur-zurückzuweisen.html
2 https://www.die-linke.de/partei/parteistruktur/parteivorstand/2016-2018/beschluesse/detail/news/klare-kante-gegen-querfront/
3 http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24354
4 https://www.jungewelt.de/artikel/322881.verlogene-debatte.html
Siehe dazu auch
- Berlin, 14.12.2017: Kölner Karlspreis für Engagierte Literatur und Publizistik der Neuen Rheinischen Zeitung an Ken Jebsen
KenFM – ein „Organ der Demokratie“
NRhZ 634 vom 25.10.2017: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24255 - Mit den Versuchen, die Karlspreisverleihung an Ken Jebsen zu verhindern:
Eine starke Bewegung für Demokratie und Meinungsfreiheit ist entstanden
NRhZ 638 vom 22.11.2017: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24347 - Anlässlich der Attacken auf die Karlspreisverleihung an Ken Jebsen: Kundgebung am 14.12.2017 in Berlin
Demokratie und Meinungsfreiheit verteidigen
NRhZ 638 vom 29.11.2017: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24371
Dieser Beitrag ist zuerst erschienen im NRhZ Online-Flyer Nr. 640 vom 06.12.2017.
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