Aristoteles und der ‚intelligente Designer‘
Aus: „Freidenker“ Nr. 1-09 März 2009 68. Jahrgang – Thema, S. 11-14
Von Robert Steigerwald
Vor Jahren setzte der österreichische Kardinal Schönborn den Begriff vom ‚intelligenten Designer’ in die (deutschsprachige) Welt und löste damit ein Rauschen im Blätterwald aus. Manche schüttelten nur den Kopf. Als Thüringens Ministerpräsident Althaus gar meinte, ein Buch zu diesem Thema müsse in den Biologie-Unterricht eingeführt werden, gab es Protest. Eine ganze Schar von Wissenschaftlern machte sich daran, die zur Stützung der These vorgebrachten Argumente zu zerpflücken. So geschehen etwa in einer Wissenschaftsbeilage der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 4. Januar 2009.
Georg Rüschemeyer zeigte an einem Lieblings-Argument teleologischer „Beweisführung“, dass da ohne Wissen geredet wird – was ja keine theologische Besonderheit ist. Dieses Lieblingsargument besagt, die Konstruktion des menschlichen Auges sei so kompliziert und einmalig, dass so etwas nur unter der Voraussetzung eines Designers – die modern-modische Umschreibung Gottes – möglich sei. Rüschemeyer und andere zeigen, dass die Biologie dieses „Geheimnis“ entschleiert hat.
Ich möchte aber wetten, dass gar mancher Naturwissenschaftler, der sich gegen den laienhaften Eingriff in dieses Gebiet der Wissenschaft wehrt, sobald er sein Gebiet verlässt und sich jenem der Weltanschauung/Religion zuwendet, gar nicht merkt, dass er im letzten Grund auch an den ‚intelligenten Designer‘ glaubt. Ich habe das sogar einmal richtig erlebt, als man Manfred Eigen, Nobelpreisträger für Chemie fragte, ob denn nicht seine Entdeckung der Religion widerspräche, er meinte, das sei dann nicht so, wenn man voraussetze, dass diese Gesetze im Schöpfungsplan Gottes vorgesehen seien. Also: auf dem einen Gebiet Zerstörung religiöser Positionen, auf dem anderen Gebiet deren Anerkennung – und das durch ein und dieselbe Person.
Und das ist gar nicht so verwunderlich, denn ein recht großer Teil unter uns Normalbürgern glaubt – oft ohne es zu ahnen – an den ‚intelligenten Designer‘, und der Kardinal hat es nur in eine modische Redeweise gekleidet. Wie das zugeht, kann jeder an sich selbst prüfen. Wohl jeder stellt sich bisweilen die Frage, wie das mit der Welt so sei, woher sie komme und wohin sie gehe. Wer nicht so fragt, lebt ganz einfach dumm und stumpfsinnig vor sich hin. Aber bei dem Suchen nach der Antwort stößt man notgedrungen auf die Kausalität: Alles, was existiert, hat einen Grund oder eine Ursache, warum es existiert. Das ist eine Gemeinsamkeit bei religiösen und nichtreligiösen Menschen, denn ohne die Annahme des Ursache-Folge-Verhältnisses ist Denken nicht möglich.
Und das setzt sich fort: Diese Ursache hat selbst wieder eine, und so weiter und so fort. Nur, das kann nicht ohne Ende so weitergehen, denn das liefe darauf hinaus, dass es keinen Grund für das Entstehen von Ursachen, und von Ursache-Folge-Ketten gäbe.
Damit würde das Kausalverhältnis verschwinden, also die ganze Grundlage dieses Denkprozesses sich in Nichts auflösen. Übrigens meinen heute ziemlich viele Menschen, dass unsere Welt aus einem „Urknall“ hervorgegangen sei, also einem ersten Anfang. Auch da haben wir schon wieder einen logischen Fehler: Das, was geknallt haben soll, muss zuvor doch schon – egal in welcher Weise – da gewesen sein.
Es gibt noch eine andere, analoge Vorstellung: dass die Ursachen-Folge-Reihe sich irgendwie in einem Kreis zusammenschließe, also – so der Volksmund – die Katze sich am Ende in den eigenen Schwanz bisse.
Suche nach der „ersten Ursache“
Also: Es muss einen Anfang des Anfangs geben, ist das nicht einleuchtend? Und ob man diesen Anfang dann ‚Gott‘, oder mit Hegel ‚Idee‘, oder mit dem Kardinal ‚intelligenten Designer‘ nennt, das ist nur eine Frage der Terminologie. Und auf diesem Niveau des Denkens befinden sich ziemlich viele Menschen.
Wie verläuft der Gedankengang bei dem großen Aristoteles? Genau in der oben angedeuteten Weise. Er geht vom Ursache-Folge-Verhältnis aus. Alles, womit wir zu tun haben, ist bewegt. Es hat seine Bewegung durch eine Ursache, die selbst bewegt ist. Und das geht bis zu jenem Punkt, an dem der Schluss folgt: Dies kann nicht ursachelos in der Luft hängen, also muss es als Anfang einen unbewegten Erstbeweger geben (sonst wäre ja zu fragen, woher er seine Bewegung hat). Wie der unbewegte Erstbeweger anderes bewegt haben soll, ohne sich zu bewegen, bleibt dabei allerdings ein Rätsel. Oder: Alles hat einen Zweck, der wurde ihm von einer zwecksetzenden Ursache zuteil, auch das geht wieder zurück zum Anfang, der dann ein zweckloser erster Zweckgeber ist. Aristoteles entwickelte mehrere solcher „Beweise“ und Thomas setzte nur das Wort Gott an jene Stelle, wo Aristoteles den Erstbeweger hingestellt hatte, und die Gottesbeweise waren fertig. (Genaueres lese man nach in Huonder, Q., Die Gottesbeweise, Stuttgart/Berlin/Köln/ Mainz 1968; Robert Steigerwald, Abschied vom Materialismus?, GNN-Verlag, Schkeuditz 1999, S. 327 ff)
Solche Beweise haben alle den gleichen logischen Aufbau:
Eine erste Prämisse geht von der Bewegung (oder vom Zweck usw.) aus. Es folgt eine zweite Prämisse, in der aber das zu Beweisende bereits als Voraussetzung enthalten ist, z.B. in der These, es könne nicht bis ins Unendliche fortgeschritten werden: Damit wird also am Anfang das Ergebnis schon hinein genommen, was logisch nicht erlaubt ist. Zweitens wären logische Beweise noch keine Existenzbeweise. Aus der Tatsache, dass es logisch widerspruchsfrei möglich ist, verschiedene Geometrien zu konstruierten, folgt über die Realität der Geometrie gar nichts. Drittens macht Kant darauf aufmerksam, dass es in der Mathematik durchaus unendliche „Reihen“ gibt, also die scheinbar logische Begründung des notwendigen Anfangs einer Reihe logisch nicht einsehbar ist.
Gehen wir über zu Isaac Newton. Der konnte sich die Welt mit ihren Bewegungen und Gesetzen nicht vorstellen, ohne dass es einen göttlichen Ursprung gab, der dieser Welt die Bewegung erst durch eine Art ersten Anstoßes mitgeteilt hat – fast so wie einer, der das Uhrwerk einer Uhr aufzuziehen hat.
Der Philosoph Immanuel Kant hat diesen Gordischen Knoten aller „rationalen Gottesbeweise“ zerschlagen. Er hat mit der ihm eigenen Gründlichkeit alle Argumente geprüft. Ihm zufolge geraten wir bei den Versuchen, mittels der Vernunft Urteile über das Weltganze zu treffen, unvermeidlich in Widersprüche und darum müssten solche Versuche an den Möglichkeiten und Unmöglichkeiten unserer Vernunft scheitern. Damit waren für ihn die verschiedenen Arten von Gottesbeweisen „erledigt“. Was nun wiederum einen anderen großen Philosophen, Hegel mit Namen, dazu veranlasste, gerade im und aus dem Widersprüchlichen heraus die Welt und das Wissen über sie zu erklären.
Ich sprach einleitend davon, dass es für die teils ironische Ablehnung der Thesen des Kardinals Schönborn zwei Gründe gab und habe hier den einen untersucht, der diese erste Ableitung der Existenz Gottes durch den Kardinal widerlegt. Es ist immerhin zu beachten, dass hier – wenn auch aus heutiger Kenntnis – mit unzureichender Logik gearbeitet wurde und dass selbst solche Großen im Reich des Geistes wie Aristoteles und Newton, von weniger bedeutenden Personen ganz zu schweigen, diese erste „Begründung“ der Existenz Gottes akzeptierten. Ich denke, das sollte von vorschneller Häme über diese Konzeption abhalten. Und es sollte auch verständlich machen, weshalb so viele Menschen, die sich ansonsten gar nicht für religiös halten mögen, von solcher „Logik“ geleitet am Ende doch bei Gottesvorstellungen landen. Statt Häme und Spott ist es nötig, sich mit ordentlichen widerlegenden Argumenten zu wappnen.
Wer bestimmt Ziel und Zweck?
Damit ist aber die zweite Art solcher Behandlung des Gottesproblems durch religiöse Menschen noch nicht getroffen. Es handelt sich um die aus dem christlichen Fundamentalismus (vor allem der USA und dort bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts) hervorgehende Bewegung des sog. Kreationismus. Man kann eine enge Verwandtschaft des Kreationismus mit der These des Kardinals nachweisen. Denn auch der Kreationismus fußt letztlich auf der teleologischen „Argument-Kette“.
Wie auch bei Aristoteles heißt es: Die unendliche Vielzahl so unterschiedlicher Lebewesen und ihrer komplizierten Organe ist gar nicht denkbar ohne eine zwecksetzende erste Instanz, also Gott. Dass Variationen dieses Kreationismus, insbesondere solche, welche die Bibel wörtlich ernst nehmen und einen Weltschöpfungsprozess vor etwa 6 000 Jahren annehmen, leicht als Humbug zu erledigen sind, enthebt uns nicht der Notwendigkeit argumentativer Widerlegung. Denn schließlich denken all zu viele letztlich auf der gleichen Ebene wie der Kardinal.
Nun gehen wir aber einen Schritt weiter.
Die seriöseren Verfechter des Gottesglaubens gehen, wie auch wir Materialisten, davon aus, dass es eine Realität außerhalb des menschlichen Bewusstseins gibt. Darum nennen sie ihre Konzeption Realismus, auch kritischen Realismus. Dies in bewusster Abgrenzung vom Materialismus. Wichtig ist hier: Sie reden vom „menschlichen Bewusstsein“, als ob es auch anderes Bewusstsein gäbe. Sobald jedoch die Existenz eines außermenschlichen Bewusstseins, also eines objektiven Geistes, anerkannt wird, hat man Gott in die Debatte hereingeholt und die Debatte geht genau zu jenem Punkt zurück, den wir schon abgehandelt haben.
Wie ist mit diesem Problem umzugehen? Dazu mache ich einen großen Sprung und lande bei Lenin, mitten in seinem „Philosophischen Nachlass.“
„Die beiden grundlegenden (oder die beiden möglichen? Oder die beiden in der Geschichte zu beobachtenden?) Konzeptionen der Entwicklung (Evolution) sind: Entwicklung als Abnahme und Zunahme, als Wiederholung, und Entwicklung als Einheit der Gegensätze (Spaltung des Einheitlichen in einander ausschließende Gegensätze und das Wechselverhältnis zwischen ihnen).
Bei der ersten Konzeption der Bewegung bleibt die Selbstbewegung, ihre treibende Kraft, ihre Quelle, ihr Motiv im Dunkel (oder diese Quelle wird nach außen verlegt – Gott, Subjekt etc.). Bei der zweiten Konzeption richtet sich die Hauptaufmerksamkeit gerade auf die Erkenntnis der Quelle der ,Selbst‘-bewegung.
Die erste Konzeption ist tot, farblos, trocken. Die zweite lebendig. Nur die zweite liefert den Schlüssel zu der ,Selbstbewegung‘ alles Seienden; nur sie liefert den Schlüssel zu den ,Sprüngen‘, zum ,Abbrechen der Allmählichkeit‘, zum ,Umschlagen in das Gegenteil‘, zum Vergehen des Alten und Entstehen des Neuen.“ (W. I. Lenin, Werke, Band 38, S. 339)
Das ist doch Hegel! Ja, natürlich, das ist Hegel, Lenin hat das anlässlich seines Hegel-Studiums notiert, freilich Hegel ohne Idealismus! „Aufgehobener“ Hegel. Und dies ist dann der prinzipielle Punkt in der Auseinandersetzung zwischen materialistischem und idealistisch-religiösem Herangehen an die objektive Realität.
Indem ich zu zeigen versuchte, dass man die idealistisch-religiöse Herangehensweise zwar glauben, aber nicht wissenschaftlich begründen kann, ist auf diese Weise das Thema ‚intelligente Designer‘ in all seinen Varianten abgeschlossen!
Dr. Robert Steigerwald ist Philosoph, lebt in Eschborn und ist Mitglied des DFV Hessen
Bild: Die Erschaffung Adams – Ausschnitt aus dem Deckenfresko der Sixtinischen Kapelle von Michelangelo
Quelle: By Michelangelo, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=20200622