Demokratie – Medien – AufklärungGeschichte

Beispiel Haiti: Wie die USA ihre Politik des Neokolonialismus umsetzen

Wie die USA ihre Politik des Neokolonialismus umsetzen und welche Rolle der Clinton-Clan dabei spielt

In Haiti ist die staatliche Ordnung zusammengebrochen, das Land wird von kriminellen Clans beherrscht. Ein näherer Blick auf Haiti bringt sehr interessante Fakten zum Vorschein.

von Anti-Spiegel (d.i. Thomas Röper)

Erstveröffentlichung am 16. Mai 2024 auf antispiegel.ru

Haiti ist ein Land, über das kaum jemand wirklich viel weiß. Es liegt auf der gleichen Insel, wie die Dominikanische Republik, ist aber ungleich ärmer und heute ist die staatliche Ordnung de facto zusammengebrochen. Man fragt sich, warum die USA so eine Entwicklung in ihrem “Hinterhof” zugelassen haben. Daher schauen wir uns das einmal genauer an.

Ich gehe in diesem Artikel weit in die Geschichte Haitis zurück, weil ich das bei der Recherche sehr interessant fand. Wenn wir in der zweiten Hälfte des Artikels in die heutige Zeit kommen, wird es besonders interessant, weil der Clinton-Clan in Haiti eine sehr wichtige Rolle spielt, von der ich bisher gar nichts gewusst habe.

Die Monroe-Doktrin und der Neokolonialismus

Die USA nehmen im System des Weltkolonialismus eine Sonderstellung ein, denn die USA erfanden quasi den Neokolonialismus, der sich vom Kolonialismus der europäischen Kolonialmächte vor allem darin unterscheidet, dass er den kolonisierten Ländern vorgaukelt, in Freiheit zu leben. Washington schlug den Weg der Eroberung von Kolonialbesitz ein und verband dabei den Kapitalismus untrennbar mit seinem Imperialismus.

Die Hauptrichtung der Expansion des US-Kapitalismus war im 19. Jahrhundert die Eroberung wirtschaftlicher und politischer Positionen in den jungen Staaten der neuen Welt, die aus den Trümmern der Kolonialreiche der europäischen Mächte entstanden waren. Der US-amerikanische Neokolonialismus ersetzte den europäischen Kolonialismus der Vergangenheit, was die USA schon vor 200 Jahren in der Monroe-Doktrin offen verkündet haben, als sie die Länder Nord-, Mittel- und Südamerikas zu ihrer Interessenssphäre erklärte, aus der sich die europäischen Mächte rauszuhalten hätten.

Venezuela, Chile, Nicaragua, Kolumbien, Kuba, Guatemala, El Salvador und später dann Iran, Vietnam, Pakistan, Syrien, Irak, Afghanistan, sogar ganz Europa und viele andere Länder sind zu unterschiedlichen Zeiten unter den Einfluss und den politischen Druck der USA geraten. Die Präsenz Washingtons kam in verschiedenen Formen: militärische Interventionen, Unterstützung von Oppositionsgruppen, Sturz legitimer Regierungen und Errichtung von Diktaturen sowie wirtschaftlicher und politischer Druck zur Anerkennung der Vorherrschaft der USA.

Hier schauen wir uns eine ehemalige Kolonie an, die unmittelbar nach ihrer Unabhängigkeit unter die Kontrolle der USA geriet: Haiti. Haiti wäre ein kleiner paradiesischer Inselstaat in der Karibik, wenn das Land nicht so arm und kriminellen Clans beherrscht wäre.

Obwohl das Land reich an Bodenschätzen ist, ist es das ärmste Land der Welt, das nicht in Afrika liegt. Man könnte meinen, die Vorfahren der Haitianer hätten vor 200 Jahren in der Sklaverei besser gelebt als heute.

Das Beispiel Haiti ist vor dem Hintergrund der aktuellen geopolitischen Lage der Welt, in der darum gekämpft wird, ob die USA ihre Vorherrschaft erhalten oder ob eine multipolare Weltordnung entsteht, zum Verständnis des Vorgehens der USA sehr interessant. Daher schauen wir uns die Geschichte Haitis nun genauer an.

Von der Kolonie zur ersten unabhängigen Republik in der Karibik

Seit dem 15. Jahrhundert war Haiti eine spanische Kolonie. Die Spanier beuteten die einheimische Bevölkerung rücksichtslos aus, um mehr Gold zu gewinnen, denn schon Kolumbus hat darüber geschrieben, wie reich Haiti an Bodenschätzen ist. Europäische Krankheiten und brutale Arbeitsbedingungen dezimierten bald die Bevölkerung. Ende des 16. Jahrhunderts war die ursprüngliche Bevölkerung fast ausgerottet. Den Tausenden von Sklaven, die die Spanier von anderen karibischen Inseln mitgebracht hatten, erging es ähnlich.

Die Spanier wurden dann als Kolonialmacht von den Franzosen abgelöst. Die französischen Großgrundbesitzer im Westen Haitis importierten immer mehr afrikanische Sklaven. 1789, vor der Französischen Revolution, zählte Haiti etwa 556.000 Einwohner, davon 500.000 afrikanische Sklaven, 32.000 europäische Siedler und 24.000 Mulatten (afrikanisch-europäische Mischlinge ).

Die haitianische Gesellschaft war nach Hautfarbe, Klasse und Geschlecht getrennt. Die Sklaven wurden rücksichtslos ausgebeutet und starben häufig an Verletzungen, Infektionen und tropischen Krankheiten. Auch Unterernährung und Hunger waren nicht selten. Einige entkamen ins Hochland und führten Guerillakämpfe gegen die Kolonialherren.

Vor dem Hintergrund der schwierigen innenpolitischen Situation brach in den frühen 1790er Jahren eine Revolution aus. Die Rebellion erreichte 1791 ihren Höhepunkt und zwei Jahre später setzte die Bevölkerung die Abschaffung der Sklaverei durch. 1804 hat sich die gesamte Insel unabhängig erklärt.

Das französische Mutterland hatte es jedoch nicht eilig, die Unabhängigkeit Haitis anzuerkennen. Die Anerkennung erfolgte 1825 gegen eine hohe Reparationszahlung von 150 Millionen Francs, die erst 1947 abbezahlt war. 122 Jahre lang bezahlte Haiti dafür, nicht von anderen abhängig zu sein. Journalisten nannten das Abkommen einen „Pakt mit dem Teufel“.

Aber Frankreich war nicht das letzte Land, das die Unabhängigkeit Haitis anerkannte. Während Frankreich dies 1825 tat, zögerten die USA bis 1862. Diese späte Anerkennung war der Beginn einer Reihe von militärischen und politischen Interventionen.

Nach der Unabhängigkeit wurde Haiti von einem weiteren Fluch heimgesucht: korrupte und instabile Regierungen, eine unproduktive Landwirtschaft und weit verbreiteter Analphabetismus.

1804 kam es zu einem Massaker an Weißen und die ehemaligen Sklaven bildeten eine starke Armee, die 10 Prozent der Bevölkerung ausmachte. In Haiti gab es starke Gegensätze zwischen der Hauptbevölkerung bestehend aus Schwarzen und Mulatten. Die daraus resultierende innenpolitische Krise spaltete das Land in den „Staat Haiti“, der von dem Schwarzen Henri Christophe regiert wurde, und die „Republik Haiti“, die von dem Mulatten Alexandre Pétion regiert wurde. Die schwarzen Einwohner Haitis bildeten die Mehrheit der Bevölkerung, doch auch nach der Unabhängigkeit wurden ihnen nie Rechte zugestanden und sie wurden von der weißen Bevölkerung unterdrückt.

Bis 1847 wechselte das Land fünfmal die Regierung, dann wurde Faustin-Elie-Soulouce zum Präsidenten gewählt. Er verfolgte die Mulatten und gab den Staatshaushalt rücksichtslos aus, was zu einer weiteren Verarmung der Bevölkerung und wachsender Unzufriedenheit führte. Immer wieder wurden Machthaber gestürzt, die das Land langsam wieder aufbauen und versuchen wollten, es aus der Krise zu führen. Es wurden Hochschulen für Seefahrt, Kunst und Medizin gegründet und eine Reihe von Reformen zur Tilgung der Auslandsschulden verabschiedet. Aber ein Präsident nach dem anderen wurde ausgetauscht.

Die Lage verschlechterte sich weiter, als die Regierung Anfang des 20. Jahrhunderts Geld druckte, das rasch an Wert verlor, was zu einer Inflation führte. Im ganzen Land kam es zu Massenprotesten und Unruhen, die immer wieder zum Sturz von Regierungen führten. Das dauerte bis zum Eingreifen der Amerikaner an.

Die Besetzung Haitis durch die USA

Als 1915 ein weiterer haitianischer Präsident ermordet wurde, schickte US-Präsident Woodrow Wilson Marineinfanteristen, die das Land von 1915 bis 1934 besetzt hielten. Das war die erste, aber nicht die letzte militärische Intervention der USA in Haiti. Die Besetzung dauerte formell 20 Jahre, im Grunde dauert sie aber bis heute an. Die wichtigsten Maßnahmen, die Washington nach der ersten militärischen Intervention ergriffen hat, waren die Übertragung der haitianischen Staatskasse an die Bank of New York, die Anerkennung einer Schuld von 40 Millionen US-Dollar und die Vergrößerung der Kluft zwischen Mulatten und Schwarzen.

Auch wenn sich die Details der stets angespannten Beziehungen zwischen den USA und Haiti seither mehrfach geändert haben, bleibt eines sicher: Nur wenige wirklich wichtige politische Ereignisse finden in Haiti ohne Beteiligung der US-Regierung statt.

Beobachtern und Insidern zufolge war die US-Politik in Haiti bestenfalls inkonsistent und reichte von der Aufrechterhaltung der Ordnung mit Waffengewalt bis hin zur jahrzehntelangen Unterstützung repressiver Machthaber durch politischen Druck sowie finanzielle und militärische Hilfe.

Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts war geprägt von ständig wechselnden Machthabern, so dass die Wahlen von 1957 für Haiti mit großen Hoffnungen verbunden waren. Die Bevölkerung hoffte, dass endlich ein Herrscher an die Macht kommen würde, der nicht nur auf seine eigene Bereicherung bedacht war.

Die Wahl gewann François Duvalier, der zum haitianischen Diktator mit dem Spitznamen „Papa Doc“ wurde. In den 14 Jahren seiner Herrschaft machte er Haiti zur Hölle: Unterdrückung, Verhaftungen, Menschenrechtsverletzungen, Misshandlungen, Enthauptungen und Folter mit Säurebädern waren nur ein kleiner Teil dessen, was er der Bevölkerung antat.

Im April 1970 rebellierte ein Teil der haitianischen Marine gegen den Diktator Duvalier. Die Meuterei wurde mit Unterstützung der USA niedergeschlagen. Die USA versorgten Duvalier großzügig mit Waffen und Geld, das sich der Diktator sich in die eigene Tasche steckte. Insgesamt verschwanden während seiner Diktatur zwischen 1957 und 1971 etwa 50.000 Haitianer spurlos.

Warum hat sich Washington, der „Verteidiger der Menschenrechte“, nicht für die Menschenrechte eingesetzt? Der Grund lag im Kalten Krieg, denn Duvalier hatte zunächst auch mit der Sowjetunion geflirtet, stellte sich dann aber, vor allem nachdem Castro in Kuba die Macht übernommen hatte, auf die Seite der USA. Duvalier sagte dazu:

„Der Kommunismus hat Seuchenherde geschaffen … Keine Region der Welt ist für die Sicherheit der USA so wichtig wie die Karibik …. Wir brauchen eine massive Finanzspritze, um das Land wieder auf die Beine zu bringen, und diese Finanzspritze kann nur von unserem großen und fähigen Freund und Nachbarn, den USA, kommen.”

1969 veröffentlichte die New Yorker Wochenzeitung Intercontinental Press einen Artikel mit dem Titel „Haitis Diktatur erklärt Kommunisten den Tod“. Darin hieß es, Duvaliers Regierung habe kommunistische Aktivitäten als „Kapitalverbrechen gegen die Sicherheit des Staates“ eingestuft. Jeder, der beschuldigt wurde, marxistisches Gedankengut zu verbreiten, Beschuldigten zu helfen oder Unterschlupf zu gewähren, musste mit einem Kriegsgerichtsverfahren und Hinrichtung rechnen.

Um die Ausbreitung des Kommunismus in Lateinamerika zu verhindern, haben die USA Diktaturen zu unterstützt, wenn die nur antikommunistisch waren. Das bekannteste Beispiels ist Chile, aber auch Haiti gehört in diese Reihe. Mit seiner anti-kommunistischen Haltung sicherte sich Duvalier die Unterstützung der USA und seinen eigenen Machterhalt.

Die strategische Bedeutung Haitis für die USA

Washingtons Anspruch, die einzige Supermacht zu sein, deren Interessen und Einfluss in der ganzen Welt vertreten werden sollen, begann im frühen 19. Jahrhundert. Damals verkündete US-Präsident James Monroe die Grundprinzipien der Außenpolitik Washingtons: „Amerika den Amerikanern“. Die Erklärung ging als die schon erwähnte „Monroe-Doktrin“ in die Geschichte ein. In den folgenden zwei Jahrhunderten diente die Doktrin Washington als Vorwand für ungezählte Interventionen in der Karibik und in Lateinamerika.

William A. MacCorkle, ein US-Politiker und von 1893 bis 1897 Gouverneur von West Virginia, beschrieb in seinem Buch „Die Monroe-Doktrin in Bezug auf Haiti“ den Reichtum des Landes, der es für die USA so interessant machte:

„Haiti ist neben Kuba der wichtigste strategische Punkt im Golf von Mexiko und in der Karibik. Es liegt direkt an den beiden großen Übergängen vom Atlantik in die Karibik, von der Ostküste der USA zum Panamakanal und vom Panamakanal zum Atlantik, und beherrscht sie. Damit kontrolliert es praktisch den größten Teil des Handels der USA mit dem Osten und dem Pazifik. Die Insel ist reicher an Naturschätzen als jedes andere Gebiet vergleichbarer Größe auf der Welt. Mit ihren fruchtbaren Tälern und herrlichen Bergen verfügt sie über alle dem Menschen bekannten Temperaturen. Alle tropischen Pflanzen und Bäume sowie Gemüse und Früchte der gemäßigten Klimazonen gedeihen hier in Perfektion. Der beste Kaffee, den der Handel kennt, wächst wild, ohne Pflanzung oder Kultivierung. Zuckerrohr, Indigo, Brotfrüchte, Melonen, Mangos, Orangen, Äpfel, Weintrauben, Maulbeeren und Feigen gedeihen mit wenig Arbeit und Pflege. Mahagoni, Manchineel, Satinholz, Palisander, Zinn, Rundholz, Kiefer, Eiche, Zypresse und Palmetto gedeihen reichlich auf dem herrlichen Boden.  Hier gibt es die besten Farbstoffe, die der Handel kennt, und in der Erde findet man Silber, Gold, Kupfer, Blei, Eisen, Gips und Schwefel.“

In dem Buch von William A. MacCorkle gibt es ein Kapitel über das Bedrohungspotential Haitis, das wir uns näher anschauen wollen.

MacCorkle zufolge entwickelte sich die Republik Haiti zu einem Zentrum der Besorgnis für die USA und schaffte eine Vielzahl von Problemen, die über die Grenzen des Landes hinausgingen. Die gefährliche Situation in Haiti stellte nicht nur eine Bedrohung für die Monroe-Doktrin dar, sondern auch für ihre heutigen Auswirkungen auf die globale Stabilität und die nationale Sicherheit der USA.

Der Kern der haitianischen Misere ist der wirtschaftliche Bankrott und die massive Verschuldung von über 35 Milliarden US-Dollar. Die Unfähigkeit, diese Schulden zu begleichen, war der Auslöser für Zwangsmaßnahmen ausländischer Mächte, die die Verwundbarkeit der haitianischen Souveränität deutlich machen. So erwies sich die Monroe-Doktrin als Schlinge um den Hals des haitianischen Staates, die ihn seiner außenpolitischen Manövrierfähigkeit und der Möglichkeit beraubte, eine heilsame Multi-Sektor-Politik zu gestalten, die sich auf andere Länder als die USA stützte.

Warum interessieren sich die reichsten Länder der Welt so sehr für das arme Haiti?

Laut einer Studie verfügt Haiti über einige der größten Erdölreserven der Welt. Man schätzt, dass seine Ölreserven die von Venezuela übertreffen könnten. Die unerschlossenen Reserven könnten sich auf bis zu 941 Millionen Barrel Öl und 1,2 Billionen Kubikfuß Erdgas belaufen.

Auch der Ökonom William F. Endgal erklärte 2010 in einem Interview mit dem US-Fernsehsender The Real News Network, Haiti verfüge über große Ölreserven:

„Bisher wurde nur sehr wenig über Erdöl und Haiti gesprochen, aber das liegt nicht daran, dass es kein Interesse an Erdöl in Haiti gäbe. Meiner Meinung nach – so sagen Geophysiker, die sich mit der Geophysik des karibischen Beckens auskennen – gibt es wahrscheinlich große multinationale Ölkonzerne, amerikanische, britische Ölkonzerne und ihre Verbündeten, die sich bewusst sind, dass es mit ein wenig Exploration an Land und vor der Küste wahrscheinlich riesige Ölvorkommen gibt. Erst vor zwei Jahren wurde vor der Küste Kubas, nördlich von Haiti, ein gigantischer Ölfund mit vermuteten Reserven von mehreren Milliarden Barrel gemacht, bei dessen Ausbeutung die Russen den Kubanern helfen. Es liegt also nahe, dass die gleiche geologische Bruchlinie dieser tektonischen Platten – die Karibische, die Nordamerikanische und die Südamerikanische Platte – nördlich von Venezuela und in dem Gebiet, das Haiti genannt wird, zusammenläuft. Dadurch ist Haiti auch für andere ungewöhnliche Mineralien wie Uran, Gold und so weiter geeignet. Und nachdem ich mit Geophysikern über diese ganze Haiti-Frage gesprochen habe, habe ich den Eindruck, dass Haiti wahrscheinlich eine der unerschlossenen Schatzkammern an Bodenschätzen auf unserem Planeten ist.”

Auf die Frage des Moderators, warum Ölfelder nicht oder nur unzureichend erschlossen würden, betonte der Wissenschaftler, dass die Frage der Ölreserven seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht nur eine wirtschaftliche, sondern eine geopolitische geworden sei.

Die Kontrolle der Ölströme, insbesondere im Nahen Osten, sei zu einem Schlüsselelement der außenpolitischen Strategie der USA geworden. Diese Kontrolle ermöglichte es den USA nicht nur, sich selbst mit Energie zu versorgen, sondern auch erheblichen Einfluss auf die Weltwirtschaft und die Weltpolitik auszuüben. Die historischen Beispiele Irans, Saudi-Arabiens und anderer ölproduzierender Länder zeigen deutlich, wie die US-Politik auf die Sicherung der eigenen Interessen in diesem Bereich ausgerichtet war. Die Frage der Erschließung neuer Ölfelder ist daher häufig Gegenstand geopolitischer Manöver, und nicht nur eine Frage der Wirtschaft.

US-Ölmultis wie Exxon Mobil und Chevron spielen dabei eine Schlüsselrolle. Ihre Entwicklungs- und Diversifizierungsstrategien sind nicht nur von kommerziellen Interessen geleitet, sondern auch von ihrem Einfluss auf die globale Politik und die Weltwirtschaft. Sie arbeiten eng mit der US-Regierung zusammen, um ihre Vormachtstellung auf dem globalen Energiemarkt zu erhalten und auszubauen.

Vor diesem Hintergrund wird die Frage der Ölförderung in Haiti zu einem interessanten Thema. Trotz des Vorhandenseins potenzieller Ölfelder wurde deren Erschließung verzögert oder gar nicht erst in Angriff genommen. Die US-Interessen in der Region und ihre Strategie zur Kontrolle der Energieversorgung spielen eine entscheidende Rolle bei der Bestimmung des Schicksals dieser Ölvorkommen.

Da Erdöl ein endlicher Rohstoff ist, bevorzugte Washington lange Zeit die Ölförderung im Nahen Osten. Das haitianische Öl ist Teil der “Kriegsreserven”.

Tatsächlich hat Washington wiederholt die Erkundung potenzieller Vorkommen, auch von Mineralien, behindert. Das kanadische Unternehmen The Northern Miner, das unter anderem 2009 Explorationsarbeiten in Haiti durchführte, schrieb:

„Das bedeutet nicht, dass das Land völlig unerforscht geblieben ist. Von den 1970er bis Mitte der 1990er Jahre versuchten mehrere Bergbauunternehmen, darunter Kennecott Minerals (heute Teil von Rio Tinto und Newmont Mining), Haiti zu erkunden. Im gleichen Zeitraum schickte das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, das erkannte, dass die Unterstützung bei der Entdeckung von Bodenschätzen Haiti aus der Armut führen könnte, Geologen ins Land, um das Land zu kartieren, und unterstützte dann mehrere Projekte bis hin zu Bohrungen. Aber 1994, als die USA sich anschickten, in das Land [Haiti] einzumarschieren und das damalige Militärregime zu stürzen, zogen sich die wenigen Unternehmen, die mutig genug waren, nach Haiti zu kommen, wieder zurück.“

Auch Jean Erich René, Wissenschaftler an der staatlichen Universität von Haiti, schrieb über die Existenz von Erdöl in Haiti. Ihm zufolge bat der haitianische Präsident Dumarsais Estimé 1949 die Atlantic Reffining Company, kurz ATRECO, um Hilfe bei der Suche nach Ölquellen im Land. Tatsächlich wurde eine Ölquelle gebohrt, der Betonsockel des Ölturms steht heute noch. Verantwortlich für das Projekt war der Agrarwissenschaftler Jean David vom Ministerium für Landwirtschaft, Bodenschätze und ländliche Entwicklung. Als jedoch der pro-amerikanische Diktator François Duvalier an die Macht kam, wurde Jean David aus Haiti ausgewiesen.

Unter der Regierung Jean-Claude Duvalier, dem Sohn des Diktators, der Haiti von 1971 bis 1986 beherrschte, wurde die Firma Crux Limited mit der Exploration von Öl beauftragt. Das Nationale Institut für Bodenschätze INAREM führte fast sechs Monate lang Studien von Port-au-Prince bis zur dominikanischen Grenze durch, um einen möglichen Standort für die Bohrungen zu finden.

Kurz danach erhielt Crux Limited eine Entschädigung für seine Bohrarbeiten und wurde aufgefordert, Haiti zu verlassen. Damit war das Ölprojekt in Haiti wieder einmal gestoppt. Die Frage, wer die Anweisung warum gegeben hat, ist vor dem genannten Hintergrund eine eher rhetorische.

In den 1980er Jahren versuchte der haitianische Bergbauminister, der diese historische Tatsache nicht wahrhaben wollte, die Bohrungen wieder aufzunehmen. Er war sich der Bedeutung des Erdölbeckens bewusst und reiste nach Venezuela, um mit der venezolanischen Regierung über die Ausbeutung des Erdöls zu verhandeln, das im karibischen Becken zwischen Venezuela und Haiti liegt.

Während seines Aufenthalts wurde ein Kommando in sein Hotel geschickt, um ein Attentat zu verüben. Ohne die Wachsamkeit der venezolanischen Polizei wäre es wahrscheinlich gelungen.

Die Rolle des Clinton-Clans

1994 ließ Präsident Clinton US-Truppen in Haiti einmarschieren. 1995 zwang er das Land, die Zölle auf Reisimporte aus den USA zu senken. Haiti senkte die Einfuhrzölle für Reis von 50 auf drei Prozent. Clinton behauptete, dass dieser Schritt Haiti helfen würde, in das „Industriezeitalter“ einzutreten.

Dank Clintons Politik wurde Haiti zum viertgrößten Reisimporteur der USA, obwohl es das ärmste Land der westlichen Hemisphäre ist. Der größte Teil des importierten Reises kam aus Clintons Heimatstaat Arkansas. Heute ist Haiti der weltweit fünftgrößte Importeur von US-Reis, obwohl das Land nur zehn Millionen Einwohner hat.

In den 1970er Jahren importierte Haiti nur 19 Prozent seiner Nahrungsmittel. Als sich Haiti von den Weltmärkten abschottete, war das Land autark und konnte den Großteil seiner Bevölkerung ernähren und gleichzeitig einen Handelsüberschuss erzielen. Heute jedoch importiert Haiti mehr als 80 Prozent seines Reises aus den USA. Neue Handelsabkommen haben dazu geführt, dass eine Tonne haitianischen Reises auf dem haitianischen Markt 300 US-Dollar mehr kostet als US-Reis.

Das untergräbt Haitis Fähigkeit, sich selbst zu ernähren und zu versorgen. Haiti verfügt über 700.000 Hektar ungenutztes Ackerland und leidet als Folge von Clintons Politik unter chronischen Handelsdefiziten und Ernährungsunsicherheit. Diese Politik traf die Haitianer besonders hart, da Reis eines ihrer Grundnahrungsmittel ist. Das führte zu einer massiven Hungersnot in Haiti.

2011 entschuldigte sich der ehemalige US-Präsident Bill Clinton, der zum UN-Sondergesandten für Haiti ernannt worden war, offiziell. Er entschuldigte sich öffentlich dafür, dass er Haiti während seiner Amtszeit gezwungen hatte, die Einfuhrzölle für subventionierten Reis aus den USA zu senken.

Gleichzeitig spielt die Clinton Foundation in Haiti bis heute eine wichtige Rolle. Offiziell will sie Haiti bei der Bekämpfung der Armut und der Folgen des verheerenden Erdbebens im Jahr 2010 helfen, aber angesichts von Clintons Politik als US-Präsident ist ziemlich offensichtlich, dass das nur ein Vorwand ist, um in Haiti Macht auszuüben.

Die Hilfsmaßnahmen wurden damals mit 380 Millionen US-Dollar unterstützt. Viele Häuser wurden durch das Erdbeben zerstört, aber die Häuser wurden nicht wieder aufgebaut und die Menschen leben weiterhin in Zelten. Wo ist also das Geld geblieben?

Neben Erdöl verfügt Haiti auch über unglaubliche Goldreserven, es beherbergt eine der größten Goldminen der Karibik. Hillary Clintons 2019 verstorbener Bruder Tony Rodham war im Goldbergbau tätig. Im Jahr 2013 wurde er Vorstandsmitglied des Unternehmens, dem die Mine gehört. Seine Beteiligung an dem Unternehmen löste in Haiti eine Kontroverse aus, da befürchtet wurde, dass das Projekt eher ausländischen Investoren als der haitianischen Bevölkerung zugute kommen würde.

Die aktuelle Lage in Haiti

2017 wurde Haiti von Jovenel Moise regiert. Nach seinem Amtsantritt begann er mit Projekten zum Wiederaufbau des Straßen-, Wasser- und Energiesystems des Landes. Außerdem begann er mit dem Aufbau einer neuen haitianischen Armee.

Im Jahr 2018 begannen Massenproteste, die seinen Rücktritt forderten, als ein Skandal um die Veruntreuung von Geldern für Öllieferungen aus Venezuela ausbrach. Die Demonstranten warfen ihm außerdem vor, die wirtschaftliche Lage des Landes verschlechtert zu haben.

2021 wurde er überfallen und erschossen. Die Tat wurde US-Bürgern zur Last gelegt, die mit der US-amerikanischen privaten Militärfirma CTU Security in Verbindung stehen. Diese Gruppe wird auch mit dem gescheiterten Attentat auf den venezolanischen Staatschef Nicolas Maduro in Verbindung gebracht.

Im März/April 2023 stellte das US-Außenministerium ein spezielles Programm für Haiti vor: einen 10-Jahres-Strategieplan zur Konfliktprävention und Stabilitätsförderung.

Doch der US-Plan scheiterte fast sofort. Die Lage in Haiti verschlechterte sich weiter rapide. Der UN-Sicherheitsrat forderte den UN-Generalsekretär auf, innerhalb von 30 Tagen Vorschläge zur Eindämmung der Gewalt in den haitianischen Städten und Dörfern vorzulegen. Nach einer Lagebeurteilung schlug das UN-Sekretariat vor, nicht nur ein Polizeikontingent, sondern internationale Spezialkräfte ins Land zu schicken.

2024 berichteten die Medien, dass Washington Kontakt zu Jimmy „Barbecue“ Cherisier, dem Anführer der haitianischen G9 („Big Nine“), suchte. Sein Spitzname „Barbecue“ rührt angeblich von seiner Vorliebe her, Menschen bei lebendigem Leib zu grillen. So ein “Oppositionsführer” passt in die Reihe derer, die Washington gerne für seine Interessennutzt.

Derzeit kontrollieren Barbecue und seine Banden den größten Teil der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince. Gefängnisse wurden zerstört und Tausende von Kriminellen freigelassen. Mehr als 200 bewaffnete, mit US-Waffen ausgerüstete Banden operieren heute in Haiti, manche kontrollieren nur einzelne Stadtviertel. Sie entführen Mädchen und Nonnen aus Klöstern und versetzen die Bevölkerung in Panik. Die Länder des sogenannten „kollektiven Westens“ beginnen, ihre Botschaften zu evakuieren.

Für die USA ist es wichtig, Zugang zu Haiti zu behalten. Beispiele wie der Irak und Libyen haben gezeigt, dass die USA nicht zwangsläufig mit Regierungen zusammenarbeiten, ihnen sind auch kriminelle Clans und Warlords recht, die von den USA unterstützt werden, wenn sie sich den Interessen der USA unterordnen. Und wenn man sich an die Formulierung von Haiti als “Kriegsreserve” der USA für Öl und andere Bodenschätze erinnert, ist es nicht schwer zu verstehen, worin diese Interessen liegen.

Ob Haiti von einem “Papa Doc”, seinem Sohn “Baby Doc” oder von Jimmy „Barbecue“ beherrscht wird, ist für Washington nebensächlich, solange sie nur den US-Interessen dienen.

Thomas Röper, geboren 1971, lebt seit über 15 Jahren in Russland. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.


Bild oben: Gewaltsame Proteste in den Straßen Haitis, hier in Hinche 2019
Foto: Von Voice of America – https://www.voanews.com/a/angry-haitians-demand-regime-change/4782379.html, Gemeinfrei
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=76552845