Demokratie – Medien – Aufklärung

Die mediale Hysterie und was die Medien dabei verschweigen

Macrons Interviews zu China

Der französische Präsident Macron hat die EU nach seiner Chinareise in Interviews davor gewarnt, den USA blind zu folgen. Das hat zu einer geradezu hysterischen Reaktion der transatlantischen Medien geführt.

Der französische Präsident Macron hat auf dem Rückflug von der Chinareise, die er zusammen mit Ursula von der Leyen absolviert hat, die EU in Interviews davor gewarnt, den USA blind zu folgen und de facto eine eigene Chinapolitik der EU angemahnt. Die Forderung, eine eigene Politik zu machen, die auf eigenen Interessen basiert, anstatt auf den Interessen eines anderen Staates, sollte für souveräne Staaten eine Selbstverständlichkeit sein. Das ist aber nicht so, wenn man der Logik der transatlantischen Medien folgt.

Der Spiegel zum Beispiel zitierte Macrons Aussage wie folgt:

„Macron pocht beim Konflikt um Taiwan auf ein eigenes europäisches Tempo. »Unsere Priorität kann es nicht sein, uns der Agenda von anderen in allen Weltregionen anzupassen«, sagte Macron. Europa riskiere, »zu Vasallen zu werden, während wir der dritte Pol sein können, wenn wir ein paar Jahre Zeit haben, ihn aufzubauen«, sagte Macron.“

Die Aussagen von Macron sind für den Staatschef eines souveränen Landes vernünftig, zumindest dann, wenn er sich zunächst auf die Interessen des eigenen Landes konzentriert, anstatt auf die Interessen anderer Länder. Und in schönen Erklärungen fordern auch europäische Politiker immer wieder, die EU solle eine eigenständige Politik betreiben, wenn sie in der Weltpolitik noch eine Rolle spielen möchte. Trotzdem (oder gerade deshalb) hat Macrons Aussage zu geradezu hysterischen Reaktionen deutscher Politiker und vor allem der transatlantischen deutschen Medien geführt.

Offenbar ist es nicht gewollt, dass die EU eine eigenständige Politik macht und sich zuerst auf ihre eigenen Interessen konzentriert, anstatt den Interessen der USA zu dienen. Anders lässt sich die hysterische Reaktion auf Macrons vernünftige Aussagen nicht erklären.

Hinzu kommt, dass es eigentlich keine objektiven Interessenkonflikte zwischen den Staaten der EU und China gibt, wie ich hier aufgezeigt habe. Die EU und China haben objektiv gesehen sogar gemeinsame Interessen, weil der gegenseitige Handel beiden Seiten Wohlstand bringt. Es sind die USA, die ein Problem mit China haben, weil China den Weltmachtanspruch der USA, den Washington unter der Bezeichnung „worldwide dominance“ offen verkündet, stört.

Die politische Führung der EU und der meisten EU-Staaten hat sich der US-Politik in Sachen China untergeordnet, und zwar zum eigenen Schaden. Als Trump seine Anti-China-Politik begann, war die Kritik aus der EU noch laut und deutlich, es war von „Protektionismus“ die Rede, der dem Handel schade. Nachdem die Biden-Regierung Trumps Anti-China-Politik fortsetzt, hat sich die Rhetorik in der EU geändert und die EU ist auf die US-Linie eingeschwenkt, obwohl objektiv gesehen – außer dem Regierungswechsel in den USA – nichts passiert ist, China also nichts getan hat, was diesen politischen Kurswechsel der EU begründen würde.

Wer die chinesische Neutralität im Ukraine-Konflikt als Grund für die Anti-China-Politik der EU anführt, liegt übrigens falsch, denn zuerst kam nach Bidens Amtsantritt der Kurswechsel der China-Politik der EU, und erst ein Jahr später eskalierte der seit 2014 andauernde Ukraine-Krieg.

Die mediale Hysterie

Wie üblich nehme ich den Spiegel als Beispiel für die mediale Berichterstattung in Deutschland. Der Spiegel hat nach Macrons Äußerungen über China und seine Warnung, die EU solle den USA nicht blind folgen, unzählige Artikel zu dem Thema veröffentlicht. Der oben zitierte Spiegel-Artikel über Macrons Aussagen trug zum Beispiel die Überschrift „»Von allen guten Geistern verlassen« – Deutsche Politiker üben scharfe Kritik an Macrons China-Aussagen“. Die Überschrift lautete ursprünglich ganz sachlich „China-Politik – Scharfe Kritik an Macron nach Distanzierung von USA“, wurde von der Spiegel-Redaktion dann aber verschärft und emotionaler formuliert.

Innerhalb von 24 Stunden folgten Spiegel-Artikel mit Überschriften wie „Französischer Präsident in Peking – Wer Taiwan so abtut, ist naiv oder ein Populist. Oder beides“ oder „Frankreichs Präsident Macron – Provokation oder diplomatischer Ausrutscher?„, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Schon die Formulierungen der Überschriften zeigen, dass es dem Spiegel nicht um Berichterstattung geht, sondern um Meinungsmache. Der Spiegel-Leser soll verstehen, dass Macron nicht nur falsch liegt, sondern „naiv“ und ein „Populist“ ist, der eine „Provokation“ veranstaltet hat. Eine Analyse der Gründe für Macrons Aussage findet sich im Spiegel hingegen nicht.

Weitere Spiegel-Artikel, die parallel zu den schon genannten veröffentlicht wurden, tragen Überschriften wie „Heikler Peking-Besuch – Baerbock muss die Scherben zusammenkehren„, darauf komme ich noch, oder „Chinesische Drohgebärden – Deshalb ist Taiwan so wichtig für die Weltwirtschaft“ oder „Reaktion auf umstrittene Macron-Äußerungen – Taiwan bittet Frankreich um Unterstützung„. Da die Taiwan-Frage immer wieder thematisiert wird, schauen wir uns kurz an, worum es dabei geht.

Die Taiwan-Frage sachlich betrachtet

Die Streitfrage, auf die deutsche Politiker in den genannten Artikeln eingehen, ist Taiwan, das China angeblich Taiwan überfallen will. Da lohnt sich ein Blick auf die offizielle völkerrechtliche Linie der EU und ihrer Mitgliedsstaaten.

Völkerrechtlich erkennt die EU (und übrigens auch die USA) Taiwan nicht als eigenständigen Staat an, sondern sie betrachten Taiwan als Teil Chinas. Das ist die sogenannte „Ein-China-Politik“, auf die China besteht und die von der EU und den USA offiziell anerkannt wird. China sieht Taiwan als Teil seines Landes an und weder die EU noch die USA haben dem je offiziell widersprochen oder gar diplomatische Beziehungen zu Taiwan aufgenommen.

Wenn die EU und die USA Taiwan offiziell als Teil Chinas ansehen (was sie tun, solange sie keine diplomatischen Beziehungen zu Taiwan aufnehmen), ist die Taiwan-Frage eine innerchinesische Angelegenheit, in die sich andere Staaten laut UN-Charta nicht einmischen dürfen, weil die UN-Charta die äußere Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten eindeutig verbietet.

Man muss sich also zwangsläufig fragen, wo eigentlich das Problem ist. Die EU und die USA sollten sich in der Taiwan-Frage entweder an das völkerrechtliche Verbot der Einmischung in innere Angelegenheiten anderer Staaten halten und zur Taiwan-Frage schweigen, oder konsequent sein und Taiwan offiziell anerkennen. Das jedoch tun sie nicht, weil sie die chinesische Reaktion fürchten. China dürfte in dem Fall nämlich, so hält China es generell, die diplomatischen Beziehungen zur EU und zu den USA abbrechen, inklusive aller damit verbundenen Folgen für den internationalen Handel.

Baerbock soll es richten?

Es ist schon kurios, dass der Spiegel in einem der oben genannten Artikel allen Ernstes darauf setzt, ausgerechnet Baerbock könne „die Scherben zusammenkehren“. Baerbock nimmt international niemand mehr ernst, auch wenn deutsche „Qualitätsmedien“ das konsequent verschweigen. Das liegt nicht an ihrer Radikalität, sondern an ihrer Dummheit, die international Schlagzeilen macht, von deutschen Medien aber verschwiegen wird.

In China hat man beobachtet, wie Baerbock sich in Indien blamiert hat und vom indischen Außenminister vor laufenden Kameras eine – diplomatisch korrekt formulierte – Abfuhr erhalten hat. Man hat in China auch mitbekommen, dass Baerbock in ihrer offiziellen Position als Außenministerin davon gesprochen hat, man führe einen Krieg gegen Russland, was Kraft ihres Amtes faktisch eine Kriegserklärung an Russland war. Dessen ist diese Dame sich nicht einmal bewusst, womit sie ihre Unfähigkeit, das Amt der Außenministerin zu bekleiden, öffentlich zur Schau gestellt hat. Die verzweifeltem Versuche des Außenministeriums, ihre Aussage irgendwie zu entschärfen, habe es nur schlimmer gemacht.

Dass Baerbock auf dem G20-Gipfel der Außenminister dann auch noch zu einem Rundumschlag ausgeholt hat, der den Ländern des globalen Südens sehr sauer aufgestoßen ist, kommt noch hinzu. Damit hat sie diese Länder, die auf dem G20-Gipfel akute wirtschaftliche Probleme lösen wollten, gegen sich aufgebracht und ein weiteres Mal bestätigt, dass sie fachlich nicht in der Lage ist, ihrem Amt gerecht zu werden.

Auch Baerbocks „360-Gradwende“ ist international bekannt und hat weltweit (außer in den westlichen Medien) zu ausgesprochen ironischen Reaktionen geführt, die inzwischen zu Memes geworden sind und sich immer weiter ausbreiten. Politische Kommentatoren außerhalb der westlichen Medienblase empfehlen seitdem bei allen Gelegenheiten, man möge sich „um 360 Grad wenden“, vielleicht würde das bei der Lösung dieses oder jenes Problems helfen.

Den letzten „Bock“, über den die internationale Presse gerade lacht, hat Baerbock erst kürzlich geschossen, als sie Kenia zum energiepolitischen Vorbild für Deutschland erklärt hat, weil Kenia fast klimaneutral ist (in diesem Video ab Minute 18.00 zu sehen). Dass das für Kenia, das fast keine Industrie hat und in dem der Durchschnittslohn unter 200 Dollar pro Monat liegt, kein Problem ist, hat ihr anscheinend niemand erklärt. Jedenfalls lästern internationale Kommentatoren seitdem, dass Baerbock nicht Kenia zum neuen Deutschland, sondern Deutschland zu einem neuen Kenia machen möchte.

Baerbock wird international nicht ernst genommen, im Gegenteil. Aber der Spiegel meint allen Ernstes, diese Dame solle irgendwelche „Scherben zusammenkehren“.

Aber es gibt Entwarnung. Der Spiegel meint nicht, dass sie die Wogen der Verstimmung zwischen der EU (inklusive Deutschland) und China glätten solle, er meint das Gegenteil. Barbock soll stattdessen laut Spiegel:

„… nicht nur ein Zeichen deutscher Entschlossenheit senden. Sie muss auch den von Macron arg beschädigten Eindruck europäischer und transatlantischer Geschlossenheit wiederherstellen, zumindest ansatzweise. Vom Bemühen um Schadensbegrenzung ist im Auswärtigen Amt die Rede.“

Baerbock soll China also zeigen, wo der Hammer hängt und dass die EU trotz Macrons Äußerungen voll auf der Linie der USA ist. Ob ihr das gelingt, wird man sehen, denn es gibt daran durchaus Zweifel, wie wir noch sehen werden.

Aber wir dürfen schon gespannt sein, ob es Baerbock in Peking gelingt, ihren blamablen Auftritt in Indien noch zu toppen.

Die „Logik“ der Transatlantiker

Der Spiegel zitiert in seinem Artikeln ausführlich Norbert Röttgen, einen der radikalsten Transatlantiker (also Vertreter der US-Politik), die Deutschland zu bieten hat. So schreibt der Spiegel zum Beispiel:

„»Während es Amerika ist und nicht Frankreich oder Deutschland, das die Ukraine maßgeblich unterstützt und damit Europa verteidigt, fordert Macron eine Abkehr von Amerika. Während China gerade den Angriff auf Taiwan übt, verlangt Macron eine Annäherung an China«, wird Röttgen zitiert.“

Was der Spiegel verschweigt, ist, dass es den Ukraine-Krieg ohne die Einmischung der USA gar nicht gegeben hätte. Ohne den von den USA orchestrierten Maidan-Putsch und den vom CIA-Chef persönlich angeordneten Angriff auf den Donbass 2014 hätte es den Krieg (und damit Russland Eingreifen vor einem Jahr) nie gegeben. Sollte das für Sie nach „russischer Propaganda“ klingen, empfehle ich Ihnen mein Buch über die Ukraine-Krise 2014, in der ich im Detail und mit allen Quellen aufzeige, wie der Maidan organisiert wurde, wer ihn finanziert und gelenkt hat, warum das per Definition ein Putsch war, und dass der damalige CIA-Chef extra persönlich inkognito nach Kiew gereist ist und im Raum war, als der ukrainische Sicherheitsrat im April 2014 beschlossen hat, Panzer gegen die unbewaffneten Anti-Maidan-Demonstranten im Donbass zu schicken.

Es ist das geopolitische Ziel der USA, Russland zu schwächen. Und der Schlüssel dazu ist laut allen Geostrategen aus Washington, die Ukraine gegen Russland zu positionieren. Genau das haben die USA getan. Hätten die USA das nicht getan, gäbe es keinen Krieg in dem Land und es gäbe auch keinen Grund für die ruinöse Unterstützung der Ukraine durch die EU-Staaten.

Wenn Röttgen den USA dankbar für ihre Unterstützung der Ukraine ist, dann dankt er den USA de facto dafür, dass sie der EU bei der „Lösung“ eines Problems helfen, das sie selbst geschaffen haben. Dass diese „Lösung“ in einer Verlängerung des Krieges durch Waffenlieferungen besteht, anstatt in Bemühungen um einen Waffenstillstand und eine diplomatische Lösung, kommt noch hinzu.

Bevor Transatlantiker wie Röttgen über Taiwan fabulieren, sollten sie – wie gesehen – Taiwan zunächst (mit allen daraus resultierenden Folgen) als unabhängigen Staat anerkennen. Dazu sind sie aber – aus gutem Grund – nicht bereit, weshalb man solche Aussagen zu Taiwan nicht ernst nehmen kann. Sie sind Teil der Stimmungsmache gegen China, aber keine ernstgemeinten politischen Aussagen. Sollte Röttgen seine Aussagen wider Erwarten selbst ernst nehmen, würde er sich intellektuell auf eine Stufe mit Baerbock stellen.

Was deutsche Medien bei all dem verschweigen

Die deutschen „Qualitätsmedien“ vermitteln den Eindruck, dass in der EU alle ganz entsetzt über Macrons Aussagen zu China sind. Das jedoch ist offensichtlich nicht wahr, denn Charles Michel, der Präsident des Europäischen Rates, hat sich zu Macrons Aussagen geäußert und gesagt:

„In der Frage der Beziehungen zu den Vereinigten Staaten ist es klar, dass es am Tisch des Europäischen Rates Nuancen und Empfindlichkeiten geben kann. Einige europäische Staats- und Regierungschefs würden sich nicht so äußern, wie Emmanuel Macron es getan hat … Ich glaube, einige denken wirklich wie Emmanuel Macron“

Offenbar hat Macron nur ausgesprochen, was „einige europäische Staats- und Regierungschefs“ in Brüssel hinter vorgehaltener Hand sagen. Darüber erfährt der Spiegel-Leser allerdings kein Wort, denn das würde das gewollte Bild der angeblichen Einheit in der EU stören…

Thomas Röper, geboren 1971, lebt seit über 15 Jahren in Russland. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrages.


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