Demokratie – Medien – Aufklärung

Der rassistische Trinitätskomplex

Antirassistisch? Kommt drauf an.

Der rassistische Trinitätskomplex

Von Klaus Linder

Wie kommt es eigentlich, dass von der offiziellen Propaganda und auf sämtlichen Streckenabschnitten der Gleichschaltung Ken Jebsen, Xavier Naidoo und Attila Hildmann durchweg nur in einem Atemzug genannt werden dürfen, als seien sie die Unheilige Dreifaltigkeit höchstselbst, die den deutschen Lichtstaat heimsucht? Wogegen ein ebenfalls medial operierender, bestens „vernetzter“ und finanzierter Influencer wie Rezo immer nur als Einzelperson genannt wird?

Meine These zur Jebsen-Naidoo-Hildmann-Dreifaltigkeit: Man statuiert an ihnen, inmitten einer vermeintlichen Anti-Rassismuskampagne, das Exempel des integrierten, aber „undankbaren“ Migrantenkindes als „Nestbeschmutzer“. Das eigentliche Angriffsobjekt der Operation, aufgrund seiner Bedeutung, ist Ken Jebsen, über den der „Diskurs“ inzwischen offen rassistische Züge angenommen hat.

Was – wenn man wie ich weder mit Hildmann noch mit Naidoo bisher etwas anfangen konnte – fällt als Gemeinsamkeit in dieser Trinität auf? Der – andernorts so positiv herausgestellte – „Migrationshintergrund“, die irgendwie „undeutliche Herkunft“.

Es sind drei Migrantenkinder mit besonderem Hintergrund – drei Verkörperungen der erwünschten in aller Öffentlichkeit vorgelebten Erfolgsstory. Und zwar so, dass sie von dem Medienbetrieb zuerst aufgebaut wurden, der sie dann fallenließ und abbaute.

Jebsen leistete schon als Radio-Fritz-Moderator manches Bedeutende – z.B. indem er einen ganzen Sonntag lang über Uranmunition informierte. Der Rausschmiss kam einigermaßen voraussehbar. Es war eher ein Glücksfall für den  Rausgeschmissenen und sein Publikum: Erst dadurch konnte er zum medialen Self-Made-Man wachsen und durch seinen Kanal zur Erfüllung eben der Funktion beitragen, die die öffentlich-rechtlichen GEZ-Medien beanspruchen, aber in ihrem Brei nicht mehr zulassen: der der Vierten Gewalt.

Naidoo: ebenfalls zunächst ein Erfolgsprodukt dieses Medienbetriebs, bis hin zur Institution „Deutschland sucht den Superstar“. Erfolgsprodukt irgendwie mit „Migrationshintergrund“.

Hildmann: Adoptivkind „mit türkischen Wurzeln“, der bis zu seiner gut gehenden medialen Präsentation als „Vegankoch“ aufgebaut wurde, was vollständig den Vorgaben des kapitalistischen Zeitgeistes entsprach.

Als Mitgliedern der Unheiligen Dreifaltigkeit muss der öffentlichen Nennung ihres Namens nun das Adjektiv „ehemalig“ vorangestellt werden – das kommt in etwa der Aberkennung der Integrationsbeglaubigung eines Migrantenkindes am nächsten. Dass Jebsen jetzt der „ehemalige“ RBB-Moderator ist, Naidoo der „ehemalige“ „Sohn Mannheims“, ehemaliges „DSDS-Jurymitglied“ usw. geht noch unauffällig durch. Aber wieso ist Hildmann neuerdings der „ehemalige Vegankoch“? Ich persönlich halte zwar vegane Köch-Sternchen-innen für eine der überflüssigsten Spielereien des Neoliberalismus, und in einer verheerenden Weltwirtschaftskrise für den falschen Ansatz, um Nahrungs-Preistreiberei und Hunger zu bekämpfen. Aber es ist nicht einzusehen, wieso Hildmann durch das, was er von sich gibt, plötzlich seine berufliche Qualifikation eingebüßt haben sollte.

Es handelt sich um Migrantenkinder, die das volle Programm einer bundesrepublikanischen Sozialisierung abbekommen haben. Voll integriert, inklusive „Wir sind ein Volk“.

Nun ist der Grundgesetzfetischismus, mit dem einige Wochen lang geglaubt wurde, eine Demokratiebewegung aufbauen zu können, nicht nur hilflos, sondern ließ auch von Anfang an befürchten, dass er, sobald „gelockert“ wird, mit der herrschenden Ideologie und schließlich der reaktionären „Totalitarismustheorie“ einer Hannah Ahrendt verschmelzen würde. Dafür gibt es inzwischen genug Beispiele. Das ist umso gefährlicher, als die aktuelle Neubelebung dieser „Totalitarismustheorie“ den Zweck hat, das deutsche Hinterland auf die Aggression gegen China einzustimmen.

Außerdem: Gewiss darf man auch, wie ich, die Meinung vertreten, dass Ken Jebsen in Videos der letzten Monate bestimmte Dinge schnellsprach, die so unhaltbar sind, dass man nicht mit bloßem „Schwamm-drüber“ reagieren sollte. Dazu unten mehr.

Aber, beides zugestanden: So politisch verkehrt war es eben denn doch nicht, dass gerade Jebsen das Grundgesetz der BRD anführte, um darauf zu verweisen, welche Möglichkeiten – wie er meint, durch dessen ersten Artikel – ihm dadurch als immigriertem Iraner eröffnet worden seien. Womit er allerdings der Inquisition nur noch einen Anklagepunkt mehr liefert.

Ich sagte: Die drei haben die volle Ladung einer BRD-Sozialisierung in sich aufgesogen, auch mit allen beklagenswerten Scheuklappen und Bornierungen in Kernfragen. Das heißt: Sie haben gar nicht realisiert, dass sie Bürger eines zutiefst gespaltenen Deutschland sind, in dem der eine Teil des Landes den anderen seit 30 Jahren massiv diskriminiert. Sie haben auch nicht realisiert, dass erst vor dem Hintergrund dieser innerdeutschen Diskriminierung die medial untermauerten Erfolgsstories als Integrations-Paradigma gesponnen werden können.  Selbst die Berufung auf das Grundgesetz der BRD wird aus dieser Perspektive zu einer Kronzeugenschaft, dass wenigstens der Hauch einer Illusion von Gleichstellung und Emanzipation aus Armut möglich gewesen sei, ein Reflex des American Dream in Westdeutschland.

Sicher, bei Ignoranz der Bedingungen dieses nationalen Dokuments, bei Ignorierung der deutschen Spaltung, ist jedes Lob des Grundgesetzes gefundenes Fressen für die Herrschenden, einmal mehr die Niedermachung der DDR und ihrer Verfassung zum glücklich erreichten Endzustand der deutschen Nation zu verklären – ob durch den „Mainstream“ oder durch „Alternative Medien“ spielt dabei keine Rolle. Das Regime bevorzugt den Zangenangriff. Und so geschieht es ja auch. Aber das schreibe ich, als „nichtmigrantischer (West-)Deutscher“. In ihrem Fall wird es nicht verziehen, dass sie diesem Staat, der ihnen doch – in Form abstrakter Gleichstellung – angeblich „alles gab“, ausgerechnet das längst durchlöcherte Grundgesetz vor die Nase halten. Man wird es gerade ihnen nicht verzeihen: Der Status des guten, integrierten Migrationshintergründlers ist widerrufbar und durch den des „doppelten Nestbeschmutzers“ zu ersetzen. Und das wird dann tatsächlich rassistisch.  So wartete der SPIEGEL am 17. Juni (welch symbolisches Datum…) mit einem Artikel auf: „Wie aus Kayvan Soufi-Siavash der Verschwörungsideologe Ken Jebsen wurde“. Ich gebe die darin bemühten Stereotype hier nicht wieder – Dagmar Henn bemerkte dazu auf facebook zu Recht: „So geht Rassismus“. Damit auch kein Zweifel bleibt, wie hier einer für vogelfrei erklärt wird, kommt zur „entlarvend“-rassistischen Namenskunde hinzu: „Auffällig sind seine Verbindungen nach Russland“ (ebd.). Der sich unter unverfänglichem Pseudonym „maskierende“ Iraner, der „eigentlich“, „mit wirklichem Namen“ soundso heißt, produziere „wirre Thesen“ als Verschwörungsideologe und hat dabei Verbindungen „zum Russen“. Mehr geht nicht an Ehrenrührigkeit.

Ich muss es nicht für Naidoo und Hildmann durchführen. Entscheidend ist, dass man genau diese drei von propagandistisch-inquisitorischer Seite aus grundsätzlich in einem Atemzug nennt. Von der Sache her gerechtfertigt ist das nicht. Mag auch jeder von ihnen nach herrschender Regelung in die Schlüpfrigkeiten irgendeiner Variante von „Coronaleugnung“ getappt sein: Genau das war doch vor 5 Monaten auch die Meinung von Spahn oder Drosten, ist also kein stabiles Kriterium für solche Gruppenbildung. Ein anderes Kriterium halte ich für plausibler: Es geht nicht vorrangig gegen Naidoo oder gar Hildmann, sondern gegen Jebsen. Es verbietet sich schon als Beleidigung der Intelligenz, Hildmann, der wie aus der Retorte eines Dienstes für’s Sommerloch fabrizierte Statements abliefert, in feste Verknüpfung mit dem Informationsprofi Jebsen zu stellen. Das macht nur Sinn, wenn man mit Hilfe des ersteren den letzteren diskreditieren will, und vor allem: wenn man, inmitten einer scheinbaren Antirassismus-“Bewegung“ der „Zivilgesellschaft“, den Rassismus auf subtile und perfide Weise, an den gewünschten Objekten, erst recht salonfähig machen will. Wobei man sich immer bei den beiden anderen schadlos halten kann, wenn man bei einem nicht fündig wird – dafür sorgt der „Trinitätskomplex“.

Werfen wir nun einen Blick auf das, was das Relotiusblatt als „wirre Thesen“ Jebsens quaifiziert. Ich nehme ausdrücklich zwei Passagen, die Elemente enthalten, die ich selber oben als „unhaltbar“ bezeichne. Möge niemand sagen, wir würden die problematische Seite zu Verteidigungszwecken unter den Teppich kehren.

Zuerst einige „Sätze“ aus Jebsens „Gates kapert Deutschland“-Video (https://www.youtube.com/watch?v=MmNxsu7HPC8), die transkribiert etwa so aussehen:

„Ob ihre Kinder, wenn sie meinetwegen auf Mallorca im Moment Zeit verbringen können, besucht werden können, ob ihre Kinder in die Schule gehen können, ob Sie Ihren Beruf ausüben können, ob Sie sich einem anderen Menschen im öffentlichen Raum näher als 1,50 nähern können, ob sie eine Maske tragen, Ja oder Nein, ob dieses Land weiter im Lockdown ist, Ja oder Nein, ob Sie in den Urlaub fliegen können, Ja oder Nein, ob Sie Urlaub machen können auch mit dem Auto in Österreich, Ja oder Nein, das bestimmen nicht Sie, die diese Regierung gewählt haben, das bestimmen nicht Sie, nein das bestimmt aktuell Bill und Melinda Gates, die sogenannte Gates-Foundation. Diese beiden Menschen haben sich über die WHO in die Weltdemokratien hineingehackt und bestimmen aktuell das, was man Normalität nennt. Dass die neue Normalität, die sie im Moment spüren, dass sie mit einer Gesichtsmaske herumlaufen müssen, dass man sich nicht dafür interessiert, was sie davon halten, dass sie mit einer Notstandsregierung leben müssen, das ist alles das Ergebnis von Bill und Melinda Gates.“

Was könnte uns zu diesem Schwall einfallen? Zunächst mal die Redewendung: „Knapp verfehlt ist auch daneben“. Und zwar, wenn man alles zusammennimmt, gewaltig daneben. Als zweites: im ideologischen Klassenkampf wäre es hilfreich für Mikrophon-Virtuosen, Gedanken erst einmal zu ordnen und aufzuschreiben, bevor man sie ins Netz entlässt…  zu Ende zu denken. Andernfalls passiert, was hier passiert: wir erhalten eine Wortverbindungsstruktur mit herabgestimmter Semantik, oder besser: mit aufgelöster Syntax, die logische Gedankenverbindungen suggeriert, wo nur  Aneinanderreihung von Schlagwörtern besteht, von anklickbaren „Tags“, wie es durch das Internet längst um sich griff. Das ist hier als Stil umso „typischer“, als Jebsen mit seiner Gabe zur online-Improvisation zu einem der führenden Performer einer neuen Art von medialer Textproduktion wurde, eine der Begabungen, die diese neue Produktionsform erforderte und hervorbrachte. Ein Verfall der Schriftkultur im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit. Es soll hier nicht einzeln auseinandergebröselt werden, was Jebsen da alles zusammengeknäuelt hat. Außer Frage steht: Es ist keine „Verschwörungstheorie“, weil offensichtlich, dass die ökonomische Macht von Couponschneidern wie Gates der staatsmonopolistischen Struktur und dem Fäulnis- und Korruptionsstadium der imperialistischen Hauptländer entspricht und zugleich die Machtverhältnisse USA-BRD zum Ausdruck bringt.

Das war’s dann allerdings an antikapitalistischem Erkenntnisgewinn. Selbstverständlich hat nicht Gates entschieden, ob man auf Kuba oder in China eine Atemschutzmaske trägt, sondern planmäßiges Herangehen guter Regierungen in Ländern, wo nicht die Finanzbourgeoisie an der Macht ist. Und auch für eine menschenfeindliche Regierung wie die der BRD sind eine Menge vermittelnder Zwischenerwägungen ausschlaggebend. Wirklich hanebüchen ist die Idee, dass nicht zunächst Spanien oder Österreich entscheiden sollten, ob Deutsche nach Mallorca oder Österreich einreisen können. Jebsen greift hier eine Rede des „Widerstand 2020“-Mitbegründers Ralf Ludwig in Stuttgart auf, wo dieser allen Ernstes sich auf das deutsche Grundgesetz berief, um Reisefreiheit nach Mallorca einzufordern – und in den Kontext des Grundgesetzes stellt Jebsen es hier auch. So gesehen, kann der Punkt nichts anderes ausdrücken, als den deutschen Chauvinismus gegenüber Nachbarländern, der letzendlich „das Grundgesetz“ zum Vorwand eines Menschenrechtsimperialismus macht. Es wäre aber böswillig, Jebsen hier solchen Chauvinismus oder gar „latenten Faschismus“ vorzuwerfen.

Der „Normalzustand“ den er hier unbedacht verklärt, ist einfach der der EU – die nun allerdings tatsächlich als Speerspitze der Faschisierung wirkt. Deren BRD-dominiertes Regime sorgt dafür, dass einstweilen nicht mehr die Legion Condor oder ein „Anschluss“ bemüht werden müssen, um auch Spanien oder Österreich ihrer Grenzhoheit zu berauben. „Corona“ zu beschuldigen, dass dieser Zustand immerhin kurzfristig außer Kraft gesetzt wurde, ihn sich also zurückzuwünschen, ist alles andere als fortschrittlich und entwertet auch die Berufung auf’s Grundgesetz als Garant vermeintlicher Menschenrechte. Das Argument wird weiter entwertet, insofern im Vorfeld einer möglichen heranrückenden Pandemie rechtzeitige Grenzschließungen zu den vernünftigsten Maßnahmen zählen, die ein Staat überhaupt ergreifen kann. Das in Abrede zu stellen würde bedeuten, man verfüge über gesicherte Erkenntnisse, dass a) keine Epidemie existiere und / oder b) die zu erwartenden Opferzahlen dermaßen „normal“, also akzeptabel, sein würden, dass politischer Fatalismus – also keine Maßnahmen – mit „Demokratie“ gleichzusetzen wäre. Eben das war aber die Politik der Bundesregierung zwischen Januar und März, als Grenzschließungen dem ganzen folgenden Schlamassel inklusive angestrebtem Ausnahmezustand die Grundlage weitgehend hätten entziehen oder einschränken können. Nur staatlich angeordnete Tests und Obduktionen hätten dafür sorgen können, dass Thesen nicht länger „wirr“ sein müssen. Das wurde unterlassen.

Zusammengefasst: Was der SPIEGEL Jebsen als „wirre Thesen“ ankreidet, ist

  1. dass er über keine Imperialismustheorie verfügt, die ihm ermöglicht, das Phänomen Gates politisch-ökonomisch einzuordnen.

Wenn das das Kriterium ist, ist allerdings der Spiegel einer der ersten „Verschwörungsideologen“ im Lande.

  1. Erweist sich Jebsen hier als naiv überzeugter Anhänger nicht des Grundgesetzes, sondern des EU-Regimes, das er mit „europäischer Freizügigkeit und Demokratie für alle“ verwechselt.

Das aber ist das reaktionäre Mantra, welches der SPIEGEL selber sieben Tage in der Woche seinen Lesern predigt.

Gehen wir zu einer zweiten Passage über, die ich allerdings nicht nur „hanebeüchen“ finde, sondern grundfalsch und untragbar. In seinem „Joker-Video“ („Gesicht zeigen“) vom 22. April 2020 (https://www.youtube.com/watch?v=-kftiJk8kLw) sagte Jebsen:

„Aber es ist doch euer Land. Weil ich hab einen Presseausweis und noch verschiedene andere Ausweise, und wenn es mir zu blöd wird, und ich hab heute gesagt zu meiner Freundin: Das ist so ein bißchen wie kurz vor Machtergreifung, da sind die klugen Menschen ausgereist. Die haben nicht gewartet bis ’33, die haben vorher schon geahnt ‚Da braut sich was zusammen‘, und sind ausgereist und das würde ich auch tun. Alle waren derselben Meinung ‚Das ist der richtige Kurs‘ und Leni Riefenstahl hat dazu den Videoclip gemacht – ‚Wir gewinnen‘ – aber wir haben nicht gewonnen. Ne. Und dann standen nachher alle vor diesen Lagern und konnten sich das überhaupt nicht vorstellen: ‚Wie konnte uns denn das passieren, wir die Dichter und Denker. Weil wir eben nicht zuende denken und uns auch keinen Vers drauf machen können, weil wir eben nicht ganz dicht sind. Und deswegen, weil uns das nicht nur damals passiert ist und weil uns etwas Ähnliches dann in der DDR passiert ist, mit Stacheldraht, wo sich Deutsche gegen Deutsche gegeneinander abgeschottet haben und aufeinander geschossen haben, könnte das uns das ein drittes Mal passieren.“

In der Tat – es sind „wirre Thesen“, wo Warnung und intolerable Verharmlosung ineinandergreifen. Die Gleichsetzung von Faschismus und Sozialismus, die Lehre von den „zwei Diktaturen“ ist dann der Clou, auf den es hinausläuft. Aber diese „wirren Thesen“ geben haargenau das wieder, was auch einem „Migrantenkind“ vom ersten Schultag an eingeflößt wird. (Womit übrigens auch die System-Vergleichsmöglichkeit entfällt, zu erkennen, dass Migranten in der DDR solidarisch für den Aufbau ihrer Herkunftsländer ausgebildet wurden.) Es ist genau die Geschichtsfälschung, die uns auf allen Kanälen umgibt. Wieder läuft der Vorwurf der „Verschwörungstheorie“ auf das hinaus, was  unbedingte, gängige gesellschaftliche Vorschrift ist. Die „wirre These“ besteht darin, dass der Mann und sein Publikum keine Faschismustheorie kennt. Das ist nicht gerade ein Alleinstellungsmerkmal. Wer dafür zu sorgen hätte, dass sie sie kennenlernen, wären wir. Aber das muss vorbereitet und organisiert werden.

Ganz sicher können wir Freidenker so etwas nicht einfach „stehen lassen“. Potentielle Bündnispartner werden damit genauso abgestoßen wie wir selber. Nur ist angemessene Kritik ein Geschäft, das Analysefähigkeit und Unterscheidungsvermögen und volles Geschichtsbewusstsein erfordert. Wir brauchen sie, weil sonst das Agenda-Setting der Herrschenden sich auch dort durchsetzt, wo vermeintliche Widerstandskeime sich bilden, selbst unter denen, die am meisten der Denunziation preisgegeben sind.

Der Umgang mit Ken Jebsen zeigt: einmal in das Räderwerk des inquisitorischen McCarthyismus geraten, der inzwischen auch vor den irrationalsten, rassistischen Stereotypen nicht zurückschreckt, nützt es dem Betreffenden nichts mehr, wenn er aufrichtig überzeugt vor den entscheidenden Geßlerhüten der herrschenden Ideologie in die Knie geht. Widerspruch wird auch in dem Sinne nicht mehr geduldet, dass Personen nicht mehr in sich selbst von Widersprüchen gezeichnet sein dürfen – ein Verbot, dass menschliche Beziehungen schlechthin sabotiert.

Um zu illustrieren, für wie ernst ich die Lage halte, eine alte Erinnerung. Ich selber habe Rudi Dutschke nie besonders gemocht. Nicht seine Propagierung des Antisowjetismus, der Konterrevolution des „Prager Frühlings“, und nicht die von Max Horkheimer übernommene antimaterialistische Zerstörung des Klassenbegriffs, die „die Tiere“ zur zu befreienden Klasse und zum revolutionären Subjekt erklärte. Aber er vertrat dies als Agitator einer Bewegung, die in den besten Zeiten ein authentisches anti-imperialistisches Standbein gegen den Vietnamkrieg hatte. Die im Lande erzeugte Hetz-Stimmung sorgte dafür, dass Dutschke schließlich eine Kugel in den Kopf geschossen wurde, nicht seinen noch antikommunistischeren Kommilitonen, die nicht selten 30 Jahre später zum Jugoslawienkrieg aufriefen.

Der zitierte Hetzartikel des SPIEGEL erschien NACH dem versuchten Sprengstoffanschlag (verharmlosend „Polenböller“ genannt) gegen Ken Jebsen in Stuttgart. Wenn ich jetzt dazu aufrufe, die Positionen von Jebsen differenzierend zu kritisieren, dann ist mein Hauptgedanke der: Die „Totalitarismustheorie“ und unsägliche Gleichsetzung von Sozialismus und Faschismus ist nicht nur eine vollkommen unangemessene Widerspiegelung unserer, insbesondere nationalen, Wirklichkeit und historischer Gesetzmäßigkeiten.

Sie ist auch außerstande, eine Demokratiebewegung über ohnmächtige, schnell zusammenfallende Versuche hinauszubringen. Sie führt in den Irrationalismus, dem Freidenker grundsätzlich zu widerstehen haben. Und, für uns besonders kompromittierend: Sie wird sich ausgerechnet zum 30. Jahrestag der Konterrevolution, unter dem Schein vermeintlicher Opposition, in die allgemeine Hetze gegen den fortschrittlichen der beiden deutschen Nachkriegsstaaten einreihen, und somit die antidemokratischen Tendenzen ihrerseits noch verstärken.

Ich möchte abschließend erinnern, warum wir Freidenker in solchen Fällen um eine rationale Klarstellung nicht herumkommen.

Auch viele von uns haben eine „BRD-Sozialisation“. Das heißt aber unter anderem: Bekanntschaft mit der Praxis der Berufsverbote vor 1990; justament als es hieß, mit der „besten aller Verfassungen“ „mehr Demokratie zu wagen“. Wir haben Bekanntschaft mit der Praxis millionenfacher Berufsverbote nach 1990, als der „andere Teil“ mit diesem Grundgesetz beglückt wurde. Für einige von uns hieß es: Knast. Und zwar aufgrund einer RÜCKWIRKENDEN Rechtsprechung, ausgedehnt auf ein nicht mehr existierendes Staatswesen – was nun allerdings eine Verletzung dieses vielbeschworenen Grundgesetzes ist, bei der tatsächlich einmal die Analogie mit dem sogenannten Nationalsozialismus nicht an den Haaren herbeigezogen ist.

Mit einem Zitat von Wolfgang Abendroth aus dem Jahre 1982 sei angedeutet, worum es gehen muss:

„1945 war es – wie ein Blick in die Publikationen dieser Zeit leicht belegt – doch jedermann, der sich öffentlich äußerte, bewußt, wie es zum Dritten Reich gekommen war, und welche gesellschaftlichen  und politischen Kräfte die Zerstörung der Weimarer Verfassung und zuletzt den Sieg des Faschismus herbeigeführt haben; wer nach 1933 vor Hitler kapituliert und dann mit ihm paktiert hatte. Die Ungeheuerlichkeit der Verbrechen des nationalsozialistischen Machtsystems konnte (und kann) ohnedies – schon aus außenpolitischen Gründen – niemand mehr leugnen, der ernstgenommen werden will. Das wurde aber nach dem Beginn des Kalten Krieges und bereits bei den ersten Anzeichen dazu mit einem Schlage anders.

Jetzt hieß der Hauptfeind wieder ‚Kommunismus‘, wie das seit der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts schon in der Weimarer Periode eingeübt worden war, um dann im Antisowjetismus des Dritten Reiches extrem übersteigert zu werden.

An dessen Ideologen und Propagandisten konnte mit der Konstituierung der BRD unmittelbar (zum Teil auch dem Personalbestand der Ministerien des Auswärtigen Amtes und des Propagandaministeriums Goebbels‘ nach) angeknüpft werden. Die gleichen Professoren der Sozialwissenschaften und der Geschichte konnten dieser neuen ‚herrschenden Auffassung‘ wieder Munition liefern, die das auch vor 1945 getan haben. In der ersten Stufe kam es ihnen nun darauf an, Faschisten und Kommunisten als ‚Totalitaristen‘ gleichzusetzen: in der nächsten, ihnen gemeinsam die Schuld am Untergang der Weimarer Verfassung zuzuschreiben, um die Weltwirtschaftskrise und deren Folgen für die Änderung der Politik zuerst der Konzerne und Großbanken, dann auch der bürgerlichen, ach so ‚demokratischen‘ politischen Parteien aus dem Gedächtnis zu verdrängen, die Notverordnungsregime Brünings und Papens und die systematische Liquidierung der demokratischen Rechte des arbeitenden Volkes (ohne die der Aufstieg der NSDAP zur Massenpartei und am Ende der 30. Januar 1933 nicht denkbar gewesen wäre) vergessen zu machen.“

(Wolfgang Abendroth, Geschichtslegenden überwinden, in: Emil Carlebach: Hitler war kein Betriebsunfall. Pahl-Rugenstein Nachfolger, Bonn 1993.)

Schicken wir also die „Totalitarismustheorie“ zum Teufel und geben wir alle Illusionen auf, Widerstand sei möglich, indem er sich auf den politisch-juristischen Überbau beschränkt. Anders werden wir auch den Rassismus nicht los (den antichinesischen und antislawischen inbegriffen).

Klaus Linder Ist Landesvorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes Berlin
und Mitglied des geschäftsführenden Verbandsvorstandes


Collage: Ralf Lux
Hintergrund: pixabay.com / Prawny / Pixabay License
Einzelfotos (v.l.n.r.):
Ken Jebsen: Von opposition24.de – CC BY 2.0, Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=65024115
Xavier Naidoo: Von Smalltown Boy – Eigenes Werk, Gemeinfrei, Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=18352818
Attila Hildmann: Von Marco Verch, CC BY 2.0., Quelle: https://www.flickr.com/photos/149561324@N03/39656393250