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„Die Deutschen zwinkerten“: Die Stalingrad-Fantasien des Herrn Arestowitsch

Lüge und Wahrheit sind schwer voneinander zu trennen bei den Sätzen, die aus dem Munde des ukrainischen Chef-Propagandisten Arestowitsch stammen. Aber in manchen Fällen wäre es wichtig zu wissen, womit man es zu tun hat. Doch die Wahrheit interessiert in Deutschland nicht mehr.

von Dagmar Henn

Erstveröffentlichung am 12.08.2022 auf RT DE

Lügt er einfach? Oder steckt dahinter ein weiteres Ereignis, das ein Skandal werden müsste, wenn die Bundesrepublik nur halb so demokratisch wäre, wie sie von sich behauptet? Klar, beim ukrainischen Präsidentenberater Alexei Arestowitsch kann man sich da nicht sicher sein; aber wenn es noch eine funktionierende Opposition im Deutschen Bundestag gäbe, wäre das eine Nachfrage wert.

Hier das, was er erzählt. Wir reden hier von einem Treffen der NATO-Verteidigungsminister, wie es sich in Dänemark gerade wiederholt. Es gab mittlerweile mehrere dieser Treffen, zwei davon in Ramstein, aber das zweite war nur virtuell. Es geht also eindeutig um das NATO-Treffen in Ramstein am 28. April, und Arestowitsch bezieht sich auf den ukrainischen Außenminister als Quelle.

„In Ramstein schüttelten sich alle die Hände und sagten: ‚Bitte, macht den Bastard [Russland] fertig!‘ Die Schweden fügten hinzu: ‚Wegen Poltawa!‘ Die Franzosen fügten hinzu: ‚Wegen Borodino!‘ Die Deutschen schwiegen, aber sie zwinkerten: ‚Tötet es [Russland]!‘ Sie sagten: ‚Endlich werdet ihr es fertigmachen! Tut es! Lasst es uns alle zusammen tun!'“

Die deutsche Vertretung bei dem beschriebenen Treffen dürfte aus Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) plus vermutlich Generalinspekteur und Entourage bestanden haben.

Für jene, denen die verwendeten Ortsnamen nichts sagen: In Poltawa fand 1709 die entscheidende Schlacht zwischen Schweden unter Karl XII. und Russland unter Peter I. statt, die für Schweden mit einer vernichtenden Niederlage endete und das Ende des schwedischen Großreiches einläutete, und Russland unter anderem das Gebiet hinzufügte, auf dem heute Petersburg steht.

In Borodino war die große Schlacht des napoleonischen Russlandfeldzugs. Man kann eine sehr ausführliche Darstellung im dritten Teil der sowjetischen Verfilmung von „Krieg und Frieden“ sehen. Sie endete ohne Sieger; beide Seiten waren am nächsten Tag nicht imstande, die Kämpfe fortzusetzen. Danach zogen die napoleonischen Truppen nach Moskau weiter, das der russische Stratege Kutusow räumen und niederbrennen ließ, woraufhin das gewaltige napoleonische Heer, das sich aus der zerstörten, leeren Stadt nicht versorgen konnte, den verlustreichen Rückweg antrat.

Es sind also die Orte zweier Schlachten, die letztlich über den Ausgang des jeweiligen Krieges entschieden. In beiden Fällen waren es die Angreifer, die die Niederlage erlitten. Und jetzt zu dem Punkt, der ein Skandal ist, sollte er wahr sein. „Die Deutschen schwiegen, aber sie zwinkerten.“ Es braucht nicht allzu viel Verstand, um zu erkennen, wie der unausgesprochene Ortsname an dieser Stelle lautet. Die beiden ersten geben die Richtung klar vor. Stalingrad.

Nun ist allerdings eigentlich inzwischen selbst in die offizielle staatliche Erzählung durchgesickert, dass die Niederlage der Hitlerwehrmacht die Voraussetzung der Befreiung Deutschlands war. Der Grund, warum der Ortsname nicht ausgesprochen wird, ist, dass jemand, der von einer Revanche für Stalingrad träumt, sich mit der Naziwehrmacht identifiziert, mit Nazideutschland, und nicht mit einem demokratischen Land, das erst durch die Niederlage dieser Macht überhaupt möglich war. Wie hatte das Hemingway formuliert? „Jeder, der die Freiheit liebt, schuldet der Roten Armee so viel, dass es niemals entgolten werden kann.“

Frau Lambrecht müsste, als Mitglied der SPD, zumindest noch wissen, dass der Sieg der Roten Armee bei Stalingrad die Voraussetzung dafür war, dass viele Mitglieder ihrer Partei aus den Konzentrationslagern der Nazis befreit oder aus dem Exil zurückkehren konnten. Würde sie nach der Erwähnung von Poltawa und Borodino als Grund, warum man „Russland fertigmachen“ wolle, zwinkern? Nach dem Motto, egal, wenn die damaligen Vertreter meiner Partei, von der auch eine ganze Reihe im Widerstand gegen Hitler umkamen, eben keine Gerechtigkeit mehr erfahren hätten, Hauptsache, Russland ist platt?

Oder waren es die Vertreter der Bundeswehr selbst, die sich mit der Naziwehrmacht identifizierten und von einer Rache für Hitlers Niederlage träumen? Die also folglich für ihre Positionen nicht geeignet sind, weil sie sich nicht auf ein demokratisches Deutschland beziehen, sondern auf seinen historisch schlimmsten Feind? Das nämlich war der Nazistaat samt seiner Armee.

Nun, wie gesagt, wenn Arestowitsch eine Geschichte erzählt, muss sie nicht wahr sein. Aber im Umgang mit dieser Geschichte gäbe es nur zwei Möglichkeiten. Möglichkeit eins wäre, sie ist wahr. Dann müsste herausgefunden werden, wer aus der Gruppe der deutschen Teilnehmer da zwinkernd zugestimmt hat, und die betreffende Person (oder die betreffenden Personen) müsste aus dem Dienst entfernt werden, weil die Loyalität zu einer demokratischen Verfassung mehr als fraglich ist.

Möglichkeit zwei ist, Arestowitsch hat sich diese Geschichte ausgedacht. Nachdem Arestowitsch Berater des ukrainischen Präsidenten ist und diese Geschichte in der Öffentlichkeit, in einem Interview, erzählt hat, wäre eine diplomatische Note angebracht, in der man sich dagegen verwehrt, von ukrainischen Vertretern in die Nähe der Naziwehrmacht gerückt zu werden. So etwas macht man (nur als technischer Hinweis für die Verantwortlichen), indem man den Botschafter einbestellt und ihm ein Schreiben entsprechenden Inhalts zur Weiterleitung übergibt. (Und wäre Lambrecht eine Sozialdemokratin mit Geschichtsbewusstsein, würde sie sich über diese Erzählung auch persönlich empören).

Leider, leider wird nichts davon geschehen. Denn jenes Deutschland, das sich auf die deutschen Antifaschisten bezieht, für das Stalingrad ein Sieg war und keine Niederlage, wird durch den Pakt mit der Bandera-Ukraine immer weiter in den Schatten gedrängt und zum Schweigen gebracht. Man wird zwar immer noch ab und zu von irgendwelchen kleinen Neonazis in der Bundeswehr lesen, die man entdeckt und entfernt hat; aber weder die in der Anekdote zumindest vorgenommene Unterstellung, die Verteidigungsministerin und/oder ihr Anhang hegten Sympathien für die Naziwehrmacht, noch tatsächlich vorhandene Sympathien dieser Art werden noch irgendwelche Konsequenzen haben. Wollen wir wetten?

Nicht zu vergessen – mit dieser Anekdote hat natürlich auch Arestowitsch erklärt, auf welcher Seite seine Sympathien liegen, wenn es um Stalingrad geht. Denn jemand, der den Sieg der Roten Armee über die Naziwehrmacht als Sieg der Menschheit über die Barbarei begreift, würde eine solche Anekdote nicht mit Genugtuung, sondern mit Abscheu erzählen. Arestowitsch identifiziert sich mit Nazideutschland. Was niemanden überrascht, der die politische Entwicklung der Bandera-Ukraine kennt.

Man wird in Deutschland so tun, als hätte Arestowitsch diese Sätze nie gesagt. Man wird weiter Waffen in die Ukraine liefern, das eigene Land weiter in den Ruin treiben, den Deutschen weiter die Heizung abdrehen und weiter jeden freien Fahnenmast mit der fremden Fahne eines Staates bestücken, dessen Vertreter von einem Sieg der Wehrmacht bei Stalingrad träumen.

Aber wenn die Liste, die Arestowitsch zitiert, von Poltawa über Borodino bis Stalingrad, eines lehrt, dann das: Gleich, wie der Ort heißen mag, der diese Liste vervollständigen wird, es wird ihn geben. Irgendwo auf der Landkarte ist er bereits zu finden, auch wenn noch niemand weiß, wo. Und dann, wenn dieser unbekannte Ort zu einem bekannten geworden ist, wird auch das andere Deutschland wieder aus dem Schatten treten und seine Stimme erheben. Und Gericht halten über jene, die sich mit der braunen Pest gemein gemacht haben.

Dagmar Henn ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes


Bild oben: Oleksiy Arestovych (Alexei Arestowitsch)
Foto: President.gov.ua, CC BY 4.0
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=115847373