Religions- & Kirchenkritik, Säkulare Szene

Interview in „junge Welt“ mit Klaus Hartmann zum Papstbesuch

Interview in „junge Welt“ mit Klaus Hartmann
23.09.2011 / Schwerpunkt / Seite 3

»Permanent werden Events kreiert«

Religionskritik bleibt Gesellschaftskritik: Freidenker protestieren gegen Papstbesuch, kämpfen aber auch mit Gläubigen für Frieden und gegen atheistische Kriegstreiber. Gespräch mit Klaus Hartmann

Rüdiger Göbel

Am gestrigen Donnerstag ist Papst Benedikt XVI. in Berlin gelandet. Ein erhebendes Erlebnis auch für Freidenker?

Gott bewahre. Immerhin schleckte er nicht die Landebahn ab wie sein Vorgänger. Ansonsten ist er uns ein teurer Gast, zumindest verglichen mit den jährlich 20 Millionen Berlin-Touristen, die in der Regel Selbstzahler sind. 25 bis 30 Millionen Euro soll der Spaß laut Deutscher Bischofskonferenz kosten, allein der Altar im Olympiastadion kostete 400000 Euro, und der bleibt ja für die folgenden Spiele nicht stehen. Die Kirche spricht zwar viel über ihre Beiträge, aber kein Wort erfährt man über die öffentliche Hand, die ja auch von Evangelen, Muslimen und Konfessionsfreien gefüttert wird. Sie dürfen ungefragt nochmal in ähnlicher Größenordnung, u.a. für die »Sicherheit« des Besuchers und seiner Fans, »spenden«.

Aber außer den Kosten stört der Besuch doch generell?

Das würde ich persönlich nicht unterschreiben, ich kann ihm auch Positives abgewinnen, und damit meine ich nicht nur, daß er am Sonntag schon zu Ende ist. Nein, der Papstbesuch bringt vielen ins Bewußtsein, was alles faul ist in der Kirche, aber auch im Verhältnis zum Staat. Nehmen wir den heiß umstrittenen Auftritt im Bundestag. Dort reden ja viele sonderbare Gestalten, warum nicht Ratzinger, könnte man fragen. Aber darum geht es nicht. Wenn Staat und Kirche getrennt sind, hat ein Missionar im Parlament nichts verloren, außer auf der Besucherempore. Wenn die Kirche die Pfarrerstochter Merkel im Dom predigen oder Bodo Ramelow das Wort zum Sonntag ausbringen ließe, sind das deren private Vergnügungen. Aber einerseits Kopftuchverbot für Beamtinnen und dann dieser Kostümierte am Rednerpult des Bundestages – wie soll das zusammenpassen? Bundesregierung und Bundestagsmehrheit haben ihre Chance genutzt, sich als Verfassungsfeinde zu outen. Entgegen der verfassungsmäßigen Neutralität des Staates in Religions- und Weltanschauungsfragen machten sie den Bundestag zum Gotteshaus. Kritiker an dieser Entscheidung wurden hysterisch niedergemacht. Das zeugt von Besessenheit der christlich-abendländischen Leitkultur-Kämpfer, die Akzeptanz der Rede im Bundestag wurde als Unterwerfungsgeste und Gesinnungstest verlangt. Ein schöner Einblick in die gepriesene Freiheit und Demokratie.

Um den Besuch wird ein immenser medialer Hype inszeniert …

Das hat nichts mit Religion zu tun, das gehört zum Geschäft der Mainstreammedien, zu ihrem Auftrag: Brot und Spiele, Zerstreuung und Ablenkung vom Wesentlichen. Die Menschen sollen permanent in Atem gehalten werden, nicht zu sich selbst kommen, nicht gegen ihre eigene bedrückende Situation aktiv werden, nicht deren Ursachen und Verursacher erkennen. Das ist ein Programm zur Volksverdummung. Permanent werden Events kreiert, Stars geboren, Idole zur Identifikation angeboten, man könnte sagen, jeden Tag wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Als kürzlich Georg-Friedrich von Hohenzollern, Prinz von Preußen, die Sophie Prinzessin zu Isenburg heiratete (Neue Ruhr Zeitung: Er »wäre heute deutscher Kaiser, wenn nicht 1918 alles anders gekommen wäre«), berichtete die ARD-Anstalt RBB live, drei Stunden lang, von der ökumenischen Hochzeit in Potsdam. »Das Leben der anderen« wird permanent öffentlich feilgeboten, auf daß die Menschen die Illusion der Teilhabe am Glamour haben, ihre Wünsche und Sehnsüchte auf Idole projizieren und von Verbotenem wie Klassenkampf die Finger lassen. Das Springer-Hochhaus in Berlin zeigt das Motto in diesen Tagen überdimensional: Auf zwei Transparenten von 45×65 Metern sehen wir jene Titelseite mit der debilen Überschrift »Wir sind Papst«.

Trotzdem interessiert sich das Gros der Bevölkerung nicht für den Besuch des Papstes. Zu seinen Auftritten in Freiburg kommen deutlich weniger, als von der Kirche erwartet. Lohnt sich da der ganze Protestaufwand?

Es ist ganz in unserem Sinne, wenn über 80 Prozent der Bevölkerung ihr Desinteresse bekunden, und die Vermarktung zum Megaevent eines Popstars durch die Massenmedien wird der Kirche kaum neue Schafe in die Arme treiben. Unabhängig davon gibt es eine gesteigerte öffentliche Aufmerksamkeit für das vordemokratische Verhältnis von Staat und Kirche in Deutschland, die Chance, das Sündenregister der katholischen Kirche, die jüngsten Skandale wieder in Erinnerung zu rufen: Nach der fehlgeschlagenen Vertuschung klerikaler Sexualverbrechen hat das Wort vom »Priesternotstand« eine ganz neue Bedeutung bekommen. Ein weitverbreitetes Mißverständnis ist, der Papst habe sich dafür entschuldigt. Tatsächlich hat er den Kindesmißbrauch mit den Zeitumständen entschuldigt, denn die Zunahme der Pornographie mit Kindern »schien in gewisser Weise von der Gesellschaft zunehmend als normal betrachtet zu werden«, predigte er an Weihnachten in Irland. Noch ein Mißverständnis: Die vermeintliche Liberalisierung beim Kondomverkehr gilt nur bei infizierten Prostituierten, für alle anderen gilt das gefährdende bis todbringende Verbot weiter.

Die menschenfeindlichen Positionen der Papstkirche bringen bemerkenswert viele Menschen in Bewegung. Bündnisse machen mobil, die Freidenker unterstützen u. a. den Demo-Aufruf »Keine Macht den Dogmen«. Dabei traten wir am Donnerstag in Berlin für die Durchsetzung von Vernunft und Humanismus im Denken und in der gesellschaftlichen Praxis sowie für die strikte Trennung von Staat und Kirche ein. Wir machen deutlich, daß es nicht nur im religiösen Bereich irrational zugeht, sondern auch im weltlichen, kurz: Der Kapitalismus ist höchst unvernünftig, er ist menschenfeindlich, nicht zukunftsverträglich, er bedeutet Krisen und Kriege.

Das klingt danach, daß Papstbesuch, Kirchen und religiöse Themen nicht im Zentrum des Interesses und der Aktivitäten der Freidenker stehen.

Vollkommen richtig. Freidenker sind eine Weltanschauungsgemeinschaft, sie vertreten eine nichtreligiöse, also eine philosophische Weltanschauung. Ihre Grundlagen sind philosophischer Materialismus, Dialektik und eine darauf gegründete Geschichtsauffassung. Das bedeutet, der Mensch kann die Welt erkennen und verändern. Zweitens sind wir Kulturorganisation, befassen uns also mit dem Zusammenleben der Menschen, propagieren eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Kriege. Um dafür Menschen in Bewegung zu bringen, müssen sie der Gehirnwäsche widerstehen, mit dem eigenen Kopf denken, und deshalb betrachten wir Aufklärung als unsere Hauptaufgabe. Die aktuelle Wirtschaftskrise wirft ein grelles Licht auf die Gefahren der heutigen Weltsituation. Krisen wurden bisher immer durch Vernichtung von Überkapazitäten »gelöst«: von Produktionsmitteln und Menschen. Seit der Niederlage des Sozialismus in Europa sind neokolonialistische Kriege wieder an der Tagesordnung, das Völkerrecht wird aus den Angeln gehoben, die Schlacht um die erneute Neuaufteilung der Welt ist in vollem Gange. Wer garantiert, daß es bei Stellvertreterkriegen und regional begrenzten Aggressionen bleibt? Ab wann der Beginn eines dritten Weltkrieges zu datieren ist, können nur Historiker im nachhinein entscheiden – sofern welche überleben. Aber die aktuellen Schlachten zeigen die eindeutige Tendenz der Einkreisung und Provokation Rußlands und Chinas, der Zurückdrängung ihres Einflusses. Die Gefahren dieses Abenteurertums sind leider noch nicht vielen Menschen zu Bewußtsein gekommen.

Religiöse Fragen sind demnach nicht die entscheidenden?

Wir kämpfen nicht gegen die Religion oder die Gläubigen. Wir klagen die kriminellen Machenschaften des Vatikans an, von der Hexenverbrennung bis zur Geldwäsche der Vatikanbank heute. Wir klagen Ratzinger an, wenn er der islamophoben Propaganda der neokolonialistischen Kreuzzügler seinen »theologischen« Segen spendet. Oder seine Militärbischöfe die Moral der Truppe beim Totschießen von Afghanen aufrüsten. Wenn Ratzinger beim Kroatien-Besuch im Juni 2011 am Grab von Erzbischof Stepinac den Schutzheiligen der Ustascha-Faschisten zum »christlichen Humanisten« ausruft. In diesem Sinne bleibt unsere Religionskritik immer Gesellschaftskritik. Wir kämpfen gemeinsam mit Gläubigen gegen den Krieg, aber uns verbindet nichts mit den »atheistischen« Kriegstreibern des »Menschenrechts«-Imperialismus gegen Jugoslawien bis Libyen.


Beitragsbild, Klaus Hartmann: © 2013 by Schattenblick / http://www.schattenblick.de