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Eine unendliche Geschichte des Verschweigens von Naziterror und Mord

von Edith Ockel, erschienen im Freidenker 1-2012

Ein Prolog zum Russlandjahr 2012:

Eine unendliche Geschichte des Verschweigens von Naziterror und Mord

Am 2. Januar 2012 kaufte ich, was ich sehr selten tue, „Das deutsche Nachrichten-Magazin DER SPIEGEL“ Nr.1/2.1.12. Unter der Überschrift „Welle der Wahrheiten“ sind 13 namhafte ehemalige hochrangige Politiker der BRD mit Foto dargestellt. Darunter u.a. Hans Globke, Kurt Georg Kiesinger, Theodor Oberländer, die wegen Verbrechen während des Nazi-Regimes niemals zur Verantwortung gezogen worden waren. Selbst der „Miterfinder der Nürnberger Rassengesetze“, Hans Globke, konnte wie bekannt unter Adenauer einer der „wichtigsten Beamten der Bundesrepublik werden“. Es ist unfassbar, dass ihre Verbrechen über 70 Jahre ungeahndet, die Verbrecher sogar in hohen Ämtern gefördert ein luxuriöses Leben führen konnten.

Die Terror-Akte der Zwickauer Nazis unter den Augen des Verfassungsschutzes machen deutlich, dass nach Brecht zitiert, „der Schoß noch fruchtbar ist, aus dem das kroch“.

Nazis hatten die von ihnen als „Untermenschen“ bezeichneten Juden und Sowjetbürger ihrer deutschen „Herrenrasse“ nicht nur untergeordnet, sondern ihnen alle Menschenrechte aberkannt. Auch gegenwärtig steht das Völkerrecht wieder zur Disposition.

Der Bericht von Rainer Rupp über das Freidenkerseminar in Alsheim im „Freidenker“4-11 hat mich bewegt, auf einen aktuell geschaffenen Dokumentarfilm der Alexander Ten-Mareen film KG aufmerksam zu machen, der am 19. Juni 2011 als Vorschau in Bremen gezeigt werden konnte. In diesem Film „Keine Kameraden“, den die Produzentin und Regisseurin Beate Lehr-Metzger vorstellte, werden die Folgen der Missachtung der Genfer Konvention dokumentarisch in den Verbrechen an sowjetischen Kriegsgefangenen im 2. Weltkrieg dargestellt.

Auf der kleinen zauberhaften ostfriesischen Insel Langeoog, auf der sie sich im Urlaub erholen wollte, fand sie ein Massengrab ehemaliger sowjetischer Kriegsgefangener, deren Schicksal der Ursprung für diesen Film wurde. Es ließ sie nicht los, was Menschen den Menschen antun können, die nicht der eigenen „Herrenrasse“ angehören. Sie fand Zeitzeugen in Deutschland und Russland sowie Historiker, die Auskunft geben konnten, recherchierte in Archiven und konnte sich auf die schrecklichen Wochenschauberichte der Nazi-Zeit stützen.

Dieser außerordentliche Dokumentarfilm, in dem die Bilder leben und viele Zeitzeugen zu Wort kommen, hat mich über eine Stunde mit den stärksten Gefühlen gefesselt. Erinnerungen an meine Kindheit der Kriegs- und Nachkriegszeit wurden lebendig und die Gewissheit, dass die Solidarität der Linken in ihrem Kampf für die Menschenrechte aller Völker unabdingbar ist.

Auf der kleinen Insel Langeoog wurden vom September 1941 bis zum Frühjahr 1942 150 sowjetische Kriegsgefangene zu Tode gequält. Ein Schüler schrieb in einem Schulaufsatz: „Die Russen mussten schwer arbeiten und brachen bald zusammen. Die Wachleute schlugen die Russen, wenn sie nicht mehr weiter konnten. ….Wenn einer ihrer Kameraden bei der Arbeit gestorben war, wurden sie an zwei Pfähle gebunden und ins Lager getragen.“

In der Lüneburger Heide hausten die Gefangenen in Erdlöchern, wo sie erfroren, verhungerten oder auf Arbeitsstellen schon krank und ausgemergelt erschlagen bzw. erschossen worden sind. Ein Augenzeuge berichtet: „Jeden Abend wurden die Leichen von 7 oder 8 dieser Unglücklichen heim getragen, deren Schuld einzig und allein darin bestand, ein Russe zu sein.“ Die Todesursachen der abgemagerten „Knochengestalten“, von Ärzten dokumentiert, lauteten meistens „Körperschwäche“ oder „Magen-Darm- Erkrankungen“.

Der Historiker Prof. Dr. Christian Streit spricht von einem Massensterben der sowjetischen Kriegsgefangenen von September 1941 bis März 1942. Es herrschte ein strenger Winter. Von 5,7 Millionen gefangen genommenen sowjetischen Soldaten starben 3.3 Millionen (58%) in deutscher Gefangenschaft.

Die unendliche Geschichte des Verschweigens von Naziterror und Mord findet auch gegenwärtig ihre Fortsetzung in Deutschland trotz Offenlegung von jahrelang verschlossenen Dokumenten der vom Faschismus beherrschten Zeit. Offenlegung braucht Aufklärung, insbesondere der deutschen Jugend, damit die Nazi-Ideologie in Deutschland keine Früchte tragen kann. Der Dokumentarfilm „Keine Kameraden“ sollte deshalb ein Pflichtfilm für die Schuljugend sein, damit sie nicht in die Fänge von Nazis geraten.

Mit diesem historisch und künstlerisch eindrucksvollen Film haben alle Beteiligten mit großem Engagement ein dankenswertes Beispiel zur Vergangenheitsbewältigung im beginnenden Russlandjahr 2012 und als Brücke zur Völkerfreundschaft geschaffen, das viele Menschen in Ost und West sehen sollten. Am Ende des Films bauen spielende Kinder Sandburgen am Langeooger Strand, die ein Symbol für eine friedliche Welt bedeuten.

Dr.sc.med. Edith Ockel, Berlin, Mitglied im Beirat des Deutschen Freidenker-Verbandes


Foto: Kolonne sowjetischer Kriegsgefangener auf dem Marsch
Quelle: commons.wikimedia.org / Bundesarchiv, Bild 101I-218-0514-30A / CC-BY-SA 3.0